Website-Icon BitcoinBlog.de – das Blog für Bitcoin und andere virtuelle Währungen

„Ein schwindelerregender Preis von ca. 90.000 USD pro Bitcoin“

Der Mond sieht nur aus wie aus Gold, ist aber nicht aus dem Edelmetall. Gut für die Stock-to-Flow-Ratio von Gold. Bild von Dan Meineck via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die Bayerische Landesbank (Bayern LB) veröffentlicht ein Paper zum „Megatrend Digitalisierung“. Darin fragt sie, ob Bitcoin Gold den Rang abläuft und beschreibt das „Angebotsengineering“ bei Bitcoin so begeistert, dass man sich fragt, wann die Bayern LB in die Kryptowährung investiert – falls sie es nicht bereits gemacht hat.

Das Paper der Bayerischen Landesbank ist mit fünf Seiten relativ kurz. Es konzentriert sich darauf, die goldartigen Eigenschaften von Bitcoin zu beschreiben; die Zielgruppe dürften vor allem Investoren sein, die verstehen wollen, weshalb Bitcoin ein neues Mittel der Wertaufbewahrung und Spekulation ist.

Konsequenterweise beginnt das Paper daher auch nicht mit Bitcoin, sondern mit Gold. Die „Lockerungsschritte der Zentralbanken“, die bereits geschehen oder zu erwarten sind, führen dazu, dass „immer größere Teile des Anlagespektrums“ eine negative Rendite aufweisen. Dies gebe dem „ältesten Wertspeicher der Menschheitsgeschichte Auftrieb“: Der Goldpreis ist im September erneut gestiegen und steht mit knapp 1400 Euro je Unze kurz vor einem Allzeithoch. Dass Gold attraktiv wird, wenn es im Finanzsystem kriselt, erklärt der Autor dadurch, „dass dessen Angebot nicht beliebig ausgeweitet werden kann und zudem der begrenzte jährliche Zuwachs (Flow) an neuem Gold auf einen bereits sehr großen Bestand (Stock) trifft.“

Die Worte „Stock“ und „Flow“ werden bei vielen in der Bitcoin-Szene klingende Begriffe sein. Der Bestseller „The Bitcoin Standard“ von Saifedean Amous hat das „Stock-to-Flow-Verhältnis“ als Konzept der Bitcoin-Analyse eingeführt; in dem ansonsten oft eher ermüdenden Buch stich dieses Konzept heraus. Es beschreibt „die Quantifizierung der ‚Härte‘ eines Asset,“ erklärt das Paper,  „je höher das Stock-to-Flow-Verhältnis, desto geringer die Gefahr, dass ein Anstieg des Preises eine höhere Produktion nach sich zieht, wodurch der Preis wieder fällt.“ Schließlich ist es bei einem hohen Stock-to-Flow-Verhältnis nicht möglich, die Menge eines Gutes im Verhältnis zum Bestand signifikant – und willkürlich – zu erhöhen. Die Produktion kann weniger elastisch auf die Nachfrage reagieren.

Ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis erhält den Wert eines Gutes und ist daher eine hervorragende Eigenschaft, damit eine Sache als Geld verwendet wird. Es hilft, dass das Gut seinen Wert über die Zeit hinweg bewahrt, was für Geld recht praktisch ist. Für Bitcoin liefere der Stock-to-Flow-Ansatz „einen einfachen quantitativen Rahmen zur Analyse der (Preis-) Entwicklung“, die „einen hohen Erklärungsgehalt aufweist und Bitcoin mit Gold und Co. vergleichbar macht.“ Anschließend beschreibt das Paper, wie Bitcoin ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis erreicht: Durch die Bestimmung von Satoshi, dass die Quote der neu geschöpften Coins sich alle vier Jahre halbiert. „Man könnte sagen, dass Satoshi im Whitepaper ’schummelte'“, meint der Autor, weil der „Rückgang des Angebotszuwachses“ so drastisch ausfällt, „dass kein physisches Element aus dem Periodensystem mithalten“ kann.

Das Paper beschreibt diesen Mechanismus mit dem hübschen Begriff des „Angebots-Engineerings“. Durch dieses wird Bitcoin bereits im nächsten Jahr einen ähnlich hohen Stock-to-Flow-Wert wie Gold erreichen. Um zu testen, wie valide das Konzept ist, um den Preis von Bitcoin zu bestimmen, prüft die BayernLB es gegen die historischen Werte, indem es den Preisverlauf der Entwicklung des Stock-to-Flow-Verhältnisses gegenüberstellt. Beide Daten sind öffentlich und gut dokumentiert. Zudem gleicht das Papier diese Kurve mit der für Gold, Silber, Platin und Palladium.

Quelle: BayernLB Research

Das Ergebnis dieser Übung ist mehr als eindeutig: „Je höher der Härtegrad von Bitcoin ist, desto mehr Wert wird ihm zugeschrieben. Die nahe an der Regressionsgerade liegenden (blauen) Punkte zeigen bereits, dass es sich um einen sehr engen Zusammenhang handelt.“ Noch spannender als diese Erkenntnis findet der Autor aber den „Blick in die Zukunft.“ Denn jedes Mal, wenn sich mit dem allvierjährlichen Halving die Schöpfungsrate neuer Bitcoins halbiert, springt die Stock-to-Flow-Rate nach oben. Derzeit beträgt sie noch 25,8; nach dem nächsten Halving im Mai 2020 wird sie auf fast 53 anspringen, was knapp unter dem von Gold mit 58 liegt.

„Wenn man diesen Mai-Wert für Bitcoins Stock to Flow in das Modell füttert, kommt ein schwindelerregender Preis von ca. 90.000 USD pro Bitcoin heraus.“ Aber das ist erst der Anfang: „Im Jahr 2024 (wenn wieder ein Halving ansteht) erhöht sich der Härtegrad gnadenlos weiter und zwar auf ein in der Menschheitsgeschichte nie dagewesenes Niveau (Stock to Flow über 100!)“. Sollte sich die Stock-to-Flow-Kurve halten, würde daraus eine Marktkapitalisierung von 100 Billionen Dollar folgen – oder ein Wert von fünf Millionen Dollar je Bitcoin. Das Paper hält sich von dieser Schlussfolgerung fern, auch wenn der Chart darin darauf hindeutet.

Natürlich lässt diese Analyse einige Fragen offen. Gold wurde seinerzeit ja nicht nur wegen der Stock-to-Flow-Ratio zum Zahlungsmitteln, sondern auch wegen diverser anderer Eigenschaften, die es anderen Elementen und Gütern voraus hatte. Menschheitsgeschichtlich wurde Gold ja durch Papier- und später Elektrogeld abgelöst, weil dieses trotz einer schlechteren Stock-to-Flow-Rate materiell besser geeignet war, die Aufgaben eines Zahlungsmittels zu erfüllen. Um einen bestimmten Wert zu erhalten, muss es eine Nachfrage nach einem Gut geben; bei Gold wird diese aus jahrtausendelanger Tradition und der materiellen Attraktität in Form von Schmuck und Münzen gespeist. Damit Bitcoin er im Paper abgebildeten Kurve weiter folgt, muss zum Stock-to-Flow-Verhältnis auch ein Anstieg der Nachfrage auf hohem Niveau hinzukommen.

Ferner könnte man auf einen wichtigen Unterschied zwischen Gold und Bitcoin hinweisen: Bitcoin ist eben doch digital; es ist zwar ein System, innerhalb dessen die Einheiten nicht vervielfältigbar sind – aber das System an sich ist vervielfältigbar. Wenn man sich anstatt Bitcoin die Gesamtheit digitaler Blockchain-Token anschaut, dürfte die Stock-to-Flow-Ratio verheerend gering liegen, während sie bei einzelnen Assets – Litecoin, Bitcoin Cash, Bitcoin SV, Monero – ähnlich hoch wie bei Bitcoin ist, oder, bei Coins mit einer initialen Erschaffung der Token, wie Ripple, Stellar oder Ethereum, sogar um ein Vielfaches höher. Besteht hier dieselbe Korrelation zwischen Preis und Stock-to-Flow-Ratio? Hätte Gold dieselbe Marktkapitalisierung erreicht, wenn es hunderte anderer Metalle gegeben hätte, die eine ähnlich hohe Stock-to-Flow-Ratio hätten, aber ebenso gut, wenn nicht noch besser als umlaufendes Geld verwendet werden könnten?

Dem Autor des Papers ist klar, dass es Spekulation ist, künftige Preise zu prognostizieren, und dass „selbst das beste statistische Modell bei der Vorhersage der Zukunft kläglich scheitern kann.“ Er sieht im kommenden Halving im Mai 2020 einen „großen Härtetest“. Wird Bitcoin den bisherigen Weg entlang der Korrelation zwischen Stock-to-Flow und Preis halten können? Oder wird die Korrelation einknicken? Das sind in der Tat entscheidende Fragen. Uns bleibt, ihr ahnt es schon, nichts anders übrig, als zu warten.

Die mobile Version verlassen