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Warum Bitcoin Herrschaft unterwandert – aber deswegen noch nicht zwingend demokratisch ist

Lion King. Bild von bernavazqueze via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Ein Soziologe aus Großbritannien beschäftigt sich in einem Paper damit, wie Bitcoin als politische Technologie zu verstehen ist. Auch wenn das Ergebnis etwas schwach ist, ist der Ansatz so interessant, dass er einen genaueren Blick verdient.

Tom Redshaw schreibt seine Doktorarbeit in Sozialwissenschaften an der Universität Manchester. Wenn ein Soziologie wie er sich mit Bitcoin beschäftigt, geht es dabei natürlich nicht um technologische Details, wirtschaftliche Umstände oder juristische Einordnungen, wie in den meisten Veröffentlichungen zum Thema, sondern ums große Ganze: um Bitcoin als politische Technologie. In seinem Paper „Bitcoin beyond ambivalence: Popular rationalization and Feenberg’s technical politics“ geht Redshaw der Frage nach, was Bitcoin mit dem Einzelnen und mit der ganzen Gesellschaft macht.

Bereits seine Definition von Bitcoin strotzt nur so vor Politik: „Bitcoin enstand als ein alternatives Geldsysteme, das die politischen und finanziellen Autoritäten umgehen könnte,“ so der Sozialwissenschaftler. Die Kryptowährung ist für ihn interessant, weil sie „eine Praxis in präfigurativer libertärer Politik“ darstellt und „die Kapazität von Online Subgruppen demonstriert, sich internet-basierte Technologien kreativ anzueignen, um alternative Zukunftsvorstellungen zu verwirklichen.“

Den theoretische Rahmen für seine Arbeit bildet Andrew Feenbergs Kritische Theorie der Technologie, die sich dem Einfluss von Technologien auf Macht und Herrschaft widmet. Die zentrale Frage, die Redshaw von Feenberg übernimmt, ist die, ob eine neue Technologie Herrschaftsverhältnisse zementiert – oder ob sie den Beherrschten selbst Macht gibt und damit die Demokratie fördert.

Die Antwort, die Redshaw gibt, ist im Sinne dieser Theorie paradox: Ja, Bitcoin unterläuft Herrschaft, indem es bestehende Techologien im Sinne von Subkulturen oder Gruppen nutzt – aber nein, es befördert damit nicht die Demokratie, wie Feenberg angenommen hat. Ganz im Gegenteil.

Technik als Instrument des Hegemons

Aber beginnen wir von vorne: Mit Feenbergs kritischer Theorie von Technologie, die einen Rahmen bietet, um Bitcoin soziopolitisch zu greifen.

Andrew Feenberg ist ein kanadischer Philosoph, der sich intensiv mit den marxistisch-linken Theoretikern der kritischen Theorie beschäftigt hat, mit Marx, Marcuse, Heidegger, Lukacz und den ganzen anderen Pappenheimern, für die unsere spätkapitalistische Lebensweise entfremdet, pervertiert und so weiter war. Daneben hat Feenberg in den 90er Jahren in mehreren Büchern eine kritische Theorie der Technologie entworfen, die sich in die in dieser Zeit im angelsächsischen Raum entstandenden Cultural Studies einreiht.

„Seine Analyse von zeitgenössischen Machtverhältnissen zielt auf die Technokratie,“ so Redshaw, „in deren Herzen die Kapazität der Industrie und der Institutionen liegt, die Bedingungen ihrer Hoheit zu reproduzieren … Technokratie stützt für Freenberg soziale Ungleichheiten, und in seiner Analyse der Machtverhältnisse wird die technologische Handlungsmacht (agency), die Kapazität, das technologische Design zu beeinflussen, zum wichtigsten Modus des Widerstands. Technologie muss demokratisiert werden.“

Sagen wir es anders: Technologie an sich reproduziert Machtverhältnisse. Das begründet sich bereits durch ihre Entstehung, die nicht demokratisch, sondern elitär ist: „Der gröte Teil der technologischen Entwicklung geschieht nur durch jene, die nennenswere Ressourcen mobilisieren können, wodurch die Mehrheit ausgeschlossen wird.“ Das grundlegende Design von Technologie spiegelt nicht demokratische oder egalitäre Interessen wieder, sondern die einer Elite. „Die Rationalität, die das Design und die Entwicklung von Technologie regiert, ist hegemonisch.“ Die Art und Weise, wie Technologie gestaltet wird, ist dementsprechend kein Produkt von Zufall oder Zweckmäßigkeit, sondern Ausfluss von Interessen der Herrschaft.

Dass dies den wenigsten bewusst ist, liegt daran, dass es einen dominanten Mythos gibt, der besagt, dass „Technologie politisch neutral ist, dass ihr Fortschritt nichts als die wissenschaftlichen Gesetze der Effizienz repräsentiert. Dies dient dazu, den politischen Fortschritt zu verbergen, der im Design ausgespielt wird und gewährleistet, dass Technologie immer von oben geleitet wird.“ Dieses normative Verständnis von Technologie als politisch neutral „bildet die Basis einer Rationalität, die sicherstellt, dass sich Technologie der sozialen Kritik entzieht.“

Die Subversion des technologischen Codes

Interessant, oder? Aber das ist erst der Anfang. Es ist nämlich nicht so einfach für die Hoheit, wie es bisher klingt. Das ist es nie, vor allem nicht in den kämpferischen Kulturtheorien der 90er Jahre, die in jedem Herrschaftsverhältnis den Keim von Hoffnung und Widerstand herauskitzeln. „Im Herzen von Feenbergs Theorie,“ erklärt Redshaw daher, „liegt das Konzept der technologischen Handlungsmacht.“

Denn trotz des hegemonialen Designs gibt es immer „alternative Möglichkeiten im Design einer Technologie, und diese Wahl zwischen Alternativen ‚begründet sich nicht auf der technischen oder ökonomischen Effizienz, sondern darauf, ob und wie die Geräte und die Interessen und Überzeugungen der verschiedenen sozialen Gruppen, die den Design-Prozess beeinflussen, zusammenpassen.'“. Diese technologische Handlungsmacht (acency) wird zum Vehikel des Widerstands; sie regt zur „kreativen Aneignung“ an, „bei der die Nutzer die Möglichkeit haben, eine Technologie ’neu zu erfinden‘, indem sie ihr neue Zwecke zuschreiben und sie mit neuer Bedeutung füllen.“

Ein gutes Beispiel hierfür ist das Internet. Es „erlaubt verschiedenen Gruppen, neue sozio-technologische ‚Schichten‘ auf Computer-Netzwerke zu legen, Communities um geteilte Beziehungen zur Technologie herum zu bilden und diese so mit alternativen Bedeutungen und Zwecken zu erfüllen.“ Kreative Aneignung, und darauf kommt es vermutlich an, „subvertiert den dominanten Code von innen heraus, indem sie verschiedene, unerwartete Verzögerungen, Kombinationen und Ironien einführt,“ womit sie das ursprüngliche, hegemoniale Design der Technologie unterwandert und vielleicht sogar ins Gegenteil verkehrt. Die typische britische linke Lehre der 90er versteht sozialen Widerstand wie konstruktivistischers Judo, in dem die Instrumente, mit der die Hoheit die Leute beherrscht, angeeignet, umdefiniert und gegen die Herrschaft verwendet werden.

Dass Bitcoin eine solche kreative Aneignung von Computertechnologie und Kryptographie ist, beides eigentlich Technologien, die vom Vater aller Hegemonen, dem amerikanischen Staat, geschaffen worden sind, versteht sich eigentlich von selbst. Wie aber genau geschah dies? Welche Werte und Ziele sind in die kreative Aneignung eingeflossen? Und warum stellen sie angeblich keine demokratischen Zustände her?

Bitcoin als kreative Aneignung

Redshaw wendet diese Theorie von Technologie nun auf Bitcoin an. „Das Auftreten von Bitcoin illustriert den Nutzen der kreativen Aneignung als ein konzeptionelles Werkzeug, um die Fähigkeit von Subgruppen zu verstehen, den Internet-Technologien neuen Funktionalitäten zu geben.“

Er versteht Bitcoin als „kollaborative Arbeit“ von Internet Nutzern, die durch ihre „geteilten Werte und Beziehungen zu Technologie“ zusammengebracht wurden. Diese gemeinsamen Überzeugungen haben – und jetzt wird es spannend: sämtliche Komponenten der jungen Technologie geformt. Die Entwickler von Bitcoin haben erkannt, dass sie eine Handlungsmacht über die bestehenden Technologien haben, und sie haben diese genutzt, um eine „alternative Rationalisierung“ derselben durchzusetzen – um also das Schema zu durchbruchen, dass Technologie den Individuen ihren Willen aufdrückt, und stattdessen, ganz im Gegenteil, sich zu ermächtigen, der Technologie den eigenen Willen aufzudrücken. Bitcoin ist nicht nur das Produkt von „einigen Zeilen Code“ oder so. Es ist das Produkt von Absichten, Wünschen, Zielen, Überzeugungen. Bitcoin ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Technologie Politik ist.

Feenberg, ganz im Sinne der 90er, hat noch geglaubt, dass alles, was „von unten“ kommt, was eine Graswurzelbewegung, Revolution und Widerstand ist, automatisch demokratisch sein muss. So, als sei der Wille zur Demokratie das einzige Ziel, um Aktionen gegen die Herrschaft zu rechtfertigen. Redshaw, ganz Kind des 21. Jahrhunderts, sieht das anders, und erneut dient der Bitcoin als Beweis dafür: „Es gab keine Notwendigkeit für die Designer, die ethische Signifikanz der Technologie zu rechtfertigen.“ Demokratie ist eben nur eine von vielen Geschichten, die in Technologie einfließen können, und im Falle des Bitcoins, so Redshaw, haben die Designer sie so konfiguriert, dass sie „absichtlich die konventionellen Pfade demokratischer Politik vermeidet.“

Die Revolutionäre betreten also tatsächlich doch den Rasen und steigen über Bahngleise! Schauen wir uns genauer an, was da passiert.

Bitcoin als Code gewordene Mengersche Theorie des Geldes?

Den Ursprung von Bitcoin erkennt Redshaw in der Cryptographie Mailing List. In dieser erkennt er eine starke Tendenz zu libertärer, individualistischer Politik, die sich in gewisser Weise aus dem Thema ergibt. Genauer gesagt: Aus der Art und Weise, wie viele der Teilnehmer die in der Mailing-Liste diskutierte Technologie aneignen wollten: „Durch den invididuellen Besitz von kryptographischen Schlüsseln wurden kryptographische Systeme in den Augen der Abonnenten der Mailinglist zu einem Mittel, um großen, zentralisierten Organisationen die Macht zu entziehen, die Daten der Individuen zu beschützen.“

Exakt. Kryptographie ist Emanzipation. Die große Innovation von Bitcoin – „das Design eines Netzwerkes, das einen öffentlichen Beweis der Publikation ohne eine dritte Partei bietet“ – machte es möglich, „eine libertäre Theorie des Geldes, die sich vor allem an Edelmetallen orientierte, in ein System digitaler Signaturen zu projizieren.“

Moment. Dass Bitcoin ein monetäres System um digitale Signaturen herum baut, ist eine ebenso scharfsinnige Beobachtung, wie das der individuelle Besitz kryptographischer Schlüssel das Individuum emanzipieren kann. Wie aber bekommt Redshaw diese Wendung zum negativen? Wie kommt er auf das Libertäre?

Konzeptionell ähnelt Bitcoin, so der Soziologe, einem Hartgeld- bzw. Edelmetallsystem – und damit der Mengerschen Theorie des Geldes. Diese, meint Redshaw, hat die ganzen letzten Jahrzehnten über in gewissen Kreisen zirkuliert, die nicht eben für lupenreine Demokratie standen. „Während der Goldstandard seine Anhänger im Mainstream der Ökonomie verloren hat, wurde Mengers Theorie weiterhin in Kreisen diskutiert, die sich der Begrenzung der Kapazität der Regierung verschrieben haben.“ Und auch wenn die kritische Theorie den Widerstand mag, so ist ein Widerstand gegen die demokratische Regierung per definition ein Widerstand gegen die Demokratie an sich.

Solcherlei libertäre Vorstellungen von Geld sind nun in die grundsätzlichen Design-Entscheidungen von Bitcoin eingegangen. Sie haben etwa bestimmt, dass die Menge der verfügbaren Geldeinheiten begrenzt ist, was nicht etwa notwendiger Teil des Designs ist, wie viele glauben, sondern ein Glaubenssatz: „Es folgt der libertären Überzeugung an die Überlegenheit von Edelmetall, einen Wert für Güter darzustellen, vor allem wegen seiner Knappheit, aber auch der wegen der Unfähigkeit von Institutionen, sie zu erzeugen, um auf Marktzustände zu reagieren.“

Die Aneignung der Theorie durch den Hegemon

Diese kreative Aneignung von Technologie macht Bitcoin „eine erfolgreiche Demonstration, wie eine Subgruppe neue und alternative Werte in das Design von Technologien einführt.“ Die Einprägung der Mengerschen Geldtheorie sorgt allerdings dafür, dass Bitcoin, als eine „alternative Rationalisierung von Technologie“, nicht „den kapitalistischen technischen Code“ herausfordert. Stattdessen scheint Bitcoin vom Design her so gemacht, dass es „demokratische Prozesse zugunsten libertärer Wirtschaftsmodelle unterwandert.“

Und damit läuft ein an sich interessanter Aufsatz leider auf ein schwarz-weiß-Denken hinaus. Auf ein Denken, das eine philosophisch-ökonomische Schule und ein über Jahrtausende in Verwendung gewesenes Geld pauschal als undemokratisch abwatscht, und auf ein Denken, für das Widerstand nur in den Pfaden des Systems passieren kann und um Gottes Willen nicht die Herrschaft des Hegemoms über die Geldschöpfung hinterfragen darf. Man könnte sagen, dass das Konzept der widerspenstigen Aneignung von Technologie mit diesem Schritt selbst kreativ angeeignet wurde – allerdings durch die hegemoniale Denkweise selbst.

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