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Und die EU so: Bitcoin wird ein Teil des globalen Geldsystems bleiben

Europäische Union & Bitcoin

"The EU Flag and Castor and Pollux" von bob via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Zwei Analysten der EU fragen, ob Kryptowährungen dem Zentralbankgeld gefährlich werden können. Die Antwort ist ein verhaltenes Nein – aber der Tonfall hat sich deutlich geändert. Die EU akzeptiert, dass Bitcoin größer geworden ist, als sie zunächst erwartet hat.

Der Anfang Juli erschienene Bericht „Virtuelle Währungen und die monetäre Politik der Zentralbanken: zukünfige Herausforderungen“ ist nicht der erste Bericht der EU zu Kryptowährungen. Er ist jedoch der erste Bericht des Staatenverbandes, der Bitcoin und andere Kryptowährungen in ihrem vollen Glanze würdigt.

Die beiden Autoren, Marek Dabrowski und Lukasz Janikows vom „Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies“, erkennen an, dass Bitcoin und andere Kryptowährungen bisher unterschätzt worden sind: „Virtuelle Währungen (VCs) wurden als Nischenphänomen betrachtet – als eine Art technologische Folklore – die jeden Tag verschwinden könnten.“ Dies habe sich jedoch in letzter Zeit geändert. „Denn Bitcoin ist nicht verschwunden, sondern hat, ganz im Gegenteil, seine Expansion fortgesetzt und Anhänger auf der ganzen Welt gefunden.“

Da es Bitcoin nun so weit gebracht hat, stellen die beiden Autoren die Frage, die von Seiten der EU bisher immer mit mitleidigem Lächeln beiseite geschoben wurde: Können Kryptowährungen einen Einfluss auf die monetäre Politik der EU nehmen? Können sie gar die dominante Rolle, die staatliche Währungen derzeit einnehmen, herausfordern? Und muss die EU präventiv reagieren, um zu verhindern, dass sie ihre monetäre Hoheit verliert?

Als ich vor fünf Jahren begann, dieses Blog zu schreiben, hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet, dass die EU einmal tatsächlich solche Fragen diskutieren würde.

Eine durchwachsene Bilanz …

Um Antworten zu finden, stellt der Bericht zunächst die technologischen Besonderheiten von Kryptowährungen vor und versucht sich an einer Definition. Dabei ist er relativ konservativ und hält sich an die üblichen Ansichten:

  • Virtuelle Währungen sind ein privates, dezentral erschaffenes Geld,
  • das ausschließlich in digitaler Form existiert.
  • Sie ermöglichen direkte, grenzüberschreitende Überweisungen,
  • die in einem öffentlichen und dezentralen Kontobuch (Blockchain) in chronologischer Ordnung gespeichert werden.
  • Die Blockchain wird von Minern fortgeschrieben,
  • die dabei in dezentraler Weise neue Einheiten der Währungen erzeugen,
  • darin aber einem kryptographischen Algorithmus folgen müssen.
  • Transaktionen nicht nicht mit der Identität von Personen verknüpft,
  • aber pseudonymen Adressen zugeordnet.

All das ist weitgehend richtig, und man kann durchaus damit arbeiten. Allerdings ist diese Definition relativ konservativ, vielleicht sogar zu konservativ, um dem aktuellen Stand von Kryptowährungen gerecht zu werden. Sie fasst weder Kryptowährungen, die ohne Miner auskommen, noch private Coins wie Monero oder offchain-Netzwerke wie Lightning.

Aufbauend auf dieser Definition nennt der Bericht die Vorteile von Kryptowährungen: Die geringen Transaktionskosten, vor allem bei grenzübergreifenden Zahlungen, die hohe Geschwindigkeit der Transaktionen sowie die erhöhte Anonymität. Die ersten beiden Vorteile finden die Autoren eher zweifelhaft, wenn die Kryptowährung in Konkurrenz zu Zahlungen innerhalb des SEPA-Raumes steht, die schon heute zum Teil günstiger und schneller sind als Bitcoin-Zahlungen (ohne Lightning).

Darüber hinaus stehen diesen dünnen Vorteilen zahlreiche Nachteile für den User gegenüber, etwa die Gefahr von Verlusten durch Diebstahl oder Betrug und die hohen Fluktuationen des Preises. Auch gesellschaftlich bergen Kryptowährungen Risiken, etwa wenn sie etwa bei kriminellen Unternehmungen und Steuerflucht helfen. „Hypothetisch gesehen können Virtuelle Währungen auch ganzen Jurisdiktionen dabei helfen, Finanzsanktionen zu umgehen und damit die Effektivität der Außenpolitik untergraben.“

Ganz begeistert wirken die Analysten also nicht.

… aber eine stabile Zukunft

Trotz all dem haben sich Kryptowährungen in den letzten Jahren immer weiter durchgesetzt. Die Gesetzgeber der verschiedenen Ländern reagieren unterschiedlich darauf. Sie versuchen, Bitcoin einzuordnen, zu besteuern oder gar zu verbieten. Davon raten die Autoren jedoch entschieden ab:

„Man sollte nicht die Illusion aufrechthalten, dass man die Verwendung von VCs für private Zahlungen oder als Wertspeicher vollständig eliminieren kann, indem man sie streng reguliert oder verbietet.“ Es werde, so die Autoren, immer Motive für wirtschaftliche Akteure geben, Kryptowährungen zu benutzen. Auch eine vollständige Regulierung sei kaum zu erreichen, da die Innovation im Finanzwesen in der Regel schneller fortschreite als die Regulierung. „Daher muss man sich darauf vorbereiten, dass VCs für die nächsten Jahre eine stabile Komponente der globalen Geld- und Finanzarchitektur bleiben werden.“

Da haben wir es also: Analysten der EU prophezeien, dass Bitcoin eine stabile Zukunft hat!

Netzwerkeffekte und unvollkommene Märkte

Der Bericht erweist Kryptowährungen, wie gesagt, mehr Respekt als jeder vorhergegangene Bericht aus einer EU-Institution. In der zentralen Frage – der Herausforderung des staatlichen Geldes – versucht er jedoch, das Potential von Bitcoin kleiner zu machen, als es in Wahrheit vielleicht ist.

Zunächst machen die beiden Autoren einen kurzen historischen Exkurs zu den vielen Privatgeldern, die im 18. und 19. Jahrhundert herausgegeben worden sind, aber durchgehend scheiterten, als die Zentralbanken mit dem Druck von Banknoten beauftragt wurden. Warum? Laut den Autoren gibt es hierfür vor allem zwei Gründe: Die Netzwerkeffekte sowie das Problem der Informations-Asymmetrie.

Der Netzwerkeffekt meint, dass es eine Reihe von Vorteilen für alle mit sich bringt, wenn eine bestimmte Währung weithin akzeptiert und auf vielen oder allen Märkten als Geld verwendet wird. Unter anderem senkt dies die Wechselkosten und erhöht die Liquidität auf den Märkten. Private Währungen haben niemals einen solchen Netzwerkeffekt erreicht. Dies schafften erst die großen, von Staaten herausgegebenen Währungen, die auch von der Unterstützung des Gesetzgebers profitieren sowie vom Zwang, Steuern in ihr abzugeben.

Darüber hinaus widersprechen die Autoren den liberalen Ökonomen, die behaupten, ein freier Markt werde im Wettbewerb das beste Produkt – in diesem Fall das beste Geld – auswählen. Denn Märkte sind in freier Wildbahn nicht vollkommen. Es gibt eine Asymmetrie der Information, die nicht das Produkt an die Spitze bringt, das am besten seinen Zweck erfüllt, sondern oft genug dasjenige, mit dem die Produzenten die Konsumenten am besten über den Tisch ziehen können. Dies ist auch der Grund, weshalb Regierungen fast überall Finanzdienstleister regulieren.

Anders gesagt: Der Markt wird ein staatliches Geld einem privaten vorziehen, weil das staatliche Geld größere Netzwerkeffekte hat und reguliert ist.

Das beste private Geld aller Zeiten – aber immer noch nicht gut genug?

Bitcoin könne zwar einige der Nachteile vergangener privater Gelder überkommen. Doch der Bericht gibt der Kryptowährung wenig Chancen, sich langfristig durchzusetzen und in Konkurrenz zu souveränen Währungen treten. Dazu leidet Bitcoin zu sehr an den Schwächen vergangener privater Währungen.

Um tatsächlich die Stellung einer Art Reservewährung – und sei es nur für Krisen lokaler Währungen – aufzutreten, müsse Bitcoin mehr Netzwerkeffekte aufbringen. „Wenn virtuelle Währungen die internationale Position des Dollars oder Euros herausfordern sollen, und sei es nur teilweise, dann müssen sie zunächst ein deutlich größeres Transaktionsvolumen entwickeln.“ Bisher fehle es noch erheblich an Netzwerkeffekten.

Immerhin gesteht der Bericht Bitcoin und anderen Kryptowährungen zu, sich in Ländern mit einem Geldproblem, wie Venezuela, als Fluchtwährungen zu eignen. Die Autoren bezweifeln jedoch, dass Kryptowährungen jemals in der Lage sein werden, große staatliche Währungen wie Dollar oder Euro herauszufordern, trotz der beachtlichen Erfolge. Abgesehen von der Meinung, Bitcoin werde niemals die notwendigen Netzwerkeffekte aufbringen, nennen sie dafür aber kaum belastbare Gründe. Insbesondere gehen die Autoren offenbar davon aus, dass dem Euro das glückt, was bisher noch kein Papiergeld geschafft hat – nämlich dauerhaft ein stabiler Wertspeicher zu sein.

Immerhin raten sie Politikern und Regulierern, virtuelle Währungen weder zu ignorieren noch zu versuchen, sie zu verbieten. Sie „sollten so wie jedes andere Finanzinstrument behandelt werden, immer in Proportion zu ihrer Bedeutung für den Markt, ihrer Komplexität und der mit ihnen verbundenen Risiken.“ Angesichts der globalen Natur von Kryptowährungen wird darüber hinaus empfohlen, die Regularien weltweit zu harmonisieren.

Man möchte meinen, die EU versteht langsam, worum es geht. Zumindest die Analysten, die im Dienste der EU stehen, verstehen Bitcoin und Kryptowährungen, auch wenn ihr Urteil etwas befangen zugunsten von staatlichen Währungen ausfällt. Aber wenn es so weitergeht, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir in einem Bericht lesen, dass Bitcoin und Kryptowährungen das staatliche Geld nicht nur herausfordern, sondern ersetzen – und warum das auch gut ist.

Über Christoph Bergmann (2801 Artikel)
Das Bitcoinblog wird von Bitcoin.de gesponsort, ist inhaltlich aber unabhängig und gibt die Meinung des Redakteurs Christoph Bergmann wieder ---

4 Kommentare zu Und die EU so: Bitcoin wird ein Teil des globalen Geldsystems bleiben

  1. wow, einfach nur gut!

  2. Geiler Artikel! Ob er damit was zutun hat das BTC gerade steigt und die ALTs bluten? 🙂

  3. Eine der besten Artikel, die ich in den letzten Monaten gelesen habe.
    Aber was sind denn das für ehemalige „Privatgelder“ aus vergangenen Zeiten?

  4. ..teilweise zum Thema staatliche „Akzeptanz“ von Bitcoin,
    Andreas Antonopoulos zum thema Bitcoin-ETFs und warum er dagegen ist:

    https://www.youtube.com/watch?v=KSv0J4bfBCc&feature=push-u&attr_tag=GUmiDnU0TxDaahFh%3A6

    — have a nice day.

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