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„Ich habe in 20 Jahren Open Source nicht erlebt, dass sich die Entwicklung so weit von den Wünschen der User abkoppelt.“

Eine Lösung im Blocksize-Problem ist immer noch nicht näher gerückt, der Streit in der Community geht weiter. Während Kernentwickler Gregory Maxwell einen weichen, für viele unbefriedigenden Pfad skizziert, klagt Jeff Garzik darüber, dass die Kernentwickler durch ihr Nicht-Handeln die Ökonomie des Bitcoins gravierend verändern. Gegen den Willen der User.

Beinah zwei Wochen nach dem zweiten Scaling Bitcoin Workshop scheint eine Lösung des Skalierbarkeits-Problems weiterhin fern zu sein. Während die Anzahl der täglichen Transaktionen auf mehr als 200.000 gestiegen ist, kontinuierlich 5.000 bis 15.000 Transaktionen in der Warteschleife liegen und Transaktionen gerne mehrere Stunden brauchen, bis sie bestätigt werden, haben die Core-Entwickler noch immer keinen Fahrplan für eine Erhöhung der Skalierbarkeit vorgelegt. Sie scheinen ihn nicht einmal zu diskutieren.

Stattdessen scheinen die Core-Entwickler Maßnahmen einzuleiten, um das Problem der mangelnden Skalierbarkeit auf eine andere Weise zu lösen: indem sie die Nutzung des Netzwerkes einschränken. Neben Opt in RBF – das es ermöglicht, unbestätigte Transaktionen durch Transaktionen mit höheren Gebühren zu ersetzen und die Annahme unbestätigter Transaktionen zumindest erschwert – wurde kürzlich der Vorschlag in das nächste Update aufgenommen, die „Block Priority Size“ auf 0 zu senken, was effektiv bedeutet, dass Transaktionen ohne Gebühr nicht nur lange dauern, sondern gänzlich unmöglich sind. Langfristig soll, so ein oft gehörter Plan, ein „Gebührenmarkt“ („fee market“) dafür sorgen, dass die Blockchain frei von Spam bleibt. Was jedoch Spam ist, bleibt dabei undefiniert. Ist ein Kaffee bei Starbucks, eine Cent-Spende an das bitcoinblog.de und eine Privatisierung von Bitcoins durch Transaktionsketten bereits Spam?

Kapazität erhöhen, aber ohne größere Blöcke

Ein Beitrag von Gregory Maxwell, Chefentwickler von Blockstream und einer von fünf Entwicklern mit Pull-Access zum Bitcoin-Protokoll, fasst die Resultate von Scaling Bitcoin Pt. II auf der Mailing-Liste der Entwickler zusammen:

Gleichzeitig vertritt Maxwell die Ansicht, dass so rasch wie möglich alle Protokoll-Änderungen eingeleitet werden sollten, um das Lightning-Netzwerk zu aktivieren, während ein Gebühren-Markt („Fee Market“) dafür sorgen soll, dass die Transaktions-Gebühren die Miner auch dann bezahlen, wenn die Erträge aus dem Block-Reward geschrumpft sind. Die gegenwärtige Situation sei noch weit davon entfernt, alarmierend zu sein.

So sehr Maxwell zuzustimmen ist, dass die Skalierbarkeit von Bitcoin nicht nur an der Blockgröße, sondern auch an vielen weiteren Faktoren hängt – dass das Resultat von Scaling Bitcoin ist, zunächst auch auf eine moderate Erhöhung der Blockgröße zu verzichten, enttäuscht. Ein Konsens für eine Blocksize-Erhöhung ist weiterhin nicht gegeben, und eine Erhöhung ohne Konsens kommt für die Kernentwickler weiterhin nicht in Frage.

Unausgesprochen befürworten Maxwell und andere Kernentwickler damit eine alternative Perspektive auf den Bitcoin: Der Bitcoin soll nicht ein alltägliches Zahlungsmittel für alle und jeden Zweck sein, sondern ein digitales Gold mit zensurresistenten, privaten Transaktionen, die knapp und damit teuer sind. Leider sind diese auseinanderdriftenden Versionen, was Bitcoin sein soll, nur selten Teil der Debatte um die Blocksize.

Nicht-Handeln schafft Veränderung, Handeln gewährleistet Kontinuität

Ein vielsagender Beitrag von Jeff Garzik in der Mailing-List der Entwickler greift die ökonomische Bedeutung des Blocksize-Themas nun entschieden auf. Garzik, der meist durch nüchterne und weitgehend neutrale Beiträge auffällt, deutet an einigen Stellen an, dass er alles andere als zufrieden mit dem gegenwärtigen Zustand ist. Garziks Leitprinzip ist, wie bei Maxwell, dass der Bitcoin-Service lebendig, sicher, dezentral und resistent gegen Zensur bleiben soll – aber, und hier liegt der Unterschied in den Perspektiven: für so viele User wie möglich.

Im Kern sagt Garziks Beitrag, dass das Nicht-Handeln der Kernentwickler dafür sorgen wird, dass sich der ökonomische Rahmen des Bitcoins ändert. Nicht-Handeln schafft Veränderung, während Handeln Kontinuität gewährleistet.

Garzik schreibt, dass es zu einem „Fee-Event“ („Gebühren-Ereignis“) kommen wird, wenn mehr als eine Woche lang die Blöcke zu mehr als 95% voll sind. Wenn das „Fee-Event“ eintritt, müssen die Nutzer durch die Gebühren um die knappen Plätze in den Blöcken konkurrieren. Ein solches Ereignis leitet einen gravierenden ökonomischen Wandel des Bitcoin-Netzwerkes ein: „… eine Periode des Markt-Chaos‘, in der große Veränderungen der Preise und des Sets wirtschaftlicher Akteure in einer kurzen Zeitspanne auftreten.“

Das Fee-Event würde die Gebühren je Transaktion erhöhen und einige Akteure aus dem System auspreisen. Sämtliche Projekte, die auf einer großen Anzahl von kleinen Blockchain-Transaktionen aufbauen, sind im Prinzip gegessen; ebenso jede Firma, deren finanzieller Erfolg davon abhängt, dass sie sehr viele Transaktionen prozessiert. BitPay beispielsweise, oder auch jeder andere Zahlungsdienstleister, hat in diesem Modell sehr limitierte Profit-Aussichten.

Gefahr des moralischen Missbrauchs

Die derzeitige Lage ist absurd. Wenn die Entwickler handeln und die Blocksize erhöhen, ist dies „konservativ“, da es die bestehenden ökonomischen Rahmenbedingungen erhält. Wenn sie hingegen nicht-handeln, ist dies „progressiv“, da es das derzeitige wirtschaftliche Modell durch ein anderes ersetzt: durch einen Gebühren-Markt, auf dem um knappe Transaktionen konkurriert wird.

In der Möglichkeit für Kernentwickler, durch das Nicht-Handeln die Rahmenbedingungen erheblich zu verändern, liegt eine Gefahr des moralischen Missbrauchs („moral hazard“): „Wenige Kernentwickler können ein Veto gegen den Anstieg [der Blocksize] einlegen und dadurch die Bitcoin-Ökonomie verändern und einige Unternehmen aus dem System drängen. Es stellt eine geringere Gefahr des moralischen Missbrauchs dar, die gegenwärtige Ökonomie zu erhalten (indem man die Blockgröße erhöht), und darauf zu verzichten, eine solche Macht auszuüben.“

Der gegenwärtig eingeschlagene Weg zu keiner Erhöhung der Blocksize kann zu Chaos führen. „In einer 6,6 Mrd. Dollar Wirtschaft ist es kriminell, ein so gravierendes Ereignis einzuleiten, ohne die Nutzer schon Monate vorher laut zu warnen.“ Weder die Nutzer noch die Wallets seien auf ein solches Ereignis vorbereitet. Firmen wie beispielsweise 21.co bauen weiterhin darauf, dass der Bitcoin viel besser skalierbar wird, während Investoren weiterhin Geld in Bitcoin-Startups pumpen, die mit 1 MB Blöcken niemals profitabel sein können, und die User ihre Bitcoins nicht mehr wie gewohnt einsetzen können (um kleine Beträge schnell zu überweisen) und zudem von den Wallets (noch) nicht darin unterstützt werden, in einem Gebührenmarkt die richtigen Gebühren zu finden.

Gegen die Nutzer

Ohnehin wird, so Garzik, das Fee-Event vom größten Teil der Nutzer abgelehnt. Besser gesagt: es wird gewünscht, dass es so weit wie möglich in die Zukunft verschoben wird. Irgendwann, das ist klar, müssen Gebühren die Miner finanzieren. Aber derzeit bekommen die Miner noch eine relativ hohe Summe Bitcoins je Block, weshalb es, so Garzik, eine rationale und berechtigte ökonomische Wahl ist, das System am Anfang mit geringen Gebühren zu unterstützen. „So gut wie alle Bitcoin-Börsen, -Unternehmen und Miner haben erklärt, dass sie eine Erhöhung der Blockgröße wollen.“ Das Veto von Kernentwicklern gegen diese Erhöhung eliminiere die Wahlmöglichkeit sämtlicher Akteure, vorläufig auf höhere Gebühren zu verzichten.

Sich für nichts zu entscheiden, ist im Falle der Blocksize-Debatte eine Entscheidung mit sehr viel größen Folgen, als sich für etwas zu entscheiden.

Schließlich schreibt Garzik den Satz, der sowohl Entwicklern als auch Usern zu denken geben sollte: „Ohne zu übertreiben, ich habe in 20 Jahren Open Source nicht erlebt, dass sich die Entwicklung so weit von den Wünschen der User abkoppelt.“

Garzik empfiehlt den Kernentwicklern, die Block-Größe zumindest moderat zu erhöhen, um einen Puffer zu erhalten. Wenn die Blockgröße dagegen bei 1 MB bleiben soll, müssen die Kernentwickler öffentlich bekanntmachen, dass sie die Wende zu einer neuen ökonomischen Rahmenpolitik einleiten. Da das Fee-Event, wenn nicht heute, dann in mehreren Jahren ansteht, sollte sie den Einschlag des Fee-Events gründlich simulieren und testen. Das schlimmste, was sie machen könnten, ist es, das System zufällig und unvorbereitet in einen wirtschaftlichen Wandel schlittern zu lassen.

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