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Der Preis stürzt ab. Ist das S2F-Modell gescheitert?

Freier Fall ins Ungewisse! Bild von DVIDSHUB via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Am Wochenende rasselten die Kurse von Kryptowährungen deutlich nach unten. Das schlägt nicht nur Löcher in die Wallets von Bitcoinern – sondern könnte auch ein Modell zu Grabe tragen, auf das sich die Szene gerne beruft. Oder doch nicht?

Im Bitcoin-Journalismus beginnen Montage oft nicht damit, dass man sich darauf vorbereitet, was in dieser Woche noch geschehen wird – sondern damit, dass man das Wochenende verarbeitet.

Und an diesem, dem nun zurückliegenden Wochenende, war auf den Bitcoin-und Krypto-Börsen dieser Welt einiges geboten. Der Bitcoin-Preis, am Freitag noch bei gut 50.000 Euro liegend, stürzte auf kurzfristig unter 40.000 Euro und rangiert nun um die 43.000 Euro herum.

Der Bitcoin-Preis in Euro im Lauf der letzten 7 Tage nach Bitcoin.de

Wie üblich litten sämtliche andere Kryptowährungen mit Bitcoin mit, zum Teil noch deutlich stärker. Die gesamte Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen brach von knapp 2,4 Billionen Euro auf weniger als 2 Billionen ein, liegt nun aber wieder knapp darüber.

Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen nach Coinmarketcap.com

Das derzeit gültige Allzeithoch hatten die Kryptomärkte am 10. November mit mehr als 2,6 Billionen Euro erreicht. Von dort aus ging es seitdem kontinuierlich herab, woran auch kürzere Phasen der Erholung nichts geändert haben. Ist der Bärenmarkt nun doch noch erschienen, mit einer deutlichen Verzögerung? Beginnt nun jene Phase, die viele von uns schon zu gut kennen – einige Jahre der sinkenden oder stagnierenden Preise?

Vielleicht, vielleicht nicht. Doch anstatt die Pros und Contras zu dieser Frage abzuwickeln, widmen wir uns heute einem statistischen Modell, welches die Bitcoin-Szene und ihre Erwartungen an den künftigen Preis in den vergangenen Jahren erheblich geprägt hat: dem Stock-to-Flow-Modell (S2F).

Ein Modell, den Preis von Bitcoin vorherzusagen

Das S2F-Modell kommt eigentlich aus dem Rohstoffbereich. Es zeigt lediglich das Verhältnis von der gegenwärtig existierender Menge eines Gutes (stock) und der jährlich neu erschaffenen Menge (flow). Die „Stock-to-flow-Ratio“ errechnet man, indem man die bestehende Menge durch die jährliche Neuschöpfung teilt. Sie zeigt, wie viele Jahre man produzieren müsste, um so viele Einheiten zu erzeugen, wie es heute gibt. Je mehr Jahre, desto „härter“, also knapper ist ein Gut.

Bekannt in der Bitcoin-Szene wurde S2F durch den Ökonomen Saifadean Ammous und sein fragwürdiges Buch „Der Bitcoin-Standard“, das 2018 erschien. Der Abschnitt über S2F gehört zu den stärksten Stellen in dem Buch. Ammous erkärt durch die Ratio, weshalb Gold, und nicht Silber (oder Kupfer, Platin, Plastik), das stabilste Geld der Geschichte war:

Je höher der S2F-Wert, desto geringer ist die „angebotsseitige Preiselastizität“: Zwar fahren die Goldgräber ihre Kapazitäten hoch, wenn der Goldpreis steigt, und sie werden auch die Fördermenge erhöhen – doch dies ist in Relation zur bestehenden Goldmenge weitgehend irrelavant. Denn Gold hat einen viel höheren S2F-Wert als Silber oder Kupfer und wird dadurch unabhängiger von Marktzyklen.

Bitcoin, erwähnte Ammous, werde schon 2025 einen doppelt so hohen S2F-Wert haben als Gold, und er werde von dort aus immer weiter steigen. Wenn wir die S2F-Formel auf Bitcoin anwenden, landen wir etwa hier:

18892931÷(6,25×144×365) = 57,51

Damit ist Bitcoin nicht mehr weit vom S2F-Wert von Gold weg, der in der Regel etwa auf 66 geschätzt wird. Spätestens mit dem nächsten Halving, das die Produktion neuer Bitcoins je Block auf 3,125 reduzieren wird, wird Bitcoin einen höheren S2F-Wert als Gold aufweisen. Und da die Schöpfung neuer Bitcoins immer weiter abflacht, wird die S2F-Ratio von Bitcoin im Lauf der Zeit immer weiter gegen Unendlich neigen.

Knapp ein Jahr, nachdem Saifedean Ammous die S2F-Ratio ins Bitcoin-Universum gebracht hatte, formulierte der Bitcoin-Trader PlanB eine Formel, um die S2F-Ratio mit dem Bitcoin-Preis zu verbinden. Seine Formel war, falls es euch interessiert, diese:

ln(market value) = 3.3 * ln(SF)+14.6

Sein „Modell“ gilt als präziseste Modellierung des historischen Bitcoin-Preises. Manche haben seine Treffsicherheit als „unheimlich“ beschrieben. Zwar wich der Preis immer wieder vorübergehend von dem Modell ab, doch er schwenkte, über kurz oder lang, stets wieder auf die Linie ein.

Das S2F-Modell schien perfekt geeignet, den künftigen Bitcoin-Preis vorherzusagen. Als solches wurde es extrem bekannt – so gut wie jeder Bitcoiner kennt es, sogar die Landesbank Bayern studierte es – und PlanB wurde mit mehr als einer Million Followern auf Twitter zu einem der berühmtesten Bitcoinern.

Wenn Modell und Wirklichkeit auseinanderfallen

Man darf die Macht solcher Modelle nicht unterschätzen. Sie können zu machtvollen selbsterfüllenden Prophezeiungen werden – aber sie können auch, wenn sie zerfallen, einen ganzen Markt mit sich reissen. Nichts zählt auf der Börse mehr als Glauben.

Nun räumt PlanB jedoch ein, dass sein Modell erstmals nicht mehr griff. Sein Tweet klingt etwas nach Resignation – beinah:

„Kein Modell ist perfekt, aber das ist eine starke Abweichung und die erste in 10 Jahren. Ein Ausreißer / schwarzer Schwan? Ich werde dem Floor-Modell noch einen weiteren Monat geben.“

Der Hintergrund hierfür ist eine Prognose von PlanB aus dem Juni. Nachdem Elon Musk den Energieverbrauch von Bitcoin beklagt und China das Mining verboten hatte, war der Kurs deutlich gesunken und das Model, das die Rally bis dahin fast deckungsgleich begleitete, verlor den Kontakt zum Kurs.

PlanB gab die Schwäche zu, schob sie aber auf fundamentale und vorübergehende Gründe und prognostizierte: „Mein worst-case-Szenario für 2021 ist: August > 47k, September >43k, Oktober >63k, November >98K, Dezember >135K.“

Noch Ende Oktober konnte PlanB jubeln, dass seine Prognosen wie ein Uhrwerk aufgingen. Bitcoin bewegte sich zwar am unteren Ende von dem, was mit dem Modell möglich war. Aber der Kurs blieb noch in der Zone.

Im November scheiterte offensichtlich auch die pessimistischste Interpretation des Modells, und zwar nicht nur knapp, sondern ziemlich deutlich: Mit heute rund 49.000 Dollar ist der Bitcoin-Preis gerade mal halb so hoch wie PlanBs – pessimistische – Prognose.

Ist das S2F-Modell damit tot? Entpuppt sich die Modellierung des Bitcoin-Preises durch das Konzept als pseudowissenschaftlicher Humbug? Als ein Märchen aus Zahlen, das vor allem den Zweck hatte, gute Stimmung auf den Märkten zu verbreiten?

(k)eine selbsterfüllende Prophezeiung

Man könnte die Diskussion um das S2F-Modell als Rauschen im Markt abtun.

Alle fundamentalen Werte stimmen weiterhin: Bitcoin ist immer noch das einzige wirklich knappe Geld, das es gibt; die Fiat-Gelder dieser Welt sind weiterhin in einem erbarmungswürdigen Zustand; Bitcoin breitet sich nach wie vor weiter in der Welt aus, sowohl als Zahlungsmittel als auch Finanzprodukt. Und so weiter. Auch das S2F-Modell ist an sich vollständig in Takt und beschreibt weiterhin eine wichtige Kerneigenschaft von Bitcoin – nur sein Verhältnis zum Preis ist angezählt.

Aber man darf dabei die Macht von Modellen nicht unterschätzen. Modelle können Märkte hyponotisieren; sie haben die Kraft, zu selbsterfüllenden Prophezeiungen zu werden, wenn nur genügend Menschen an sie glauben. Oder eben wenn Menschen nicht mehr an sie glauben.

PlanB will nun, wie er bekannt gab, noch einen Monat warten, bevor er das Scheitern seines Modells zugibt. Allerdings sollte man ihn nicht falsch verstehen: Er hält das S2F-Modell weiterhin für unangekratzt. „[Das] S2F-Modell nicht betroffen und weiterhin auf Kurs zu $100K. Haltet Ausschau nach den Trollen, die Floor und S2F verwechseln.“ Ganz klar wird dabei allerdings nicht, auf welcher Basis PlanB seine Prognosen getroffen hat, wenn nicht auf dem S2F-Modell, welche Werte und Theorien dem Floor-Modell zugrunde liegen, und weshalb er weiterhin an S2F festhält, obwohl der Bitcoin-Preis deutlich unter den Prognosen blieb.

Noch früher in diesem Jahr hat PlanB angekündigt, er werde sein Modell aufgeben, wenn der Kurs Ende des Jahres nicht sechsstellig sein werde. Nun jedoch meint er, der Kurs müsse nur irgendwie im Durchschnitt auf 100.000 kommen, ob das nun in diesem oder im nächsten Jahr geschehe.

Ein Modell ist eben nicht dann ungültig, könnte man sagen, wenn die Zahlen das nahelegen – sondern erst, wenn die Menschen, die hinter dem Modell stehen, dies auch zugeben.

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