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Männlich, gut gebildet, libertär und – gerne weiterhin mit Maske

Teleskop in der Antarktis. Bild von Eli Duke via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Was macht den typischen deutschen Bitcoiner aus? Wir haben, zumindest für die Leser unseres Blogs, die Antwort parat. In einer ersten Analyse unserer Umfrage versuchen wir, die demographischen und politischen Merkmale des deutschen Durchschnittscoiners festzustellen.

Satte 393 Leser haben bei unserer Umfrage mitgemacht. Da die Umfrage relativ ausführlich war, und da mir die Software es erlaubt, auch komplexere Auswertungen vorzunehmen, werde ich die Ergebnisse in drei Artikeln präsentieren. Es soll sich für euch gelohnt haben, mitzumachen, daher verdient ihr eine ausführliche Auswertung.

Im ersten Teil blenden wir Bitcoin und die ganzen anderen Kryptothemen vollständig aus. Wir fokussieren uns darauf, wer ihr seid und wie ihr euch politisch zu den gängigen Themen verortet. Dieser Teil wird weitgehend deskriptiv bleiben: Ich stelle dar, wie ihr geantwortet habt, und enthalte mich weitgehend der Kommentare und Analysen.

Also, beginnen wir mit euch: Wer seid ihr, rein demographisch, und was unterscheidet euch vom Rest der Republik? Was macht Bitcoiner sozialdemographisch aus?

Demographie

1. Ihr seid älter geworden

Erstens, euer Alter. Dieses präsentiere das folgende Säulendiagramm:

Wie zu sehen ist, haben wir zwei mächtige, beinah gleich hoch ragende Säulen zwischen 30 und 50 Jahren. Auch die Säule der 51-60-Jährigen ist noch beachtlich hoch. Deutlich tiefer sind die Säulen der 61-70- und der 21-30-Jährigen; kaum mehr vertreten die unter 20- und die über 70-Jährigen.

Natürlich muss man die Daten relativieren. Gerade jüngere Leute lesen heute seltener Blogs. Sie nutzen öfter Youtube, Instagram, Podcasts. Als Blogger ist man heute ja bereits Web 1.5 oder so. Eben altes Eisen. Daher könnte das Medium die Ergebnisse verfälschen.

Insgesamt aber bestätigt und präzisiert dieser Chart vorhergegangene Umfragen – obwohl es auf den ersten Blick aussieht, als wärt ihr im Vergleich zu einer Umfrage des Jahres 2020 älter geworden:

Im Jahr 2020 – wie auch in jeder vorhergegangenen Umfrage seit 2016 – lag der Klumpen der Altersverteilunug sehr klar zwischen 31 und 40 Jahren.

Was ist da passiert? Hat sich der Schwerpunkt der Bitcoin-Szene in ein höheres Alter verschoben? Wurden Bitcoin und Kryptowährungen im Lauf der letzten zwei Jahren auch und tendenziell für ältere Menschen interessanter? Wäre das eine Erklärung?

Ich vermute, die Antwort ist eine andere: Ihr werdet eben auch älter. Viele von euch waren 2020 oder gar 2016 noch 38 oder 39 oder 40 Jahre alt. Nun seid ihr in eine andere Altersgruppe gerutscht. So ist das Leben.

2. Ihr seid weiblicher geworden – zumindest minimal

Ein Klassiker unserer Umfrage-Fragen ist der nach eurem Geschlecht.

Zugegeben: Wir stellen diese Frage in der Regel nur, um zu bestätigen, was wir sowieso schon wissen: dass ihr überwiegend und absolut männlich seid. In der Regel liegt die Frauenquote deutlich unter 10, meist sogar deutlich unter 5 Prozent. In unserer großen demographischen Umfrage 2019 („der Bitcoin-Michel„) gab nur 1 Prozent der Leser an, weiblich zu sein.

Wie sieht es also im Jahr 2022 aus?

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass der Trend gebrochen ist. Die absolute Mehrheit unter euch hat weiterhin ein Y-Chromosom. Dass allerdings rund 10 Prozent weiblich sind, ist neu. Eine so hohe Frauenquote hatten wir hier noch nie.

Das zeigt: Bitcoin kommt weiter im Mainstream an, auch wenn bei der Frauenquote reichlich Luft nach oben bleibt.

3. Ihr seid extrem gut gebildet

Bei der dritten Frage ging es um euren höchsten Bildungsabschluss. Das sind die Ergebnisse:

Es ist nicht zu übersehen, dass ihr äußerst gut gebildet seid. Ein Großteil hat einen höheren Hochschulabschluss (Master, Magister, Diplom), ein erheblicher Anteil einen Bachelor, und bemerkenswert viele einen Doktor. Das liegt alles weit oberhalb des bundesdeutschen Durchschnitts.

Hat sich hier etwas im Lauf der Zeit geändert? 2019 stellte sich eure Bildungssituation so dar:

Im Vergleich ist euer Bildungsniveau leicht gefallen: Der Anteil der Magister, Doktoren, Bachelor und Träger der Hochschulreife sinkt minimal, der der Besitzer von Mittlerer Reife und Hauptschle steigt dagegen etwas, auch wenn das generelle Bild unangetastet bleibt.

Auch hier könnte man es so verstehen, dass Bitcoin stärker im Mainstream ankommt, weil Bitcoiner weniger elitär werden. Aber auch hier ist noch sehr viel Luft nach oben.

4. Ihr seid häufig selbständig und Informatiker

Die vierte wesentliche demographische Frage ist die nach dem Beruf. Sag‘ mir, was du arbeitest, und ich sag‘ dir, wer du bist. Auch hier beginnen wir mit einem Diagramm der Ergebnisse:

Wie zu sehen ist, sind Informatiker, Selbständige und Ingenieure am stärksten vertreten. Das könnte mit eurem hohen Bildungsgrad zusammenhängen. Darauf folgt ein Plateau aus einem Mix an Berufen, und dann noch eine lange Reihe von seltener anzutreffenden Berufen.

Eine beträchtliche Menge von euch hat die Antwort „sonstiges“ angegeben und eine eigene Berufsbezeichnung eingegeben. Diese sind in alphabetischer Ordnung:

Amazon, Arbeitslos, Banking, BU, Crypto Investor Vollzeit, Einzelhandel, Elektrotechnik, Erneuerbare Energien, Fintech, Finanzen, Game Developer, Großhandel, Handel, Industrie Management, Medizinphysik, Logistik / Lagerhaltung, Luftverkehr, Maschinenbau, Nahrungsmittelherstellung, Öffentliche Dienst, Privatier, Projektmanagement, Risikokapital, Sozialarbeiter, Spediteur, Splinterland-Player, Telekommunikation, Transport, Unternehmer in Afrika, Verkehr / ÖPNV, Verwaltung.

Bemerkenswert ist, dass mehr als 16 Prozent von euch selbständig arbeiten. Diese Rate liegt sehr weit über dem bundesdeutchen Schnitt von 9,3 Prozent. Unter euch sind fast doppelt so viele Unternehmer wie in Deutschland üblich. Andersherum sind unter euch mit 6,4 Prozent nur etwas mehr als halb so viele Angestellte im öffentlichen Dienst wie im deutschen Durchschnitt (11 Prozent).

Auffällig ist zudem wie schon erwähnt euer starker Fokus auf Technologie und IT. Auch dies stellt ein Tortendiagramm übersichtlich dar:

5. Ihr genießt ein hohes, aber selten extrem hohes Einkommen

Wir wissen bisher, dass ihr zwischen 40 und 60 Jahre alt seid, überwiegend männlich und selbständig und / oder in technischen Berufen arbeitet. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn ihr nicht sehr gut verdienen würden:

Ja: Ihr verdient gut. Aber, um ehrlich zu sein: Nicht besser, als es zu erwarten war. Beinah schon schlechter. Ein sehr großer Teil von euch – knapp 20 Prozent — verdient zwischen 70.000 und 100.000 Euro.14 Prozent verdienen 60-70.000 Euro, etwas weniger 30-50.000. Dazu kommt noch eine signifikante Anzahl Geringverdiener sowie eine kleine, aber nicht ganz vernachlässigbare Gruppe der Hochverdiener mit mehr als 100.000 Euro. Immerhin drei unter euch geben an, im Jahr mehr als eine Millionen Euro einzunehmen.

Das ist, wie gesagt, viel, aber es ist auch, wie gesagt, nichts Besonderes, wenn man eure bisherigen demographischen Merkmale anschaut.

Hat sich dies im Vergleich zu 2019 verändert?

Ich gebe zu: Man kann die beiden Diagramme kaum vergleichen. Ich habe damals in etwas anderen Kategorien gefragt, etwa nach dem Monats- anstatt dem Jahresgehalt. Aber auf den ersten Blick würde ich aber schätzenn, dass sich euer Einkommen leicht erhöht hat. Dies kann aber auch daran liegen, dass ihr 1.) älter wurde, 2.) die Bitcoin-Preisentwicklung seit dem euer (passives) Einkommen gestärkt hat, und 3.) das Geld seitdem weniger wert wurde.

Im Durchschnitt überschreitet euer Einkommen das des Durchschnittsdeutschen erstaunlich wenig:

Rund 57 Prozent von euch verdient mehr als das durchschnittliche deutsche Einkommen von 49.200 Euro. Das sei euch vergönnt, ist aber auch nicht wirklich beeindruckend.

Beeindruckender wird es, wenn wir uns den Gutverdienern zuwenden. Das sind per Definition diejenigen, die mehr als 90 Prozent der Bevölkerung verdienen, was etwa bei 70.000 Euro anfängt. Rund 31 Prozent unter euch sind Gutverdiener, was etwa drei Mal so viel sein sollte wie im Schnitt.

Noch besser als Gutverdiener verdienen die Spitzenverdiener: Sie machen das oberste ein Prozent der Einkommenspyramide aus, wozu man ab einem Einkommen von 180.000 Euro im Jahr zählt. Dies war aus unserer Umfrage natürlich nicht exakt zu ermitteln, aber meine Schätzung kommt auf ungefähr 5,6 Prozent. Das wäre nun schon ein enormer Ausreisser.

6. Die meisten von euch sind bereits vergeben

Die letzte demographische Frage in dieser Umfrage ging um euren Beziehungsstatus. Und wie es aussieht, sind die meisten von euch längst in festen Händen.

Auf Bitcoin-Stammtischen findet man, wie wir aus Erfahrung und vergangenen Umfragen wissen, in Massen interessante Menschen und viele Informationen – aber eher weniger einen Partner oder eine Partnerin. Für Singles gibt es vermutlich deutlich bessere Anlaufstellen, wie das folgende Tortendiagramm aufzeigt:

Nur ein ziemlich kleiner Teil von euch ist daran interessiert, einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Falls ihr also das Glück habt, jemanden zu finden, der bitcoinblog.de liest und noch Single ist – lasst euch das nicht entgehen. Die Kombination ist ziemlich rar.

7. Demographisches Zwischenfazit

Wenn wir all das, was wir bisher erfahren haben, zusammenfassen, würde die Beschreibung unseres typischen deutschen Bitcoiners so aussehen: Er ist männlich, zwischen 40 und 60 Jahre alt und verheiratet oder in einer festen Partnerschaft. Er ist sehr gut gebildet, arbeitet oft als Informatiker oder Ingenieur, ist relativ häufig selbständig und verdient überdurchschnittlich gut. Findet ihr euch darin wieder?

Ein wenig trifft dieses Zwischenfazit ganz den Nerd unter den Millenials: Die Generation, die mit dem Computer groß wurde, und die nun technisch arbeitet. Wir sind weiterhin „web1“, als das Internet weitgehend eine Sache der Nerds war und man hinter einem Account mit weiblichem Namen noch einen Mann vermuten musste. Der „Web2“-Moment, in dem das Internet auch weiblich und etwas für alle wird, haben Bitcoin und Krypto weiterhin nicht erreicht. Aber es gibt Hinweise, dass wir auf diesem Weg sind.

Nachdem wir nun also euer Äußeres festgezurrt haben, wird es Zeit, uns nach Innen zu wenden – wie denkt ihr über verschiedene Themen?

Politik

Ich nenne diesen Abschnitt „Politik“, weil es tendenziell politische Fragen sind. Hierfür habe ich vier Blöcke mit Aussagen zusammengestellt, zu denen ihr den Grad eurer Zustimmung oder Ablehnung angeben solltet. Diese vier Blöcke sowie eure Antworten präsentiere ich euch hier in Form von Schreenshots:

1. Eher liberär als sozialistisch, eher progressiv als konservativ

Diese Frage zielte auf eine Art „Selbstverortung“ ab. Wo positioniert ihr euch in den Spannungsfeldern libertär-sozialistisch und konservativ-progressiv?

„Libertär“ meint eine Einstellung, die für die bedingungslose Begeisterung für Freiheit bei starker Kritik am Staat steht und diesen drastisch reduzieren, wenn nicht ganz abschaffen möchte. Dass sich mehr als 40 Prozent tendenziell und fast 15 Prozent ganz und gar als libertär bezeichnen, zeigt, wie weit verbreitet unter euch Freiheitsliebe und Staatskritik sind.

Allerdings haben wir auch einen nennenswerten Anteil von Sozialisten. Das hat mich nicht wenig verwundert, da Sozialismus eigentlich fast das Gegenteil von Libertarismus ist. Weniger als die etwas geringere Zustimmung zeigt die erhebliche höhere Rate an Ablehnung hier eure Präferenzen.

Ähnlich stellt sich die Situation im Spannungsfeld konservativ und progressiv dar. Ein sehr großer Teil von euch bekennt sich zum Progressiven, also Fortschrittlichen, während ein nennenswerter, aber deutlich geringerer Teil sich selbst konservativ nennt. Auch hier ist die Zustimmung bei beiden Optionen bemerkenswert groß, und auch hier zeigt die Ablehnung (des Konservativen) schärfer eure Neigung zum Fortschritt.

Interessant ist hier auch ein implizites Spannungsfeld: Konservative sind oft eher liberal, da sie die bestehende Marktordnung nicht stören wollen, während Progressive oft sozialistisch sind, da sie sich von einem starken Staat erhoffen, den gewünschten Fortschritt voranzutreiben. Diese Spannung kann ich aber in euren Antworten nicht erkennen.

2. Wenig Verständnis für Putin, wenig Furcht vor einem Atomkrieg

Im zweiten Block ging es um das derzeit alles beherrschende politische Thema: den Krieg in der Ukraine. So fiel eure Zustimmung oder Ablehnung zu sieben Sätzen aus:

 

Ihr denkt nicht, dass die NATO am Krieg schuld ist. Ihr findet, der Westen müsse die Ukraine unterstützen, tendiert dazu, dass Russland krachend scheitern wird und habt sehr wenig Furcht vor einem Atomkrieg. Etwas unentschlossen seid ihr dagegen bei der Frage, ob Putin irre ist und ermordet werden sollte, und ob der Ukraine-Krieg das Ende des Petrodollar-Systems einleitet.

Am eindeutigsten stimmt ihr der Aussage zu, Krieg sei überall schlimm, ob in Serbien oder der Ukraine. Das finde ich bedenklich. An sich ist die Aussage natürlich richtig – doch in ihr steckt ein klassischer Whataboutismus, mit dem Putins Infokrieger den Ukraine-Krieg von Anfang an rechtfertigen: „Aber der Westen … aber Serbien / Irak / Afghanistan / Syrien …“ Hier klingt für mich ein Stückchen Naivität an, das anfällig für russische Propaganda macht.

Den größten Anteil an „neutralen“ Stimmen habt ihr bei der Frage nach dem Ende des Petrodollar-Systems. Ihr tendiert sehr schwach zu ja, aber nur sehr schwach. Dass dem überhaupt so ist, zeigt, wie brüchig das Vertrauen in das etablierte Geldsystem unter euch ist. Aber wen wundert’s? Ihr seid ja nicht umsonst Bitcoiner.

3. Corona ist für euch vorbei – aber nicht die Maskentragerei

Im nächsten Block ging es um das leidige, aber nach wie vor stark präsente Thema Corona. Hierzu habe ich euch acht Sätze vorgelegt, zu denen ihr angegeben habt, wie sehr oder wenig ihr ihnen zustimmt:

Tendenziell ist für euch Corona vorbei. Die Mehrheit von euch fürchtet Long Covid nicht, hatte kein Corona, und wenn, dann einen harmlosen Verlauf. An der Stelle habe ich mich gefragt, ob Bitcoin vor Corona schützt, da diese Werte nicht ganz dem entsprechend, was man ansonsten hört oder im Umfeld mitbekommt.

Die Mehrheit von euch findet nicht, dass man weiter Maßnahmen braucht, und meint, man solle alles wieder öffnen. Zugleich möchte eine eine relativ große Anzahl unter euch weiterhin Maske tragen. Dieser scheinbare Widerspruch könnte damit zusammenhängen, dass ihr zu einer liberalen, also freiheitlichen Weltanschuung tendiert, in der die Eigenverantwortlichkeit eine große Rolle spielt. Man muss euch nicht zwingen, das richtige zu tun; wenn ihr es angebracht findet, Maske zu tragen, dann muss euch das niemand befehlen.

Die letzte Frage schließlich, ob Corona ein Laborunfall war, bleibt unentschieden. Die meisten Antworten bleiben neutral, der Rest verteilt sich mit einem leichten Übergewicht gegen die Labor-These auf beide Seiten.

Insgesamt sind eure Meinungen zu Corona relativ klar: Der Anteil neutraler Antworten ist gering, oft liegen die Schwerpunkte an den Rändern bei „absolut ja“ und „absolut nein“. Man könnte sagen, nach mehr als 2 Jahren Corona-Debatten sind die Fronten relativ klar und verhärtet.

Aber dem werden wir später noch etwas genauer auf den Grund gehen. Hier geht es weiter mit den deskriptiven Ergebnissen der Umfrage.

4. Erstaunlich optimistisch – trotz großer Sorge wegen Klimawandel

Den politischen Teil schloss ein Block mit gemischten Fragen ab. Diese werden später, in der tieferen Auswertung, noch sehr nützlich sein. Zunächst aber die Präsentation:

Auf eine erfreuliche Weise erstaunlich fand ist, wie hoffnungsvoll die meisten von euch in die Zukunft blicken. Angesichts der generell beunruhigenden Situation – Klimawandel, Krieg, Pandemie, Autokraten, Bürokraten, Inflation – finde ich das bemerkenswert. Eventuell liegt es an Bitcoin – eine der wenigen Dinge dieser Zeit, die Hoffnung machen.

Zwei weitere Aussagen präzisierten eure staatskritische Haltung. Die Behauptung, Steuern seien Raub, geht einer Mehrheit von euch zu weit. Doch die Profiteure der Steuern – die Politiker – hält eine klare Mehrheit von euch für korrupt oder unfähig. Ihr unterstützt das System an sich – aber misstraut seinen Akteuren.

Auch beim Thema Einwanderung lassen sich Nuancen erkennen: Eine klare Mehrheit begrüßt Einwanderung, doch dass der Islam zu Deutschland gehöre, geht den meisten doch zu weit.

Ziemlich eindeutig sind eure Meinungen zum Klimawandel. Wohlgemerkt habe ich nicht danach gefragt, ob es den Klimawandel gibt oder ob er eine Herausforderung ist, sondern explizit den Superlativ „die größte Herausforderung unserer Zeit“ verwendet. Dass ihr hier dennoch klar zustimmt, zeigt, wie ernst ihr das Problem nehmt. Wenn der Planet brennt, verblassen Pandemien und Kriege.

Mit der letzten Frage habe ich einen aktuellen gesellschaftlichen Sturm im Wasserglas aufgegriffen. Die Klimaprotestler von „Fridays for Futures“ haben kürzlich eine Sängerin ausgeladen, weil sie Dreadlocks trägt, obwohl sie eine Weiße ist. Der Hintergrund ist das Konzept der „kulturellen Aneignung“, dem zufolge man die Kultur einer Minderheit in den Dreck zieht, wenn man sie sich aneignet.

Das Konzept kommt aus den USA, wo es für Weiße mittlerweile zum Skandal werden kann, wenn sie sich als Indianer verkleiden oder eben Dreadlocks tragen. Ich verstehe, dass man es beleidigend verstehen kann, wenn die eigene Kultur als eine Art Zirkus ausgestellt oder popkulturell verflacht wird. Aber gleichzeitig ist Nachahmung das beste Kompliment, und wenn Weiße Dreadlocks tragen, äußert sich darin meist weniger die Diskriminierung von Rastafaris und Sadhus, sondern eher Bewunderung und Respekt.

Ihr seht das genauso. Eine sehr deutliche Mehrheit findet entschieden, dass auch Weiße Dreadlocks tragen dürfen. Vermutlich erreicht die Toleranz mit der kulturellen Aneignung eine elfenbeintürmende Übereiferung, die euer gesunder Menschenverstand ablehnt.

Abweichung und Neutralität, Zustimmung und Ablehnung

Abschließend schauen wir uns an, wie sich in bei den Aussagen Abweichung und Neutralität sowie Zustimmung und Ablehnung verteilen. Bei welchen Fragen könnt ihr euch nicht entscheiden und antwortet eher neutral? Wo habt ihr eine starke Meinung? Was findet eure Zustimmung, was eure Ablehnung? Und wo weichen eure Meinungen am stärksten voneinander ab, so dass wir Konfliktpotenzial vermuten können?

Also habe ich mir Indikatoren ausgerechnet, um diese Faktoren zu messen. Die Indikatoren sind nicht unbedingt die Blüte empirischer Sozialwissenschaft aber, so hoffe ich, brauchbar. Das Ergebnis finde ich relativ spannend:

Dieses Säulendiagramm zeigt das Maß der Neutralität. Je höher dieses ist, desto weniger konntet ihr euch entscheiden. So fiel es euch offenbar fürchterlich schwer, euch zu entscheiden, ob der Ukraine-Krieg das Ende des Petrodollar-Systems einleitet, und ob ihr progressiv seid.

Am klarsten hingegen war eure Meinung bei der Aussage, Krieg sei überall schlimm; auch bei der Aussage zu den Dreadlocks wart ihr recht entschieden. Sehr gering ist der Neutralitätsindex auch bei den Aussagen um Maske und Maßnahmen.

Wir können diesen Index so zusammenfassen: Bei allem, was mit Corona zu tun hat, habt ihr eine sehr klare Meinung. Ihr müsst nicht lange überlegen, ihr müsst nicht zögerlich „neutral“ anwählen, und ihr müsst noch nicht mal auf die üblicherweise beliebten „Eher Ja oder Nein“-Antworten ausweichen. Stattdessen ist eure Meinung klar, eindeutig und absolut.

Anders sieht es beim Thema Ukraine aus. Hier habt ihr bei einzelnen, eher generellen Aussagen eine klare Meinung. Insgesamt aber seid ihr bei vielem noch unentscheiden. Vermutlich war einfach noch nicht genügend Zeit da, um euch eine Meinung zu bilden.

Die generelle Verortung nun, ob ihr sozialistisch oder libertär, konservativ oder progressiv seid, fiel euch schwer. Vermutlich weil sie für eure Identität nicht weiter wichtig ist, und daher zu einer theoretischen Kategorie wird, die im echten Leben vermutlich nur als Mischform existiert. In der einen Situation seid ihr libertär, in der anderen sozialistisch, hier konservativ, dort progressiv, und das ist auch vollkommen in Ordnung.

Eine Art Gegenindikator zur Neutralität ist der der Abweichung. Er ist aber nicht mit einem exakten Negativ zu verwechseln. Denn er drückt aus, wie sehr eure Meinungen voneinander abweichen. Daher erkennt er nicht nur, ob ihr starke Meinungen zu etwas habt, sondern auch, wie konfliktbeladen ein Thema ist. Wenn ihr nach einem Thema sucht, mit dem ihr einen Streit vom Zaun brechen könnt, hilft der Abweichungs-Indikator weiter.

Zunächst einmal bestätigt der Chart das bisher gesagte: Eure Meinung zur politischen Veortung ist nicht stark genug, um daraus allzu starke Abweichungen zu gewinnen. Dagegen habt ihr nach zwei Jahren Corona starke und kontroverse Meinungen zur Pandemie. Vier der fünf Items mit der stärksten Abweichung gehen an Corona. Das Thema ist offenbar heute weiterhin geeignet, einen Streit am Stammtisch zu entzünden. Während beispielsweise eine klare Mehrheit weitere Maßnahmen unnötig findet, gibt es eine Minderheit, die entschieden an diesen festhalten möchte.

Noch stärker streitverhaftet als Corona könnte nur die Aussage sein, die Nato habe den russischen Angriffskrieg (nicht) provoziert. Zwar ist die Anzahl der Putin-Versteher relativ gering, aber dafür auch vergleichsweise überzeugt.

Zuletzt habe ich noch Indikatoren für Zustimmung und Ablehnung herausgearbeitet. Das sieht dann so aus:

Am wenigsten Zustimmung erfahren die Aussagen zu Dreadlocks, zur Rente, zu einem schlimmen Corona-Verlauf sowie zum Atomkrieg. Mit weitem Abstand am meisten Zustimmung erfuhr die Aussage, Krieg sei überall schlimm, gefolgt von der zu Klimawandel, zum Ende der Corona-Maßnahmen sowie zur Unterstützung der Ukraine.

Wenn wir das ganze umdrehe, bekommen wir einen Ablehnungs-Indikator:

Interessant sind hier aber nicht die Übereinstimmungen zum Zustimmungs-Indikator, sondern die Abweichungen. So hatten etwa die Aussagen „Ich bin progressiv“, „ich bin libertär“, „Einwanderung ist gut“ und „die Zukunft wird gut“ extrem geringe Raten der Ablehnung – während die Spitzen der Ablehnung weitgehend deckungsgleich mit der geringeren Zustimmung sind.

Es scheint, als gäbe es Aussagen, denen ihr nicht zwingend zustimmt, aber die ihr auch nicht ablehnen wollt. So sind relativ wenig sicher, dass sie libertär oder progressiv sind oder dass die Zukunft gut wird – aber sehr viel weniger sind sich sicher, dass sie das nicht sind.

Damit geht der erste Teil der Umfragen-Auswertung zu Ende. Ich bin sicher, wir wissen an dieser Stelle ein wenig mehr über den typischen Bitcoiner, der unser Blog liest. Beim nächsten Mal werden wir versuchen, aus den vielen möglichen Korrelationen etwas sinnvolles herauszubekommen.


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