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„Wenn gute Menschen sich emotional selbst in Drachen verwandeln“

Drache, aus einem Dollar-Schein gefaltet. Bild von Gabe Rosiak via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Whistleblower Edward Snowden kritisiert die „desaströse“ Privatsphäre von Bitcoin – und die Bitcoin-Szene, die vor lauter Reichtum die ursprünglich mal noblen Ziele aus den Augen verloren habe.

Edward Snowden, seit seinen NSA-Leaks 2013 der Inbegriff des Whistleblowers und einer der prominentesten Kämpfer für digitale Privatsphäre überhaupt, hat sich in einem virtuellen Talk bei der Ethereal 21 Konferenz zu Bitcoin und Privacycoins geäußert. Genauer gesagt: Er kritisiert Bitcoin – die Technologie, die Entwickler, die Community – heftig.

Die Privatsphäre von Bitcoin sei, erklärt Snowden, „wirklich fürchterlich“. Und Taproot, das von den Core-Entwicklern und ihren Anhängern so sehnsüchtig erwartete Update, „verschlechtert die Privatsphäre sogar noch“. Denn, wiederholt Snowden eine nicht ganz neue Kritik: Es wird nach Taproot alte und neue Arten von Adressen geben, was es Beobachtern einfacher machen wird, in einer Transaktion das Wechselgeld von der Zahlung zu unterscheiden. Auch das Lightning-Netzwerk, das gerne als Verbesserung der Privatsphäre von Bitcoin beworben wird, sei in dieser Beziehung ein Mumpitz.

Sinnvoller hingegen seien Privacycoins, vor allem Zcash, das mit den „Shielded Addresses“ allen anderen überlegen sei, trotz der berechtigten Kritik, dass die anonymen Transaktionen nicht optional, sondern Standard sein sollten. Ebenfalls gut findet er Monero – ein großartiges Projekt – auch wenn es einige bekannte Angriffe auf die Privatsphäre von Ringsignaturen gebe.

Das Problem mit Privacycoins sei jedoch, so Snowden weiter, dass man sie durch Regulierung stark treffen könne. Es sei „gruselig“, wie effektiv das Delisting durch Börsen funktioniere, um die Privacycoins klein zu halten. Dafür gebe es nur eine Lösung: Man müsse Bitcoin privater machen. „Börsen können es sich nicht erlauben, Bitcoin zu delisten, und es ist an der Zeit, daraus einen Vorteil zu schlagen.“ Allerdings sei es „frustrierend“, dass die Bitcoin-Entwickler die Privatsphäre nicht priorisieren.

Man könnte Snowdens Kommentar vielfach kritisieren. Warum maßt er sich an, für alle zu sprechen, wenn er fordert, dass die Entwickler den impliziten Vertrag, der Bitcoin ist, einseitig ändern? Versteht er nicht, dass viele Bitcoiner womöglich gar nicht wollen, dass Bitcoin zu privat wird? Ein anonymer Bitcoin könnte Verbrechen befördern, die Regulierung verschärfen und womöglich einem Verbot Geburtshilfe leisten.

Warum ignoriert Snowden, dass alle bekannten effektiven Technologien, die Privatsphäre zu verbessern – Shielded Transactions und Ringsignaturen – es erschweren, die Geldmenge zu prüfen und zudem schlecht skalieren? Erkennt er nicht, dass Transparenz auch Vorteile hat, etwa um den Mächtigen auf die Finger zu schauen oder auch nur um die eigene Transaktion zu beobachten? Und ist ihm schließlich nicht klar, wie schwierig es selbst für die Core-Entwickler ist, Bitcoin zu ändern?

Die ganze Thematik „Bitcoin und Privacy“ ist wesentlich vielschichtiger, als sie von Edward Snowden dargestellt wird. Man kann begründet behaupten, Bitcoin sei privat genug, aber nicht zu privat, somit also perfekt.

Kritik fängt der Whistleblower aber nicht deswegen ein. Stattdessen wirft ihm Alex Gladstein von der Human Rights Foundation, auch bekannt als teils engstirniger Bitcoin-Maximalist, vor, in dem Video Falschaussagen zu verbreiten. Alex fragt vorwurfsvoll: „Wann wird es einen SnowdenCoin geben?“

Die daran anschließende Diskussion von Alex mit Ari Paul von BlockTower Capital zeigt mal wieder, dass Menschen objektiv recht haben können, ohne sich deswegen einig sein zu müssen. Alex meint – vollkommen zu recht – dass sowohl Lightning als auch Taproot Fortschritte für die Privatsphäre darstellten. Das ist unmöglich zu bestreiten, da beide Technologien bestehende Probleme lindern.

Aber auch Ari hat vollkommen recht, wenn er anmerkt, dass es mittlerweile seit Jahren Kryptowährungen mit integrierten Mixern und Zero-Knowledge-Proofs gebe, und dass weder Lightning noch Taproot diesen in Sachen Privacy auch nur annährend das Wasser reichen könne. Auch das ist unbestreitbar korrekt.

Sehr viel interessanter wird jedoch die Reaktion von Snowden auf Alex‘ Kritik. Der Whistleblower weist auf ein grundlegendes Problem hin, dass nicht nur er derzeit in Bitcoin sieht, und das über die Privatsphäre hinausgeht. Seine Tweets dürften manchen Bitcoinern eiskalt in die Knochen fahren:

„Der schlimmste Teil davon, dass sich Kryptowährungen in einen drachenartigen Reichtum transformiert haben, ist es, wenn gute Menschen sich emotional selbst in Drachen verwandeln: Sie sind intellektuell so paralysiert von der Furcht, dass jeder, den sie sehen, ihren Hort bedroht, so dass sie die Welt außerhalb ihrer Höhle aus den Augen verlieren.“

Ein exzellentes Gleichnis! Denn egal wie stark der Einzelne ist, wie stoisch sein Verstand, für wie immun er sich gegen die Verlockungen des Reichtums hält – Geld korrumpiert. Der extreme Kursanstieg von Bitcoin entschädigt für jede Enttäuschung, weil er eine gigantische Belohnung ist. Und den marktgläubigen Bitcoinern ist natürlich das, was der Markt sagt, immer wahr, und weil Preise die Sprache des Marktes sind, ist sein Urteil eindeutig. Alles bestens!

Alex‘ Zusammenfassung seines Vortrags nennt Snowden „so tiefgreifend irreführend, dass es schwer ist, darin keine absichtliche Täuschung zu sehen.“ Er selbst habe mehr Geld in Bitcoin als in irgendeiner anderen Kryptowährung, doch „trotz des theoretischen Risikos, den Wert meines Besitzes zu schädigen, werde ich weiterhin Bitcoins Fehler kritisieren“. Denn die gesellschaftlichen Kosten davon, diese Fehler zu verschweigen, wiegen um Größenordnungen schwerer als die privaten Gewinne. Snowden nennt das seinen „moralischen Kompass“.

Die „desaströse“ Privatsphäre von Bitcoin sei „die fehlende Sprosse“ von Kryptowährungen. Jeder verstehe, dass es ein Problem sei, doch die Experten „wissen, wie sie das Risiko in ihren persönlichen Interaktionen mit Bitcoin kompensieren können und haben daher keine Eile, das Problem zu reparieren.“

Privycy Coins seien großartig, wiederholt Snowden, aber zu klein und daher zu einfach durch Regulierung zu erdrücken, etwa indem sie von Börsen delistet werden. Nur Bitcoin habe die „Immunität-durch-Dominanz“ gegen Delistings. Würde Bitcoin Privatheit als Standard einrichten, würde dies finanzielle Privatsphäre zur Regel anstatt zur Ausnahme machen.

Es gibt, wie erwähnt, mehr als genügend Ansatzpunkte, um Snowdens Fixierung auf Privatsphäre und Anonymität zu kritisieren. Schwerer zu entkräftigen dürfte aber seine zweite Kritik sein – dass die Bitcoiner unter dem Geldregen der steigenden Kurse ganz vergessen haben, dass sie einmal die Welt verbessern wollten.

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5 Kommentare zu „Wenn gute Menschen sich emotional selbst in Drachen verwandeln“

  1. Toller Artikel, Danke dafür.
    In diesem Sinne fällt mir nur ein Zitat von Michael Novogratz ein, das seiner Aussage nach groß in seinem alten Büro gehangen ist: „We are too rich to go to Jail“.
    Für mich frei übersetzt: Du bist zu reich um Blödsinn zu machen und etwas rebellisches oder verbotenes zu probieren.

    Aber das ist wohl ein Teil von Bitcoins Erfolg.

  2. Der Bitcoin, ETH und fast alle anderen Kryptowährungen sind längst von den Mächtigen gekapert und sie bereiten alles vor, die Digitalwährungen in Ihrem Sinne – zur Versklavung der Massen – einzusetzen. Ich empfehle einmal folgende Internetseite zu studieren: http://www.thatsbtcnotbitcoin.com – Der absolute Wahnsinn, es taucht im Zusammenhang mit der Bezahlung der Entwickler sogar der Name Jeffrey Epstein auf…

  3. Ich frage mal provokant ob Monero wirklich eine so gute Privatsphäre besitzt. Nach meinem Wissen sollen Quantencomputer zukünftig problemlos Moneros Ringsignaturen entschlüsseln können, da Monero ungehashte public keys verwendet. Was nützt mir also eine Privatsphäre die zeitlich limitiert sein könnte? Dann vielleicht doch besser ein global verfügbares, aber nur beschränkt einsetzbares, BTC. Die Privacy-Coins werden einen Wachstumspfad außerhalb zentralisierter Exchanges finden müssen.

  4. Herr Snowden verkennt hier vielleicht, das das vollständige anonyme transferieren nie Ziel von Bitcoin war zumindest nicht dem whitepaper nach. Auch die Probleme einer Deanonymisierung und Adresspooling wurde angesprochen.
    Ziel war ein dezentrales, nicht zensierbares elektronisches Bezahlsystem das ohne Vermittler auskommt.
    Mission accomplished.
    Das Herr Snowden sich vollständige Anonymität wünscht, kann man mit seiner Historie zwar nachvollziehen, aber dann ist er halt bei zCash oder Monero gut aufgehoben. mit allen Nebenwirkungen.
    Fazit: die pyseudo Anonymität von Bitcoin kann man zwar beklagen, aber ein Abweichen von den urprünglichen Zielen stellen sie nicht dar und somit ist der Vorwurf den Schaden für den enormen Erfolg in Kauf zu nehmen auch fehl am Platz.

  5. Hm, wir werden nicht durch Bitcoin zu Drachen, wir waren schon immer welche. Wir versuchen zu bewahren, was wir erreicht haben. Das zeichnet uns in gewisser Weise sogar aus.

    Leider führt das auf der anderen Seite eben auch dazu, dass wir den einmal erreichten Lebensstandard nichtmal für eine bessere Überlebenschance beim Klimawandel aufgeben wollen, selbst wenn uns dieser Lebensstandard zunehmend mit unnützen kurzlebigen Dingen aus Plastik zuballert.

    Und selbst klassischen Managern (z.B. auch aus der Bankenbranche) bei schlechter Leistung Ihre Bonis zu streichen, ist nicht so leicht wie sich das sagt, obwohl Boni vom Grundgedanken mal als Motivation für gutes Management gedacht waren und nicht als fixes Gehalt.

    Insofern ist das ein Grundzug des Menschen an sich, nicht speziell von Bitcoinhodlern.

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