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Facebooks Zuckerbucks: Es hätte schlimmer kommen können

Screenshot der Libra-Webseite

Ein bißchen etwas von Bitcoin, Ethereum, Ripple und IOTA: Facebook veröffentlicht die Details zur Libra-Blockchain. Wir schauen uns das Whitepaper des „Zuckerbucks“ an: Wie funktioniert die Mega-Initiative technisch? Und wie soll man es einschätzen?

Was für eine Allianz. Facebook hat es geschafft, einige Schlüssel-Firmen in der Libra-Assoziation zusammenzubringen, um eine Blockchain zu starten: Mastercard, PayPal, Visa und Stripe; Ebay, Uber, Lyft, Spotify und Mercado; Vodafone, Coinbase und Xapo; sowie prominente Investorengruppen wie Andresen Horowitz und Non-Profit-Organisationen wie Women’s World Banking.

Klingt beeindruckend. Ab Mitte 2020 soll Libra an den Start gehen. Der Stablecoin, der durch mehrere Währungen der Welt sowie „risikoarme“ Anlagepapiere – vielleicht Staatsanleihen oder Indizes – gedeckt ist, soll über die Kommunikationskanäle von Facebook, den Messanger und Whatsapp, überweisbar sein, auf PayPal, Visa und MasterCard übertragbar, bei Coinbase gehandelt, bei Xapo gespeichert werden und bei Ebay, Uber und Spotify akzeptiert. Klingt nach einem ziemlich erfolgsversprechenden Konzept.

Die Frage für uns ist aber: Wie funktioniert es technisch? Ist Libra dezentral – oder ein zentralistischer Alptraum aus dem Schoß der digitalen Überwachungsindustrie? Heute hat Libra sein Whitepaper veröffentlicht. Die Dokumentation ist ausführlich und gut, der Code von Libra ist Open Source. Das Projekt ist erstaunlich transparent.

Die Libra-Blockchain

Facebook benutzt nicht irgendeine bekannte Blockchain, auch kein Produkt der Hyperledger-Familie, sondern schafft seine eigene Blockchain: Libra. Diese wird nicht Facebook gehören, auch wenn das soziale Netzwerk für den Anfang seinen Einfluss nutzen wird, um Libra großzuziehen. Der Konzern möchte schnellstmöglich Verantwortung an die Assoziation abgeben, zu der für den Anfang 100 Mitglieder gehören. Diese Mitglieder werden Validatoren-Nodes betreiben, durch die Gebühren von 10 Millionen Dollar je Mitglied möchte die Libra-Stiftung eine Milliarde Dollar einnehmen, durch die die Libra-Coins gedeckt sein sollen. Facebook möchte über sein Startup Calibre lediglich einer der 100 Validatoren sein; die Firma will Libra nicht herausgeben, sondern nutzen, um auf seinen Plattformen Geld zu versenden. Wenn Libra dezentral ist, macht dies die Dinge für Facebook wesentlich einfacher.

Bei Libra handelt es sich zunächst um eine Blockchain im halbwegs klassischen Sinn: Eine Read-only Datenbank, an die bestimmte Knoten im Rahmen eines Auswahl- und Konsensverfahren in Blöcke gebündelte Transaktionen anhängen. In der grundsätzlichen Architektur ist Libra eine Mischung aus Ethereum und Ripple mit einem Schuss EOS, Steem und IOTA. Das Team von Facebook hat den Markt der Blockchains offenbar genau beobachtet und sich für seine Blockchain einige der technisch besten Ideen herausgepickt.

Das Ziel war es, eine Blockchain zu bilden, „die auf Milliarden von Accounts skaliert, was einen hohen Transaktions-Durchsatz, geringe Latenz und ein effizienten Speichersystem für eine hohe Kapazität verlangt.“ Zudem soll die Blockchain flexibel sein, da sie nicht nur „das Libra-Ökosystem steuern, sondern auch zur Basis künftiger Innovationen im Finanzbereich werden soll.“

Ein bißchen wie Ethereum …

Um also innovativ zu bleiben, hat Libra seine eigene Programmiersprache: Move. Diese soll, wie Solidity bei Ethereum, spezifische Transaktionslogiken und Smart Contracts implementieren. Move erlaubt beispielsweise, digitale Assets zu bilden, die nur einen einzelnen Besitzer haben und nur einmal ausgegeben werden können. Auch das kennen wir, etwa von den fungiblen und nicht-fungiblen Token auf Ethereum. Im Kontext von Facebook könnte dies aber eine interessante Dynamik entfachen, etwa wenn User ihren Content tokenisieren und einen Markt für wertvollen Content oder digitale Kunswerke aufbauen.

Auch die Transaktionsgebühren funktionieren ähnlich wie bei Ethereum: Eine Transaktion verbraucht eine gewisse Menge Gas, und die User bzw. die Wallets geben den maximalen Preis je Einheit Gas, berechnet in Libra, an, den sie bezahlen wollen. Die Validatoren – in diesem Kontext Miner – können Transaktionen mit mehr Gas bevorzugen, wenn es zu einer Transaktionsflut kommt. Auch das ist nicht neu.

Anders als bei Ethereum können Transaktionen Ereignisse auf der Blockchain nicht lesen, sondern nur hervorbringen. Daher sind die Transaktionen nur Funktionen des aktuellen Zustands der Blockchain und nicht von historischen Zuständen. Das ist bemerkenswert. Libra hält sich damit wohl die Option offen, alte Transaktionsdaten zu prunen bzw. es Full Nodes zu ermöglichen, Transaktionen auch dann zu verifizieren, wenn sie nicht die volle Historie haben. Damit haben die Entwickler von Facebook offenbar aus den Problemen von Ethereum gelöst, wo man, um manche Arten von Smart Contracts nachzuvollziehen, eine Full Archival Node braucht, die sämtliche historischen Zustände speichert und mittlerweile zwischen 1 und 2 Terabyte groß ist.

Wie bei anderen Blockchains wird die Integrität der Daten durch Merkle-Trees geschützt. Anders als die meisten anderen Chains besteht die Blockchain jedoch nicht aus einer „Anhäufung von Blöcken aus Transaktionen“, sondern ist „eine einzelne Datenstruktur, die die Geschichte von Transaktionen und Zuständen über die Zeit hinweg aufzeichnet.“ Damit hätten wir einen Anklang an IOTA, das ebenfalls kein Blockformat in der Geschichte kennt. Anders als IOTA benutzt Libra jedoch Blöcke, um einen Konsens der Validatoren zu erreichen. Das Libra-Whitepaper nennt die Blockchain oft eine Datenbank; eventuell deutet das darauf hin, dass die Libra-Chain besser durchsuchbar sein wird als andere Blockchains.

… aber auch wie Ripple oder EOS

Was bei Bitcoin und Ethereum die Miner sind, sind bei Libra die „Validatoren“, so wie bei Ripple. Diese führen die Datenbank bzw. Blockchain. „Die Libra Blockchain wird dezentral sein, bestehend aus einer Gruppe von Validatoren, die zusammenarbeiten, um Transaktionen zu verarbeiten und den State zu bewahren.“ Die Validatoren sind, wie bereits erwähnt, Mitglieder in der Libra Association. „Sie werden nach objektiven Kriterien ausgewählt, darunter, ob sie ein wirtschaftliches Interesse daran haben, das Libra-Ökosystem aufblühen zu sehen, und Ressourcen dafür investieren können.“ Im Lauf der Zeit soll die Mitgliedschaft vollständig erlaubnisfrei und offen werden; „abhängig nur vom Libra-Besitz des Mitglieds.“ Es wird also eine Art Proof-of-Stake, bei dem man eine Mindesmenge an Coins in Reserve halten muss. Bis dahin können aber nur geladene Gäste an der Party teilhaben.

Validatoren können als Anführer gewählt werden, ich vermute, das rotiert ständig, und dann Transaktionen vorschlagen, die von den Clients, also den Usern, eingereicht wurden. Der konkrete Konsens-Algorithmus ist HotStuff. Es gibt ein Whitepaper, laut dem HotStuff „das erste teilweise synchrone BFT-Protokoll“ und „um ein neues Framework herum gebaut“ ist. Die Kernannehme ist, dass mehr als ein Drittel der Validatoren ehrlich ist. Gewählt wird durch mehrere Runden, in denen die Validatoren signierte Meinungen über eine Transaktion bzw. einen Block abgeben. Dies erinnert an die Pläne von IOTA, ein Wahlverfahren für den Konsens zu benutzen, aber auch daran, wie Steem oder EOS einen Konsens herstellen. Ein solches Wahlprotokoll scheint mittlerweile der Standard zu sein, wenn man eine hochskalierbare, kontrolliert erlaubnisfreie und miningfreie Blockchain möchte.

… und sogar wie Bitcoin

Die Clients der User sind zunächst so ähnlich wie SPV-Wallets bei Bitcoin: Sie können Daten bei den Validatoren abfragen, die durch „eine signierte Authentifizierung der letzten Version der Datenbank, die dem Validator bekannt ist,“ validiert werden. Die SPV-User brauchen also keine komplette Blockchain, sondern bekommen die Daten und einen Beweis ihrer Korrektheit. Der User oder Client kann aber auch „ein Replikat der gesamten Datenbank bilden, indem er die Transaktionshistorie von einem Validator synchronisiert.“ Dabei kann er verifizieren, ob die Validatoren die Transaktionen korrekt ausgeführt haben, „was die Transparenz und Gültigkeit im System erhöht.“ Die User können also das haben, was man bei Bitcoin einen Full Node nennt. Es kann auch „economic Full Nodes“ geben, etwa Börsen, die die Facebook-Coins zum Handel anbieten. Für sie wäre es dasselbe, wie bei Bitcoin. Wenn man die Dezentralität nur an den Full Nodes misst, ist Libra nicht unbedingt weniger dezentral als Bitcoin.

Mit ihrem Design erhoffen sich die Entwickler, zum Start von Libra einen Durchsatz von 1.000 Transaktionen je Sekunde zu erreichen. Finalisiert sollen die Transaktionen nach 10 Sekunden sein. Die Entwickler nehmen an, dass sich die Kapazität im Lauf der Zeit erhöhen wird und dass viele Transaktionen in Zukunft innerhalb von Wallets oder Payment Channels stattfinden. Daher glauben sie, „dass 1.000 Transkationen je Sekunde auf der Blockchain den initialen Bedürfnissen des Ökosystems Genüge tun.“ Die Bandbreite und CPU-Leistung dafür sei da, der Bedarf an Festplattenspeicher ebenfalls, da man Libra prunen kann und der Zustand bei vier Milliarden Accounts auf eine 16 Terabyte-SSD-Fetsplatte passt.

Angenehm überrascht

Zuerst einmal bin ich positiv überrascht. Facebooks Libra soll eine echte, transparente Blockchain werden, die es den Usern erlaubt, ihre eigenen Schlüssel zu verwahren und die Blockchain – oder Teile davon – selbst zu verifizieren. Für die User bedeutet dies an sich einen ähnlichen Grad an Vertrauenslosigkeit wie bei Bitcoin, auch wenn es im Lauf der Zeit aufgrund der großen Transaktionsmenge immer schwieriger werden kann, eine volle Kopie der Blockchain zu erhalten. Die Validatoren – quasi die Miner – sind auch dezentral, zumindest verteilt, auch wenn Facebook bzw. die Assoziation zunächst bestimmt, wer in den erlesenen Kreis kommt. Wie sich dies ausspielt, wird davon abhängen, ob Libra dem Versprechen nachkommt, langfristig vollständig erlaubnisfrei zu werden.

Sehr angenehm ist auch, dass Facebook keine ICO macht oder eine eigene Kryptowährung herausgibt, wie Ripple, sondern tatsächlich vor allem am Produkt interessiert zu sein scheint. Im Vergleich zu dem, was man bisher von PayPal, Mastercard und Co kennt, ist Libra ein gewaltiger Fortschritt hin zu einer pseudonymen, für die User erlaubnisfreien, kostengünstigen digitalen Zahlungsmethode. Dass Libra im Wert zugleich einen Warenkorb von Währungen und anderen, risikoarmen Wertpapieren (etwa Staatsanleihen oder Aktienindizes) abbildet, dürfte gerade für Einwohner von inflationsgeplagten Ländern ein Segen sein.

Wenn man bedenkt, was man erwarten konnte – eine vollkommen kontrollierte KYC-Blockhain – ist Libra eine ziemlich angenehme Überraschung. Der Code ist open Source, und die User können Full Nodes haben. Damit steht es jedem User und jeder Firma frei, einen Service auf Libra aufzubauen, sei es eine Börse, eine Treuhand- oder Nicht-Treuhand-Wallet, einen Zahlungsservice und so weiter. Libra könnte damit wie die anderen Stablecoins (Tether, USDC und so weiter) frei auf den Wallets von Usern und Börsen zirkulieren.

Das Rad neu erfinden

Ein wenig skeptisch stimmt mich aber, dass Libra eine eigene Blockchain bauen wird. Facebook hätte auch eine bestehende, bewährte Blockchain nehmen können – etwa Bitcoin mit dem Lightning Netzwerk, Bitcoin SV mit dem unbegrenzten Blockspace, Ethereum mit Plasma Channels, oder Steemit, Stellar oder EOS. Dies hätte Libra in den Genuss der Netzwerkeffekte gebracht, die diese Blockchains im Lauf der Jahre aufgebracht haben, etwa die Reife des Protokolls, die Integration in Softwarebibliotheken, Wallets und Märkte. Stattdessen muss Libra zunächst das Rad neu erfinden – was eine Menge Arbeit sein wird -, hoffen, dass der Konsens-Algorithmus stabil bleibt und dann Energie in die Software-Integration investieren. Mit einer bestehenden Blockchain hätte man sich all das sparen und gleich zum nächsten, entscheidenden Schritt kommen können: der weiteren Integration und der Akzeptanz.

Dennoch hat Libra mit den starken Partnern in der Assoziation große Vorteile: Die technische Kompetenz, das nötige Kapital sowie die Netzwerkeffekte durch User sind bereits da. Das macht Libra schon jetzt zu einer Säule im künftigen Kryptomarkt. Für Bitcoin und andere Währungen bedeutet das: Die Facebook-User kommen näher. Wer sich bei Facebook für seine Wallet identifizieren lässt, kann sich auch bei einer Börse identifizieren lassen, um mit Libra andere Kryptowährungen zu kaufen. Eventuell könnte Libra die Rolle der bisherigen Stablecoins übernehmen. Auch den Währungen, die sich wie Ripple auf den Markt der länderübergreifenden Zahlungen von Gastarbeitern fokusieren, könnte Libra Konkurrenz machen.

Vor allem aber fordert Libra die etablierten Nicht-Krypto-Anbieter heraus; etwa die Zahlungsdienstleister, die nicht in der Assoziation sind, oder die Herausgeber von Fiat-Geld, wie die Zentralbanken. Facebook entledigt sich der Verantwortung gegenüber den Regierungen und Regulierern, indem es die Kontrolle an eine Assoziation in der Schweiz abgibt. Mal sehen, wie die etablierten Mächte auf diese Herausforderung reagieren.

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