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Drosseln und Verzögern: Gut für den Holder

Pyramide von Chephren. Bild von american_rugbier via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Nachdem das mutmaßliche Pyramidenspiel PlusToken aufgeflogen sind, sind vermutlich mehr als 200.000 Bitcoins „auf der Flucht“. Wir spekulieren, was das für Bitcoin-Investoren bedeuten kann.

Lasst uns nochmal über PlusToken sprechen. Es ist schwer zu begreifen, wie groß die Sache ist. Wenn es stimmt, was gesagt wird, nämlich, dass das chinesische mutmaßliche Pyramidenspiel 200.000 bis 300.000 Bitcoin sowie knapp 800.000 Ether angehäuft hat, ist es für den Besitzer von Bitcoins – den Holder – recht wichtig, was mit diesem gewaltigen Schatz nun passiert. Die Menge ist groß genug, um einen erheblichen Einfluss auf den Preis zu nehmen.

Es wird hier ausschließlich darum gehen, welche Folgen die Ereignisse für den Holder haben. Die einzige Frage ist, ob sie helfen, den Bitcoin-Preis zu erhöhen, oder ob sie drohen, ihn einbrechen zu lassen. Moralische Fragen, die auf allen Seiten lauern, werden wir ausklammern. Stattdessen widmen wir uns dem spannenden Zusammenhang von Fungibilität, Blacklists und dem Kurs.

Also: 200.000 bis 300.000 Bitcoin. Lasst uns vergegenwärtigen, wie viel das ist: Es entspricht (heute) etwa 3 Milliarden Dollar und macht 1-2 Prozent aller existierenden Bitcoins aus. Um so viele Bitcoins zu erzeugen, müssen alle Miner zusammen je 5 Monate lang arbeiten. Bei Ethereum sieht es nicht ganz so extrem aus, bleibt aber enorm: 790.000 Ether sind etwa 0,8 Prozent der gegenwärtig existierenden Ether oder 58 Tagesproduktionen der Miner.

Warum fehlende Fungibilität gut für den Holder ist

Man muss sich dieses Ausmaß erst einmal vergegenwärtigen. Dass eine solche Menge von Coins auf den Markt strömen kann, ist für den Holder zunächst fundamental ungünstig. Allerdings ist die Art, wie dies geschieht, für ausgesprochen günstig für ihn.

Die an dieser Stelle essenzielle Eigenschaft von Bitcoin ist, dass die Coins im technischen Sinne nicht fungibel sind. Anstatt dass eine Einheit der anderen gleicht, wie ein Ei dem anderen, können Bitcoins beschmutzt sein, wenn sie eine kriminelle Vergangenheit haben. Dann sind sie nicht mehr gleich. Wenn Börsen und Zahlungsdienstleister Blacklists verhängen, und man, warum auch immer, einen schmutzigen Coin hat, kann man ihn nicht mehr einzahlen oder bekommt Probleme, wenn man dabei erwischt wird. Diese fehlende Fungibilität wird üblicherweise als Mangel wahrgenommen.

Im Fall PlusToken wird sie für den Holder aber zum massiven Vorteil. Die Polizei sowie chinesische Beobachter nehmen PlusToken offenbar als Betrug wahr. Da einige Adressen der Betreiber bekannt sind, können Blockchain-Analysten die Wallets identifizieren und Blacklists bilden. So beobachtet PeckShield etwa Transaktionen von den PlusToken-Wallets bereits in Echtzeit. Börsen und Zahlungsdiensteister können über diese Blacklists informiert werden und die Bitcoins, wenn sie auflaufen, einfrieren und womöglich zu Verhaftungen beitragen. Ob und inwieweit eine effiziente Blacklist flächendeckend umzusetzen ist, kann ich nicht sagen; vermutlich beim derzeitigen Stand der Technik aber eher nicht, vor allem, wenn versucht wird, die Spuren zu verschleiern.

Dennoch macht es die Analyse der Onchain-Transaktionen den mutmaßlichen Betrügern schwer, die Coins zu wechseln. Dies macht die fehlden Fungibilität für den Holder so attraktiv.

Der Holder gewinnt in fast allen Szenarien

Schauen wir uns an, was nun passieren kann. Es gibt mehrere Optionen:

a) Die Blacklists greifen nicht gut genug, etwa, weil nicht alle Börsen sie umsetzen, oder weil sie nicht alle Coins identifizieren können. Dann können die PlusToken-Macher auscashen und ihre Bitcoin gegen Dollar, Euro, Yuan und Yen umtauschen. So, als wäre Bitcoin doch fungibel. Das ist das Worst Case Szenario für den Holder. Der Holder steht hier eindeutig auf der Seite der Strafverfolgung. Zumindest liegt es in seinem Interesse, dass das Auscashen für die mutmaßlichen Betrüger schwierig wird.

b) Die Blacklists greifen und die Coins werden beschlagnahmt. In diesem Fall werden sie vermutlich zunächst von der Börse verwahrt, während ein Gerichtsverfahren abläuft; am Ende werden sie wohl an den Staat übergeben, der sie dann verkauft oder versteigert und im besten Fall die Opfer auszahlt. Das ist gut für den Holder: Verfahren brauchen Zeit, was den Verkauf der Coins verzögert und auch drosselt. Sie fungieren so ähnlich wie die Zentralbank, die versucht, die Inflation über den Zinssatz zu steuern.

c) Die Coins werden gewaschen. Etwa durch Wallets wie Wassabi und Samourai, dezentrale oder zentrale Mixer und andere Methoden, vielleicht auch durch ein paar Lightning-Nodes. Auf Ethereum dürfte sich Tornado.Cash anbieten, ein Mixer im Smart Contract. Mit all diesen Verfahren macht man schmutzige Coins zu mehr oder weniger sauberen; man erlangt keine vollständige Reinheit, aber erschwert die Strafverfolgung spürbar. Alle diese Verfahren haben jedoch eine begrenzte Liquidität und brauchen demnach Zeit: Monate, wenn nicht Jahre. Wir haben also erneut ein Verfahren, das verzögert und drosselt, und das ist gut für den Holder.

d) Die nicht-fungiblen Bitcoins werden gegen eine andere, fungible Kryptowährung getauscht. Etwa Monero. Hätten die Betrüger anstelle der Bitcoins Monero eingenommen, könnten sie ohne Hindernisse auscashen — was ziemlich schlecht für den Holder wäre. Wie aber bekommen sie nun mit den schmutzigen Bitcoins Monero? Sie könnten sie auf einer Börse tauschen, aber dabei landen sie beim gleichen Problem – den Blacklists – auch wenn sie eine größere Auswahl an unregulierten Altcoin-Buden und Underground-Marktplätzen genießen dürften.
Eventuell benutzen sie auch dezentrale Börsen. Bei Bisq, dem dezentralen Marktplatz, hat das Handelspaar Bitcoin-Monero den stärksten Antrieb; während sein Volumen kontinuierlich zunimmt, stagniert das aller anderen Währungspaare. Gerade seit Ende Juni – als es zu den ersten PlusToken-Verhaftungen kam – ist der Markt besonders belebt. Allerdings ist das Handelsvolumen weiterhin gering im Vergleich mit dem auf Börsen.
Egal wie man es macht – der Tausch benötigt viel Liquidität und damit Zeit. Es gibt erneut ein Verfahren. Zudem wechseln die schmutzigen Bitcoins ja nur den Besitzer; der neue Besitzer muss sie ebenfalls waschen und lange Zeit halten. Auch das ist gut für den Holder.

Was die Lebenswirklichkeit der mutmaßlichen Betrüger betrifft, gibt es nur zwei Szenarien, die beide gut sind:

1. Freiheit. Sie tauchen unter, gehen in ein anderes Land, verstecken sich. In den meisten Fällen werden sie dann nicht so viel ausgeben; wer auf der Flucht ist, lebt selten pompös. Sie können das Auskommen ihres restlichen Lebens mit kleinen Anteilen ihrer Bitcoins bestreiten – sagen wir 5 Prozent – während jeder große Verkauf zum Risiko wird, aufzufliegen. Sie werden, ob willens oder nicht, zu Holdern. Was natürlich gut für die anderen Holder ist. Sollte es so kommen, wie viele meinen, nämlich dass Bitcoin unvermeidbar mehr wert werden wird, sagen wir, 50.000 Dollar in 2020, werden die PlusToken-Macher auch immer reicher. Wenn sie lange genug überleben, können sie sich vielleicht einmal ein mittelkleines Land kaufen.

2. Gefängnis. Die Polizei erwischt sie. In dem Fall könnte es sein, dass ein Teil der Coins auf verschlüsselten oder unauffindbaren Wallets liegt. Dieser Teil könnte dann für immer – oder zumindest für sehr lange Zeit – aus dem Verkehr gezogen sein. In Bulgarien scheint etwas ähnliches mit rund 200.000 Bitcoins passiert zu sein, die einem aufgeflogenen Schmuggelring gehört haben. Allerdings liegen nur wenig handfeste Informationen dafür vor. Ein solches Szenario wäre natürlich gut für den Holder: Die Betrüger bekommen ihre gerechte Strafe, aber die Coins sind verschollen. Aber auch wenn die Polizei alle Bitcoins in die Finger bekommt, wäre das verkraftbar. Denn erneut geht es durch ein Verfahren, diesmal ein rechtliches, das den Verkauf verzögert und drosselt.

Die Blockchain als Verdauungsorgan

So gut wie alle Optionen, die es für die PlusToken-Betrüger gibt, ob gut oder schlecht für diese, sind positiv für Bitcoin-Investoren. Dass Bitcoin nicht fungibel ist, wird zu einem großen Vorteil der Holder: Die Betrüger sind gezwungen, sie nur sehr langsam zu verkaufen; die dabei angewandten Verfahren drosseln den Markteintritt.

Wenn Bitcoins auf (formellen oder informellen) Blacklists landen oder konfisziert werden, ist das so, als würde sich Bitcoin eine Portion Werte einverleiben. Die Werte, die eine kriminelle Vergangenheit haben, müssen in der Blockchain ruhen, bis „Gras über die Sache gewachsen“ ist, oder sie müssen verdaut – also gewaschen – werden, bevor sie wieder auf den Markt kommen. Vermutlich liegen im Inneren der Blockchain bereits große Mengen solcher Werte, die bei Hacks, durch Ransomware, durch Exit-Scams von Darknetmärkten und eben auch durch Betrüger angehäuft wurden – und vermutlich werden noch viele weitere in Zukunft hinzukommen.

Wie all das zu sehen ist, bereitet mir ein wenig Verdruss. Ist es gut, oder schlecht, oder gar nichts davon? Es ist natürlich schlecht, dass Leute betrogen werden; aber es ist gut – für Holder – wenn dadurch der Preis ansteigt. Ist es schlecht, dass Bitcoin nicht fungibel ist, weil es die Privatsphäre verletzt – oder ist es gut, weil es so möglich ist, Betrüger zu stellen? Oder ist das für den Holder gar nicht relevant – sondern nur, dass es gut ist, weil dies den Verkauf der Bitcoins verzögert und drosselt? Ist es nicht furchtbar, wenn die mutmaßlichen PlusToken-Betrüger dadurch gezwungen werden, zu holden, bis Bitcoins 100.000 Euro wert sind, was sie zu einigen der reichsten Menschen der Welt machen würde? All das sind schwierige Fragen, und ich fürchte, man begibt sich auf allen Seiten auf ein Glatteis. Was meint ihr dazu?

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