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Die Bitcoin-Utopie: transparente Staaten und private Bürger

Der Bitcoin stellt die Idee von Transparenz und Privatsphäre auf den Kopf. Bisher ist der Staat das Auge aus der Dunkelheit, das alles sieht und kontrolliert und überwacht, während der Bürger weitgehend wehrlos ist und dem Staat nicht wirklich über die Schulter schauen kann. Der Bitcoin ist die Vision, dass es andersherum möglich ist: dass der Staat transparent und der Bürger privat ist.

Der Bürger, heißt es über die Demokratie, habe die Position des Königs übernommen. Die Rolle des Staates hat sich derweil nicht verändert – er bleibt der Diener des Souveräns, ob dieser nun der König oder das Volk ist. Können Sie sich nun vorstellen, dass ein Herr vor seinem Diener transparent sein muss, dieser aber gegenüber seinem Herrn privat bleiben darf?

So läuft es aber mit Staat und Bürger. Sie kennen es vom Finanzamt: Sie bzw. Ihr Arbeitgeber reichen Dokumente über Ihre Einnahmen ein, und das Finanzamt errechnet daraus, wie viele Steuern Sie zu bezahlen haben. Das Finanzamt kann jedoch, wenn ihm danach ist, in ihre Konten einsehen. Es braucht dazu zwar einen Verdacht auf Betrug, muss diesen aber nicht begründen. Neben ihm kann dies das Arbeitsministerium, die BAföG-Behörden und auch Gerichtsvollzieher. 2014 wurden 230.000 solche Abfrage durchgeführt – im Vergleich zu 142.000 im Jahr 2013. Vertrauen ist gut, aber da ja jeder gerne den Staat betrügt, ist Kontrolle besser. Weiß jeder.

Andersherum ist andersherum. Der Bürger ist der Souverän des Staates, aber einen Einblick in dessen Finanzströme hat er nicht. Der Staat reicht zwar auch eine Budgeterklärung beim Volk ein, in der er die Einnahmen aus Steuern aufzählt und beschreibt, wie er sie verwenden möchte. Der Bundeshaushalt liegt an sich offen. Ob diese Angaben der Wahrheit entspricht, kann der Bürger natürlich nicht nachprüfen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist unnötig.

Diese Asymetrie zwischen Privatheit und Transparenz setzt sich auch bei jeder Art von Telekommunikation fort. Sie stellt den Zustand, wie er sein sollte, auf den Kopf. Als derjenige, der die Steuern erarbeitet und im Prinzip der Souverän ist, sollte der Bürger die größtmögliche Privatsphäre genießen, während der Staat maximal transparent sein sollte. Der Bitcoin bzw. die Blockchain könnte ein Werkzeug sein, um dies, in einer fernen Zukunft, einmal zu verwirklichen.

Um zu verstehen, warum, muss man sich vergegenwärtigen, was finanzielle Privatsphäre im aktuellen System bedeutet: Jedes Bankkonto ist zwar nach außen hin undurchsichtig, aber mit einem Namen verbunden und von einer zentralen Stelle verwaltet, die anfragenden Behörden jede denkbare Auskunft geben kann. Beim Bitcoin dagegen ist jedes Konto (jede Adresse) nach außen absolut durchsichtig, jedoch mit keinem Namen verbunden und auch von keiner zentralen Entität verwaltet. Sie können JEDE existierende Adresse in einem Blockexplorer aufrufen und ALLE mit ihr verbundenen Zahlungsströme nachverfolgen. Aber sie können diese Adresse keiner Person zuordnen.

Wie die US-Regierung unbeabsichtigt radikale Transparenz demonstriert hat

Die US-Regierung hat im vergangenen Jahr ohne echte Absicht die Macht der Blockchain vorgeführt. Die US-Marshalls haben knapp 30.000 auf den Server der Silk Road beschlagnahmte Bitcoins versteigert. Die Marshalls haben nicht bekannt gegeben, wer die Bitcoins gewonnen hat, aber sie haben offengelegt, wie viele Bitcoins es sind und auch Andeutungen gemacht, wie viele Gewinner es gegeben hat.

Würden wir von irgendetwas anderem als Bitcoins reden, müssten die Bürger einfach glauben, dass das, was die Marshalls behaupten, richtig ist. Da es aber um Bitcoins ging, haben die Marshalls weitgehend unbeachtet ein Stück Geschichte geschrieben – sie veranlassten die erste staatliche Transaktion, die von allen Bürgern lückenlos überprüft werden kann.

Bei der ersten Versteigerung der Silk Road Coins wurden jene auf den Servern der Silk Road (nicht: auf dem Laptop von Ross Ulbricht) gefunden Bitcoins versteigert. Laut den Marshalls gab es einen Gewinner, als der sich später der US-Investor Tim Draper zu erkennen gegeben hat. Mit einem blockexplorer wie blockchain.info kann jeder für alle Zeiten überprüfen, ob die Transaktion so stattfand, wie von den Marshalls behauptet.

1. Haben die Marshalls sämtliche von den Servern der Silk Road beschlagnahmten Bitcoins erhalten?

Um dies zu überprüfen, muss man in einem Blockexplorer wie blockchain.info die Adresse aufrufen, auf der die Silk Road Coins gespeichert waren.

aukt silk

Die sogenannten Silk Road Coins sind jene Bitcoins, die US-Behörden auf den Servern der Silk Road beschlagnahmt haben. Die Adresse wurde innerhalb kürzester Zeit bekannt.

Die Benennung „Silk Road Seized Coins“ steht nicht in der Blockchain, sondern wurde von der Webplattform blockchain.info in deren eigene Verzeichnisse eingefügt, nachdem bekannt wurde, dass es sich um diese Coins handelt. Diese Adresse hat insgesamt 29.658,80913195 Bitcoin erhalten, nachdem das FBI Ross Ulbricht verhaftet und seinen Laptop beschlagnahmt hat.

Anschließend kann man bei dieser Adresse durch die Transaktionsgeschichte scrollen, bis man eine Transaktion zu den US-Marshalls Coins findet:

aukt silk 2

Man sieht: von den Silk Road Coins wurden 29.658,7984 Bitcoins an die US Marshalls Auctions Coins überwiesen. Die Bilanz dieser Adresse findet man hier:

auktion marshal coins

Der minimal verbleibende Unterschied entspricht dem Restguthaben dieser Adresse von 0,01073195 BTC und kommt von Mikroüberweisungen, die für Werbezwecke auf die prominente Adresse gespamt wurden.

2. Ist Tim Draper der einzige Gewinner und hat er die Coins vollständig erhalten?

Indem man nun in der Transaktionsgeschichte der US Marshalls Coins (die ebenfalls von Werbemikrotransaktionen gespamt wurde) herumsucht, findet man eine einzige große Transaktion:

auktion tim draper

Es wurden also 29.656,513 Bitcoins an eine Entität überwiesen und 2,2853 Bitcoins an eine andere. Handelt es sich bei den 2,28 Bitcoin um eine Gebühr der Marshalls? War es der Wunsch des Gewinners, die 2,28 Bitcoin an eine separate Adresse zu überweisen? So oder so ist klar, dass eine einzige Entität die versteigerten Bitcoins erhalten hat. Diese Entität wurde als Tim Draper markiert:

auktion tim draper1

Man sieht: Es hat noch nie in der Geschichte der Staaten einen Finanzvorgang gegeben, der für jedermann so öffentlich nachprüfbar war wie die Versteigerung der Silk Road Coins.

Die Utopie: der gläserne Staat

Korruption wird durch diese Transparenz erheblich erschwert. Man darf sich nun vorstellen, wie die Utopie des Bitcoins aussieht: Der komplette Bundeshaushalt wird auf eine Adresse überwiesen, so dass jeder nachprüfen kann, ob der Staat seine Steuerausgaben korrekt ausgewiesen hat. Dann werden von dieser Adresse aus die Gelder wie ausgewiesen an die einzelnen Ministerien überwiesen und von dort zu den vereinbarten Projektposten. Jede dieser Adressen bekommt eine Markierung in einem Bundesblockexplorer, so dass jedermann nachprüfen kann, ob tatsächlich die ausgemachten Beträge ausgezahlt wurden. Es wäre damit fast unmöglich, unbemerkt Gelder aus den staatlichen Finanzströme in die eigene Tasche bzw. die des Bekannten umzuleiten. Damit würde der Staat gläsern vor dem Bürger, der als sein Souverän den staatlichen Haushalt jederzeit überprüfen kann – so wie das Finanzamt, wenn es will, die Zahlungsströme des Bürgers kontrollieren kann.

… und wäre der Bürger dann nicht auch gläsern?

Jein. Das Bezaubernde bzw. Revolutionäre am Bitcoin-System ist, dass es die bestehenden Verhältnisse auf den Kopf stellt. Die Silk Road Coins wurden ja nur deswegen bekannt, weil es sich um eine so große Menge Bitcoins handelt. Es ist für einen blockexplorer ein leichtes, die größten vor kurzem angefallenen Transaktionen herauszufiltern. Nur auf diese Weise konnte es zu Spekulationen kommen, dass es sich um die Silk Road Coins handelt, was sich kurze Zeit später, nachdem das FBI konkrete Summen aus der Beschlagnahmung genannt hatte, bestätigte.

Dasselbe Spiel der Spekulation wiederholt sich immer wieder, wenn bemerkenswert große Transaktionen auftauchen. Ein anderes Beispiel sind etwa die Gox-Coins. Auf der Bitcoin-Börse MtGox, die Anfang 2014 pleite ging, verschwanden mehrere hundert tausend Bitcoins. Kurz darauf setzten sich 180.000 Bitcoins in Bewegung – von einer Adresse, die Mark Karpeless, Boss der bankrotten Börse, einmal gepostet hatte, um zu beweisen, dass er im Besitz der Bitcoins war. Die 180.000 Coins splitteten sich in immer kleinere Pakete, bis sie nach 10-12 Schritten bei 10-30 Bitcoins ankamen. Allerdings werden diese Bitcoins niemals ganz verschwinden können, sondern für alle Zeiten in der Blockchain markiert bleiben. Es ist für die Großen und Reichen im Bitcoin-Universum ebenso schwer, unbemerkt zu bleiben, wie für einen Klasse-A-Promi, unauffällig durch eine Großstadt zu gehen.

Wenn dagegen ich Ihnen 0,275 Bitcoins überweise, geht diese Transaktion im Getummel auf der Blockchain komplett unter. Nur dann, wenn ich wie bei dieser Adresse „1BvayiASVCmGmg4WUJmyRHoNevWWo5snqC“ bekannt gemacht habe, dass sie meine ist, und Ihnen dann von dieser Adresse aus etwas überweise, kann man sagen: Christoph Bergmann hat 0,275 Bitcoins an XY überwiesen. Der Name des Adressaten ist und bleibt außen vor, es sei denn, Sie haben ihn öffentlich gepostet. Das bedeutet nicht nur, dass Sie, solange Ihr Name nicht mit einer Adresse in Verbindung gebracht wird, als Empfänger unbekannt bleiben, sondern auch, dass es zunächst unbemerkt bliebe, was ich mit den 0,275 Bitcoin erworben habe (sofern der Empfänger unbekannt geblieben ist).

Es ist zwar möglich, Bitcoin-Transaktionen zurückzuverfolgen und Muster zu erkennen und womöglich auch Aussagen über die IP des Senders zu generieren. All dies ist aber – verglichen mit der Abfrage eines Bankkontos durch das Finanzamt – sehr komplex und aufwändig und führt wohl auch nicht immer zum Erfolg. Zudem gibt es für den Bürger Möglichkeiten, die Privatheit seiner Finanzen zu erhöhen. Da die Bitcoin-Software Open Source ist, braucht er dazu keine Bekanntschaften oder Spezialkonditionen bei Großbanken.

Bei größeren Beträgen jedoch schwindet die Privatsphäre recht rapide dahin. Wenn beispielsweise die Mafia Geld durch Bitcoins waschen würde, sagen wir, einige Millionen, wäre es nicht mehr möglich, diese Transaktionen zu verbergen. Sie sind einfach zu groß, um nicht aufzufallen oder um sich in Mixern mit anderen Coins zu vermischen. Und dies wäre die Utopie des Bitcoins: Transparenz für die Staaten und Reichsten, Privatheit für die normalen Bürger.

Über Christoph Bergmann (2796 Artikel)
Das Bitcoinblog wird von Bitcoin.de gesponsort, ist inhaltlich aber unabhängig und gibt die Meinung des Redakteurs Christoph Bergmann wieder ---

4 Kommentare zu Die Bitcoin-Utopie: transparente Staaten und private Bürger

  1. Guter Beitrag, danke!

  2. Guter Beitrag. Kleine Anmerkung: Sobald die Verknüpfung Adresse – Identität einmal hergestellt ist, wird es schwierig seine Anonymität wieder herzustellen. Und wie schnell ist diese Verknüpfung passiert. Einfach Online was für Bitcoin gekauft und schon hat der Händler Adresse und Identität. Für NSA und CO., die ja eh den ganzen Internettraffic mitschneiden, ist es sicher nicht sehr schwer das mit zu tracken. Die haben ganz sicher ein recht vollständiges Register: Adresse => Identität.

    • Daher arbeitet z.B. der BitcoinQT-Client mit sich ändernden Adressen. D.h. das Wechselgeld wird auf eine neue Adresse versendet. Damit ist nicht mehr direkt nachvollziehbar, welche Adresse zu wem gehört und der Nutzer wieder weitestgehend anonym.

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