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Scheitern ist eine Option

Ruine einer Benediktinerpriorei bei Tynemouth Castle, wo die früheren Könige von Northumbria beigelegt wurden. Bild von Draco2008 via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Bitcoin hat gute Aussichten, das wichtigste Geld der Welt zu werden. Aber das wird nicht zwingend geschehen. Es gibt auch Szenarien, in denen Bitcoin verliert.

Vor einigen Jahren war es noch üblich, von Bitcoin als Experiment zu reden, und, allem Schwärmen zum Trotz, davor zu warnen, mehr zu investieren, als man bereit sei, zu verlieren. Denn da, wo man von einem Experiment spricht, ist Scheitern immer eine Möglichkeit.

Mittlerweile herrscht ein anderer Ton. Bitcoin gilt vielen schon heute als Erfolg, und die Währungsrevolution, die Satoshi angestoßen hat, scheint bereits in trockenen Tüchern. Anstatt von einem Experiment wird von mathematischer Gewissheit geredet, und kaum einer protestiert – oder runzelt auch nur die Stirn –, wenn Bitcoin-Obermotz Michael Saylor dazu aufruft, nicht nur das Geld, das man hat, in Bitcoin zu stopfen, sondern auch das, das man sich leihen kann. Eine solche Selbstgewissheit verblendet, und, schlimmer noch: sie droht, auch andere Leute mit zu verblenden.

Ich möchte daher darüber reden, wie Bitcoin scheitern kann. Wenn euch dies beunruhigt oder gar empört, dann deutet das darauf hin, dass ihr finanziell oder emotional zu tief investiert seid.

Bitcoin wird nicht mit einen Knall scheitern. Es wird keinen katastrophalen Bug geben und kein globales Verbot. Bitcoin wird nicht wegen technischer oder rechtlicher Gründe untergehen, sondern wegen sozialer. Es wird nicht von heute auf morgen geschehen, sondern über zähe, frustrierende Jahre, so, wie ein Mensch an Altersschwäche stirbt, langsam, Zelle für Zelle, trocken und kraftlos, manchmal mit Schmerzen, oft betäubt von Morphinen, und schließlich still entschlafend.

Denn Bitcoin hat den vornehmsten Anspruch eines Geldes, nämlich Recheneinheit zu sein, niemals eingelöst, und den, als Zahlungsmittel zu kursieren, bestenfalls in Teilen. Ja — gerade dort, wo die Not Leute zu einem dezentralen Zahlungsmittel treibt, verdrängen Dollartoken und Privacycoins Bitcoin mehr und mehr. Was bleibt ist die dritte Funktion des Geldes – die des Wertspeichers. Und dieser führt Bitcoin mit Haut und Haaren in die Abhängigkeit vom Sozialen, vielleicht sogar von Moden, und letzten Endes auch von eben den Zentralbanken, von denen er unabhängig machen soll.

Ein Wertspeicher wird nicht durch Technologie oder Knappheit gemacht. Sondern einzig und allein durch Menschen. Wenn Menschen glauben, dass etwas einen Wert hat, dann hat auch noch die unnützeste, dümmste Sache einen Wert. Sehr aufschlussreich ist hier die größte Transaktion der Antike. König Midas hat tonnenweise Gold nach Delphi gesandt – nur um dafür vom Orakel einen Zweizeiler zu bekommen, der ihn katastrophal in die Irre führen sollte.

Wenn der Glaube aus Nichts Werte schafft, verhindert der fehlende Glaube, dass noch die perfekteste Sache einen Wert erhält. Es gibt keine technologische Abkürzung, sondern nur den zähen, mühsamen Weg, Kopf für Kopf davon zu überzeugen, dass diese eine Sache es ist, die Werte speichert. Um einen wahren Wertspeicher zu etablieren, muss man jenes Feuer entzünden, das auch Religionen entfacht.

Wenn die Bitcoin-Konferenzen dieser Tage etwas Kultisches und Sektisches haben, wenn die Redebeiträge Proof of Work verherrlichen, wenn Satoshi zum Propheten, der Pizza-Tag zum Feiertag ernannt wird, und selbst Bitcoin-Podcaster vorsichtig – und ja nicht allzu kritisch – die Frage stellen, ob die Bewegung zur Religion geworden sei – dann ist das vollkommen rational und richtig. Die Distanz zur Wahrheit mag zunehmen, doch es waren niemals die kühlen, trockenen Wahrheiten, die mentale Berge versetzten, sondern die glänzenden Illusionen. Indem die gegenwärtige Bitcoin-Szene sich in einen kultischen Taumel fallen lässt, trifft sie den wahren Pfad, der zu einem Weltgeld führt, viel genauer als all jene technisch überfrachteten, reflektierten, nach Wirklichkeit stöbernden Talks, die die frühere Szene auszeichneten.

Zugleich aber ist Bitcoin damit auf einem Pfad, in dem das gesellschaftliche Bewusstsein über Wohl und Wehe entscheidet. Wie eine Religion lebt ein Wertspeicher davon, dass Leute an ihn glauben. Der Glaube konstituiert sein eigenes Objekt, ähnlich wie der Baron Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. Doch während die Religion durch einen glücklichen Trick die Evaluierung des Glaubens auf ein Jenseits verschiebt, das man im Dieseits niemals beurteilen kann, lässt sich der Erfolg des Glaubens an einen Wertspeicher sehr leicht messen – nämlich daran, wie gut er Werte speichert.

Würden sich die Tore zur Hölle öffnen und eine Heerschar gläubiger Christen ausspucken, die im Leben geglaubt, gebetet und gebeichtet haben, dann würde das Versprechen sicherlich unglaubwürdig werden, man müsse nur glauben, beten und beichten, um in den Himmel zu kommen. Bitcoin, als ein Wertspeicher, ist in dieser Situation: Der Glauben an ihn muss sich fortlaufend an der Wirklichkeit messen. Die Tore zu Himmel und Hölle stehen in jedem Moment offen.

So, wie die Gelehrten des Barocks empirische Methoden erfanden, um in der Natur die Weisheit Gottes zu erkennen, entwickelten Bitcoiner bestimmte Modelle, um jene geradezu unheimliche Regelmäßigkeit auszudrücken, durch die sich der Bitcoin-Preis mit jedem Halfing-Zyklus einen exponentiellen Schritt nach oben schraubt. Etwa das Stock-to-Flow-Modell oder den Regenbogenchart.

Und so, wie die Bischöfe und Könige im Mittelalter Kathedralen mit Gold, Elfenbein und Silber vollstopften, um das Seelenheil im Jenseits zu sichern, bringen glaubensstarke Bitcoiner wie Michael Saylor und Nayib Bukele Bitcoin in die Bücher von börsennotierten Unternehmen und Staaten.

Doch anders als der religiöse Taumel so vieler vormoderner Menschen zahlt sich das Engagement der Bitcoiner schon im Dieseits aus – oder auch nicht. Stock-to-Flow ist krachend gescheitert, das Regenbogenmodell taumelt schwerkrank umher, Microstrategys Bitcoins sind mit rund zwei Milliarden im Minus, die von El Salvador mit 60-80 Millionen Dollar.

All diejenigen, die anderen auf der Spitze der Blase geraten haben, Bitcoin zu kaufen, wirken nun wie Prediger, deren Lehre nicht in den Himmel, sondern schnurstracks in die Hölle führt. Seit mehr als einem Jahr speichert Bitcoin keine Werte – sondern vernichtet sie.

Noch ist der Glaube an Bitcoin als Wertspeicher unerschüttert. Noch lässt sich auf die vergangenen Halfing-Zyklen verweisen, lässt sich behaupten, dass man nur lange genug warten muss, damit Bitcoin sein Versprechen einlösst, ein Wertspeicher zu sein.

Doch wie lange? Wie lange dauert es, bis sich der Glaube weiter ausbreitet – der Glaube, der Bitcoin zum Wertspeicher macht, der Glaube, der damit mehr Glaube erst möglich macht? Wenn mehr Glaube den Wertspeicher schafft und der Wertspeicher mehr Glaube – dann gilt auch: weniger Glaube schädigt den Wertspeicher und weniger Wertspeicher mindert den Glauben.

Was, wenn Bitcoin auf ein Niveau fällt, das in bisherigen Zyklen undenkbar war? Sagen wir, minus 90 Prozent – und dort bleibt? Was, wenn Microstrategy und El Salvador durch Bitcoin wirklich in die Hölle kommen – in den Bankrott? Kann Bitcoin so tief fallen, dass er sich nicht wieder aufrappeln kann? Gibt es Ereignisse, die einen solchen Fall triggern, etwa die Pleite Microstrategys, der Kollaps der Tether-Dollar, ein Verbot in den USA oder der EU?

Und was, wenn Bitcoin viel zu lange auf einem tiefen Niveau bleibt? Wenn der Kurs bei, sagen wir 15.000 Euro, verharrt? 2022, 2023, 2024? Wenn das nächste Halfing kommt und geht, ohne dass es den Kurs ernsthaft juckt? Wenn die übliche Euphorie, die bisher spätestens ein Jahr nach jedem Halfing einsetzte, ausbleibt?

Was, wenn sich Bitcoin als Fähnchen im Wind entpuppt, den die Zentralbanken per Dekret entfachen? Der Preis steigt, wenn die Zinsen sinken, und er sinkt, wenn diese steigen? Kann etwas eine Alternative zum Geld der Zentralbanken sein, das von diesem mit einem Fingerschnippsen manipuliert werden kann?

Wird der Glauben der Bitcoin-Szene daran, dass Bitcoin ein Wertspeicher ist, über die Jahre bestehen? Werden erst einige, dann immer mehr das Interesse verlieren und das Handtuch werfen, so, wie man irgendwann einsieht, sich mit einer Aktie geirrt zu haben? Oder werden viele ihre persönliche Finanzen, gleich einem Märtyrer, für den Erfolg von Bitcoin opfern? Und wird es unter diesen Umständen möglich sein, weitere Menschen zu rekrutieren, die an Bitcoin als Wertspeicher glauben? Wird die Verzweiflung, die dieser Zustand mit sich bringen mag, und den aus ihr entstehenden Fanatismus, andere Leute abschrecken?

Und dann – wenn das Halfing nicht durch steigende Preise und Gebühren ausgeglichen wird, weil die Preise nicht steigen und das Transaktionsaufkommen stagniert – wird dies die Sicherheit von Bitcoin beeinträchtigen? Werden sich die Miner weiter zentralisieren, wird Mining so unlukrativ, dass nur noch Staaten es sich leisten können, oder kriminelle Banden, die das Ökosystem über 51-Prozent-Angriffe aussaugen? Wird Bitcoin damit seinen letzten Nimbus ablegen, wenn schon kein Wertspeicher zu sein, dann immerhin sicher, dezentral und zensurresistent?

Könnt und wollt ihr euch ein solches Szenario vorstellen? Ist es Ketzerei eine solche Zukunft zu malen? Darf ein System, das auf Glauben aufbaut, Zweifel dulden?

Ich selbst denke, muss ich anmerken, nicht, dass es so kommt. Ich denke, dass die Welt ein Bedürfnis nach einem dezentralen Wertspeicher hat, und sehe keine Alternative zu Bitcoin. Ich denke, dass Bitcoin bereits gewaltige Netzwerkeffekte errungen hat, und gute Chancen hat, durch diese ein echter Wertspeicher zu werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass ich nicht mit Unbehagen wahrnehme, wie Modelle und Muster wanken. Ich schaue mit einer gewissen Beunruhigung in die Zukunft. Denn Scheitern ist auch heute noch eine Option.

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