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„Schönes neues Geld“ – aber bitte ohne Bitcoin?

Drones Attack. Bild von thierry ehrmann via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Norbert Häring beschreibt in seinem Buch „Schönes neues Geld“ wie schleichend eine gar nicht so schöne Welt des vollständig digitalisierten Zahlungsverkehrs verwirklicht wird. Im Grunde ist es eine grauenhafte Welt der Kontrolle und Überwachung. Im Interview erklärt er, warum Bitcoin für ihn leider keine Lösung ist.

Manchmal habe ich das Gefühl, etwas Wesentliches aus den Augen zu verlieren: Worum es bei Bitcoin geht. Warum braucht die Welt nochmal so etwas wie Bitcoin? Warum ist ein digitales Bargeld so wichtig?

Norbert Härings Buch „Schönes neues Geld“ führt einem eindringlich vor Augen, warum. Das Buch des Frankfurter Volkswirtschaftlers dokumentiert, wie eine Allianz von Konzernen und Regierungen überall auf der Welt das Bargeld verdrängt. Sie nennen es „finanzielle Inklusion“ oder zwingen es Ländern an der Demokratie vorbei als „Regulierungsstandards“ auf. Dabei bekommen IT- oder Finanzkonzerne – meistens aus den USA – die Kontrolle über das Geld, das auch noch mit biometrischen Identitätsnachweisen verbunden wird. Ein immer dichter werdendes Netz von Abhängigkeit und Überwachung spannt sich über jeden; die Erdenbürger bezahlen mit ihrer Freiheit, und das ist absolut so gewollt.

Natürlich können Sie Norbert Härings Buch auch auf Amazon bestellen. Aber angesichts des Inhalts, und der Rolle, die Amazon in dem Buch spielt, wäre es absurd, das zu empfehlen. Daher: Sie tun dem Campus-Verlag, der das Buch herausgegeben hat, einen großen Gefallen, wenn Sie es dort direkt bestellen.

Ich kann unmöglich erzählen, was alles in dem Buch steht. Man sollte es einfach lesen, allein, weil man danach zweimal nachdenken wird, wie man bezahlt. Allerdings hat das Buch einen Fehler: Es verwirft Bitcoin nach viel zu wenig Seiten als „Scheinlösung“. Und genau darüber hat mir der Autor ein Interview gegeben.

„Bargeld ist ein Bollwerk gegen die Digitalisierung bestimmter Bereiche.“

Hallo Herr Häring. Warum finden Sie Bargeld so wichtig?

Weil es eine immer wichtiger werdende Oase der Privatheit ist und ein Bollwerk gegen die Digitalisierung eines bestimmten Bereichs. Weil der Datenschutz nicht mehr durchgesetzt werden kann, bedeutet Digitalisierung heutzutage vor allem Überwachung, und deswegen brauchen wir einen Bereich, in dem man sich dem widersetzen kann, damit das Dossier über einen nicht vollständig wird. Bargeld ist einer der wenigen verbleibenden solcher Bereiche.

Sie kritisieren, dass Bargeld verdrängt wird, zeigen aber keine Alternativen auf. Vernachlässigen Sie die Vorteile von elektronischen Zahlungsmitteln?

Ja und nein. Es sind keine Seiten von mir nötig, um diese Vorteile darzustellen. Sie sind selbstverständlich, und ich habe nichts gegen digitale Zahlverfahren an sich. Ich nutze sie ja auch. Wogegen ich mich aber wende, ist, dass sie als Kontrollinstrumente gebraucht und missbraucht werden, und dass versucht wird, uns die Alternativen zu nehmen, die wir brauchen, wenn es uns wichtig ist, nicht vollständig überwacht und kontrolliert zu werden.

Die Cypherpunks haben schon in den 90ern kommen sehen, dass der Zahlungsverkehr digitalisiert wird und dass dies zu einer Massenüberwachung führen wird. Darum haben sie ein elektronisches Pendant zum Bargeld gefordert. Wünschen Sie dies auch?

Im Prinzip ja. Das gibt es ja inzwischen auch, etwa andere Kryptowährungen, die privater sind als Bitcoin, und auch manche Notenbanken denken über ein staatliches digitales Geld nach. Im Prinzip ist staatliches Kryptogeld eine schöne Idee, und ich würde es sofort begrüßen – wenn man den real existierenden Regierungen vertrauen könnte, dass sie den Datenschutz ernst nehmen. Aber solange diese darauf verzichten, den Datenschutz durchzusetzen, und die Parlamente das durchwinken, bin ich dagegen.

Darum ist Bitcoin ja ein staatenloses Bargeld …

Bitcoin ist insofern eine bessere Lösung. Ich glaube nur nicht daran, dass man gesellschaftliche Probleme, die auf Machtmissbrauch beruhen, durch eine technische Lösung bewältigen kann. Ohne dass ich jetzt ein technischer Kryptowährungsexperte bin, aber nach allem, was ich gelesen habe, bin ich ziemlich sicher, dass es den Mächtigen gelingen wird, diese Technik für sich zu kooptieren und sie gegen die Machtlosen zu nutzen. Das kann man ja schon daran sehen, dass das Who is Who der Finanzszene und des Establishments die kommerzielle Kryptoszene bestimmt und da mit sehr viel Geld eingestiegen ist.

„Ich würde einräumen, dass es wenigstens die automatische Massenüberwachung verhindert …“

Wenn die Finanzszene und das Establishment in die Kryptoszene einsteigt und versucht, einen Einfluss zu erringen – könnte das nicht vielmehr zeigen, dass sie Bitcoin als Bedrohung empfinden?

Durchaus, das könnte sein. Ich will nicht sagen, dass es unwichtig ist, im Gegenteil. Es ist wichtig genug, dass die Mächtigen versuchen werden, es unter ihre Kontrolle zu bringen und für ihre eigenen Zwecke einzusetzen.

Macht genau das es nicht wichtiger, die Freiheit von Bitcoin zu verteidigen?

Ja, wenn man das Vertrauen hat, dass es gelingt – ich habe es nicht – sollte man es. Aber man sollte sich nicht auf falsche Gleise locken lassen, sondern prüfen, ob man nicht ungewollt das Geschäft der Mächtigen erledigt. Es ist ja so, dass Bitcoin heute nur noch für eine kleine Gruppe einer Tech-Elite anonym nutzbar ist. Bei den meisten Bitcoin-Börsen muss man sich identifizieren, und man muss sich gut auskennen, um anonym zu bleiben. Für die Masse der Nutzer ist das kein Fortschritt, weil alles aufgezeichnet wird.

Es ist gar nicht so schwer. Bitcoin ist zwar nicht anonym, aber es ist für jeden jederzeit möglich, eine Adresse zu generieren und Geld zu empfangen, ohne dass diese Adresse mit der Identität verbunden ist. Sie können das in zwei Minuten machen, ohne jemanden fragen zu müssen. Das macht es schon mal viel besser als MasterCard und PayPal.

Ich würde einräumen, dass es wenigstens die automatische Massenüberwachung verhindert, auch wenn es nicht verhindert, dass es die Geheimdienste herauskriegen. Nur ist halt die Frage, wieweit dieser Vorteil reicht, wenn es für die große Masse der Computer-Illiteraten, die darauf angewiesen sind, vorgefertigte Lösungen zu verwenden, nicht mehr zutrifft, weil ihre Pseudonyme auf einer Börse registriert sind.

Mein Eindruck ist, dass anonyme Transaktionen derzeit noch laufen gelassen werden. Vielleicht dient es als Honigtopf, um Kriminelle zu identifizieren und aufzuspüren. Aber wenn das allgemein verbreitet wäre, und eine Bedrohung für den Dollar und das formelle Finanzsystem werden würde, sehe ich kein großes Problem für die Staaten, das zurecht zu schrumpfen, indem sie Verbote erlassen. Die meisten Menschen würden sich an die Verbote halten, weil sie nicht riskieren wollen, kriminell zu werden.

„Solange die Machtverhältnisse noch gegeben sind, wird jede neue Technologie nur ein Spielzeug der Mächtigen sein.“

Verbote sind national kaum möglich. Ich glaube, das haben die meisten westlichen Staaten schon 2013 erkannt, als sie gesagt haben, „Bitcoin ist hier, um zu bleiben“, und dann begonnen haben, es zu regulieren …

Deswegen läuft es derzeit ja auch nicht auf ein Verbot hinaus. Das ganze wird bereits koordiniert, es scheint, als würde die Regulierung von den G20 sogar zurückgenommen werden. Es gibt Gremien, über die das geschieht, wie die Financial Action Task Force (FATF), und wenn die einmal beschließen sollte, dass Kryptowährungen doch verboten werden müssen, weil sie eine Gefahr wegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung sind, dann wird sich die G20 darauf festlegen. Die anderen Länder werden sich auch an das halten, was da verabredet wird, wegen des Gruppendrucks. Wenn nicht, werden Weltbank und IWF das sehr rabiat durchsetzen.

Das ist sehr pessimistisch. Solange Bitcoin nicht verboten wird, ist er keine Lösung, und wenn er verboten ist, ist er gescheitert. Kann man nur verlieren?

Was Bitcoin angeht, fürchte ich, ist die Antwort ja, weil es eine neue Nischentechnologie ohne Rückhalt in der Bevölkerung ist. Deshalb konzentriere ich mich auf die Verteidigung des Bargelds, das diesen Rückhalt hat. Ich denken nämlich, dass man der Überwachungsallianz politisch und gesellschaftlich entgegenwirken muss, und dazu braucht man Ressonanz in der breiten Bevölkerung. Solange die Machtverhältnisse noch gegeben sind, wird jede neue Technologie nur ein Spielzeug der Mächtigen sein.

„Die meisten Leute wollen nichts kriminelles tun.“

Sie sagen, dass technische Lösungen nur funktionieren, wenn die gesellschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind. Aber ist es nicht auch so, dass Technologie die Gesellschaft prägt? Denken Sie nur an den Buchdruck, der viele Leute erst dazu gebracht hat, lesen zu lernen …

Im Einzelfall schon. Ich sehe aber nicht, wie Bitcoin eine solche Massenwirkung hervorrufen kann. Ich sehe jetzt – und nennen Sie mich ruhig zynisch – wie Kryptowährungen für die Mächtigen benutzt werden, wie die Börsen reguliert werden, aber die Transaktionen nicht. Das kann genutzt werden, um das Bargeld weiter zurückzudrängen, weil es Leuten eine Hoffnung gibt – wir haben ja Kryptowährungen. Das denken gerade die technikaffinen Leute, die verstehen, was mit der Überwachung passiert. So kann man leichter darüber reden. Vor allem das Konzept eines staatliches Kryptogeldes halte ich für ein trojanisches Pferd.

Wenn die Gruppen, die Sie „Schattenmächte“ nennen, Bitcoin bekämpfen würden, wie würden sie vorgehen?

Mit Schattenmächte meine ich nicht die Schlapphut-Organisationen, die Bitcoin infiltrieren oder technisch angreifen könnten, sondern demokratisch nicht kontrollierte Regulierungsstellen, wie die FATF, die ihren Willen über die G20 oder G30 durchsetzen.

Um über graduelle Schritte zu reden, kenne ich mich technisch nicht gut genug aus. Aber als radikale Maßnahme könnte ich mir vorstellen, dass sich die FATF entschließ, dass anonyme Transaktionen wegen der Terrorfinanzierung zu verbieten sind. Es gibt eine Registrierungspflicht, keiner darf Bitcoins empfangen, der sich nicht irgendwo registriert. Da kann man sich verschiedene Möglichkeiten ausdenken. Es ist schwer zu überwachen, aber wenn die Strafen merklich sind, würde dieses Verbot dafür sorgen, dass es eine Nische bleibt. Die meisten Leute wollen nichts kriminelles tun.

Vieles von dem, was Sie skizzieren, passiert bereits. Meine letzte Frage wäre, ob Sie meinen, dass Kryptofans und Bargeldverteidiger besser zusammenarbeiten sollten. Können beide an einem Strang ziehen, oder schadet es eher, weil wir uns gegenseitig den Einfluss rauben?

Heute ist es wohl so, dass es trotz der Schnittmenge bei dem was ihnen wichtig ist, wenig Gemeinsamkeit und Kooperation zwischen der Krypto-Community und den Bargeld-Verteidigern gibt. Das ist schade. Hier sind vielleicht Vorurteile abzubauen. Ich nehme mich da nicht aus. Vielleicht trägt dieses Interview ja zum gegenseitigen Verständnis bei.

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10 Kommentare zu „Schönes neues Geld“ – aber bitte ohne Bitcoin?

  1. Name (required) // 27. September 2018 um 15:15 // Antworten

    Tolles Interview,
    als großer Verfechter der „letzten Freiheit“ Bargeld, habe ich mich des letzteren hin und wieder erwischt zu denken.
    „Egal wenn sie Bargeld einschränken haben wir ja Krypto“
    Aber Bargeld ist und bleibt sehr wichtig für unsere demokratische Grundordnung, da muss man sehr kritisch bleiben.

    • Schöne Beispiele wie toll Fiat-Bargeld ist, ist z.b. der Simbabwe-Dollar oder der venezualische Bolivar.
      Man kann damit tapezieren , heizen oder Monopoly spielen.
      Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

  2. Für Anonymität von Bitcoin…
    Wasabi-Wallet

  3. Das Thema ist genau das, was Eric Voskuil in seinem wiki beschreibt. Bitcoin wurde geradezu *designt* für das staatliche Angriffsszenario. Siehe u.a. https://github.com/libbitcoin/libbitcoin/wiki/Other-Means-Principle

    Leider wird dieser Themenkomplex viel zu wenig diskutiert, vor allem in den deutschsprachigen Medien.

    Gratulation übrigens zum 1337. Artikel Christoph. 😉

  4. Mikelmausegreis // 28. September 2018 um 10:45 // Antworten

    Sehr gutes Interview.
    Ich glaube wir müssen beides unterstützen. Bargeld wie auch Kryptocoins.
    Bei Kryptocoins ist vor allen Dingen die einfache Anwendung bei größtmöglicher Sicherheit von Bedeutung.

  5. Old men yelling at bitcoin, kommt mir bekannt vor. Bis jetzt hat sich jeder von denen geirrt.

    Fiat Money ist im Kern bereits gescheitert. Was mit Bitcoin passiert werden wir sehen.

  6. „Was mit Bitcoin passiert werden wir sehen.“
    ja, es wird wie alle anderen kryptos verboten werden, sobald es den offiziellen gibt, welcher DER feuchte traum eines jeden zwingherren ist, ganz einfach!

  7. „Aber Bargeld ist und bleibt sehr wichtig für unsere demokratische Grundordnung“…..
    Demokratische Grundordnung? Von welchem Land reden Sie???

    • daaanke!
      selbst affen2.0 die sich für intelligent (?) halten, nehmen unentwegt dieses am krassesten umgedeutete wort in den mund, obwohl es auf diesem planeten weder in der jüngsten geschichte, noch heute, noch in mittlerer zukunft auch nur ansatzweise etwas gibt, was diese bezeichnung verdient hätte.
      ganz im gegenteil, wir entfernen uns konsequent immer weiter davon.
      das ist ein parade beispiel wie betreutes denken dank der medienhuren funktioniert…

    • die frage müsste eigentlich korrekt so lauten: von welchen planeten reden sie? 😉

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