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Süddeutsche Zeitung: Bitcoin is klinisch tot – Community soll aufhören, sich selbst zu betrügen

Kleiner Engel auf Friedhof. Bild von gspx.de via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Wenn man fragt, wann der Bärenmarkt endlich seinen Boden erreicht, findet man im Tonfall der üblichen Bitcoin-Todeserklärungen der Presse gute Hinweise. Ein besonders aggressives Beispiel hat nun die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht. 

Oh, diese Mainstreampresse. Ich bin absolut kein Fan von der modischen Journalistenkritik, die viel zu oft daher kommt, dass Menschen das, was die Presse schreibt, nicht hören wollen. Im Gegenteil: Ich habe den allerhöchsten Respekt vor den Kollegen, die Tag für Tag eine extrem große Leistung bringen, und das bei einer vergleichsweise geringen Bezahlung, während sie immer öfter von ihrem Publikum angefeindet werden. Wer außer ihnen ist in der Lage, den Mächtigen auf die Finger zu schauen? Neunmalkluge Blogger wie ich ganz bestimmt nicht.

Aber manchmal kommt man nicht darum herum. Ich habe mich schon geärgert, dass die großen Medien vor einem Jahr, als Bitcoin mehr als 10.000 Euro wert war, überschwängliche Artikel geschrieben haben, obwohl die Blase bereits sichtbar war. Ein Jahr später ist der Preis bei knapp 3.500 Euro, und die Medien übertrumpfen sich beim Schwarzmalen – obwohl es seit einem Jahr keinen besseren Zeitpunkt gegeben hat, um in Bitcoin einzusteigen. Zumindest wenn man nach dem Preis geht ist das eine objektiv messbare Tatsache.

Die Süddeutschen Zeitung meistert die Kunst der Todeserklärung nun mit einem stilistisch bemerkenswert aggressiv-polemischen Stück. Unter dem schlagenden Titel „Bitcoin ist klinisch tot“ wirft der Autor der Bitcoin-Szene vor, einem „kollektiven Selbstbetrug“ zum Opfer gefallen zu sein und fordert sie auf, „anzuerkennen, dass ihr Projekt wohl keine große Zukunft mehr hat.“

Nachdem Bitcoin von 20.000 Dollar auf kaum mehr als 4.000 Dollar gefallen ist, finde die Bitcoin-Szene immer andere „faule Ausreden“ für das „Siechtum“ ihrer Lieblingswährung. Der Autor zeigt an fünf Beispielen auf, wie wir Bitcoiner uns in die eigene Tasche lügen:

(1) Bitcoin ist ein schlechtes Zahlungsmittel

„Ihren Aufschlag machten die Bitcoinjünger mit keinem geringeren Versprechen, als Dollar, Euro und Yen als internationales Zahlungsmittel zu ersetzen,“ so der Artikel,  „Egal ob Auto, Kaffee oder Büroregal, alles sollte man weltweit mit Bitcoin bezahlen können. Bald jedoch fand die Öffentlichkeit heraus, wie schleichend lahm das Netzwerk ist … Im besten Fall kann man es tragisch nennen, wie weit Anspruch und Realität auseinanderklaffen.“

(2) Bitcoin ist nicht sicher

Und weiter: „Kaum war der erste Zweck enttarnt, servierte die Kryptogemeinde die nächste Geschichte,“ so die Süddeutsche. Diese Geschichte sei nun, dass Überweisungen im System sicher sind, was der Autor „grob irreführend“ nennt. Denn „wider besseres Wissen“ würden die „Experten“ – er setzt dieses Wort in Gänsefüßchen – verschweigen, dass es Hackern immer wieder gelingt, Börsen und andere Dienstleister auszuräumen. Immerhin erkennt er an, dass das System Bitcoin an sich sehr wohl sicher ist.

(3) Kein stabiler Wert

Nachdem die Hacks das Vertrauen untergraben hatten, so der Artikel, „hatten Bitcoinjünger schon die nächste schöne Erzählung parat.“ Bitcoin sei ein digitales, wertstabiles Gold. Diese Story zu kritisieren ist bei den derzeitigen Preisen natürlich ein Heimspiel.

(4) Ideologisch gescheitert

Auch die „ideologischen Hoffnungen der Bitcoinenthusiasten“ seien „zerschellt“. Eigentlich sollte „kein Staat, keine Zentralbank, keine Bank, kein Kreditkartenunternehmen“ das Sagen haben. Der „Sound der Anhänger“ versprach „Anarchie, Gleichheit und Gerechtigkeit“. Dieses Ziel sei gescheitert, weil die Vermögensverteilung bei Bitcoin sehr ungleich ist. „97 Prozent aller Bitcoin-Einheiten befinden sich in den Händen von nur vier Prozent der Nutzer.“

(5) Kein ETF

„Als letzten Strohhalm klammern“ sich die Bitcoiner nun an die Finanzaufsicht der USA, indem sie darauf hoffen, dass ein Bitcoin-ETF an die Börse geht. Doch dies sei, so der Autor, unwahrscheinlich.

Was soll man dazu sagen …

Ehrlich gesagt irritiert mich der Artikel. Die Sprache ist unglaublich polemisch. Wir sind die „Bitcoin-Jünger“, die sich „Heilsversprechen“ hingeben, „kollektiven Selbstbetrug“ begehen oder sich mit „faulen Ausreden belügen“. Nach jedem „enttarnten“ Versprechen „serviert“ die Szene die nächste „Geschichte.“ Und so weiter. Kaum ein Satz, der nicht mit einer verächtlich-polemischen Rhetorik brilliert.

Aber hat der Artikel in der Sache recht? Schauen wir uns mal die fünf Punkte an.

(1) Bitcoin als Zahlungsmittel

Es stimmt: Die Qualität von Bitcoin als Zahlungsmittel hat gelitten, als die Kapazität Ende letztes Jahr an ein Limit gestoßen ist, und es stimmt auch, dass 7 Transaktionen je Sekunde nicht für ein Zahlungsmittel für die ganze Welt reichen. Wenn man allerdings „Bitcoin“ nicht als singuläre Währung, sondern als ein Ökosystem von Kryptowährungen betrachtet, zeigt sich, dass es weiterhin eine enorme Überkapazität für Transaktionen gibt. Allein die beiden Bitcoin-Forks Bitcoin SV und Bitcoin ABC haben eine freie Kapazität von mehreren hundert Transaktionen je Sekunde.

Auch bei Bitcoin sieht die Lage nicht so verheerend aus wie es die Süddeutsche darstellt. Die Anzahl der täglichen Transaktionen steigt seit April wieder konstant an und hat mittlerweile stabile 270.000 erreicht. Das Bitcoin-Netzwerk prozessiert dabei Schätzungen zufolge jeden Tag Coins im Wert von einer Milliarde Dollar. Bei einer durchschnittlichen Blockgröße von etwa 1,1 Megabyte dürfte es hier noch ein wenig Spielraum nach oben geben. Klinisch tot sieht anders aus.

Auch der Vorwurf, Bitcoin sei „schleichend lahm“ ist ungerechtfertigt. Für sehr viele Anwendungen kann man mit unbestätigten Transaktionen arbeiten. Ich akzeptiere sie beispielsweise für Zahlungen für mein Buch, wodurch eine Zahlung in weniger als einer Sekunde stattfindet. Auch EC- und Kreditkarten-Transaktionen sind im Prinzip „unbestätigt“.

Schließlich macht das Lightning Netzwerk rapide Fortschritte. Auch wenn es noch relativ weit davon entfernt ist, als ein Zahlungsmittel für jedermann dienen zu können, zeigt es doch eine Option, um Bitcoin weit genug zu skalieren, damit die ganze Welt die Kryptowährung benutzen kann.

(2) Bitcoin ist sicher

Der Autor erkennt an, dass das System Bitcoin an sich sicher ist. Zu sagen, dies sei „grob irreführend“, weil Börsen gehackt werden, ist … grob irreführend. Man sagt ja auch nicht, dass das Bankwesen unsicher ist, weil Taschendiebe einem die EC-Karte oder die Geldscheine stehlen können. Bitcoin ist die sicherste Methode, um finanzielle Transaktionen auszuführen, und es gibt zahlreiche Möglichkeiten für User und Firmen, von dieser Sicherheit zu profitieren.

(3) Bitcoin als Wertspeicher

Ja, die Bitcoin-Kurse steigen und explodieren und purzeln und fallen. Ohne Zweifel. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es gar nicht anders möglich, eine mengenmäßig begrenzte, freie Währung zu gründen, ohne dass dies passiert. Irgendeiner muss eben anfangen. Langfristig kann sich der Kurs jedoch ebenso stabilisieren wie der von herkömmlichen Währungen – wenn Bitcoin nur genügend benutzt wird.

Im Vergleich mit herkömmlichen Währungen schneidet Bitcoin dabei aber nicht nur schlecht ab. Denn deren Wert kennt in der Regel nur eine Richtung – abwärts. Mal langsamer, wie beim Euro, mal schneller, wie beim venezuelanischen Bolivar oder der türkischen Lira. Und wenn man sich den Bitcoin-Preis im Zwei-Jahres-Verlauf anschaut, ist Bitcoin ein deutlich besserer Wertspeicher als der Euro. Dies macht den Vorwurf ein wenig seltsam.

(4) Bitcoin als Ideologie

Bitcoin ist ein dezentrales System. Wie gewünscht hat keine Zentralbank, keine Regierung und kein Unternehmen die Macht. Dies ist ein Fakt, ebenso wie dass Bitcoin den Usern eine finanzielle Autonomie bringt, die bei herkömmlichen Zahlungsmitteln nicht im Ansatz erreicht wird.

Die Süddeutsche Zeitung konstruiert in die Bitcoin-Ideologie jedoch das Element von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ hinein, so als sei Bitcoin ein sozialistisches Experiment. Das ist es nicht. Bitcoin ist eher liberal bis libertär, und wer schon einmal eine halbe Minute mit einem Liberalen geredet hat, weiß, dass diese das Konzept der Gleichheit verabscheuen. Nur wenn man Gleichheit verlangt, ist Bitcoin ideologisch gescheitert. Ansonsten liefert Bitcoin hier genau das, was es soll: Es ist ein dezentrales Geld, das seinen Usern die maximale Autonomie gewährt.

(5) Die traditionellen Finanzmärkte

Ich würde vehement widersprechen, dass der Eingang in traditionelle Finanzinstrumente wie ein ETF der „letzte Strohhalm ist“, an den sich die Bitcoin-Szene klammert. Als „Bitcoin-Jünger“ würde ich sogar sagen, dass es andersherum ist – dass ein Bitcoin-ETF der letzte Strohhalm der traditionellen Finanzszene ist. Aber selbst wenn – erst vor kurzem ging in der Schweiz ein weiteres traditionell aufgebautes Finanzprodukt an den Start, und die Börse von New York hat angekündigt, bald Futures auf den Bitcoin-Preis einzuführen. Gescheitert sieht anders aus.

Insgesamt sind die in dem Artikel dargestellten Punkte also sachlich relativ dünn und längst nicht so eindeutig, wie der Autor es formuliert. Argumente, um mit dem „kollektiven Selbstbetrug“ aufzuhören, werden die „Bitcoin-Jünger“ in ihnen vermutlich eher nicht finden.

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