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Bricht Bitcoin die finanzielle Repression in Kanada?

Kanadas Premierminister Justin Trudeau. Bild von taylor hartley via flickr.com. Lizenz: Öffentliche Domäne

Nach den Banken sind die Bitcoin-Börsen dran: Kanadas Regierung fordert Krypto-Unternehmen auf, Spenden an den Freedom Convoy zu blockieren und die Konten der Spender einzufrieren. Geht das? Kann Bitcoin die monetäre Freiheit in Kanada retten? Oder steht dem die Transparenz der Blockchain im Wege?

Nachdem die kanadische Regierung das Notstandsgesetz in Kraft gesetzt hat und finanzielle Repressalien gegen jeden anwendet, der am Freedom Convoy teilnimmt oder diesen durch Spenden unterstützt, wendet sie sich nun auch gegen Bitcoin und Kryptowährungen.

Das ist nur konsequent: Viele Unterstützer der Trucker haben begonnen, in Bitcoin zu spenden, nachdem die Crowdfunding-Plattform GoFundMe die Spenden erst eingefroren und dann zurückgezahlt hat. Auch die sich als Alternative aufgestellte Plattform GiveSendGo bekam Probleme, das eingesammelte Geld auszuzahlen, da die Partnerbanken im Begriff stehen, die Konten einzufrieren.

Die finanzielle Repression der Proteste in Ottawa sind in vollem Gange, und die Leute wenden sich mehr und mehr Kryptowährungen zu, in der Hoffnung, durch diese die Freiheit wieder zu erringen, die die Regierung Trudeau kassiert hat.

Nationalpolizei sendet Blacklists an Krypto-Unternehmen

Zumindest fürchtet die Regierung, dass Bitcoin ihre finanziellen Repressalien unterwandert. Sie bemüht sich daher unmittelbar, das mögliche Schlupfloch zu schließen, indem sie sich an die Börsen und anderen Unternehmen wendet:

„Die Royal Canadian Mounted Police (RCMP) [das ist die nationale Polizei] hat eine Blacklist an kanadische Bitcoin-Unternehmen gesendet, welche diese auffordert, jede Aktivität von 29 Bitcoin-Adressen zu melden, welche mit dem Kanadischen Freedom Convoy verbunden sind, darunter auch die Crowdfunding-Adresse von HongKongHodl.“

Ein Scan des Schreibens kursiert auf Twitter und Telegram:

https://pbs.twimg.com/media/FLuzDpUXMAAW4lc?format=jpg&name=large

Unter den Regeln der Notstandsgesetze, so die Anordnung, stehen die Krypto-Unternehmen in der Pflicht, „jede Transaktion zu stoppen, welche an die folgenden Krypto-Adressen geht.“ Gennant werden neben den Bitcoin-Adressen auch Litecoin-, Ether-, Monero-, Ada- und Ethereum-Classic-Adressen.

Jede verfügbare Information über Transaktionen an diese Adressen – oder auch nur den Versuch! – ist sofort der Polizei zu melden. Vermutlich dürfte die Meldung dann die Ursache dafür werden, dass die Regierung diese Informationen an Banken weitergibt – dazu berechtigt sie der Notstand – so dass die Banken das entsprechende Konto einfrieren können.

Allein der Versuch, Coins an die Trucker zu überweisen, soll mit Sanktionen beantwortet werden, und Überweisungen, die zum Zeitpunkt der Überweisung vollkommen legal ware, werden rückwirkend mit dem Entzug von Account und Konto bestraft.

Es ist heftig und interessant: Weder Ransomware noch Hacker, weder Betrug noch Drogen- noch Waffenhandel haben bei der Regierung Trudeau eine nennenswerte Reaktion ausgelöst, die über die übliche Finanzregulierung hinausgeht. Doch der Protest einiger Trucker, ob militant oder friedlich, scheint die rote Linie zu sein, ab der die Regierung beginnt, eine finanzielle Ordnung zu schaffen, die unter normalen Umständen ohne Wenn und Aber totalitär zu nennen ist.

Noch interessanter ist aber für uns etwas anderes. Denn ausgerechnet Kanada wird zum Spielfeld, auf dem sich Bitcoin bewähren muss.

Es wird ernst!

In Kanada trifft nun der Fall, über den einige Leser hier schon diskutiert haben, schneller ein als erwartet. Im Artikel über Kanadas Notstandsgesetz habe ich behauptet, Bitcoin sei die Lösung. Paul widersprach dem in den Kommentaren entschieden:

Dass Du aber Bitcoin wiederholt als Lösung siehst, kann ich so absolut nicht nachvollziehen / unterschreiben, muss sogar sehr deutlich widersprechen. WENN die Regierung in Kanada Transaktionen zurückverfolgt, ist das ggf. bei Bitcoin einfacher als bei Banken oder anderen kommerziellen Payment Systemen. Es werden dann Exchange Accounts und Custodial Wallets eingefroren und das ist eben ein Feature von Bitcoin, welches nie adressiert wurde. Bitcoin ist leider keine Lösung für Zensurresistenz, große Miner in den USA zensieren heute schon Transaktionen. Es werden dann wohl auch Bankkonten, die mit diesen Exchange Accounts verbunden sind, geblockt.

Es kommt nun genau so. Die Regierung wendet exakt jene Maßnahmen an, die Paul prophezeit hat. Zumindest versucht sie es. Kann es funktionieren? Ist Bitcoin eben NICHT die Lösung? Wird Bitcoin nicht in der Lage sein, sich gegen den Zugriff der Regierung zu wehren?

Um diese Frage, die schon seit Jahren im Raum schwebt, wird es nun ernst. Kann Bitcoin politische Dissidenten stützen, wenn eine kompetente Regierung versucht, dies zu verhindern? Dass dies nicht in China oder Russland, Nordkorea oder Venezuela passiert, sondern in Kanada, ist ebenso überraschend wie erschüttert.

Spenden sind NICHT anonym

Es gibt Antworten für und gegen Bitcoin bei dieser Frage.

Paul und andere haben recht, wenn sie sagen, dass Bitcoin nicht anonym sei. Die Adressen der Trucker sind bekannt, zumindest zum Teil, und es ist auf der Blockchain nachverfolgbar, welche Adresse ihnen Bitcoins sendet. Spenden sind NICHT anonym.

Wenn jemand bei einer kanadischen Börse Bitcoins kauft und dann Coins an die Trucker sendet, weiß die Börse dies. Sie kann (oder muss) die Transaktion blockieren, den Account einfrieren und den User melden. Soweit so schlecht.

Auch wenn jemand Bitcoins von der Börse auf eine eigene Wallet überweist und von dort aus zu den Truckern, ist die Spur erkennbar. Es ist allerdings nicht beweisbar, dass es eben dieser User war, weshalb möglicherweise ein gewisser Spielraum besteht, sich zur Wehr zu setzen oder das Gebot nicht umzusetzen. Aber so rabiat, wie die Regierung derzeit vorgeht, ist es fraglich, ob dies relevant sein wird.

Soweit also noch schlechter: Wer an die Trucker spendet, läuft Gefahr, Ärger zu bekommen, selbst wenn er eine eigene Wallet verwendet.

Der Unterschied zwischen KÖNNEN und DÜRFEN

Aber es gibt auch eine andere Pespektive. Bitcoin-Transaktionen sind nicht anonym. Wenn man sie aber von der eigenen Wallet sendet, kann die kanadische Regierung sie nicht blockieren, und wenn der Empfänger eine eigene Wallet benutzt, kann die Regierung die Spenden nicht konfiszieren lassen.

Es ist nicht perfekt, weil der User weiterhin mit Sanktionen rechnen muss – etwa dem Entzug des Bankkontos. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man gegen ein Gesetz verstoßen KANN und dafür eine Strafe droht – oder ob es schlicht UNMÖGLICH ist, ein Gesetz zu brechen. In dem einen Fall ist ein Aufstand möglich, wenn die Regierung es so weit treibt, dass die Bürger Strafen hinnehmen, um zu protestieren – in dem anderen ist ein Aufstand eben nicht möglich, selbst wenn die Bürger bereit wären, dafür den Preis zu bezahlen.

Freilich werden die Trucker Probleme bekommen, die Coins gegen Kanadische Dollar zu wechseln, weil ihnen keine Börse einen Account und keine Bank ein Konto geben darf. Allerdings kann niemand sie daran hindern, bei Unterstützern mit Bitcoin Lebensmittel oder Benzin zu kaufen.

Soweit, so gut: Bitcoin ist eine deutlich Verbesserung gegenüber dem traditionellen Finanzwesen.

Mehr Anonymität gewinnen

Daneben haben Kanadier zahlreiche Möglichkeiten, sich der Beobachtung zu entziehen:

1.) Sie können Lightning benutzen
2.) Sie können CoinJoin oder andere Mixing-Verfahren verwenden
3.) Sie können durch mehrere Transaktionen immerhin den Beweis der Urheberschaft verwaschen
4.) Sie können die Bitcoins an ausländische Börsen oder Plattformen senden, die vermutlich weit weniger unter Druck stehen, der Regierung Trudeau zu gehorchen
5.) Die Trucker können Bitcoins „smarter“ empfangen, nämlich indem sie je Transaktion neue Adressen verwenden. Das ist kein Allheilmittel, erschwert aber die zeitnahe Überwachung.

Es ist schwer zu sagen, ob diese Optionen ausreichen, um die finanziellen Repressalien der Regierung Trudeaus zu brechen. Aber sie dürften sie zumindest auf eine Weise erschweren, die das traditionelle Finanzwesen nicht bietet.

Wir können diese Frage nicht abschließend beantworten. Die finanzielle Repression greift auch bei Kryptowährungen – aber wesentlich weniger durchdringend und ausweglos als bei Banken.

Das Ausmaß der finanziellen Repression

Ein Bloomberg-Bericht verdeutlich derweil das schockierende Ausmaß der monetären Repression. Es wird schwer, das, was in Kanada passiert, nicht als eine möglichst vollständige finanzielle Säuberung von allen zu verstehen, die den Protest der Trucker auch nur zu unterstützen wagen.

Trudeaus Anti-Protest-Gesetz fegt durch Kanadas Finanzsektor,“ titelt der Nachrichtendienst. Die neuen Regeln nehmen „eine breite Liste von Entitäten“ in die Pflicht, „darunter Banken, Investment-Unternehmen, Kreditgenossenschaften, Darlehens-Unternehmen, Aktienhändler, Spendenplattformen, Versicherungen und Wohltätigkeitsorganisationen.“ Diese müssen bestimmen, ob sie „in Besitz oder Kontrolle von Eigentum“ einer Person sind, die „an illegalen Protesten teilnimmt oder Demonstranten unterstützt.“

Man beachte die Formulierung: Sobald die Regierung einen Protest für illegal erklärt hat – es gibt kein Gesetzesurteil, lediglich die gebetsmühlenartig wiederholte Aussage der Regierung Trudeau, es handele sich um „illegale Blockaden“ – drohen Teilnehmern und Unterstützern auch rückwirkend Sanktionen. Sollten die angesprochenen Dienstleister eine solche Person unter ihren Kunden identifizieren „müssen sie ihre Konten einfrieren und der Polizei oder dem Geheimdienst melden.“

Also: Wenn jemand an die Trucker gespendet hat, beispielsweise weil er wie sie gegen eine Impfpflicht ist, dann MUSS nicht nur sein Konto eingefroren werden, sondern auch sein Aktiendepot und seine Versicherung. Ihm soll finanziell komplett der Boden unter den Füßen entzogen werden.

Ganz unabhängig von dem, was man von den Truckern hält – ob darunter Nazis sind, ob ihr Protest legal ist oder nicht, ob sie nur gegen eine Impfpflicht demonstrieren oder den Umsturz planen, ob sie das Land sabotieren oder nicht, ob sie Gewalt und Chaos verbreiten oder friedlich demonstrieren: Das, was die Regierung Trudeau gerade abzieht, ist eines westlichen, freien, demokratischen Rechtsstaates nicht würdig.

Es mag sein, dass es Umstände gibt, die es rechtfertigen, die Ideale eines westlichen Rechtsstaates (vorübergehend) aufzugeben. Aber weder hat Trudeau diese klar benannt oder bewiesen, noch hat er andere Versuche eingeleitet, den Konflikt zu lösen. So hat er bisher noch nicht einmal mit den Truckern geredet oder auch nur ihre tatsächlichen Forderungen adressiert.

Baut sich ein Bankrun bereits auf?

Die westliche Politik scheint größtenteils paralysiert darauf zu reagieren, dass der nette Herr Trudeau seine totalitäre Fratze offenbart. Kein Wort eines Protests, keine Verurteilung, keine Sanktionsdrohung, nicht mal eine Ermahnung. Das rabiate Vorgehen von Trudeaus Regierung – wäre Regime bereits das richtige Wort? – wird so nicht nur zur Blamage Kanadas, sondern des gesamten Westens.

Möglicherweise kann man aber hoffen, dass der Markt die Regierung Trudeau für ihre totalitären Maßnahmen auch ohne Beihilfe der ausländischen Politik bestraft. Denn die Instrumentalisierung der Banken für politische Strafen scheint erste Folgen zu zeitigen.

So zeigt etwa eine Google-Analyse, dass zumindest die Furcht vor einem Bank Run in Kanada explodiert.

Darüber hinaus gibt es Berichte darüber, dass die großen Banken des Landes in den letzten 48 Stunden zahlreiche Aussetzer hatten – vielleicht, weil die Bürger Kanadas zuviel Geld abheben oder zuviel Geld ins Ausland schicken. Möglicherweise aber haben die Banken den Service auch nur kurz ausgesetzt, um ein Update einzuspielen oder Konten einzufrieren. Und vielleicht ist es eine Falschmeldung. Die Lage ist konfus.

Auch hier spiegelt sich die Furcht vor Bankausfällen in einer Google-Analyse:

All das ist noch weit davon entfernt, ein Beweis dafür zu sein, dass in irgendeiner Art ein Bank Run stattfindet. Aber es sind zwei zarte Hinweise, und diese allein sind schon bedrohlich.

Weil Kanada viel näher ist als Polen

Zuletzt möchten wir noch die Befürchtung äußern, dass Kanada uns in Deutschland sehr viel näher ist als China oder Russland. Wenn China oder Russland repressive Maßnahmen anwendet, dann hindert das Deutschland eher daran, dem nachzufolgen, da es ja die diktatorischen bösen Staaten Russland oder China sind. Ja, sogar bei Polen oder Ungarn wäre dies so, da die Regierungen dort als populistisch, rechts und autokratisch gelten.

Wenn aber Kanada repressiv wird, kann das für Deutschland eher eine Entschuldigung oder Rechtfertigung sein, selbst ein Stückchen mehr Diktatur zu wagen. Ein Tweet von Innenministerin Nancy Faeser unterstreicht diese Befürchtung:

Frau Faeser versteht ihr Amt als Mandat, entschieden gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Das ist bereits bekannt und eine vielleicht nicht vollständig nachvollziehbare, aber akzeptable Einschätzung der Gefahrensituation. Nach einem Teilsieg gegen Telegram-Gruppen nimmt sie sich nun offenbar vor, die Finanzströme von Rechtsextremisten entschieden auszutrocknen.

Da es bereits das Framing gibt, Bitcoin sei die Währung der Rechtsextremen, dürfte es nur noch ein kleiner Schritt dorthin sein, Bitcoin stärker zu regulieren oder zu überwachen. Kanada macht es vor und gibt gerade ein extrem gefährliches Beispiel ab.


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