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Warum die Politik wegen Facebooks Libra-Coin besorgt ist – und was sie daran nicht versteht

Politiker aus aller Welt kritisieren Facebooks Libra-Coin. Man befürchtet das Schlimmste: Zuwenig Datenschutz, aber zuviel Anonymität, und die Gefährdung des globalen Finanzsystems. Noch lange bevor Libra live geht, rufen Politiker nach einer entschlossenen Regulierung. Dabei übersehen sie aber, dass Facebook Libra vor allem schafft, um eben nicht zur Zielscheibe der Regulierung zu werden.

Plötzlich sind sie alle wach geworden. Für die meisten Politiker waren Kryptowährungen bisher nur eine unbedeutende Nische, die man vielleicht ein wenig kommentieren und regulieren muss, aber ansonsten getrost ignorieren kann. Mit dem Libra-Coin von Facebook ändert sich das plötzlich. Der Coin existiert bisher nur auf dem Papier und geht frühestens in einem Jahr ernsthaft online – aber er sorgt schon jetzt für mehr Furcht und Schrecken, als es Bitcoin und Co. jemals vermocht haben.

Datenschutz und Geldwäsche

Einerseits beunruhigt die schiere Marktmacht von Facebook viele Politiker: Die Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus, Maxine Waters, sagt, Facebook führe seine „ungeprüfte Expansion fort und erweitert seinen Einfluss auf das Leben seiner User. Regulierer sollten dies als Weckruf ansehen, um den Gefahren für Privatsphäre und nationale Sicherheit, die von Kryptowährungen ausgeht, ernsthaft ins Auge zu sehen.“ Sherrod Brown, ein hochrangiges Mitglied im Banking-Kommittee des US-Senats, meint, Facebook sei „schon jetzt zu groß und zu mächtig.

Auch in Deutschland warnen Experten. Gerhard Schick, Vorstand und Mitgründer der Bürgerbewegung Finanzwende, mit den Grünen verbunden, sagt: „Meines Erachtens wird hier eine marktbeherrschende Stellung von Facebook im Bereich Social Media genutzt, um Marktmacht in einem anderen Bereich, nämlich Zahlungen zu erreichen.“ Die Dominanz von Facebook würde sich in eine enorme Dominanz am Finanzmarkt ausweiten. Um zu verhindern, dass Staat und Gesellschaft in einer Krise erpressbar würden, wie durch Großbanken in den Jahren 2008/2009, müssten „die Wettbewerbsbehörden einschreiten.“

Üblicherweise geht die Kritik an Libra mit Bedenken zum Datenschutz einher. So warnt US-Senator Brown etwa, Libra würde Facebook „Wettbewerbsvorteile beim Sammeln von Useraten über finanzielle Transaktionen geben.“ Auch der deutsche Experte Schick fürchtet, dass „den Datenschutz-Versprechungen von Facebook nicht zu trauen ist“. Die Transaktionsdaten könnten systematisch ausgewertet werden, womit die ohnehin bereits enormen Überwachungsmöglichkeiten von Facebook noch größer werden. „Das muss unbedingt verhindert werden.“

Ein Kommentar der in der US-Politik einflussreichen Washington Post fürchtet, „Libra könnte die Privatsphäre der User unterminieren.“ Zwar sage die Libra Stiftung, sie werde die Transaktionsdaten von den Identitäten der User trennen, „aber Facebook hat hier eine gemischte Bilanz vorzuweisen.“ Als der Konzern etwa WhatsApp übernahm, hat er versprochen, keine Kreuzverbindungen zwischen den Userdaten der Plattformen zu ziehen – wurde aber nun genau dafür von europäischen Regulierern verklagt. „Libra wird Metadaten von jeder Transaktion speichern, was durch Kreuzverbindungen mit WhatsApp-Daten die Userprofile schärfen könnte.“ Libra drohe, einen „Schatz an feinmaschigen Informationen über das alltägliche Leben“ zu generieren, und das Geschäftsmodell von Facebook, den „Überwachungskapitalismus“, noch auszubauen.

Ironischerweise geht die Sorge vor zuwenig Datenschutz mit der Sorge vor zuviel Datenschutz einher. So ruft etwa der französische Finanzminister Bruno Le Maire die Zentralbanker und Regulierer auf, sich mit Facebook zu beschäftigen. Seine Befürchtungen drehen sich um „Privatsphäre, Geldwäsche und Terrorfinanzierung.“ Auch Markus Ferber, ein EU-Parlamentarer der CSU, sagte, Facebook könne mit seinen 2 Milliarden Usern zu einer „Schattenbank“ werden, was die Regulierer in höchste Alarmbereitschaft versetzen sollte. In ähnlicher Weise meldet sich Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Bundesbank, zu Wort: Facebook dürfe nicht zu einem neuen „Marktplatz werden, um Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zu tätigen“. Ähnlich der eben noch über die mangelnde Privatsphäre besorgte grüne Finanzexperte Schick: „Anonyme Zahlungsmöglichkeiten“ wie Libra erleichterten auch, „dass man Dienstleister ohne Blick des Fiskus fast weltweit entlohnen kann.“

Wie man es macht, ist es falsch: Ist eine Kryptowährung zu transparent, verletzt sie den Datenschutz, ist sie zu privat, wird sie zur Schattenbank. In der Vorstellung der meisten Politiker ist Libra, irgendwie, beides zugleich.

Der Erfolg wird vorausgesetzt

Gleichzeitig scheinen viele der Politiker und Experten schon jetzt davon überzeugt, dass Facebook mit seiner Kryptowährung – die sich im Whitepaper ein wenig wie ein Bullshit-Bingo der neuesten Blockchain-Trends liest – ein maßloser Erfolg sein wird. Und zwar so sehr, dass man sich bereits bis in die höchsten Etagen über die globale Geldmarktstabilität Sorgen macht.

So sagte Frankreichs Le Maire, dass Libra nicht als Ersatz für traditionelle Währungen gesehen werden sollte. „Es steht nicht zur Debatte, dass es eine souveräne Währung wird. Das kann es nicht und das darf nicht geschehen.“ Auch der Governeur der britischen Zentralbank, Mark Carney, betonte mit Blick auf Libra, dass „alles, was in dieser Welt funktioniert, augenblicklich systemisch wird und zum Subjekt der höchsten Standards der Regulierung werden muss.“ Er verspricht, gemeinsam mit der G7, dem Internationalen Währungsfond, der Bank für Internationalem Zahlungsausgleich (BIZ) sowie dem Financial Stability Board (FSB) über Libra zu diskutieren.

Die mächtige BIZ, auch bekannt als „Zentralbank der Zentralbanken“, hat Libra bereits kommentiert. Wenn eine solche große Tech-Firma ihre riesigen Userdaten mit finanziellen Aktivitäten verbinde, könne dies „die finanzielle Stabilität gefährden“. Hyun Song Shin, ein Analyst der BIZ, sagte, es sei ein koordiniertes Bemühen der globalen Politik nötig, um mit dem Facebook-Coin umzugehen. Auf Social Europe fragt derweil Katharina Pistor, eine Rechtsprofessorin an der Columbia Law Schook, ob die Regierungen „die Risiken für die Finanzstabilität verstehen.“ Ein Zahlungssystem – oder eine Währung – verlange nach einem Maß an Liquidität, die kein privater Akteur aufbringen könne. Libra sei „eine Gefahr für das gesamte globale Finanzwesen“. Daher müsse die Politik es stoppen.

Sogar die BILD titelt, dass Libra den Druck auf die EU erhöhe, „eine eigene Antwort auf das bargeldlose Geldsystem zu finden“. Sie zitiert Danyal Bayaz, Finanzpolitiker der Grünen mit der Frage, „ob unsere Zentralbank eigene Angebote wie beispielsweise einen E-Euro schaffen sollte.“ Facebooks Libra-Projekt sieht er als Angriff auf das Monopol der Politik: „Es geht um die Frage, wer in Zukunft eigentlich noch das Privileg hat, Geldschöpfung zu betreiben. Der Staat? Banken? Oder Digitalkonzerne wie Facebook?“ Zustimmung kommt von einer Partei, die eigentlich nicht oft mit den Grünen einig ist. Hansjörg Durz, digitalpolitischer Sprecher der CSU, meint, Libra zwinge „staatliche Institutionen dazu, sich noch intensiver mit digitalen Währungen auseinanderzusetzen. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Ausgabe einer Währung und die Anwendung finanzpolitischer Instrumente durch NGOs und Unternehmen statt durch staatliche Akteure dem Allgemeinwohl dienlich sind.“

Was die Politiker nicht verstehen …

Diese schnellen, ranghohen und aufgeschreckten Statements zeigen: Der Facebook-Coin ist für die Politik etwas ganz anderes als Bitcoin und Co. Zum einen weil sich die meisten Politiker nicht vorzustellen können, dass eine Kryptowährung erfolgreich sein kann, hinter der kein globaler Konzern steht. Dass etwas dezentral funktioniert, anstatt durch eine zentrale Macht, geht weiterhin über die Phantasie der meisten hinaus. Erst wenn eine richtige, große Firma dabei ist, muss man es ernstnehmen.

Sie übersehen dabei, dass hinter Bitcoin ein mittlerweile gereiftes Ökosystem von Firmen steht, von denen einige einen Marktwert von mehr als einer Milliarde und viele Bewertungen von hunderten oder zumindest zig Millionen haben. Ein solches Ökosystem ist sehr viel widerstandsfähiger und innovativer als eine um Facebook und einige Platzhirsche herum zentralisierte Währung, die den Ballast lange gewachsener Strukturen mit sich schleppt. Die harte Kritik der Politik an Libra zeigt zunächst vor allem, dass hier noch immer in alten Mustern gedacht wird, um neue Phänomene wie Bitcoin zu begreifen; eventuell steht dahinter sogar eine Art Wunschdenken, dass nur das, was man versteht und was ein Zentrum hat, auch erfolgreich sein kann. Die Übertreibung der Gefahr und des Potentials von Libra könnte eine Art psychologische Strategie sein, um die eigene Hilflosigkeit angesichts dezentraler Kryptowährungen zu verdrängen.

Auf der anderen Seite zeigt die Kritik der Politiker auch ziemlich deutlich, warum nur dezentrale Kryptowährungen eine Chance haben, erfolgreich zu sein. Wenn man der Regierung einen Angriffspunkt bietet, indem man eine Kryptowährung zentralisiert aufbaut, nutzt sie ihn. Was ein Zentrum hat, kann zerstört und beherrscht werden, und wenn die Politik eine Möglichkeit hat, auf ein Zentrum zuzugreifen, fordert sie schon präventiv, noch bevor es überhaupt losgeht, ihre Einflussnahme ein. Bei Bitcoin weiß die Politik nicht, an wen sie sich wenden soll; Aufrufe, dass Bitcoin nicht sein darf, werden dann und wann laut, aber sie verschallen, weil es niemanden gibt, an den man herantreten kann, um Bitcoin auszuschalten. Diejenigen, die das fordern, zeigen damit meist, dass sie schlicht nicht verstanden haben, welche Bedeutung Bitcoin hat. Bei Facebooks Coin ist das anders – hier können die Regierungen eingreifen. Und genau das wollen sie auch tun.

Facebook ist bereits einen Schritt voraus

Dabei aber scheint Facebook genau das bereits bedacht zu haben. Der Konzern versucht schon seit einigen Jahren, eine Lizenz zu bekommen, um seine mächtige Userbasis für finanzielle Transaktionen zu nutzen. Die Entwicklung einer eigenen Kryptowährung scheint nun dem Umstand geschuldet zu sein, dass sich Facebook auf dem geordneten Wege der regulierten, unternehmerischen Finanzdienstleistung schwer tut. Wenn es nur um die Technologie ginge, könnte Facebook einfach ein neues PayPal auf Basis seiner breiten Infrastruktur schaffen.

Libra ist daher nicht der Versuch, das technische Problem zu lösen – sondern sich den Zwängen von Aufsicht und Politik zu entziehen. Indem der Coin von 100 Mitgliedern der Stiftung betrieben wird, ist Facebook kein hinreichender Ansprechpartner, um regulatorische Wunschvorstellungen durchzusetzen. Auch die Stiftung selbst ist es nicht, da sie keine Verfügungsgewalt über ihre Mitglieder hat. Schon allein diese Konstruktion macht es der Politik enorm schwierig, einen Hebel zu finden, um Libra zu kontrollieren.

Auf diese Weise könnte Facebook die Zeit gewinnen, um Libra weiter zu dezentralisieren und den eigenen Einfluss verschwindend gering zu machen. Es ist geplant, auch Nicht-Mitgliedern der Stiftung zu erlauben, einen Validator-Node – das entspricht einem Mining-Node bei Bitcoin – zu betreiben, wenn sie sich durch einen „Stake“, also einen gewissen Betrag an Libra-Coins, ausweisen. Auch soll es Usern erlaubt sein, „Full Nodes“ zu betreiben, die zwar keine Daten in die Blockchain schreiben, aber die gesamte Blockchain – wenn man das bei Libra noch so nennen kann – herunterladen und validieren können. Sollte dies schneller geschehen, als es der Politik gelingt, einen regulatorischen Fuss in der Tür zu haben, dürfte es extrem schwer werden, Libra zu beherrschen.

Facebook steht hier vor einer der interessantesten Anreiz-Konstellationen von Kryptowährungen. Als Unternehmen will man keine Kryptowährung beherrschen. Ripple hat es versucht, aber seit die Firma Ripple Labs von den US-Regulierern bestraft wurde, versucht sie, Ripple zu dezentralisieren, um selbst nicht länger Zielscheibe zu sein. Für Facebook gilt dasselbe. Dezentralisierung scheint bei Kryptowährungen das natürliche Interesse gerade jener Parteien zu sein, die noch einen zentralen Einfluss ausüben können.

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