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Die Pleite von FTX: Wie es dazu kam – und wie sie die Märkte erschüttert

Crash. Bild von Ted Van Pelt via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die Börse FTX ist insolvent, Binance übernimmt sie, und die Krypto-Märkte sind im Aufruhr. Wir wickeln die Geschichte ab. Wie konnte das passieren – und was bedeutet es?

Was für turbulente Tage. FTX, die angeblich zweitgrößte Krypto-Börse, ist insolvent, und kann nur gerettet werden, indem Binance, die größte Krypto-Börse, sie aufkauft. Das Token FTT rauscht derweil massiv ab, ebenso Solana, das auf den tiefsten Wert seit April 2021 fällt. Die Ereignisse reissen den gesamten Markt mit sich und Bitcoin lotet mit gut 17.000 Euro neue Tiefpunkte dieses Bärenmarktes aus.

Was genau ist passiert? Wie konnte FTX quasi über Nacht pleite gehen? Und was bedeutet das für den gesamten Markt? Wir versuchen, das ganze Drama zu rekonstruieren.

Von 0 auf 16.000.000.000

FTX ist die Börse von Sam Bankman-Fried, kurz SBF. Sam ist eines der Produkte des Bullenmarktes 2020/21. Er war zuvor so gut wie unbekannt, obwohl er mit seiner Handelsfirma Alameda Research sehr erfolgreich mit Tether-Dollar Arbitrage-Geschäfte ausführte und institutionelle Investoren einführte.

Zur Legende im Ökosystem wurde er allerdings durch seine Börse FTX, die mit dem Verkauf des Token FTT massiv Kapital einholte, und ebenso massiv in die Krypowährung Solana investierte. Solana vervielfachte ihren Wert, und SBF hatte in verblüffend kurzer Zeit ein Vermögen von gut 16 Milliarden Dollar angehäuft.

Er schien unbesiegbar. In der Pleitewelle im Frühjahr, die von 3 Arrows Capital und Celsius ausging, trat er als Retter auf. Er bezahlte die Schulden von BlockFi, indem er 240 Millionen Dollar investierte, überlegte öffentlich, Celsius zu kaufen, und bot für die Assets von Voyager. SBF und seine Börse FTX schien sich als großer Krisengewinner aufzustellen.

Doch im Hintergrund zeigten sich die ersten, zarten Risse im perfekten Bild. Krypto gibt’s, Krypto nimmt’s.

Erste Risse zeigen sich

Zunächst trat am 24. August der CEO vom Alameda, Sam Trabucco, zurück. Einen Monat später folgte der Präsident von FTX, Brett Harrison.

Kurz danach wurde bekannt, dass FTX rechtliche Probleme in den USA hatten, weil die Aufsicht wegen nicht genehmigter Wertpapiere ermittelte. Eventuell weil es diese Wertpapiere auf FTX zu handeln gab, oder weil das FTT-Token selbst als eines galt.

Sam schlug sich danach auf die Seite der Regulierer. Er unterstützte einen kontroversen Gesetzesentwurf der Demokraten, DCCPA, und veröffentlichte auf FTX eigene Gedanken zur Regulierung von Krypto. Dies brachte ihm heftigen Widerspruch aus dem Ökosystem ein.

Der Stern des Krypto-Helden SBF war am sinken. Sein öffentliches Bild war schon stark angekratzt. Aber niemand wäre auf die Idee gekommen, dass FTX kurz vor der Pleite stand.

Eine fragwürdige Bilanz kommt ans Licht

Vergangenen Mittwoch, am 2. November, veröffentlichte Coindesk dann einen Artikel über einen Leak der Bilanz von Alameda.

Alameda notierte Assets im Wert von 14,6 Milliarden Dollar und Verbindlichkeiten von 8 Milliarden Dollar. Das wirkt solide – auf den ersten Blick.

Wenn man nur ein Stückchen genauer hinschaute, schwand jeder Eindruck von Stabilität. Der absolute Großteil der Assets von Alameda bestand aus äußerst spekulativen Coins und Tokens: 3,66 Mrd. in FTT-Token, 2,16 Mrd. in „FTT Kollaterale“, 3,37 Mrd in verschiedenen Kryptowährungen – darunter mehr als eine Milliarde in Solana – sowie 134 Millionen US-Dollar und zwei Milliarden in „aktienähnlichen Wertpapieren.“

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war der Kurs der FTT-Token bereits gefallen. Ihre gesamte Marktkapitalisierung betrug 3,35 Milliarden Dollar. Alameda hatte so große Teil der gesamten Menge in der Bilanz, dass es unmöglich war, auch nur einen Bruchteil davon auf den Märkten zu liquidieren, ohne dass der Preis einstürzte.

Die Börse FTX gibt einen Coin heraus, FTT, und ihre Schwesterfirma, Alameda Research, hält den absoluten Großteil davon. Das ist nicht eben vertrauenswürdig. „Es ist faszinierend, dass die Mehrheit des Gesamtkapitals von Alameda aus Token besteht, die von FTX zentral kontrolliert werden und aus heißer Luft geschaffen wurden,“ erklärte Cory Klippsten von der Investment-Plattform Swan Bitcoin gegenüber Coindesk.

Noch fadenscheiniger wurde die Bilanz dadurch, dass die FTT-Token, deren Wert letztendlich pure Phantasie waren, noch als Kollateral verwendet wurden, um andere Coins zu leihen oder Margin Trading zu betreiben.

Es war unvermeidlich, dass das Ökosystem begann, über eine Insolvenz zu spekulieren. Und ein Stückchen Schadenfreude war hier und da auch dabei.

Binance wirft FTT-Token auf den Markt

Sam Bankman-Fried sagte zwar, dass FTX liquide sei. Doch hinter den Kulissen braute sich bereits ein massiver Sturm zusammen.

Am 5. November wurden 22.999.999 FTT-Token, was zu diesem Zeitpunkt etwa 500 Millionen Dollar oder knapp sechs Prozent aller FTT-Token entsprach, von einer unbekannten Wallet auf die Börse Binance versendet.

Die Gerüchte identifizierten rasch Chengpeng Zhao (CZ), den Chef von Binance, als den Sender. CZ bestätigte das kurz danach:

Als Teil der Abwicklung des Investments in FTX habe Binance im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden Dollar in BUSD und FTT erhalten. „Aufgrund der jüngsten Enthüllungen haben wir uns entschieden, jegliche verbleibenden FTT aus unseren Bilanzen zu entfernen.“ Man werde, betonte CZ, dies auf eine Weise tun, die den Einfluss auf den Markt minimiert. Aufgrund der Situation und begrenzten Liquidität erwarte man, dass dies einige Monate dauern werde.

Der Preis der FTT-Token sank. Zunächst nur langsam, von 25 auf 22 Dollar. Es schien eine Art Support bei 22 Dollar zu geben. Alameda bot CZ an, alle Token für 22 Dollar je Stück zu kaufen. Das Angebot wirkte wie Verzweiflung.

Auch der Kurs von Solana fiel, von rund 35 Dollar am 5. November auf etwa 29 Dollar am 8. November.

Aber all das war nur ein Vorspiel. Es war das Rascheln der Blätter in den Bäumen, das auf eine milde Weise ankündigt, dass ein Sturm im Anzug ist.

Panik erfüllt die Luft

Gestern, am 8. November, mehrten sich die Gerüchte über einen Bankrun bei FTX. Die Situation beunruhigte Trader, diese zogen ihre Gelder ab, wodurch die Situation nur noch schlimmer wurde. Ein Bankrun ist ein Meme, eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Wenn nur genügend Leute denken, du wärst pleite, dann wirst du auch pleite sein.

Die Trader zogen gerade die Assets ab, die noch am stabilsten waren: Bitcoin und Stablecoins. Von den 100.000 Bitcoins, die noch im Mai auf FTX gelegen hatten, waren Mitte des Tages nur noch 12.900 übrig. Und der Bestand schmolz rasant. Wenige Stunden später war er auf 5.700 gefallen. Der Bankrun war bereits in vollem Gange.

Einigen Beobachtern fiel auf, dass FTX nur kleine Auszahlungen in USDC ausführte, im 3- oder 4-stelligen Bereich. Manche User berichteten, dass ihre Auszahlungen wegen einer erneuten Identitätsprüfung gestoppt wurden.

FTX begann, Anzeichen dafür zu zeigen, dass der Bankrun die Liquidität der Börse auf ein Niveau drückte, dass es dieser schwer machte, Auszahlungen zu bedienen. Wir kennen das von allen Pleiten von Börsen, am prominentesten von Mt. Gox vor langer Zeit.

Es wurde schwer, zu erkennen, was möglich war und was nicht. FTX schien willkürlich Auszahlungen auszusetzen und zu genehmigen. Zwischenzeitlich waren gar keine Auszahlungen auf Ethereum, Solana und Tron möglich, danach nur noch native Ether, aber keine Token.

Der Geruch nach Panik erfüllte die Luft um Sam Bankman-Fried.

SBF ringt um Liquidität

Im Stillen hatte SBF bereits in der Wall Street und im Silicon Valley nach Investoren gesucht. Er versuchte, eine Milliarde Dollar einzuholen, um die Lücken zu füllen.

Am Dienstag brach der Widerstand von FTX bei 22 Dollar. Das Token sank, zuerst auf 15 Dollar, rappelte sich wieder auf, schnellte auf 18 Dollar hoch – und stürzte dann auf weniger als 5 Dollar ab. Zugleich rauschte Solana auf rund 20 Dollar ab, und die Ereignisse begannen, den gesamten Markt zu infizieren. Auch die Kurse von Bitcoin und Ethereum litten massiv.

Die Finanzlücke von FTX war über Nacht von einer auf 4-5 Milliarden Dollar gestiegen. Die Situation wurde zunehmend verzweifelt.

Dann kam die erlösende Nachricht, die dieses Drama, das erst vergangenen Mittwoch begonnen hatte, nach weniger als einer Woche abschloss: Binance kündigte an, FTX zu kaufen.

Binance übernimmt

Binance-Boss CZ tweetete: „An diesem Nachmittag bat uns FTX um Hilfe. Es gibt eine signifikante Liquiditäts-Schmelze. Um User zu schützen, haben wir ein nicht-verbindliches Übernahme-Abkommen unerzeichnet. Wir haben vor, FTX vollständig zu kaufen und dabei zu helfen, die Liquiditäts-Lücke zu schließen.“

Man werde sich die Geschäftsbücher von FTX in den kommenden Tagen ausführlich anschauen. „Die Situation ist extrem dynamisch, und wir bewerten sie in Echtzeit. Binance behält sich vor, jederzeit aus dem Deal auszusteigen,“ warnte CZ. Er erwarte, dass FTT in den kommenden Tagen extrem volatil bleiben werde, während sich die Lage entwickle.

Der Binance-Chef erklärt weiter, dass es zwei Lektionen gebe, die man aus der Affäre ziehen könne: Erstens, man solle niemals ein Token, das man selbst geschaffen hat, als Kollateral verwenden, und zweitens, man solle sich kein Geld leihen, wenn man ein Krypto-Unternehmen führt. Man solle Kapital nicht ‚effizient‘ nutzen, sondern eine große Reserve halten.

Seine Börse, versichert er, habe niemals die BNB-Token als Kollateral verwendet, noch habe sie sich Geld geliehen.

Sam Bankman-Fried bestätigt: Man sei zu einer Übereinkunft mit Binance gekommen. Das Team arbeite daran, die Auszahlungen vollständig zu bedienen und die Liquiditätslücken zu schließen. Alle Assets werden gedeckt, keine Kunden verlieren etwas.

Außer eben all die Investoren, die durch die erheblichen Kursverluste quer durch den Kryptomarkt verlieren. Aber vielleicht hat die Geschichte auf eine gute Seite – vielleicht markiert sie das Ende des Bärenmarktes.

Es wäre zu passend: Sam Bankman-Fried und seine Börse FTX waren ein Produkt des Bullenmarktes 2020/21, ein Kind des irrationalen Überschwangs, der die Krypto-Märkte entfesselt, beflügelt und schließlich zum Einsturz gebracht hatte. Ihr Fall könnte den Zeitpunkt markieren, ab dem der Überschwang – also die Blase – endlich abgebaut wurde. Den Zeitpunkt, ab dem die Märkte aufhören können, sich ängstlich mit sich selbst zu beschäftigen, und stattdessen wieder hoffnungsvoll nach vorne zu schauen.

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