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Mehr Komplexität wagen, weniger gewinnen

Anscheinend kompliziert. Bild von dmums via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Der Dachverband der deutschen Kreditwirtschaft skizziert seine Anforderungen an ein Ökosystem des digitalen Euro. Leider begräbt er die Vorteile dezentraler digitaler Währungen unter den vielen Wünschen seiner Mitglieder.

Nun meldet sich „Die Deutsche Kreditwirtschaft“ (DK) also zum Thema digitaler Euro zu Wort. Die Organisation ist ein Zusammenschluss der Verbände des deutschen Bankwesens, an dem indirekt so gut wie jede Bank beteiligt ist.

Der DK entwickelte eine einheitliche Position des deutschen Bankwesens zu digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC), Blockchain (Distributed Ledger Technology, DLT), Token, Smart Contracts und was noch alles in diesen Bereich gehört.

Diese Position breitet der Verband in einem Bericht aus, der satte 75 Seiten umfasst.

Unerhörte Herausforderungen und Potenziale

Ausgangspunkt ist, dass der Verband „einen proaktiven Vorschlag zur Weiterentwicklung des Ökosystems innovativer Geldformen unterbreiten“ möchte. Denn ein digitaler Euro sei „von zentraler Bedeutung, um die digitale und monetäre Souveränität Europas zu stärken und die mittel- und langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu sichern“.

Der Bericht beklagt explizit, dass der europäische Geldverkehr durch auswärtige, in der Regel amerikanische, Dienstleister beherrscht wird. Er sieht in der Distributed-Ledger-Technology (DLT), auch Blockchain genannt, die Chance, in dieser Beziehung wieder Land zu gewinnen – allerdings auch das Risiko, noch weiter abgehängt zu werden.

Daher skizziert die DK eine Transformation des „Ökosystems des Zahlungsverkehrs“. Diese prägen die vernetzte und automatisierte Industrie 4.0, Smart Contracts, die Verdrängung des Bargelds, neue Technologieunternehmen sowie eine stärkere Rolle Chinas.

Konkreter: Blockchains werden zur Basis resilienter digitaler Infrastrukturen und schaffen Vertrauen durch Transparenz, wodurch Zusammenschlüsse möglich werden, an die bisher nicht zu denken ist. Smart Contracts erlauben es, Transaktionen nach vorher bestimmten Bedingungen automatisch auszuführen „und ermöglichen somit ungeahnte Formen der Automatisierung, der Transparenz und Digitalisierung bisher analoger Prozesse.“

Zugleich bedrohen private digitale Währungen – gemeint ist natürlich Facebooks Diem! – das „zweistufige Bankensystem aus Notenbanken und Geschäftsbanken“, und der Trend zum digitalen Bezahlen fordert europäische Dienstleister heraus. Wenn Leute noch mehr digital bezahlen, bedeutet das derzeit, dass sie noch mehr PayPal, Visa oder MasterCard benutzen, und wenn nicht diese, dann Amazon Pay, Google Pay oder Apple Pay.

DLTs können einen breiten Einfluss auf das Zahlungs- und Finanzwesen nehmen: Sie können die Abwicklung von Kapitalmarktgeschäften effektiver machen, bei elektronischen Wertpapieren „die Abwicklungszeiten von Tagen auf Minuten verkürzen, Adressrisiken minimieren und somit Kosten drastisch senken.“ Digitale Assets können für illiquide Wertgegenstände wie Immobilien, aber auch Rechte, Bilder und Lizenzen „ungeahnte Potenziale“ haben. Automatisierungen, etwa durch Smart Contracts, können die Außenhandelsfinanzierung verbessern; Machine-to-Machine-Zahlungen, Micro- und Nanopayments sowie anonyme elektronische Zahlungen am Point-of-Sale neue Formen des Bezahlens begründen.

Es liegt also ein gehöriges Potenzial in der neuen Technologie. Sie hat das Zeug, zum Leuchttum zu werden, der das europäische Bankenwesen durch die vielfachen Herausforderungen der technologischen Transformation leitet. In jedem Fall wären die Banken gut beraten, sich der Technologie zuzuwenden – und zwar offensiv und mit offenen Augen.

Ein Ökosystem auf vier Säulen

Nach der Diagnose von Potenzial und Bedrohung beginnt der DK allerdings, die Bedingungen zu diktieren, unter denen er bereit ist, die eigene Haut zu retten.

Um das gewaltige Potenzial zu heben brauche es ein Token für Zahlungen. Dieses Token brauche gewisse Grundeigenschaften, etwa „die Umtauschgarantie in Zentralbankgeld (1:1), Fungibilität oder die universelle Verwendbarkeit und Interoperabilität im gesamten Währungsraum.“ Darüber hinaus solle das Token „zu einem gewissen Grad ‚technologieagnostisch‘ sein, damit es auf allen heute gängigen DL-Technologien realisierbar ist.“

Aufgrund dieser Voraussetzungen zeichnet die DK ein Ökosystem des digitalen Euro auf vier Säulen:

1.) eine „Wholesale Central Bank Digital Currency (wCBDC)“, also ein digitaler Euro für Interbankengeschäfte, der etwa das Settlement von Wertpapiergeschäften vereinfacht,

2.) eine Retail CBDC (rCBDC): ein digitaler Euro für Privatpersonen, der das Bargeld ergänzen oder ersetzen soll,

3.) ein Giralgeldtoken, das die digitale Variante des heutigen Giralgeldes sein soll. Indem es Prozesse verbessert, kann es die Kreditwirtschaft flexibler mit Liquidität versorgen. Ferner

4.) ein Trigger-System, welches die technische Brücke zwischen bestehendem und neuem Zahlungssystem bildet.

Dezentral, aber zentralisiert

Das ganze klingt sinnvoll. Kein Werkzeug passt für alle Aufgaben, daher könnte es hilfreich sein, das Token in verschiedene Formen zu zerlegen, die für ihre eigene Aufgabe maßgeschneidert sind.

Es klingt aber auch kompliziert. Vielleicht zu kompliziert. Drei Token bedeuten, dass man dreimal ein Design entwickeln, dreimal ein System aufsetzen, dreimal Alpha-, Beta- und Gammatests fahren, dreimal rechtliche Fragen klären, dreimal die umgebende Infrastruktur aufbauen muss.

Leicht boshaft ausgedrückt: Visa und Mastercard experimentieren bereits mit Dollar-Stablecoins, Square und PayPal verkaufen Bitcoins und andere Kryptowährungen. Und die DK erstickt den Anfang jeder Bemühung, indem sie sie mit Kaskaden verkopfter Komplexität erstickt.

Nehmen wir den digitalen Euro für den Verbraucher, den rCBDC, und die Anforderungen der DK an diesen. Um erfolgreich zu sein, erkennt der Verband, müssen die Kunden in ihm „eine attraktive Ergänzung zu bestehenden Geldformen und Bezahlverfahren erkennen“. Danach aber bemüht er sich, jede Eigenschaft, die den rCBDC attraktiv machen könnte, zu zerreden.

Schon die Einführung solle „mit Bedacht“ geschehen. Sie dürfe nicht zu einer „Disintermediation der Banken“ führen, müsse diese also als Mittelsmänner zwischen Geld und Verbraucher erhalten. Der DK sieht zwar Vorteile darin, „wenn ein digitaler Euro über eine dezentrale Infrastruktur emittiert und abgewickelt“ werde, pocht aber darauf, dass dies „unter aktiver Einbindung der regulierten und beaufsichtigten Kreditinstitute als Intermediäre“ geschehe. So könne beispielsweise jeder User eine mengenmäßig begrenzte Wallet bei einer Bank seiner Wahl erhalten.

Auch die Programmierbarkeit von Zahlungen findet der DK interessant. Doch er begegnet ihm beim rCBDC mit Skepsis, da dies zu Beeinträchtigungen der Eignung als Zahlungsmittel führen könne.

Also: Der digitale Euro soll dezentral herausgegeben, aber für die Kunden nur über das Bankkonto benutzbar sein. Er soll auf einer Blockchain laufen, aber Transaktionen sollen nicht programmierbar sein. Kurzum: Für die User kommt das heraus, was das Bankkonto schon heute kann, und wenn nicht dieses, dann PayPal.

Überkomplex und unterattraktiv

Wie schon ein ähnlicher Bericht aus der Feder des Bankenverbandes leidet der Vorschlag der DK darunter, dass zu viele Institutionen ihre Wünsche einwerfen. Natürlich ist verständlich, dass die Banken sich nicht die Mittelsmann-Butter vom Brot nehmen lassen wollen, und natürlich hat ein Dachverband allen Vorlieben und Sorgen aller bedenkentragender Beteiligter gerecht zu werden.

Doch die Oper, die dieses Wunschkonzert aufführt, wird ein Gebilde, das auf überkomplexe Weise etwas unterattraktives erschafft. Auf abstrakte Weise weiß der DK, dass Innovation Veränderung bedeutet; doch da, wo es ernst wird und weh tut, scheut er jeden Wandel. Auf diese Weise stampft der Marsch der Wünsche alles ein, was digitales Geld von dem abhebt, was es bereits gibt.

Tragischerweise erkennt der DK die Potenziale der Blockchain-Technologie. Er begreift auch, wie prekär die Lage der europäischen Zahlungsdienstleister ist, wie sehr diese Entwicklung droht, die Souveränität des europäischen Kapitalmarktes zu beeinträchtigen, und dass diese Angriffe durch Kryptowährungen und Blockchains noch schmerzhafter werden können.

Die Diagnose trifft also. Nur leider verbaut sich der DK in seinem Bemühen, eine Lösung zu skizzieren, die allen gefällt, das Potenzial, das in der neuen Technologie steckt.

Über Christoph Bergmann (2802 Artikel)
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1 Kommentar zu Mehr Komplexität wagen, weniger gewinnen

  1. Deshalb kommen disruptive Technologien immer von außen, von jungen Gründern: Die alten Industrien verteidigen ihre überholten Einnahmequellen und wagen daher nichts wirklich Neues.

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