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„Anstatt sich zu wehren, sollten europäische Regulierer innovativ sein“

Öffnet sich die EU für Kryptowährungen und Blockchains? Maltas Premierminister rät, mehr auf Kryptowährungen zu setzen, während ein Bericht für das Europäische Parlament das Potential der Blockchain hervorhebt, zahlreiche Bereiche von Wirtschaft und Regierung zu verbessern.

Bisher tauchte die EU in den Krypto-News vor allem dafür auf, dass sie Bitcoin reguliert und damit, naturgemäß, als Problem ansieht. Allerdings gibt es Hinweise, dass manche Teile der EU beginnen, sich Kryptowährungen und Blockchain unvoreingenommen zuzuwenden und einen innovationsfreundlichen Ansatz zu bewerben.

Am eindrücklichsten ist ein Teil einer Rede von Joseph Muscat. Muscat ist der Premierminister von Malta und sitzt als solcher dem Rat der Europäischen Union in der ersten Jahreshälfte 2017 vor. In seiner Rede machte sich Muscat für monetäre Innovation stark:

Der Euro ist ein politisches Projekt, das wegen seiner Natur Krisen überlebt hat, die eine unvollständige fiskalische und monetäre Union nicht bewältigt hätten. Nun ist es Zeit, den Einsattz zu verdoppeln mit einem anderen, undenkbaren Projekt.

Und dieses undenkbare Projekt, auf das Muscat setzen will, das ist – ihr ahnt es:

Der Auftsieg von Kryptowährungen kann verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden. Einige Finanzinstitutionen akzeptieren derzeit unter Schmerzen den Fakt, dass das System hinter diesen Transaktionen viel effizienter und transparenter ist als das klassische.

Anstatt dass man nun Kryptowährungen bekämpft, um die etablierten Institute zu verteidigen, empfiehlt Muscat offen für die Chancen zu sein:

Mein Punkt ist, dass, die europäischen Regulierer, anstatt sich zu wehren, innovativ sein und Mechanismen erschaffen sollen, mit denen man Kryptowährungen regulieren kann, und zwar auf eine Weise, dass man ihr Potential verwirklicht und die Konsumenten schützt, um Europa die natürliche Heimat von Innovatoren zu machen.

Muscats Kommentar ist interessant. Er zeigt, dass in der EU die verschiedensten Ansichten zu Kryptowährungen und Blockchains kursieren. Die EU ist eben kein Unionsstaat, sondern eine Union von unabhängigen und verschiedenen Staaten.

Wie Blockchain-Technologie das Leben von jedem in der EU verändern kann

Eine interessante Ergänzung zu Muscats Aufruf, innovativ zu sein, ist ein Bericht, der im Auftrag des Europäischen Parlaments verfasst wurde. Sein Titel ist „Wie Blockchain Technologie unser Leben verändern kann.“In dieser relativ kurzen, aber sehr dichten Zusammenfassung informieren die Autoren die Parlamentarier über verschiedene Bereiche, in denen die Blockchain disruptiv sein kann.

Grundsätzlich steht auch dieser Bericht dem Potential der Blockchain sehr offen gegenüber. Die Autoren sehen in ihr vor allem die Chance, dass sich die Bürger der EU emanzipieren und an Autonomie über die herrschenden Mächte gewinnen.

Blockchains entziehen den zentralen Eliten die Kontrolle über tägliche Interaktionen mit Technologie und geben sie zurück an die User. Dabei machen sie Systeme transparenter und, vielleicht, demokratischer.

Die Autoren des Berichts identifizieren acht Bereiche, von denen sie annehmen, dass Blockchain-Technologie das Potenzial hat, die bestehenden Systeme zu erschüttern und zu erneuern: Währungen, die Rechteverwaltung von digitalem Content, Patente, elektronische Wahlsysteme, Smart Contracts, Supply Chains, die öffentliche Verwaltung und Dezentrale Autonome Organisationen (DAO).

In allen diesen Bereichen skizziert der Bericht das disruptive Potenzial. Kryptowährungen, um damit zu beginnen, könnten „einen Prozess der Dezentralisierung einleiten, durch den die Institutionen, die traditionellerweise die Finanzen regiert haben – darunter Regierungen und Banken – ihre Macht verlieren.“ Aber dies ist erst der Anfang, so die Autoren.

Riesiges Potenzial, aber keine neutrale Technologie

Es ist die Technologie hinter Bitcoin, die Blockchain, die laut dem Bericht weite Teile der Gesellschaft verändern kann.

Sie könnte es „Konsumenten zum ersten Mal ermöglichen, digitale Kopien als second hand Ware zu kaufen oder zu verkaufen.“ Sie könnte das Vertrauen in zentrale Autoritäten, eine Wahl zu managen, durch „eine offene Aufzeichnung der Wahl durch die Bürger“ ersetzen. Darüber hinaus kann die Blockchain die Infrastruktur für Supply Chains bereitstellen, „durch die man zu geringen Kosten Güter registriert, zertifiziert und verfolgt, während sie über oft weite Strecken geliefert werden. Schließlich könnte die Blockchain die öffentliche Verwaltung erneuern durch „straffere interne Prozesse, reduzierten Transaktions-Koste und einem erhöhten Vertrauen zwischen den Organisationen und Regierungs-Silos, die interagieren und Daten austauschen.“

Die Blockchain, das geht aus dem Bericht deutlich hervor, kann helfen, zahlreiche Wirtschaftsbranchen und Staatsaufgaben zu verbessern. Aber das bedeutet nicht, dass die Blockchain keine Herausforderung für die EU ist. Im Gegenteil. Die Autoren des Berichts lassen keinen Zweifel daran, dass Blockchain „keine neutrale Technologie“ ist: „In ihrer reinen Form bewirkt sie eine Umverteilung von Macht von zentralen Akteuren auf eine weite Community von Peers.“ Selbst moderate Implementierungen von Blockchai-Technologie „könnten einen gewissen Grad an Umverteilung und Transparenz fördern.“

Diese Nicht-Neutralität ist einer der Gründe, weshalb der Bericht zuerst die Chancen der Blockchain anerkennt, die Technologie danach aber in Probleme übersetzt, um die möglichen politischen Strategien zu skizzieren. Digitale Währungen werden von Kriminellen genutzt, die große Transparenz der Blockchain könnte ein Problem für E-Voting oder Supply Chains sein, und die Unveränderbarkeit einer Blockchain könnte problematisch für die öffentliche Verwaltung werden, da eine Blockchain selbst nicht verifiziert, ob Daten akkurat sind. Smart Contracts schließlich könnten in Wiedrspruch zu nationalen Gesetzen stehen.

Das Potenzial kommt eben mit Herausforderungen.

„Die Blockchain wird die Menschen nicht besser machen.“

Nachdem der Bericht sowohl Chancen als auch Risiken skizziert hat, ist es nur folgerichtig, dass die möglichen politischen Handlungswege, die er beschreibt, ambivalent ausfallen.

Auf der einen Seite schlägt er, wie schon Muscat, vor „aktiv Innovation und Entwicklung von Blockchain im privaten Sektor zu ermutigen, indem Blockchain-Produkte legitimiert werden.“ Um die Blockchain-Transformation abzufedern, sei es auch möglich, „eine zugangsbeschränkte Blockchain in den existierenden Systemen und Strukturen einzusetzen, um faktisch die Rolle und Macht der Mittelsmänner zu erhalten, aber zugleich die Kernfunktionalitäten von Blockchains bereitzustellen.“

Auf der anderen Seite erkennen die Autoren politische Handlungsoptionen, um die Blockchain-Revolution klein zu halten. Die EU könnte etwa „auf die Probleme antworten, für welche die Blockchain eine Lösung ist, aber ohne Blockchain selbst zu benutzen“. Sie könnte versuchen, mit dem Problem auch das Bedürfnis nach Blockchain aus der Welt zu schaffen. Darüber hinaus kann sie „die Entwicklung entmutigen, indem sie sich weigert, die Legitimität von Blockchain-basierten Transaktionen anzuerkennen.“

Diese Handlungsmöglichkeiten sind zweideutig. Sie lassen Spielraum für große Innovationsfreundlichkeit, aber auch harte Regulierung. Trotz all dem ist der Bericht ein großer Schritt dahin, dass politische Entscheider in der EU besser Bescheid wissen, was mit Blockchain-Technologie möglich ist. Er stellt ausgewogen Chancen und Risiken sowie Potentiale und Grenzen dar.

Vielleicht findet man die Essenz des Berichts in seinem letzten Satz: „Blockchain wird die Menschen nicht besser machen, aber sie kann vielleicht einiges in ihrem täglichen Leben schneller, günstiger, sicherer und transparenter machen.“ Blockchaim-Technologie ist kein Wundermittel. Sie allein kann keine sozialen und politischen Probleme lösen. Das können nur die Menschen. Die Blockchain kann ihnen jedoch helfen, das zu tun.

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3 Kommentare zu „Anstatt sich zu wehren, sollten europäische Regulierer innovativ sein“

  1. „Der Euro ist ein politisches Projekt, das wegen seiner Natur Krisen überlebt hat, die eine unvollständige fiskalische und monetäre Union nicht bewältigt hätten.“

    Hahaha, dieser Satz ist in Hinblick auf die Eurokrise ja geradezu grotesk. Ohne diese Währungsunion wären die Schuldenexzesse in den europäischen Südländern doch in dem Maße gar nicht erst entstanden. Und dann sind die wirtschaftlichen Probleme dort noch immer nicht vollständig bewältigt, gerade _weil_ man noch immer in diesem Währungskorsett gefangen ist. Politiker … 😀

  2. Ich glaube die Einführung des Euros ist ganz einfach die naheliegendste Strategie, bei einer Bedrohung von Außen ( In welcher Art auch immer) die Souveränität (der EU-Mitgliedsstaaten) in den nächsten 50 bis hundert Jahren und länger zu sichern.
    nach dem Motto: „Einer für Alle und Alle für Einen.“
    Aber wenn wir es nichteinmal schaffen eine gemeinsamme Währung einzuführen – wird Europa leichte Beute und im Handumdrehen ein Schlachtfeld für Großmachte.

    Politische Entscheidungen müssen mit Rücksicht auf die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte getroffen werden und nicht fürs Hier und Jetzt. vieleicht erscheit dann manches nicht mehr ganz so absurd.
    Es ist so einfach etwas zu verurteilen – und so schwer etwas zu erschaffen.

  3. teilzeitmichel // 9. März 2017 um 20:11 // Antworten

    nun ja, dass der euro von beginn an zum scheitern verurteilt war, sollte jedem klar sein, der das derzeitige geldsystem versteht.
    eine gemeinsame währung mit individuellen schulden, kann niemals weder lang- noch mittelfristig funktionieren.
    dies wurde aber wissentlich in kauf genommen und die seinerzeit verantwortlichen faschisten, waren sich dessen absolut bewusst.
    argumentiert haben sie diesen schritt damit, dass sie vereinheitliche schulden dem volk nicht gleich mit verkaufen könnten und dies zu einem späteren zeitpunkt nachgeholt werden würde.

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