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Tron kontrolliert Steem. Angemessene Reaktion – oder Machtübernahme?

Steem. Bild von BeatingBetting.co.uk via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Nachdem Tron Steemit gekauft hat, gab es einen Blockchain-Krieg um die Kontrolle der Steem-Blockchain. Die bisherigen Validatoren wollen ihre Macht durch eine Softfork schützen, Tron und einige Börsen antworten darauf mit einer Hardfork und bringen die Blockchain unter ihre Kontrolle.  Hat Steem nun noch eine Zukunft?

Steemit ist das Herz der Steem-Blockchain. Die Plattform für Blogging und Videos hat etwas wundervolles geschaffen: Sie macht die Upvotes auf der Seite zu einem Teil des Konsens-Mechanismus der Steem-Blockchain. Ein „Like“ ist für den Leser kostenlos, bringt dem Autor aber Einnahmen. Jede Blockchain schafft Geld „aus heißer Luft“, aber bei Steem fließt das zum Teil an Blogger auf Steemit.

Das ist ein enorm spannendes Konzept, das eine gewisse Dynamik entwickelt hat, aber am Ende auch an das Problem stößt, dass sich die Erträge nicht skalieren lassen, sondern in einem Nullsummenspiel unter Autoren enden.

Tron auf Shopping-Tour

Vor kurzem hat die Tron-Foundation nun die Firma Steemit Inc, also die Herausgeberin der Blogging-Plattform, aufgekauft.

Wer Tron nicht kennt: Das ist die Blockchain von Justin Sun, sie ist, wie ich es verstehe, ein Klon von Ethereum mit dem DPoS-Konsensmechanismus, ähnlich dem, den auch Steemit benutzt. Wir kommen dazu später noch. Tron war eine mittelgroße bis große ICO 2017, durch die Sun 60-70 Millionen Dollar eingesammelt hat. Seitdem wird Tron als günstigere Alternative zu Ethereum für Smart Contracts vermarktet, ist Heimat nicht wenigers DeFis und DApps, ohne aber richtig durchzustarten. Die interessanten Dinge passieren weiterhin bei Ethereum.

Justin Sun hat seine Einnahmen aus der ICO genutzt, um die Tron-Foundation zu gründen, die seitdem durch Kooperationen und Einkäufe auffällt. Neben dem initialen Investment hält die Tron-Foundation noch einen großen Anteil der Tron-Token, wodurch sie mehrere Milliarden Dollar im Portfolio halten dürfte. Mit dieser Kriegskasse hat Justin Sun etwa BitTorrent Inc, die Firma hinter dem dezentralen File-Sharing Protokoll gekauft, um BitTorrent auf die Tron-Blockchain zu bringen, sowie die Börse Poloniex aus New York. Ferner hat er es durch Kooperationen geschafft, dass die Dollar-Stable-Coins Tether auch die Tron-Blockchain benutzten, und erst vor kurzem wurde bekannt, dass Blockstream auch Tron auf seine Liquid-Sidechain bringen wird.

Anstatt Firmen zu überreden, Tron zu benutzen, kauft Justin Sun sie einfach. So nun auch Steemit Inc, die Firma, die die Steemit-Webseite betreibt und damit das Zentrum von Steem ist. Ihr Gründer hat sie für eine unbekannte Summe an Suns Tron Foundation verkauft. Vermutlich mangelte es ihm an Geld, nachdem der Bärenmarkt Steem so schwer getroffen hat, dass die Firma zahlreiche Mitarbeiter entlassen musste.

Teil des Vertrags ist es offenbar, Steem auf die Tron-Blockchain zu migrieren, sowohl die Webseite, als auch das Protokoll, das nicht mehr auf einer eigenen Blockchain laufen, sondern zu einem Token der Tron-Chain werden soll.

Eine Fork, sie einzufrieren

In der Steem-Community spannte sich danach ein Drama auf, das Politik und Technik auf eine Weise verzahnt, die nur bei Blockchains denkbar ist.

Steem ist eine DPoS-Blockchain. Das steht für „Distributed Proof of Stake“ und meint, dass es zwei Arten von Konsens-relevanten Knoten gibt: Einerseits die Staker, also diejenigen, die die Coins halten und dadurch Stimmrechte haben. Mit diesen Stimmrechten generieren sie aber nicht selbst Blöcke, wie es in einem reinen Proof-of-Stake-System geschieht, sondern wählen eine bestimmte Anzahl von „Validatoren“, auch „Witnesses (Zeugen)“ genannt. Diese bilden die Blöcke der Steem-Blockchain.

Ein Problem ist nun aber, dass Steemit Inc eine riesige Menge an Steem-Token hält. Die Firma hat durch ein Premining – sie haben sie geschürft, bevor Steem offiziell live ging – rund 65 Millionen Steem-Token erhalten. Derzeit gibt es rund 360 Millionen Steem-Token, von denen nur ein kleiner Teil aktiv abstimmt. Wenn Steemit ihre Token „aufleveln“, also für das Staken einsetzen würde, könnte die Firma die meisten, wenn nicht alle Entscheidungen im System durchsetzen. Allerdings enthält sich Steemit dieses Rechtes, was ein ungeschriebenes, aber allgemein bekanntes und vorausgesetztes Abkommen bei Steem ist. Anstatt Steemit wählt also die „Community“ die Validatoren.

Der Firma Steemit hat man vertraut, sich an das Abkommen zu halten. Aber der Tron Foundation? Weil die Steem-Community – oder die derzeit aktiven Validatoren und ihre Wähler – Justin Sun nicht vertraut, entschloss sie sich zu einem radikalen Schritt: Sie entzieht den Token von Steemit kurzerhand das Wahlrecht. Denn, so das Argument, es ist ein sozialer Konsens, dass diese Token nicht wählen, und dieser muss auch nach dem Verkauf an die Tron-Foundation erhalten bleiben. Daher wurde eine Softfork programmiert, die die Token von Steemit auf eine Blacklist setzt.

Sachbeschädigung per Protokolländerung

Das ist schon ein starkes Stück. Die Validatoren entwerten die Token, die Tron mit dem Kauf von Steemit Inc erwirbt. Diese 65 Millionen Steem-Token von Tron sind damit nicht mehr fungibel mit den anderen Steem-Token, da sie offensichtlich mangels der Staking-Funktion weniger wert sind. Eventuell lassen sie sich nicht einmal mehr bewegen. So wird die Softfork zu einer Art Sachbeschädigung, wie Justin Sun feststellt:

Ein Hacker habe versucht, so Sun, 65 Millionen Steem, deren rechtmäßiger Besitzer Steemit sei, einzufrieren. Nach Rücksprache mit Anwälten sei er überzeugt, dass dies ein krimineller Akt sei. Die Firma Steemit findet noch klarer Worte:

„Die Softfork 22.2 war bösartig strukturiert mit der Intention, eine Handvoll von sehr spezifischen Accounts einzufrieren und ihnen ihr Recht zu nehmen, ihre eigenen Assets zu besitzen und zu benutzen. Sie ist illegal und kriminell. Die Gruppe hinter ihr kann diesen Angriff gegen jedes Mitglied der Steem-Community durchführen, wie immer es ihr gefällt. Sie drohte sogar mit einer Hardfork, die alle existierenden Steem-Token löscht …“

Eine Hardfork als Gegenschlag

Natürlich haben sich Steemit und Tron das nicht bieten lassen. Die Validatoren wollten mit schmutzigen Methoden spielen, und der Tron-Gründer antwortet mit denselben.

Justin hat seine Beziehungen zu Börsen genutzt und diesen wohl – so sagt es die derzeitige Gerüchteküche – 100.000 Dollar angeboten, wenn sie die Steem-Token, die sie auf ihren Plattformen halten, benutzen, um die Validatoren von Tron zu wählen. Der Hintergrund hier ist, dass der Großteil der Steem-Token auf Börsen liegen, dort in der Regel aber nicht benutzt werden, um über etwas abzustimmen. Einige Börsen, vor allem Binance, Poloniex und Huobi, haben nun die Steem-Token ihrer Kunden dafür benutzt, Tron dabei zu helfen, eine Hardfork durchzubringen.

Eine Softfork, wie sie die Steem-Community eingebracht hat, fügt eine neue Regel ins Protokoll hinzu. Sie ist damit abwärtskompatibel, solange diese Regel nicht mit alten Regeln imkompatibel ist. Wenn ich erlaube, dass alle 120 Stundenkilometer fahren, ist es legitim, wenn LKWs nur 80 fahren dürfen. Das macht es sehr leicht, mit einer Softfork neue Regeln zu setzen, etwa eine Blacklist, die bestimmt, dass bestimmte Coins nicht länger Teil einer Transaktion werden können. Eine Softfork ist schwer aufzuhalten, da Knoten, die sie nicht unterstützen, die neuen Blöcke dennoch als gültig erachten.

Die einzige Möglichkeit, eine Softfork aufzuhalten, ist es, die neuen Regel per Hardfork wieder auszumerzen. Eine Hardfork hebt Regeln auf, etwa die, dass LKWs nur 80 Sachen fahren dürfen, oder dass die Steem-Token der Tron-Foundation doch an der Wahl der Validatoren teilnehmen dürfen. Das macht eine Hardfork „hart“, weil sie nicht kompatibel mit alten Knoten ist, die die neuen Blöcke nicht länger als gültig anerkennen.

Dennoch gelang es der Tron-Foundation mithilfe von 42 Millionen Token auf den Börsen, die Hardfork durchzuboxen. Diese ermächtigt die Token von Steem wieder, Validatoren zu wählen. Damit hat es die Tron-Foundation geschafft, das Protokoll von Steem gegen eine Änderung zu verteidigen.

Das Nachspiel

Natürlich war der Aufschrei in der Steem-Community groß, und die meisten Krypto-Medien folgen der Story der ehrlichen Community und des bösen Justin Suns, der die Steem-Blockchain mit Hilfe der Börsen übernimmt. Wie können sie es wagen? Natürlich hat sich die Tron-Foundation mit dem Zug eine gewisse Kontrolle über Steem verschafft, und natürlich ist es höchst zweifelhaft, dass die Börsen einfach die Token ihrer Kunden benutzen, um Politik zu betreiben.

Allerdings wäre auch ein Stück Selbstreflexion angebracht. Vielleicht war es doch nicht ganz richtig, Tron per Protokolländerung zu enteignen? Und vielleicht hat Tron auch vollkommen korrekt im Rahmen der im Steem Protokoll definierten Regeln gehandelt? Wenn User ihre Coins auf Börsen liegen lassen, vertrauen sie diesen die Token einschließlich der mit ihnen verbundenen Wahlrechte an. Dass die Börsen sie nun benutzen, ohne die Kunden zu fragen, ist nicht die feine Art, aber vermutlich verstoßen sie damit ebensowenig gegen einen Vertrag wie gegen die Regeln des Protokolls.

Wie so oft hat es allerdings unerwünschte Folgen, wenn man ein Blockchain-Protokoll für Machtspiele missbraucht. So müssen Steem-Token, die für Wahlen eingesetzt werden, 13 Wochen ruhen, bis sie wieder zu normalen, überweisbaren Steem-Token werden können. Diese „Power Down“-Phase ist nun für die Börsen natürlich unangenehm, weil sie die Steem-Token ihrer Kunden nicht mehr auszahlen können. Mit einer weiteren Hardfork soll diese Phase nun auf ein bis drei Tage reduziert werden.

Die Webseite von Steemit ist derzeit nicht erreichbar. Der Preis der Steem-Token ist während des Dramas nicht nennenswert gesunken. Justin Sun erklärt, dass es eine Übergangsperiode von vier bis sechs Wochen geben werde, in der die Tron-Foundation die Entwicklung von Steem kontrolliert. Danach werde er die Konsensfindung wieder an die Community zurückgeben.

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4 Kommentare zu Tron kontrolliert Steem. Angemessene Reaktion – oder Machtübernahme?

  1. Peter Neuer // 3. März 2020 um 14:55 // Antworten

    Solange er nicht BSV kauft kann es mir egal sein.

  2. Das Brisante an der Geschichte ist nicht wer recht hat, sondern wie Tron seinen Willen durchgesetzt hat. Das bekannte Börsenproblem mit Proof of Stake und delegated Proof of Stake, das hier eben zur Geltung kam. Die Börsen voten mit fremden Stimmen. Bzw. zeigt das Beispiel die potentielle Gefahr, die davon ausgeht.

  3. Ein wunderbares Fallbeispiel hinsichtlich der Bedeutung eines zentralen oder dezentralen Netzwerkes wie auch der „not your keys, not your coins“ Thematik.

  4. Hier sieht man was in Zukunft mit POS auf Ethereum möglich sein wird.
    Börsen werden die größten „Halter“ von ETH sein und die implikationen daraus kann man ja oben sehen.

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