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Das Zeitalter der twitternden Maschinen

Das Startup 21.co hat seinen Business-Plan vorgelegt – und will tatsächlich Satoshis in jedes Handy regnen lassen. Die Bitcoin-Szene rechnet entrüstet vor, dass sich das nicht lohnt, und merkt dabei kaum, wie phantasielos und pessimistisch sie geworden ist. Denn das, was 21 vorhat, ist zwar gewagt, aber groß und visionär.

Über einen Artikel bei der Blogzentrale Medium hat Balaji S. Srinivasan vor einigen Tagen endlich die Hüllen fallen gelassen und verraten, was das von gigantischen Investment-Geldern unterstützte Start-Up 21.co plant:

Nach langer und harter Arbeit haben wir einen integrierbaren Mining-Chip konstruiert. Wir nennen ihn BitShare. Es gibt ihn in in mehreren Varianten. 21 BitShare kann in ein mit dem Internet verbundenes Gerät als eigenständiger Chip eingebaut oder in ein existierendes Chipset integriert werden. Er ist ein IP-Block, der einen ständigen Strom an digitaler Währung generiert, die in einer Vielzahl von Anwendungen genutzt werden kann.

OK. 21 will also, wie schon mehrfach spekuliert, tatsächlich jedes Gerät zum Miner machen. Man will die Fähigkeit eines Gerätes, Bitcoins zu erzeugen, zur „fundamentalen Systemressource“ wie die CPU, den Arbeitsspeicher, die Bandbreite oder die Festplatte machen. Geil?

Von wegen. Die Bitcoin-Szene hatte von 21 ja Wunder weiß was erwartet, nachdem das Startup 116 Millionen Dollar Investment-Kapital eingesammelt hatte. Dass 21 nun das Offensichtliche macht, das, was viele schon von Anfang an vermutet haben, rief Ärger und Enttäuschung hervor. Hätte es denn nicht etwas sein können, das so irrwitzig brillant ist, das niemand es erahnen konnte?

Auf /r/bitcoin begann ein kleiner Shitstorm:

Der Plan ergibt keinerlei Sinn.

Ich bin überrascht, dass die geheimnisvollste und am besten finanzierte Bitcoin-Firma nun mit einem Produkt hervortritt, das weder innovativ noch nützlich ist.

Das ist unvorstellbar hirnrissig.

Die Idee ist Schrott. Es gibt so viele Gründe, weshalb es nicht funktionieren kann.

Nun … man darf froh sein, dass Satoshi Nakamoto reddit nicht gefragt hat, bevor er eine staatenlose, von nichts gedeckte Währung ins Leben gerufen hat. Der hauptsächliche Einwand, der gegen 21.co hervorgebracht wird, dreht sich um die Rentabilität des Minings. Wenn ein Smartphone einen winzigen Asic-Chip (BitShare) hat, konkurriert es mit den Minern in Rechenzentren. Und diese haben eine bessere Infrastruktur und günstigere Stromkosten. Demnach werden die Leute, die BitShare benutzen, mehr Strom bezahlen, als sie an Bitcoin-Brösel gewinnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass 21.co sich noch seinen „Share“ vom Kuchen nimmt. Was soll das ganze also?

Wer den Artikel von Srinivasan gelesen hat, sollte eines bemerkt haben: Der Chef von 21.co erwähnt an keiner Stelle, dass er vorhat, die Besitzer von Smartphones reich zu machen. Er sagt auch nie, dass sich die Strom-Bitcoin-Rechnung für die Nutzer lohnen wird. Ihm geht es um viel viel mehr.

Wir, von 21, sind weniger an Bitcoin als ein Finanzinstrument interessiert als an Bitcoin als ein Protokoll – und im Speziellen in der industriellen Anwendung von Bitcoin, die durch integriertes Mining ermöglicht wird.

Als Anwendungsmöglichkeiten des integriertes Minings zählt Srinivasan folgende auf:

  • Mikropayment: Ein kontinuierlicher Strom von digitalem Geld auf ein Gerät wie ein Smartphone würde das Grundproblem des Mikropayments lösen: dass der Aufwand, eine Kreditkarte zu benutzen – oder der Aufwand Bitcoins zu kaufen – den Nutzen eines Produkts übersteigt. Die PayWall bei Zeitungen setzt sich nicht deswegen nicht durch, weil die Leute zu geizig sind, ein paar cents für einen Artikel zu bezahlen – sondern weil sie zu faul sind. Ein integriertes Mining würde dieses Problem in der Tat lösen.
  • Als Alternative zum Hardware-Verkauf: Wenn man auf herkömmliche Hardware einen Chips von 21 aufbaut, kann dieser einen kontinuierlichen Strom von Einkommen erzeugen – für die Produzenten der Hardware. Dies könnte zu einem neuen Modell der Hardware-Monetarisierung werden, welche insbesondere Entwicklungsländern den Zugang zu Hardware erleichtern kann. Die Chips von 21 ermöglichen es den Herstellern auch, die Einnahmen durch das Mining variabel zu verteilen. So wäre es möglich, dass sie zwischen Herstellern, Logistikern und Händlern verteilt werden. Dies würde die Kosten über die gesamte Supply-Chain senken.
  • Dezentrale Authentifizierung von Geräten: Mit einem integrierten Miner können sich Geräte ausweisen, indem sie einen Satoshi an eine spezifische Adresse senden. In der Kombination mit Multi-Signaturen kann der 21 BitShare die Geräteauthentifizierung revolutionieren.
  • Machine twitter: Mit einem integrierten Miner können alle Geräte mit einer Internet-Verbindung etwas in die Blockchain schreiben. Sie twittern: Hallo, ich bin da, und Hallo, ich mache jetzt dies oder das. Dies kann etwa die Koordination von Geräten verbessern oder Ad-Hoc-Netzwerke ermöglichen.

Das ist schon eine Vision, oder? Srinivasan glaubt daran, dass „integriertes Mining langfristig Bitcoin als fundamentale Systemressource etablieren wird, gleichwertig zu CPU, Bandbreite, Festplattenspeicher und RAM“. Vorstellbar seien so auch Geräte, die bewusst eine eher schwache CPU mit einem starken Miner kombinieren um die nötige Rechenleistung in der Cloud zu kaufen.

Ob sich der Chip durchsetzt wird letzten Endes jedoch davon abhängen, ob Ingenieure und Computerwissenschaftler finden, dass der Chip von 21 Probleme löst. Das Unternehmen arbeite derzeit schon mit vielen industriellen Partnern zusammen. Seit kurzem ist neben dem Chiphersteller Qualcomm auch Cisco unter den Investoren. Cisco ist ein US-Telekommunikationsunternehmen, das Router und Switches herstellt, die, so die Wikipedia, das Rückgrat des Internets bilden.

Padmasree Warrior, „Chief Technology & Strategy Officer“ von Cisco, kommentiert das Investment in 21.co:

Bitcoin könnte ds nächste große Internetprotokoll sein. Mit der verteilten Datenbank Blockchain und der Fähigkeit zu Mikrotransaktionen hat es das Potenzial, eine Technologie zu sein, die vieles ermöglicht, was über digitales Bezahlen hinausgeht.

Das Projekt, das 21.co angeht, könnte riesig sein. Jedem, der ein wenig Phantasie hat, wird es egal sein, ob die Handys mit dem Chip von 21 nun gewinnbringend minen oder nicht. Sie generieren immer wieder Bitcoins und sie haben die Infrastruktur, um diese zu nutzen. Der Aufwand, ein Handy mit einem Zahlungsmittel fürs Mikropayment aufzuladen, fällt weg, stattdessen wird das Zahlungsmittel zur System-Ressource.

Aber natürlich gibt es ungeheuer viele offene Fragen. Wird das Scalability-Problem gelöst? Was ist mit den Transaktionsgebühren? Wird der 21-Pool genügend Bitcoins minen, um überhaupt etwas auszuzahlen? Wird die Industrie ein Interesse daran haben? Wird der Bitcoin genügend wert sein, damit die Idee auch nach der nächsten oder übernächsten Halbierung der Mining-Erträge funktioniert? Usw.

Trotz allem verkörpert 21.co die bislang spannendste Bitcoin-Vision, die ein industrielles Unternehmen hervorgebracht hat. Sie ist dezentral, da die neu entstehenden Bitcoin nicht mehr in den Händen Einzelner, sondern in der sehr breiten Masse landen sollen, und sie ist irre futuristisch, da sie auf ein Zeitalter abzielt, in dem Maschinen selbständig miteinander reden, sich ausweisen und für Dinge bezahlen. Ob realistisch oder nicht – ich bin genauso entzückt wie Herr Warrior von Cisco. Und jeder Bitcoiner mit ein wenig Phantasie sollte das auch sein.

Über Sascha Nierste (34 Artikel)
Hat Soziologie studiert und arbeitet unter anderem als freier Autor. Für das Bitcoinblog kümmert er sich mit Vorliebe um Neuigkeiten und Akzeptanzstellen.

6 Kommentare zu Das Zeitalter der twitternden Maschinen

  1. Jetzt aber mal ganz ehrlich: MiningChips in Handys, Laptops, PCs und Tablets zu bauen, kann doch kein Geschäftmodell sein, in das Hunderte Millionen Dollar investiert werden. Was sollen den die paar Hashes gegen die großen Farmen schon an Satoshis einbringen? Außerdem steigt dadurch die Schwierigkeit erneut und nächstes Jahr gibt es nur noch die Hälfte Bitcoins und in weiteren acht Jahren ist die Blockreward gar kein Thema mehr.

    Also, worum geht es? Ganz klar: um BigData!

    Mit was verdienen Google, Facebook, Apple und Co ihr Geld? Mit den Daten der Nutzer. Und genau darauf wird 21 auch abzielen. Man baue einen Chip ins Handy und verbreitet: dieses Handy bezahlt sich von selbst – wenn man Glück hat. Man muss sich nur im 21-Pool anmelden und die 21-Wallet installieren und mit den paar Satoshis im 21-Store einkaufen. Das Handy mint nur ein paar Microcent? Kein Problem, man kann sich ja bei 21-Exchange noch ein paar Bitcoins kaufen. Hauptsache, die breite Masse wird motiviert, sich an Bitcoin heranzuwagen und lernt den Umgang damit. Mal daran gewöhnt, wird dann immer häufiger mit Bitcoins bezahlt und schon bekommt 21 von Millionen von Nutzer die begehrtesten Daten überhaupt. Das ist ein millionenschweres Geschäftsmodel und nicht das Minen im Handy, was jeder, der die vier Grundrechenarten beherrscht, als totalen Blödsinn entlarven kann.

    Natürlich kann man nicht losziehen und das Geschäft dadurch starten, dass man sagt: ‚Leute wir wollen alles über eure Einkäufe wissen.‘ Genau das sollte eher geheim bleiben und wird auch sicher anfänglich herrunter gespielt werden. Aber der Menge auf die Nase binden, dass das neue Handy oder Tablet Geld errechnet, hat da doch eher echtes Potenzial.

    Ganz ehrlich: Ich drück‘ 21 die Daumen, dass sie damit Bitcoin in den Mainstream bringen.

  2. Das sogenannte Internet der Dinge, Industrie 4.0 bekommen damit ihre „eigene“ Währung. Interessant!

  3. Was für eine Glosse!
    Für einen Moment habe ich echt geglaubt, Herr Bergmann meint das ernst 😉
    Milchmädchenrechnung 2.0 — hab mich köstlich amüsiert.
    Jetzt aber bitte wieder ernsthafte Berichterstattung.

  4. Um Daten auszuspäen brauchts keine Satoshis, siehe Google, Facebook & Co.
    Wie lange muss ich telefonieren damit die geschürften Satoshis für eine Zeitung reichen?
    Der 01.04. ist bereits vorbei!! Also: Stoooopppp!!

  5. bergmanns anfängliche frage war richtig: was hätten die jetztigen kritiker von 21 im jahr 2008 zu satoshi nakamoto gesagt..? wahrscheinlich: „so ein blödsinn…“

    21’s idee ist visionär. und um visionen zu erkennen muss man manchmal etwas weiter als bis zum tellerrand gucken. was die meisten aber leider nicht können/wollen, weil zu anstrengend.

  6. hatallesmann // 29. Mai 2015 um 2:14 // Antworten

    Das ist eine herausragende Sache! JEDER der Bitcoins hält wird sich in ein paar Jahren dumm und duselig freuen!

    Warum?

    Weil mit jedem neuen Handy schon eine BTC-Wallet integriert gekauft wird! Nach ein paar Wochen sind viellicht 30 Cent gemint und der User will was kaufen für 1,99? Dann wird er das tun was er jetzt auch tut: „Guthaben“ aufladen. Ob da BTC oder sonstwas dransteht interessiert ihn nicht! Spätestens wenn er sich nach ner Weile für sein Guthaben nen Kaugummi gekauft hat konnte er lernen wie „Bitcoin“ geht und wird es weiternutzen und auch weiter empfehlen!

    Wir hatten mal die Geldkartenchipidee. (Ja, es gibt sie immer noch) Benutzt nur (fast) keiner weil umständlich mit dem aufladen! Ein Handy hat jeder dabei!

    Denn das ist das eigentliche Problem: Es gibt kaum Akzeptanzstellen auf der einen Seite und auf der anderen Seite deshalb auch nicht den Druck auf den Konsumenten sich ne Wallet auf sein Handy zu packen! DESHALB bewegt sich die Verbreitung des BTC sooo langsam!

    Ein ganz anders Bild tut sich für mich auf wenn ich von seriösen Leuten höre, daß sie das Bargeld abschaffen wollen! DAS ist die vielleicht größte Nachricht für den Bitcoin! Nur hat bislang keiner was dazu geschrieben.

    Ich bin guter Dinge für die Zukunft!

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