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Die „Kryptowährung“ Cardano verschwitzt wieder eine Deadline und läuft weiterhin auf drei Servern

Die Schildkröte Shelley. Zufälligerweise eine gute Bebilderung für das Shelley-Upgrade von Cardano. Bild von Richard Gillin via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Cardano verschiebt das Shelley-Update erneut. Die Kryptowährung läuft daher weiter auf den Servern von zwei Firmen und einer Stiftung – was aber nichts ausmacht, da sie sowieso keiner benutzt. Den Gründer Charles Hoskinson hindert das nicht daran, weiter mit den größten und allergrößten Versprechungen um sich zu werfen.

Im Reich der Kryptowährungen stößt man gelegentlich auf Projekte, die immer extrem revolutionär, aber niemals ganz vollendet sind. Das ist bei Startups normal. Der Unterschied ist jedoch, dass Startups auf diesem Weg das Geld von professionellen Investoren verbrennen, während Krypto-Projekte sich am Geld von Privatanlegern laben. Eines dieser Projekte ist Cardano (ADA). Da dieser Coin immer wieder kleinere und größere Nachrichten macht, schauen wir uns heute seine Geschichte und Gegenwart an.

Cardano entstand aus einer ICO, die zwischen 2015 und 2017 stattfand, und ist bis heute noch nicht vollständig fertig gebaut, da er noch immer nicht den Sprung zur Dezentralität geschafft hat.  Es gibt immer wieder Deadlines, wann es soweit ist, aber diese verschieben sich fortlaufend. Während die meisten Anleger in Cardano massiv Verluste gemacht haben, wurde der Gründer Charles Hoskinson durch ihn zu einer der reichsten und prominentesten Personen im Krypto-Universum.

Aber beginnen wir am Anfang.

Die Lösung des Proof of Stake Problems

Cardano beruht auf der wissenschaftlichen Arbeit von Charles Hoskinson und anderen. Der knapp über 30-jährige Amerikaner hat Ethereum mitgegründet, sich dann aber mit Vitalik Buterin und den anderen über der Frage zerkracht, wie die künftige Entwicklung zu koordinieren sei. Etwas später hat er mit seiner Firma IOHK Ethereum Classic unterstützt, das sich von Ethereum in Folge des DAO-Hacks abgespalten hatte, sich bald aber auf sein eigenes Projekt konzentriert: Cardano.

Das Twitter-Profil von Cardano-Gründer Charles Hoskinson

Cardano ist eine Proof-of-Stake-Kryptowährung, die das Ourobous-Protokoll verwendet. Dieses Protokoll wurde Mitte 2016 in einem Paper formuliert. Es sei, so die Webseite von Cardano, „das erste Proof of Stake Protokoll, das mathematisch bewiesen habe, sicher zu sein.“

Proof of Stake ist ein alternatives Konsens-Verfahren. Während bei Bitcoin die Miner Strom verbrennen, um die Blockchain zu sichern, hinterlegen bei Proof-of-Stake die „Staker“ einfach ihre Coins. Anstatt der Hashrate entscheidet die Anzahl von hinterlegten Coins über die Chance, einen Block zu finden. Dieses Verfahren ist offensichtlich weniger ressourcenhungrig und vermutlich auch weniger klimaschädlich.

Auch wenn es schon lange Kryptowährungen gibt, die Proof-of-Stake verwenden, etwa Peercoin, Whitecoin, Blackcoin oder Gridcoin, galt die Methode niemals als vollständig sicher. Es gibt mehrere Probleme, etwa das Nothing-at-Stake-Problem oder das Fehlen echter Entropie. Es wäre zuviel, diese Probleme hier im Detail zu erklären. In ihnen geht es darum, falsche Anreize und Forks zu verhindern, unter denen die Sicherheit der Blockchain zerbröselt. Vitalik Buterin hat in einem Tweetstorm vor einiger Zeit erläutert, wie die Ethereum-Entwickler auf der Suche nach ihrem perfekten Proof-of-Stake-System versuchen, diese Probleme zu lösen, ohne, wie die „klassischen“ PoS-Coins wie Peercoin zentralisierte Checkpoints zu verwenden, die notfalls nach einem Angriff auch manuell eingesetzt werden.

Mit Ourobous behaupten die Entwickler nun, ein mathematisch sicheres Proof-of-Stake-Protokoll geschrieben zu haben. Das Paper dazu ging durch mehrere Peer-Reviews und scheint den hohen Versprechungen gerecht zu werden.

Verluste pur für spätere Investoren

Soweit so gut. Danach geschah aber etwas, was relativ typisch für die Krypto-Welt ist. Charles Hoskinson nahm dieses ideale Protokoll und stellte einige Entwickler ein, um „die am präzisten konstruierte Kryptowährung“ zu bilden (so die Webseite).

Diese Kryptowährung, Cardano genannt, sollte nicht nur das perfekte Protokoll benutzen, sondern auch die erste sein, die in der Programmiersprache Haskell geschrieben ist, einer Sprache mit einer stark akademischen Herkunft. Darüber hinaus trennt Cardano die Blockchain in zwei Schichten, eine für das Settlement der Werte, die andere für die Ausführung von Smart Contracts, was verspricht, alle Skalierungsprobleme zu lösen und auch noch Privatheit sowie Identitifizierung perfekt zu verbinden. Man könnte sagen, Cardano sei eine „Elfenbeintum-Blockchain“: Eine Blockchain, die auf dem Papier perfekt ist, in der Praxis aber oft daran scheitert, den Markt zu gewinnen.

Hoskinson finanzierte Cardano durch eine ICO, die zwischen 2015 und 2017 stattfand.  In dieser wurden Gutscheine für die ADA-Token auf der Cardano-Blockchain verkauft, wohl zu einem Preis von etwa 0,0024 Dollar. Dabei nahm Hoskinsons Unternehmen IOHK mehr als 100.000 Bitcoin ein, was zu dieser Zeit freilich deutlich weniger wert war als heute. Gut 8.000 Bitcoin überwies er an die für die neu gegründete Cardano-Foundation. Als Cardano dann Ende 2017 live ging, generierte das Team noch einmal 20 Prozent der als Gutscheine verteilten ADA-Token, die auf Hoskinsons Firma, die Cardano-Foundation und die Firma Emurgo verteilt wurden.

Im November 2017 waren die Token für 2 Cent zu kaufen, was für die Teilnehmer an der ICO schon mal ein guter Gewinn bedeutete. In kürzester Zeit explodierten jedoch die Preise. Von zwei auf zehn Cent Anfang Dezember, dann von 10 auf 40 Cent bis Ende Dezember, auf 66 Cent am 1. Januar, und von dort aus am 8. Januar auf mehr als einen Euro. Boom. Wer zum richtigen Zeitpunkt investiert hatte, konnte sein Investoment innerhalb von zwei Monaten um das Fünfzigfache steigern. Danach ging es aber abwärts. Zurück auf 60 Cent. Auf weniger als 30 Cent. Im September 2018 war der Kurs schon wieder unter 10 Cent, seit 2019 ist er fast immer unter 5 Cent. Heute ist ein Cardano-Token (ADA) 2,7 Cent wert, was von der Spitze aus einen Wertverlust von mehr als 97 Prozent bedeutet.

Oder, um es anders zu sagen: Jeder, der seit Dezember 2017 in Cardano investiert hat, egal zu welchem Zeitpunkt, hat Verluste gemacht. Es gibt wirklich wenig Kryptowährungen, die so schlecht abgeschnitten haben.

Gleichzeitig posiert Charles Hoskinson auf Twitter und anderen sozialen Medien mit seinen vielen Reisen und Vergnügungen. Mal ist er auf einer Party in einem Bunker, dann raucht er mit Freunden Zigarren, ist in Lissabon, New York, Südkorea, auf der Skipiste und am Strand, und so weiter. Die miese Performance der ADA-Token sowie die Selbstinszenierung von Charles Hoskinson als Krypto-Beta-Promi wirkt auf manche Beobachter so absurd, dass sie „eine Studie über die Korrelation zwischen Mr. Charles Hoskinsons Reisen, Speisen, Vergnügungen und dem Cardano ADA Preis“ schrieben.

Aber lasst uns die Währung nicht auf den Preis oder die Person Charles Hoskinson reduzieren. Was ist bei Cardano seitdem geschehen?

Die Drei-Server-Geisterchain

Schauen wir uns zunächst an, wie sehr Cardano genutzt wird. Ein Blick auf den Blockexplorer zeigt eine Geisterchain. Die allermeisten Blöcke haben genau null Transaktionen. Nach gut zwei Jahren Cardano gibt es keinerlei nennenswerte wirtschaftliche Aktivität.

Laut der Webseite von Cardano handelt es sich um eine „dezentralisierte öffentliche Blockchain“ – eine Beschreibung, die ob der Umstände sehr zweifelhaft ist. Dies zeigt sich spätestens in einem Blog, das Charles Hoskinson am 28. Dezember 2017 veröffentlichte. Darin erklärt er – neben einer weitschweifigen Feier des tollen Fortschritts von Cardano – wo die Kryptowährung derzeit steht und wo es hingeht: „Wir haben Byron (die September-Veröffentlichung von Cardano) als ein minimales arbeitsfähiges Produkt gebildet, um die Konzepte zu testen, auf denen Cardano aufbaut.“ Das Experiment sei ein „ungeheurer Erfolg“ gewesen. Am aufregendsten sei aber, „dass Cardano im Jahr 2018 beginnen wird, sich für die Welt zu öffnen. Delegierung und Staking werden währen des ersten und zweiten Quartals ausgerollt.“ Und genau das ist der entscheidende Punkt.

Im Stadium von Byron ist Cardano keine echte Proof-of-Stake-Kryptowährung. Man könnte sogar bezweifeln, ob der Begriff Kryptowährung angebracht ist. Denn die „Delegierung ist“, erklärt Hoskinson in einem späteren Post, „an die Core-Knoten unter der Kontrolle von IOHK, Emurgo und der Cardano Foundation gebunden, und Block-Belohnungen sind abgeschalten.“ Mit anderen Worten: Nur die drei Parteien hinter Cardano sind in der Lage, Blöcke zu bilden.

Cardano ist eine zentralisierte Blockchain mit privat ausgehandeltem Konsens, die von niemandem benutzt wird. Das ist der Ist-Zustand.

Wann kommt endlich Shelley?

Aber dieser Zustand ist nur vorübergehend. Es war von Anfang an klar, dass er sich bald ändern würde. Hoskinson hatte ja schon angekündigt, dass Cardano in den ersten beiden Quartalen 2018 dezentral werden würde. Das Update, dass dies einleiten soll, wird Shelley genannt.

Das erste Quartal 2018 verstrich. Hoskinson kündigte ein Forschungsprogramm an, um Cardano quantensicher zu machen, und redete vor der London School of Economics darüber, wie Cardano die Welt in Afrika durch eine dezentrale, sichere Blockchain verbessern werde. Es gäbe ein endloses Potential, versichert ein „African Operation Manager“ von Cardano auf dem Blog. Am 9. April schließlich informierte Hoskinson über das Shelley-Update. Die Entwickler seien phantastisch, man sei auf einem sehr guten Weg. Ein konkretes Datum nannte er aber nicht. Im Herbst kündigte Hoskinson schließlich an, das Shelley im ersten Quartal 2019 erscheinen würde.

Doch auch das erste Quartal 2019 verstrich. Anstatt der Live-Version stellte Cardano im April 2019 die „formale Spezifizierung“ von Shelley vor. Es dauerte dann noch bis September, bis Shelley endlich aktiviert wurde – in einem Testnet. Hoskinson sagte siegessicher, dass Cardano dank der wissenschaftlichen Methodik die meisten, wenn nicht sogar alle Kryptowährungen auf dem Markt überholen werde. Ab dem ersten Quartal 2020 würde Shelley im Live-Netzwerk aufschlagen.

Nun neigt sich auch das erste Quartal 2020 dem Ende zu – und Shelley ist noch immer nicht aktiviert, nach nunmehr zwei Jahren Verspätung. Cardano läuft weiterhin auf den drei Servern von IOHK, Emurgo und der Foundation. Immerhin gibt es ein „Testnet mit Anreizen„, in dem Teilnehmer echte ADA staken können – freilich ohne dass sie dabei am Konsens-Prozess für Cardano teilnehmen. Hoskinson sagte, es gäbe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Shelley in den nächsten zwei Monaten soweit sei, aber er wolle diesmal keine Deadlines mehr nennen. Dafür verspricht er, dass Cardano „die dezentralste Kryptowährung“ überhaupt werden wird, und dass die 2020er Jahre das Zeitalter von Cardano werden, das zur vorherrschenden Kraft der Kryptowährungen wird.

In einem Video ärgerte er sich zudem über die Kritik von Investoren und der Community. Cardano sei ein wissenschaftliches Projekt, und das brauche eben Zeit. Neben all den anderen Herausforderungen, die Shelley mit sich bringe, müssten die Entwickler auch die Programmiersprache Haskell optimieren, um Bibliotheken zu überarbeiten und Kompatibilitätsprobleme zu lösen.

Gar nicht so untypisch …

Es gibt einige frappierende strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Cardano und IOTA: Beide Projekte versprechen alles, leisten bisher aber noch sehr wenig. Beide Projekte sind weiterhin enorm zentralisiert und versemmeln seit Jahren alle Deadlines, die sie für die Dezentralisierung gesetzt haben.

Dazu kommen noch einige Details, etwa dass beide auch an Nebenbaustellen wie der Sicherheit gegen Quantencomputer arbeiten oder sich aus unklaren Gründen für eine exotische Infrastruktur entschieden haben – bei Cardano die Sprache Haskell, bei IOTA das ternäre Design – und nun überraschenderweise mit den Folgen dieser Entscheidung kämpfen müssen. Schließlich sind beide Projekte für Investoren seit mehr als zwei Jahren ein Quell der Enttäuschungen und Verluste.

IOTA und Cardano markieren gewissermaßen die Spitze eines unschönen Trends: Man kündigt ein revolutionäres Design an, veröffentlicht einen „minimal arbeitsfähigen Prototypen“, holt ICO-Gelder ein, verspricht, alles andere nachzuholen, versäumt eine Deadline nach der anderen, aber lenkt davon mit neuen Projekten, Nebenbaustellen und Partnerschaften ab. Bei IOTA und Cardano ist dies besonders eklatant, weil die beiden Projekte sich selbst von Anfang an über alle Maßen hinaus als die Neuerfindung von Kryptowährungen feiern, aber bequemerweise bisher darauf verzichten, die absolute Kerneigenschaft von Kryptowährungen – die Dezentralität – umzusetzen.

Aber das Phänomen ist, in milderer Form, nicht so selten. Bei ICOs ist das Versprechen ohne Produkt schon geradezu eine Voraussetzung, und selbst Ethereum baut darauf, dass es den Entwicklern gelingt, mit Ethereum 2.0 die Blockchain neu zu erfinden. Aber immerhin hat Ethereum ein arbeitsfähiges und dezentrales Netzwerk, auch wenn dieses nicht das leisten, was Ethereum eigentlich zu leisten verspricht.

Für Anleger und Investoren, wie auch für Unternehmen, die Blockchains benutzen wollen, kann daraus nur eines folgen: Schaut euch ganz genau an, auf was ihr euch einlasst.

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