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Britischer Notenbanker sieht Moment nahen, ab dem Bitcoin die Stabilität des Finanzwesens bedroht

Sir Jon Cunliffe, stellvertretender Governeur der Bank of England. Bild von Bank of England via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Der stellvertretender Governeur der britischen Zentralbank erklärt, warum ihn der rasante Aufstieg von Kryptowährungen besorgt – und warum Regierungen nicht umhin können, sich auf einen Crash des Kryptomarktes vorzubereiten.

Noch ist es nicht so weit. Sir Jon Cunliffe, stellvertretender Governeur der Bank of England, sagte in einem Interview mit BBC Radio 4: „Wie ich die Lage beurteile, sind Bitcoin und andere Krypto-Assets und ihr Wert derzeit noch keine Gefahr für die Stabilität des Finanzwesens.“

Die Betonung liegt auf „derzeit noch“. Es besteht kein Grund, aufzuatmen. Weder für die Krypto-Szene, die wenig erpicht auf diese Art der Aufmerksamkeit ist, noch für die Notenbanker, denen Bitcoin und Co. die Butter vom Brot klauben. Denn, fügt Cunliffe hinzu: „Sie [Kryptowährungen, C.B.] wachsen sehr schnell, und sie integrieren sich immer weiter in das, was ich das traditionelle Finanzsystem nenne“. Der Moment, ab dem Krypotwährungen zu einer Gefahr werden können, rücke näher.

Daher fordert Cunliffe Regulierer und Gesetzgeber auf, „sehr hart darüber nachzudenken.“ Das Szenario, vor dem sich er sorgt, ist dieses: Kryptowährungen verzahnen sich so eng mit dem breiten Finanzwesen, dass die für Krypto typische hohe Volatilität auf die traditionellen Märkte überschwappt. Ein harter Crash in Krypto, wie wir ihn alle kennen, könnte beim nächsten Mal eine breite Sogwirkung nehmen.

Wie sehr zieht ein Krypto-Crash das Finanzwesen mit hinab?

Regulierung und Gesetzgeber müssten, fordert Cunliffe, Klarheit schaffen, wie sie mit einem solchen harten Crash der Kryptomärkte umgehen. Wie dämmen sie einen solchen Brand ein? Wie verhindern sie, dass er überspringt?

Ein solcher Kollaps sei wegen vieler Faktoren wahrscheinlich, sagte der Vize-Governeur bereits in einer Rede am 13. Oktober, etwa wegen des fehlenden intrinsischen Wertes, der Volatilität der Preise, des Herdentriebes oder wegen operativen Risiken im Cyberspace. Der Notenbanker geht sogar so weit, einen Crash auf Null-Komma-Null, also einen totalen und endgültigen Einsturz, für möglich zu halten. Daher müsse man sich darauf vorbereiten und zumindest wissen, welche Risiken damit einhergehen.

Cunliffe warnte aber auch davor, überzureagieren. „Wir sollten neue Ansätze nicht als gefährlich betrachten, nur weil sie anders sind.“ Innovationen führten neue Technologien und Akteure ein; sie seien in der Geschichte der Schlüssel, um das Finanzwesen zu verbessern und zu stärken. „Krypto-Technologien“ böten die Aussicht auf „radikale Verbesserungen im Finanzwesen.“

Allerdings lösen die gegenwärtigen Anwendungen – also Bitcoin und andere Kryptowährungen — aus mehreren Gründen Sorgen bei ihm aus. Vor allem, weil sie derzeit dabei sind, sich rasch und weitgehend unreguliert mit dem traditionellen Finanzwesen zu verbinden. Die Aufseher weltweit übertragen zwar die üblichen Regularien auf Kryptowährungen und Börsen, doch nicht immer greifen sie – etwa bei nicht-treuhänderischen Wallets oder bei DeFi – und oft sind sie auch nicht dafür gemacht, ein global grenzenloses Geld zu beherrschen. Es ist ein wenig so, als versuche man, einen Drachen mit den Mitteln zu erziehen, die man bei Hunden praktiziert.

Die Risiken, die von Krypto ausgehen, hält Cunliffe derzeit zwar noch für begrenzt. Aber sie könnten rapide wachsen. Wie schnell und wie weit hänge von der Reaktion der Regulierer und Gesetzgeber ab.

In seiner Rede weist der Notenbanker darauf hin, dass der Bitcoin-Preis im Lauf der letzten fünf Jahre an 30 Tagen um mehr als 10 Prozent gefallen sei, mit einem Rekordeinbruch von 40 Prozent im März 2020. Dass es zu solchen Einbrüchen kommt, ist weniger die Ausnahme, als die Regel, und die Frage ist nicht, ob es geschieht, sondern wann. Was aber „können solche Ereignisse auslösen, wenn diese Krypto-Assets weiterhin mit diesem Tempo wachen, wenn sie sich noch weiter in den traditionellen Finanzsektor integrieren, und wenn die Investment-Strategien weiterhin komplexer werden?“

An sich sollte das Finanzsystem starke Korrekturen, Einbrüche sowie hohe Verluste durch spekulative Finanzprodukte zulassen. Das sei ein „notwendiges Feature“. Doch die Aufsicht habe dafür zu sorgen, dass solche Ereignisse nicht schadhaft auf die Realwirtschaft ausstrahle. Daher müsse sie evaluieren, wie hoch die Risiken sind, dass dies geschieht, und wie man sie mindert.

Der IWF sieht das genau so

Eine sehr ähnliche, stellenweise deckungsgleiche Warnung hat Ende Oktober auch der Internationale Währungsfonds (IWF)  geäußert. Die subranationale Institution gab ihren „Global Financial Stability Report“ heraus.

Dem Aufstieg der Krypto-Assets widmet der Bericht ein ganzes Kapitel. Auch der IWF konstatiert, dass von Krypto noch keine systemischen Risiken für die Stabilität des Finanzwesens ausgehen, merkt aber an, dass „Risiken genau beobachtet werden sollten, da sie globale Folgen haben können und der operative und regulatorische Rahmen in vielen Jurisdiktionen noch nicht adequat ist.“

Wie schon Cunliffe notiert der IWF das enorme Wachstum von Kryptowährungen. Noch 2018 hat der IWF bemerkt, dass von Kryptowährungen keine Gefahr für das Finanzsystem ausgehe. Das Phänomen sei viel zu klein. Nun sagt er, es bestehe noch kein systemisches Risiko für die Stabilität des globalen Finanzwesens. Die Adjektive, die sich in die Formulierungen eingeschlichen haben, sind enorm wichtig.

Das Krypto-Ökosystem sei zwar weiterhin zu klein, um ein globales Risiko darzustellen. Doch Krypto-Assets und „und im besonderes Stablecoins“ können „ein hohes Risiko für aufstrebende Märkte und Entwicklungsländer darstellen.“

Risikotreibend seien hochspekulative Assets – etwa die Memecoins wie Dogecoin oder Shiba Inu -, die Praxis, mit Hebel zu handeln, teilweise auch mit hohem, und schließlich DeFi, wo die Produkte teils komplex und intransparent sind und Fehler im Code hohe Verluste verursachen können. All das kann tatsächlich in der falschen Marktlage und in Kombination unvorhersehbare Effekte auf die Kryptomärkte nehmen.

„Noch“ begrüßen die Notenbanken Innovationen

Dieser Wandel des Tons sowohl bei Cunliffe als auch dem IWF ist bedeutsam. Die Institutionen versichern, dass Bitcoin weiterhin kein Risiko für die Stabilität der globalen Finanzen bedeute. Noch sind die Notenbanken stärker, noch hat es eine Software, die ein anonymer Entwickler im Internet abgelegt hat, nicht geschafft, die Zentralbanken vom Thron zu stoßen und das globale Finanzwesen zu erschüttern.

Aber das „noch“ klingt zunehmend zaghaft und unsicher. Bei Entwicklungsländern warnt der IWF bereits, dass Kryptowährungen und Stablecoins zu einer ernsthaften Gefahr werden, und es dürfte kaum noch ein Zweifel bleiben, dass dies auch für das globale Finanzwesen zutreffen wird, wenn das Ökosystem im selben Tempo weiterwächst. Man mag schon fast hoffen, dass der Bullenmarkt an dieser Stelle ein wenig verschnauft und vielleicht auch korrigiert.

Denn das Finanz-Establishment erkennt die Gefahr, die ihm da dämmert. Es versucht schon jetzt, Aufseher und Gesetzgeber dazu zu bewegen, strenger zu regulieren, hält aber, zumindest im Westen, daran fest, dass man neue Technologien begrüßt, anstatt wie China Innovationen zu verhindern, wenn diesen unerwünschte Zähne oder Flügel wachsen. Aber auch hier greift das „noch“, und man darf daran zweifeln, dass Notenbanker und Politik daran festhalten, wenn es wirklich brenzlig für sie wird …

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