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Astroturfing, Sockenpuppen, Trolle und Shills: Der große Sybil-Angriff auf die Demokratie

Derzeit findet ein Angriff auf die demokratischen Diskurse statt. Troll-Armeen vergiften die Atmosphäre in sozialen Medien, polarisieren die Debatten, schüren Hass und machen Bürger zu Glaubenskrieger. Leider ist der Feldzug der Trolle gegen die Vernunft extrem erfolgreich. 

Erinnert ihr euch noch, wie ihr zum ersten Mal ins Internet gegangen seid? Bei fast allen Menschen, die ich kenne, lief es gleich ab. Irgendwann in der Mittelstufe, in den 90ern, durften wir im Computerraum der Schule ins Netz. Wir sind in einen Chatroom, haben uns einen Phantasienamen gegeben … und haben getrollt!

Dass man im Internet anonym ist, und dass man ohne echte Konsequenzen das tun kann, was man heute „trollen“ nennt, ist kein Bug, sondern ein Feature. Ich bin überzeugt, dass das neben Sexfotos, E-Mails und Filesharing der wichtigste Grund war, warum das Internet so ein Erfolg wurde.

Allerdings sieht es derzeit so aus, als würden Trolle die Demokratie zerstören. Und das ist keine Übertreibung, sondern genau so gemeint, wie es geschrieben ist.

Der Troll im Käfig

Dass man trollt ist eine natürliche Geisteshaltung von Menschen. Jeder, der sich schon mal in einen Beziehungsstreit oder eine politische Diskussion hineingesteigert hat, kennt das. Es gibt nur noch die eine, die eigene Seite, alles andere ist falsch und dumm und gemein, und man will Teufel noch mal recht haben.

Normalerweise ist Kommunikation ein Werkzeug der Verständigung. Für Menschen im Troll-Modus ist sie hingegen eine Waffe in einem Konflikt. Menschen im Troll-Modus sind ein wenig wie Anwälte (die nicht argumentieren, um eine Wahrheit zu finden, sondern um IHRE Wahrheit durchzusetzen), aber wütender, maßloser und regelloser. Stellt euch vor, ihr setzt euch an einen Tisch in einer Gaststätte, dürckt den Leuten, die dort sitzen, eine Diskussion über die Probleme des Fiat-Geldes auf, und wenn dann jemand meint, er müsse den Euro verteidigen, dann wird beschimpft ihr ihn als dumm, naiv oder von der Regierung gekauft!

Im echten Leben gibt es Mechanismen, die uns zwingen, unseren Troll zu unterdrücken. Zumindest solange wir nüchtern sind. Die physische Nähe der anderen — ihr Geruch, ihre Mimik, ihre Stimme — macht uns empathisch, das Wissen, mit Namen und Gesicht für das stehen zu müssen, was man sagt, nötigt einen, sozialen Konventionen zu folgen und verständigungsorientiert zu kommunizieren.

Im echten Leben ist unser Troll einigermaßen unter Kontrolle. Und das ist die Grundlage dafür, dass Menschen mit verschiedenen Meinungen miteinander diskutieren können und sich am Ende einigen. Ohne verständigungsorientierte Kommunikatiomn funktioniert Demokratie nicht.

Trolle und Glaubenskrieger

Im Netz, wo man den anderen nicht in die Augen schauen und sich nicht mit Klarnamen für das Gesagte rechtfertigen muss, kann man seinen inneren Troll dagegen rauslassen. Man kann seine Meinung ohne Rücksicht auf soziale Konventionen rausklopfen.

Die österreichische Autorin Ingrid Brodning erklärt im Interview mit Zeit Online, dass sie zwischen Trollen und Glaubenskriegern unterscheidet. „Die Gruppe der Trolle versucht Menschen auf die Palme, zur Rage oder zur Verzweiflung zu bringen. Trolle sehen sich als Intellektuelle, die es schaffen, Menschen in die Irre zu führen oder zu manipulieren. Es ist eine eher kleine, aber sehr erfolgreiche Gruppe, die oft von Sadismus angetrieben wird.“ Glaubenskrieger sehen sich dagegen  „in einem Informationskrieg und in ihrem Weltbild so sehr im Recht, dass sie bereit sind, ethische Grenzen zu überschreiten.“

Die Unterscheidung zwischen Trollen und Glaubenskriegern ist wichtig, weil sie einen Blick auf soziale Mechanismen in Foren wirft. Trolle manipulieren gezielt und absichtlich, während Glaubenskrieger denken, sie seien im Recht. Eine Handvoll Trolle kann Communities manipulieren und vormals freundliche Leute so lange aufstacheln und mit „Wahrheiten“ füttern, bis diese zu Glaubenskriegern werden.

Allerdings definiert Brodning meiner Meinung nach Trolle zu eng. Das Wort wird bereits verwendet, und es trifft sowohl auf die von Brodning genannten sadistische, kalten Trolle zu wie auch auf die emotionalen, warmen Glaubenskrieger. Wenn man ein „trolliges Verhalten“ auf das psycho-pathologische reduziert, hilft man vor allem denen, die nicht wollen, dass man ihnen widerspricht.

Trolle sind nämlich nicht nur schlecht. Sie bringen Vielfalt in den Einheitsbrei von Meinungen. Es ist überhaupt nicht möglich, sich gegen die Mehrheit in einem Forum zu stellen, ohne zum Troll zu werden. Jeder gesellschaftskritischer Künstler „trollt“. Was waren Christoph Schlingensief und Klaus Kinski anderes als Meister-Trolle?

Das große Problem mit den Trollen ist nicht, dass sie trollen, weil sie Lust dazu haben — sondern dass sie immer öfter trollen, weil sie dafür bezahlt werden. Das Problem ist auch nicht, dass Trolle mit ihrer eigenen Meinung aufdringlich sind – sondern dass sie den Narrativ verbreiten, den ein Spindoktor entwickelt, um Debatten zu manipulieren und anständige Menschen zu Glaubenskriegern zu machen.

Trolle an sich sind nicht mehr als ein Abbild menschlicher Regungen. Sie sind manchmal lästig, manchmal lustig, aber im Großen und Ganzen harmlos. Trollfabriken hingegen, die Trolle produzieren und indoktrinieren, sind hingegen ein Angriff auf die freie öffentliche Diskussion im Netz. Sie sind ein Sybil-Angriff auf die Demokratie an sich.

Die vielen Gesichter von Sybil

Der Sybil-Angriff wurde in den 90ern von einem Microsoft-Wissenschaftler entdeckt. Er fand heraus, dass man jedes dezentrale Netzwerk dadurch angreifen kann, dass man viele Knoten (Identitäten) bildet. Der Forscher nannte den Angriff Sybil, weil er ein Buch gelesen hatte, indem es um Sybil, eine an Schizophrenie leidende Frau ging, die mehrere Persönlichkeiten hatte. Indem ein Angreifer also vorgibt, nicht nur einer, sondern viele zu sein, kann er dezentrale Netzwerk angreifen. Die einzige Verteidigung ist eine zentrale Autorität.

Tatsächlich ist Bitcoin das erste dezentrale Netzwerk, das sich gegen Sybil-Angriffe verteidigen kann. Das ist die Rolle der Miner. Sie beweisen ihre einzigartige Identität durch Rechenkraft. Man kann Accounts in Foren und fälschen, aber keine Computerleistung.

Früher einmal, in den guten alten Tagen des Printjournalismus, übernahmen im öffentlichen Diskurs Zeitungen die Rolle der Miner. Sie waren Gatekeeper, entschieden, welche Information den Lesern in welchem Kontext präsentiert wird. Nicht alle, aber die meisten der Journalisten waren sowohl technisch als auch ethisch gut auf diesen Job vorbereitet und brachten genug Idealismus mit, um diese Aufgabe so gut und verantwortungsbewusst zu erfüllen wie möglich.

Heute hat der Printjournalismus viel von seiner Bedeutung verloren. Es gibt weiterhin die Redaktionen, von Zeit, Spiegel, taz, Stern und so weiter. Doch sie wirken mehr und mehr wie kleine Elitenzirkel in ihren Elfenbeintürmchen, die den Kontakt zur echten Welt der echten Leser  verloren haben. Die öffentliche Diskussion wird immer weniger von Journalisten geprägt, sondern von … Trollen!

Sockenpuppen beim Astroturfing

Vermutlich kennt ihr den Begriff der Sockenpuppe. Damit bezeichnet man die Praxis, sich einfach viele verschiedene Accounts in sozialen Foren zu machen, um seiner Meinung mehr Gewicht zu verleihen. Sockenpuppen-Propaganda ist der absolute Klassiker der Sybil-Angriffe auf die Kommunikation.

An sich ist dieses Instrument älter als das Internet. Im Englischen gibt es das Wort „Astroturfing“. Es meint wörtlich die Verlegung von Kunstrasen, bezeichnet aber vor allem die Taktik, dass sich „wenige Personen als große Zahl von Aktivisten ausgeben, die für eine bestimmte Sache eintreten“. Ein künstlicher Rasen wird verlegt — eine Graswurzelbewegung wird inszeniert. Indem eine keine Gruppe von Leuten die Redaktionen mit Leserbriefen schwemmt, Artikel kommentiert, Blogs schreibt, auf Facebook liked und so weiter, kann sie den Eindruck erwecken, „für die Mehrheit“ zu sprechen.

Unrühmlich fiel zum Beispiel die Deutsche Bahn in den Debatten um die Privatisierung und den Lokführer Streik auf. Der Organisation Lobbycontroll zufolge hat die Bahn mehrere PR-Agenturen und Denkfabriken engagiert, die angeblich neutrale Webseiten hochgezogen, Umfragen mit manipulativen Fragen durchgeführt, und unter Artikeln und Blogbeiträgen für die „richtige Perspektive“ getrommelt haben. Privatisierung gut, Streik der Lokführer böse.

Die Bahn ist nur ein Beispiel. Auch Microsoft wurde beim Astroturfing erwischt, und es ist bekannt, dass die PR-Agentur Edelman für die kanadische TransCanada eine angebliche Graswurzelbewegung pro-Pipeline und pro-Öl hochziehen wollte. Man könnte noch hunderte von Beispielen finden.

Sockenpuppen-Astroturfing ist eine der schmutzigsten, aber auch effektivsten Marketing-Tricks. Man nimmt ein paar Studenten, lässt jeden eine Handvoll Accounts auf Facebook, Twitter, Reddit, Amazon und den einschlägigen Foren erstellen, kauft vielleicht noch ein paar alte, bewährte und unauffällige Accounts. Dann wird die frohe Botschaft vom eigenen Produkt in die Welt posaunt. Mit ein paar Tricks bleibt man unauffällig und erweckt den Eindruck, die Mehrheit hinter sich zu haben. Funktioniert besser als jeder Werbespot.

Troll-Armeen

Auch Regierungen haben die Sockenpuppen und Trolle als Propaganda-Instrument entdeckt. Vielleicht noch mehr und entschiedener als Unternehmen. Zahlreiche Regierungen stehen im Verdacht, Troll-Armeen zu unterhalten.

In Russland gibt es die Trolls von Olgino. Laut internen, von Hackern veröffentlichten Dokumenten hatte die russische Internet Research Agency mehr als 600 Mitarbeiter in ganz Russland und ein Budget von 10 Millionen Dollar. Die Angestellten sollten am Tag mindestens 50 Kommentare unter Artikeln posten. Einige schrieben Blogs, mussten sechs Facebook-Accounts managen und mindestens 3 Posts am Tag veröffentlichen. Auf Twitter haben sie mindestens 10 Accounts, mit denen sie am Tag 50 Mal tweeten müssen. Sie schwärmen durchs Netz, um in Foren, auf Blogs unter YouTube-Videos und so weiter Wladimir Putins Politik zu loben und seine Kritiker mit Schmähkampagnen zu überziehen.

In China gibt es die Internet Water Army:  „Eine Gruppe von Internet Ghostwritern, die bezahlt werden, um Online Kommentare mit bestimmtem Inhalt zu posten … Jeder, der auf Mandarin etwas kritisches zur Regierung schreibt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit mit Beschimpfungen von Leuten überhäuft, die vorgeben, gewöhnliche Bürger zu sein, die sich über die Schmähungen gegen das Vaterland aufregen.“

Die Türkei hat laut Berichten im Jahr 2013 ein 6.000 Mann starkes Social Media Team gegründet. Diese Entscheidung fällte Erdogans AKP, nachdem sich Menschen über soziale Medien zum Protest im Gezi-Parkt verbündet hatten. Die AKP rekrutierte ein Team von 6.000 Beauftragten für die Sozialen Medien. „Wir wollen eine positive politische Sprache etablieren,“ erklärte damals ein Parteiagehöriger, „und wenn das gegnerische Lager Desinformationen über die Partei streut, korrigieren wie sie mit korrekten Informationen, immer in einer positiven Sprache.“ Tatsächlich aber, so der Guardian, waren die Social Media Soldaten von Erdogan etwas übereifrig. „In den folgenden Monaten wurde es üblich, dass die, die die Regierung auch nur vorsichtig kritisiert haben, einen Strom von Antworten bekamen, die alles andere als positiv waren. Oft kamen die Verleumdungen in Massen, von Leuten mit seltsamen Profilen, die Anschuldigungen vorbrachten, die nicht nur bizzarr waren, sondern auch bizzarr gleichlautend.“

Natürlich darf in dieser Liste die USA nicht fehlen. 2008 hat der Obama-Berater Cass Sunstein einen Bericht geschrieben, in dem er der Regierung empfiehlt, soziale Netzwerke zu infiltrieren, um Verschwörungstheorien zu diskreditieren: „Regierungen könnten (legale) Taktiken anwenden, um die dichten kognitiven Cluster von extremistischen Theorien zu brechen … eine vielversprechende Taktik ist es, solche extremistischen Gruppen kognitiv zu infiltrieren … Beamte der Regierung und ihre Verbündete können Chat-Rooms betreten, soziale Netzwerke, oder auch Gruppen im echten Raum, und versuchen, Verschwörungstheorien zu untermininieren, indem sie Zweifel äußern …“

Mit der „Operation Mockingbird“ versucht die Central Intelligence Agency (CIA), die Medien zu beeinflussen. „Das Programm entwickelte sich zu einer Medienkontrolle, indem es das Internet nutzte, um jede Propaganda zu streuen, die im gegenwärtigen politischen Klima nützlich ist,“ schreibt Amercan Intelligence Report. Agenten erstellten gefälsche Nutzeraccounts auf Facebook, Twitter und Co., um Ideologien zu verbreiten, mit denen sie gebrieft wurde. Jeder Agent habe angeblich 10 „Shill Accounts“, um die Illusion zu erzeugen, dass er ein Netzwerk von Freunden habe.

Shills

Die wohl einfachste, häufigste und simpelste Sockenpuppe im Astroturfing ist der „Shill“. Shills sind sozusagen Jubelperser. Sie jubeln einem Produkt zu, vergeben gute Bewertungen auf Amazon und sonstwo, preisen die Regierung und deren Politik, und so weiter. Das Web ist vermutlich voll von kommerziellen wie auch regierungsnahen Shills. Zu erkennen sind sie aber schwer. Was unterscheidet jemanden, der tatsächlich begeistert ist, von jemandem, der dafür bezahlt wird, begeistert zu tun? Was trennt einen übereifrigen Fan von einem Shill?

Das Ziel von Shills ist es, den Eindruck zu erwecken, dass es eine begeisterte Menge gibt. Für ein Produkt, für einen Politiker. Im Idealfall verwandelt der Shill andere User, die bisher einfach nur begeistert sind, auch in Shills. Dies kann er etwa machen, indem er vorgibt, dass das ganze Land unter einem Angriff von außen ist, und dass patriotische Bürger nun zusammenhalten müssen. Gute Shills können ein ganzes Forum in eine Echokammer verwandeln, in der sich alle einig sind, wie toll doch diese Sache ist.

Eine enorme Rolle spielen Shills im Wahlkampf.

So berichtet Bloomberg über die Wahl in Mexiko, in der ein Agent mit einem Budget von 600.000 Dollar „soziale Medien manipuliert hat, um falsche Wellen des Enthusiasmus zu erzeugen.“ Derselbe Agent habe bereits bei Kampagnen in Nicaragua, Panaama, Hondurs, El Salvador, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala und Venezuela mitgewirkt.

Die extremsten Beispiele finden wir aber mal wieder in den USA. Ein Filmemacher hat heimlich eine Trainingssession von Tea Party Mitgliedern aufgenommen, in denen diese gelehrt wurden, Medien zu manipulieren. Der Trainer sagte: „Ich gehe auf Amazon; ich gebe ein ‚Liberal Books‘. Ich gehe sie durch und sage ‚Ein Stern, Ein Stern, Ein Stern‘. Umgekehrt gehe ich zu Konservativen / Libertären, gehe auf ihre Produkte, und gebe ihnen fünf Sterne … Hier bekommen eure Kinder ihre Informationen her: Rotten Tomatoes, Flixster. Das sind Orte, wo man Filme bewerten kann. Also gehen wir dorthin, geben ‚Filme über Gesundheit‘ ein, und da ich nicht will, dass Michael Moore oben steht, gebe ich ihm eine schlechte Bewertung. Ich verbringe so 30 Minuten am Tag, einfach nur klick, klick, klick, klick …“

Es gibt Berichte, wie das Wahlkampfteam von Clinton 2008 unter falschen Namen – aber mit der IP-Adesse der Zentrale – Hillary in Kommentaren in Zeitungen bejubelt hat. Im Wahlkampf 2016 waren Shills und Sockenpuppen wohl an der Tagesordnung. In politischen Foren wird bereits gewitzelt, dass fast nur noch bezahlte Shills miteinander diskutieren. Neben sehr sehr vielen Vermutungen gibt es auch einige Beweise für Wahlkampf-Shills.

Nachdem Hillary Clinton in den Vorwahlen anscheinend heftig in sozialen Medien attackiert wurde, hat sie eine Agentur beauftragt, eine Gegenkampagne zu starten: „Die Barrier Breakers 2016 Digial Task Force wird eine Ressource für Unterstützer sein, die positiven Content suchen und in ihren Communities teilen wollen.“ Außerdem soll die Task Force Angriffe auf sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Reddit und Instagram abwehren.

Auf reddit haben wir einige User, die erzählen, ein Hillary-Shill gewesen zu sein. Natürlich könnten dies auch Trump-Trolle sein, die Hillary verleumden wollten. Aber lesen wir, was sie berichten. Einer erzählt:

Ich bin nun offiziell ein ehemaliger ‚digital media specialist‘ (eine freundliche Bezeichung für ‚bezahlter Internet-troll‘), der von Hillary Clintons Kampagne angestellt wurde (über eine PR-Firma) … Zuerst hat die Arbeit Spaß gemacht und war größtenteils unüberwacht. Ich habe positive Dinge über Hillary gepostet …

Ein anderer, der seinen Auftraggeber nicht nennt, berichtet:

Ich gehe an sechs Tagen die Woche in ein Büro. Da sitzen etwa 20 von uns … Ich browse die Kommentarbereiche und suche nach Nennungen unseres Politikers. Sie geben uns ein Script. Wenn ein Kommentar A sagt, sagen wir B. Wenn ein Kommentar ‚die zufällige Sache x‘ nennt, antworten wir mit vagen Gegenpositionen, wie dass wir unseren Kandidat als ‚authentisch‘ bezeichnen oder sagen ’schaut, was er bisher erreicht hat‘.

Trolle

Während Shills das tun, was ein AKP-Mitglied empfiehlt – eine positive Sprache entwickeln – sind Trolle das dunkle Gegenstück. Trolle werben nicht für das eigene Produkt, sondern schmähen die Konkurrenz; Trolle jubeln nicht nur für den eigenen Kandidat, sondern zerstören die Reputation des Gegners. Trolle erklären nicht die Politik der Partei in freundlichen Worten, sondern beschuldigen Kritiker der Politik des mangelnden Patriotismus. Und so weiter.

Trolle machen die Debatten hässlich. Ein scheinbar kommerzieller bezahlter Troll erzählt auf reddit, wie er versucht, unerwünschte Meinungen aus dem Weg zu räumen:

Wir versuchen, die Schlüsselfiguren in den sozialen Medien und ihren Einfluss zu identifizieren und sie dann zu isolieren. Wenn wir einmal die Schlüsselfiguren haben, schauen wir, wer mit ihnen schwimmt – Leute, die ihre Posts lesen, aber selbst weniger einflussreich sind. Wir starten dann entweder einen Flame War mit Bots, um die Konversation zu stören, die die Leute beeinflusst (denke an nonsenns Posts über Verschörungen und so), oder wir senden spezifische Aufgaben an Sockenpuppen (ändere das Wording einer Idee, verursache einen ideologischen Split, etc.). Das Ziel ist es, Meinungen, die wir nicht haben wollen, zu fragmentieren und zu verhindern, dass sie in einer einzigen Stimme zusammenfließen …

Auch die oben zitierten „Shills“ aus dem US-Wahlkampf wenden Troll-Taktiken an. Der bekennende Hillary-Shill erzählt, wie ihn diese Taktiken angewidert haben:

Irgendwann Mitte Juli bekam ich jedoch eine Mitteilung, dass sich unser Team nun nicht mehr auf Pro-Hillary-Foren fokusiert, sondern auf die ‚Entschärfung‘ eines Senators aus Vermont namens Bernie Sanders.

Wir haben sehr spezifische Instruktionen erhalten, wie und was wir posten sollen, und ich war fassungslos, was ich sah. Der Tonfall und Ansatz wurde komplett verändert, und es war extrem ekelhaft …

Die Clinton-Shills sollten versuchen, Bernie Sanders Reputation zu zerstören. Sanders sollte als „altes weißes männliches Relikt“ dargestellt werden,  „mit der Überzeugung, dass es Frauen genießen, vergewaltigt zu werden.“ Jeder, der dieser Charakterisierung widersprach, sollte sofort als Sexist beschimpft werden. Auch sollte Bernie als Rassist beschrieben werden, und als unwählbar. „All diese Posts, dass Sanders niemals gewinnen kann und Hillary unvermeidlich ist? Einige davon waren von uns, absichtlich geschrieben, um die Bernie Fans zu demoralisieren …“

Trolle versuchen, die Reputation ihrer Feinde zu zerstören, indem sie immer und immer wieder dieselben Gerüche, Verleumdungen und Schmähungen wiederholen. Solange, bis selbst diejenigen, die auf der Seite der Verleumdeten stehen, nicht anders können, als die Verleumdung als implizite Tatsache anzusehen.

Troll-Taktiken

Auch der bekennende Shill mit ungenanntem Auftraggeber erzählt, wie er von Shill- auf Trolltaktiken umsteigt, wenn er in einer Diskussion auf Widerstand stößt:

Wir haben sogar ein Script, was wir tun sollen, wenn der andere Kommentator die Diskussion gewinnt. Uns wurde genau erklärt, wie wir die Diskussion entgleisen lassen, mit Dreck um uns werfen und am Ende den anderen beschuldigen, ein Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Träger zu sein. Auf diese Weise konnte jeder, der die Diskussion las, erkennen, dass diese negativen Punkte mit durchgeknallten Personen verbunden sind.

Wenn Trolle diskutieren, zielen sie nicht nur auf ihren Diskussionspartner ab, sondern wollen den stillen Leser beeindrucken. Wenn ihnen die Argumente ausgehen, versuchen sie fast immer, den Gegner zu beleidigen.

Schmutzige Troll-Taktiken treten oft auf. Die Wiederholung von Beschimpfungen ist dabei eine der häufigsten. Eine Ex-Mitarbeiterin der russischen Troll-Armee erzählt im Guardian, das es ihre Aufgabe war, „die Gegner der russischen Regierung anzugreifen.“ So wird Barack Obama von den Russland-Trollen immer wieder „Affe“ genannt. Teilweise wurden auch diffamierende Fotos vom Präsidenten der Ukraine, Petro Poroshenko, montiert. Wenn es Aufstände von Farbigen in den USA gab, wurden die Trolle instruiert, zu verbreiten, dass die US Politik gescheitert sei und die „Neger“ rebellierten. Ein anderes wichtiges Thema ist die Ukraine. Die Trolle redeten immer von der „Kiewer Junta“, die Frauen und Kinder erschießen lässt.

Wie gezielt Regierungen Troll-Taktiken einsetzen, um die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren, geht auch aus den Snowden Leaks hervor. Glenn Greenwald berichtet im The Intercept, wie der britische Geheimdienst GCHQ die geheime Einheit JTRIG trainierte. Dabei beruft er sich auf Präsentationen und Papier aus den Snowden Dokumenten. Die Einheit werde darauf trainiert, die Reputation von Personen zu zerstören.

Unter den selbstgenannten Vorgehensweisen von JTRIG sind zwei Taktiken: (1) Injiziere alle Arten von falschem Material ins Internet, um die Reputation des Ziels zu zerstören, und (2) nutze Sozialwissenschaften und andere Techniken, um Online-Diskurse zu manipulieren, so dass sie das gewünschte Ergebnis haben.

Unter den Taktiken findet man „false flag operation“ – Material im Internet veröffentlichen und es fälschlicherweise jemand anderem zuzuweisen – falsche Opfer-Blog-Posts (Blogs, die vorgeben, ein Opfer von jemandem zu sein, dessen Reputation man zerstören möchte) und das posten von „negativen Informationen“ in verschiedenen Foren.

Neben solchen Taktiken der Reputationszerstörungen haben Trolle viele Strategie parat. Eine beliebte Variante ist der „Concern Troll“, der so tut, als stünde er auf deiner Seite und möchte, dass du die Bedenken diskutierst. Das Rational-Wiki beschreibt ihn wie folgt:

Eine übliche Taktik von Concern Trolls ist der ‚die Plage ist in beiden Häusern‘-Ansatz, in dem der Concern Troll versucht, die Leute zu überzeugen, dass beide Seiten einer ideologischen Spaltung ebenbürtig schlecht sind, und dass niemand sich selbst ‚korrekt‘ nennen kann, sondern in endlosen Fallen und Trugschlüssen steckt. Er appelliert an die Bereitschaft, Kritik zu diskutieren und Dissens zu erlauben; er verschwendet die Zeit von allen, ein Thema immer wieder zu diskutieren, vor und zurück, um nicht als intolerant gegen andere Meinungen dazustehen. Alles zur großen Freude des Trolls.

Was Trolle bewirken

Es wäre schön, wenn man Trolle einfach ignorieren könnte. Kann man aber nicht. Denn sie haben eine Wirkung. Bewusst oder unbewusst. Die Studie “The ‘‘Nasty Effect:’’ Online Incivility and Risk Perceptions of Emerging Technologies” untersuchte, wie „Unhöflichkeit“ die Meinung von „lurkern“ – Personen, die Diskussionen lesen, aber nicht zu ihnen beitragen – beeinflusst.

Die Forscher haben die Effekte von Trolldynamiken im Kontext der Nanotechnologie untersucht. Dies ist ein interessantes Gebiet, „denn es ist ein weitgehend unvertrautes Thema, das eine seltene Gelegenheit bietet, die Bildung und Entwicklung von Einstellungen zu beobachten. Die Mehrheit der Öffentlichkeit hat kein klares Verständnis von Nanotechnologie und neigt dazu, mentale Abkürzungen zu verwenden, um sich eine Meinung zu bilden.“

Die Teilnehmer der Studie mussten einen Blog-Beitrag über Nanosilber lesen, der die damit verbundenen Risiken und Vorteile erklärte. „Jedem Teilnehmer wurde eine von bearbeiteten Versionen gezeigt, die sich in den Kommentaren unter dem Post unterschieden.“ Es gab höfliche und unhöfliche Kommentare. „Ein unhöflicher Kommentar begann etwa so: ‚Wenn du die Vorteile der Nanotechnologie in Produkten nicht erkennst, bist du ein Idiot‘.“

Anschließend wurden die Teilnehmer nach ihrer Einstellung zu Nanosilber gefragt. Das Ergebnis war, dass „die unhöflichen Blog-Kommentare dazu beitrugen, die Risikoeinschätzung zu polarisieren … Vor allem unter den Teilnehmer, die Nanotechnologie an sich skeptisch sahen, neigten die, die unhöflichen Kommentaren ausgesetzt waren, viel stärker dazu, die Technologie als riskant anzusehen. Auch religiöse Individuen neigten stärker dazu, Nanotechnologie für riskant zu halten, wenn sie unhöflichen Kommentaren ausgesetzt waren.“

Der eigentliche Blog-Artikel war neutral gehalten. Doch vor allem den unhöflichen Kommentatoren gelang es, mithilfe des Artikels polarisierende Meinungen hervorzubringen. „Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass die Wahrnehmung von Wissenschaft in Online-Blogs nicht nur als ‚Top-down information‘ geschieht, sondern durch andere höfliche oder unhöfliche Standpunkte. Das Internet gibt auch den Laien und unhöflichen Individuen eine Stimme.“

Ein Sybil-Angriff auf die Demokratie

Trolle polarisieren also. Sie heften sich an Leute an, die online posten und verleumden sie. Sie erzeugen ein falsches Bild von Mehrheit. Sie verknüpfen unliebsame Meinungen mit schlechten Eigenschaften. Sie setzen Verschwörungstheorien, Fake-News und gefälschte Bilder in die Welt.

Die Troll-Armeen, die derzeit wohl das ganze Internet bevölkern und jede sinnvolle Debatte unterminieren, machen Demokratie im Netz unmöglich. Man kann sich nicht in Foren und Kommentarspalten eine politische Meinung bilden, da man unentwegt Manipulationsversuchen ausgesetzt ist. Keiner kann sich gegen fortlaufende Manipulation wehren. Und keiner weiß, ob man es mit Sockenpuppen-Trollen oder echten Menschen zu tun hat.

Entweder man ist mit den Trollen oder gegen sie. So oder so zwingen die Trolle Leute, sich für eine Seite zu entscheiden. Sie polarisieren und sie sprühen Gift und Hass in jede Diskussion. Sie erschweren eine Einigkeit der verschiedenen Lager in Diskussionen; sie machen Leute, die zuvor noch eine höfliche, aber eindeutige Meinung hatten, zu Glaubenskriegern. Trolle hetzen Communities auf.

Die Trolle sind die Archetypen des sogenannten „postfaktischen Zeitalters“, das gerade anbricht. Die zum Wort des Jahres 2016 ernannte Wendung richtet das Aufgenmerk auf „einen tiefgreifenden politischen Wandel“, so die Gesellschaft für deutsche Sprache. Das Kunstwort postfaktisch „verweist darauf, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten geht. Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ‚die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren.“

Anders gesagt: Selbst wenn hunderte von Falschmeldungen über vergewaltigende, mordende, plündende und polternde Flüchtlinge widerlegt werden, bleibt die Wut der besorgten Bürger, die schon zu lange von Trollen geschürt wurde. Die Wahrheit kommt nicht gegen die Emotionen an, die von Trollen geschürt werden. Ein Glaubenskrieger ist immun gegen Fakten.

Sind die Menschen verdummt? Haben sie in den USA, Großbritannien, Deutschland, Russland und der Türkei die Fähigkeit verloren hat, verständnisorientiert miteinander zu streiten? Sind plötzlich alle in einen „postfaktischen“ Zustand der besinnungslosen Wut „gegen die da oben“ geraten, die sie verleitet, Autokraten zu wählen und gegen „die da unten“ zu treten? Gegen die Flüchtlinge, die Sozialhilfe-Empfänger, die Kurden, die Mexikaner?

Wahrscheinlich sind die Menschen die gleichen geblieben. Was sich verändert hat, ist die Diskussion. Die Troll-Generäle haben gelernt, die Staaten haben ihre Troll-Armeen aufgestockt, die Jahre des Sybil-Angriffs auf die Diskussion und die Demokratie zeigen ihre Wirkung. Die Debatten sind vergiftet. Die Toleranz wurde abgebaut, die Lager polarisiert. All dies spielt den Autokraten in die Hände. Den Erdogans, Putins, vielleicht den Trumps, vielleicht den besorgten, fremdenfeindlichen Bürgern aus Sachsen und den Rehe oder Polizisten jagenden Reichsbürgern aus Bayern.

Es ist keine Verschwörungstheorie, dass ein solcher Sybil-Angriff  der professionellen Trolle stattfindet. Es ist ein Fakt. Sollte die Menschheit nicht lernen, damit umzugehen, kann dieser Angriff die Demokratie zerstören.

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