Die Hodler von Delphi

Wie begann Gold eigentlich, zum Zahlungsmittel und Wertspeicher zu werden? Weil die Frage nicht ganz unbedeutend dafür ist, wie die Geldwerdung von Bitcoin stattfinden wird, schauen wir tief in die Geschichte von Gold zurück, nämlich in die Historien von Herodot, die vor knapp 2.500 Jahren geschrieben wurden. Dabei zeigt sich, dass das Hodlen noch älter als das Münzgeld ist – und dass das echte Hodlen ein irrationales Motiv benötigt.
Gold ist der Inbegriff des Geldes, und Bitcoin, als digitales Gold, eifert dem physischen Edelmetall nach. Aber wo begann Gold seine Geschichte? War es zuerst ein Wertspeicher, ein Zahlungmittel, beides zusammen – oder etwas ganz anderes? Die Frage nach dem Ursprung ist, wie so oft, die Frage nach dem, was ist, und was sein wird. Wenn man dorthin zurückschaut, wo Gold noch im Prozess war, der universelle Wertspeicher zu werden, der es heute ist, kann man vielleicht erkennt, wo Bitcoin, dieses digitale Abbild von Gold steht – und auch, inwieweit der Vergleich von Bitcoin und Gold überhaupt Sinn ergibt.
Die Volkswirtschaftler der Österreichischen Schule erklären in der Regel mit Carl Menger, dass Gold als das Gut mit der höchsten Absatzfähigkeit zu einem Zahlungsmittel wurde, aus dem dann der Wertspeicher erwuchs, durch den Menschen Kaufkraft konservieren. Manche Ökonomen meinen auch, dass Gold zuerst einen Wert gehabt habe, und erst danach zu einem Zahlungsmittel wurde, da etwas nur ein gutes Zahlungsmittel sein kann, wenn der Wert bestimmbar ist. Daher wird üblicherweise davon ausgegangen, dass Gold zunächst für Schmuck und den Guss anderer Gegenstände, etwa für den religiösen Gebraucht, benutzt wurde, bevor die Menschen begannen, mit dem Edelmetall ihre Geschäfte abzuwickeln.
Eine interessante Ergänzung zu dieser vorwiegend theoretischen Perspektive moderner Ökonomen dürften die Betrachtungen von Herodot sein. Herodot von Halikarnassos war ein im 5. vorchristlichen Jahrhundert lebender Historiker, der in seinen “Historien” unter anderem die Geschichte der einige Jahrhunderte vor seiner Zeit geschehenen persischen Kriege erzählt. Das Buch ist ein Schatz ans Anekdoten und völkerkundlichen Beobachtungen, die Herodot aus seinen vielen Reisen oder durch mündliche Berichte erhalten hat, und elegant und unterhaltsam erzählt.
In den Historien findet man an vielen Stellen auch Hinweise auf Gold und Silber. Ich habe bisher nur gut 100 Seiten gelesen; Geld in Form von Münzen selbst kommt so gut wie gar nicht vor, aber Edelmetalle reichlich.
78 Millionen Euro: Die Geschenke des Thronräubers an das Orakel von Delphi
Den ersten Hinweis auf Gold und Silber finden wir bei der Geschichte von Gyges. Gyges war der Leibwächter und Berater von Kandaules, des letztem Königs der Lydier aus dem auf Herkules zurückgehenden Haus der Herakliten. Er verlor seinen Thron auf eine eigenartige Weise:
Kandaules war so verliebt in seine Frau, dass er unbedingt wollte, dass Gyges diese nackt sah, um bestaunen zu können, wie schön sie war. Gyges fand dies nicht angebracht, doch Kandaules brachte ihn dazu, sich hinter der Türe im Schlafzimmer des Königspaares zu verstecken, die Königin zu sehen, wie die Götter sie geschaffen hatten, und sich dann hinauszuschleichen. Doch die Königin sah Gyges aus den Augenwinkeln. Am nächsten Tag stellte sie ihn vor eine harte Wahl: Entweder er würde sterben – oder den König ermorden, seinen Thron besteigen und sie zur Frau zu nehmen. So wurde Gyges wider seines Willens König der Lydier. Zumindest sagt das diese freundliche Variante dieses Thronraubs.
Gerade ein König wie Gyges, der widerrechtlich an den Thron gekommen war, musste seine Herrschaft legitimieren. Dies machte er, indem er großzügig Geschenke an das Orakel von Delphi sandte. Als Lydier war er der erste nicht-griechische Herrscher – Herodort nennt ihn den ersten “Barbar” – der dies tat.
Gyges, der vermutlich von 680 v. Chr. bis 644 v. Chr. gelebt hatte, sandte als Weihegeschenke Silber und “unermesslich viel” Gold nach Delphi. Herodot erwähnt im Speziellen lediglich sechs goldene Mischkrüge, die ein Gewicht von dreißig Talenten aufbringen.
Wie viel ist das? Ich werde gleich genauer erklären, weshalb, hier aber nur sagen, dass 30 Talente in dieser Zeit 1,8 Tonnen Gold entsprechen. Jeder Mischkrug wog also 300 Kilogramm Gold. Heute hätten sie einen reinen Materialwert von 78,35 Millionen Euro.
Weihegeschenke dieser Art dürften die großen Transaktionen der Antike ausgemacht haben. Ein Herrscher sendet goldene Werke im Wert von heute beinah 100 Millionen Euro an ein Orakel, das mehr als 500 Kilometer Luftlinie übers Meer entfernt liegt und keinerlei physische Macht hat, ja, noch nicht einmal Teil des eigenen Reiches ist. Delphi galt als Mittelpunkt der antiken Welt, das dem Apollon geweihte Orakel von Delphi als wichtigste Quelle der Weissagung. So ähnlich wie später Rom war Delphi ein spirtuelles Zentrum, dem es gelang, die Könige, die durch physische Macht herrschten, dazu zu bewegen, den Tempeln riesige Reichtümer zu senden, um dafür Legitimität vor Göttern und Menschen zu erringen.
Die einzige Gegenleistung, die das Orakel von Delphi für diese großzügigen Geschenke zu liefern hatte, war eine Weissagung der Pythia, der obersten Priesterin des Orakels. Die Worte, die sie dem Gyges zukommen ließ, dürften mit die teuersten Sätze der Geschichte gewesen sein; sie stellen die Zeilenhonorare noch der größten Schriftsteller, Popmusiker und Werbeautoren weit in den Schatten. Die Pythia bestätigte den Gyges also erstens in seiner Herrschaft, warnte aber zweitens, dass seine Thronergreifung an einem fünften Nachkommen gerächt werden wird.
Herodot erwähnt auch, wo die Goldwerke aufbewahrt werden: Im Schatzhaus der Korinther. Neben ihnen steht auch der Goldthron des Midas; ein Schatzhaus in der Antike ist wie eine Blockchain, oder, um den Fachausdruck zu verwenden: eine Ledger, ein Kontobuch. Es bewahrt die großen Transaktionen der Geschichte auf, die Schätze in Form von edel aufbereitetem Gold dienen als Gedächtnis der Welt. Der Zweck des Goldes scheint es hier zu sein, eine Information durch die Zeit zu bringen; während Gold an sich, als Element, fungibel ist – jeder Kubikzentimeter gleicht dem anderen – wird es als Geschenk an die Orakel und für die Schatzhäuser in eine möglich nicht-fungible Form gebracht, um Erinnerungen an eine bestimmte Transaktion zu bewahren.
Schatzbildung
Über die Schatzbildung habe ich einmal in einem marxistischen Buch über Finanzgeschichte gelesen, das der DDR-Historiker Ernst Kaemmel in den 60ern veröffentlicht hat. Darin nennt er die Schatzbildung einen gerade für die Sklavenhaltergesellschaft der Antike typischen Prozess, der die gesamte Wirtschaft in seinen Bann halte. Es habe in keiner Produktionsweise als dieser Edelmetallschätze in einem solchen Umfang gegeben. Die volkswirtschaftliche Funktion der Schatzbildung nennt Kaemmel nicht.
Karl Marx bezeichnet die Schatzbildung “von Natur maßlos”, der “Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes” treibe den Schatzbildern “stets zurück zur Sisypusarbeit der Akkumulation.” Für Marx verkörpert der Schatzbildern einen psychologischen Typus, der in “dem Goldfetisch seine Fleischeslust” auflöst, da er darauf verzichtet, Gold gegen Genußmittel zu tauschen. “Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung.” Man könnte den Schatzbildner einen Hodler nennen, jemanden, der aufgrund einer langfristigen Zeitpräferenz seine Bitcoins nicht ausgibt, sondern hortet.
Marx weist der Schatzbildung auch “verschiedene Funktionen in der Ökonomie der metallischen Zirkulation” zu. Sie erlaubt etwa, Schwankungen der Warenzirkulation durch den Umlauf der Gold- und Silbermünzen aufzufangen. “Damit die wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Zirkulationssphäre stets entspreche, muß das in einem Lande befindliche Gold- oder Silberquantum größer sein als das in Münzfunktion begriffen.” Die Schatzbildner erfüllen als die Funktion einer Art Zentralbank, die die umlaufende Geldmenge beeinflussen kann.
Aber kommen wir zurück zu den Historien des Herodots.
510 Millionen Euro: Die überreichen Geschenke des Krösus
Der fünfte Nachfahre von Gyges war der König Krösus (auch Kroisos genannt). Krösos ist – sprichwörtlich – dafür bekannt, unvorstellbar reich zu sein. Sein Reichtum gründete auf den riesigen Goldvorräten Kleinasiens, etwa im Fluss Paktolos oder in den Bergwerken zwischen Atarneus und Pergamon. Gold war also schon zu seiner Zeit der Inbegriff des Reichtums. Interessanterweise gilt Krösus als der erste König, der Goldmünzen prägen ließ. In den Historien von Herodot spielt aber die mythische Verwendung von Gold durch Krösus eine viel größere Rolle.
Der König führte viele erfolgreiche Kriege und erobert Teile Kleinasiens und Griechenland; unter ihm werden die Lydier die stärkste Macht des östlichen Mittelmeerraums. Kurz bevor er gegen in den Krieg zieht, fragt Krösus das Orakel von Delphi um Rat. Um es ihm gewogen zu stimmen, bereitet er ihm ein gigantisches Geschenk, das das seines Vorfahrens noch bei weitem übertrifft:
Zunächst verbrennt Krösus Vieh, Möbel, Geschirr und Gewänder. Er fordert seine Untertanen auf, es ihm gleichzutun. Man kann das kollektive Opfer als eine Art von nationalem Investment, wie eine Volksaktie, vorstellen. Die Auflösung von Werten entspricht dem Verlust von Bitcoins, über den schon Satoshi schrieb: “Wenn Coins verloren gehen, macht das die Coins der anderen ein Stückchen wertvoller. Man kann es sich wie eine Spende an alle vorstellen.” Ein solches Opfer von Werten für das Orakel von Delphi ist das Großprojekt, durch das Krösus seinem Volk eine prächtige Zukunft sichern will.
Dann bereitet er eine “unermesslich” große Transaktion nach Delphi vor: Er schmilzt Halbziegel zu je 2,5 Talenten. Ein Talent ist eine Gewichtseinheit der Antike. Für Krösus dürfte das persische oder babylonische Talent gegolten haben, von dem es ein leichtes königliches mit 30 und ein schweres königliches mit 60 Kilogramm gab. Herodot erwähnt zwar nicht, von welchem er schreibt, aber wir können es ausrechnen, da er Größenangaben der Ziegel liefert: Sie sind 6 Handbreit lang, drei breit und einen hoch. Eine antike Handbreit entspricht etwa 7,5 Zentimeter, womit ein Ziegel ein Volumen von 7600 Kubikzentimeter hat. Bei einer Dichte von 19,3 Gramm je Kubikzentimeter entspricht das knapp 150 Kilogramm Gold. Wir haben also exakt ein schweres Talent von je 60 Kilogramm.
Von diesen Halbziegeln schmolz er 117 Stück. Allerdings waren davon nur vier aus reinem Gold, während die anderen aus Weißgold waren. Diese wogen nur 2 Talente (120 Kilogramm). Weißgold meint hier Elektron, ein Gold-Silber-(und Kupfer)-Gemisch; das Gold ist hier nicht von den anderen Edelmetallen gelöst. Das deutet darauf hin, dass der Flaschenhals der Goldproduktion bei Krösus nicht in den Vorkommen lag, sondern in der Verarbeitung, die wohl viel Zeit und den Betrieb von Öfen und anderen Materielien erforderte. Vielleicht war nicht Gold die knappe Ressource, sondern Holz.
Das genaue Mischverhältnis des Elektrons ist nicht ganz klar. Herman Büsing bietet in einer Denkschrift zwei Versionen an: 75% Gold, 15% Silber und 10% Kupfer, oder 44% Gold und 56% Silber. Wenn man die Dichte der Mischungen berechnet, wiegt ein Halbziegel aus der ersten Variante 129 Kilogramm, aus der zweiten 109. Beide sind also ähnlich nah an den genannten 2 schweren königlichen Talenten. Je nach Art des Elektrons enthalten die 117 Weißgold-Ziegel demnach sechs oder zehn Tonnen Gold.
Auf diesen Ziegeln wird ein Löwe aus reinem Gold aufgestellt. Er wiegt 600 Kilogramm. Wie Herodot erwähnt, wurde der Löwe auf den Ziegeln zunächst im Tempel von Delphi verwahrt, bis dieser dann abbrannte. Dabei schmolzen von dem Löwen 3,5 Talente weg, der Rest wurde ins Schatzhaus von Korinth gebracht. Auch hier dienen die Schätze in den Tempeln und Schatzhäuser als ein Kontobuch, in denen sich die großen Transaktionen durch die spezielle Form, in die das Gold gegossen wurde, verewigen. Wie wichtig es für das Orakel war, über große Goldschätze zu verfügen, zeigt ein kurzer Absatz im 1884 erschienenen Universallexikon der Gegenwart und Vergangenheit: Die Tempelschätze in Delphi wurden 357 vor Christi geplündert, was übrig blieb, fiel 87 vor Christi in die Hände des römischen Feldherren Sulla. “Mit Verminderung der Schätze sank auch im west-römischen Reich das Ansehen des Orakels allmählich.” Der Autor des Lexikonartikels ist also überzeugt, dass die Schätze und der Einfluss des Orakels untrennbar verbunden sind.
Zurück zu Krösus. Denn das Geschenk, das er dem Orakel von Delphi bereitete, enthielt noch weitere Schätze:
Der König schenkte dem Orakel “gewaltig große Mischkrüge”. Der goldene wog 8,5 Talente und 12 Minen. Eine Mine ist ein Sechzigstel eines Talents, womit der Mischkrug ein Gewicht von etwa 520 Kilogramm aufbringt. Dazu kommen noch vier silberne Vorratskrüge und ein goldenes und ein silbernes Weihbecken von unbekanntem Gewicht.
Fassen wir zusammen, welche Mengen Gold Krösus dem Orakel von Delphi vermachte:
600 Kilogramm Gold in Vollgoldziegel
6 – 10 Tonnen Gold in Weißgoldziegeln
600 Kilogramm Löwe
520 Kilogramm Mischkrug
Die gesamte Transaktion, die Krösus vor seinem Feldzug gegen die Perser nach Delphi sandte, enthielt also 7.710 oder 11.710 Kilogramm Gold. Heute hätte dies einen Wert von entweder 335 oder 510 Millionen Euro.
Auch das Geschenk des Krösus an das Orakel von Delphi hat seinen Wert recht passabel erhalten. Eine der größten Transaktionen der Antike wäre auch heute, wenn sie mit derselben Währung oder materiellen Substanz erbracht werden würde, bemerkenswert wertvoll. Sie dürfte aber ein wenig an relativem Wert verloren haben, da ihre Relation zur Gesamtwirtschaft in ihrer Zeit vermutlich größer war als heute. Heute kann man mit solchen Beträgen gerade mal mittelgroße Unternehmen kaufen. Andererseits dürfte die gesamte Wirtschaftsleistung dieser Zeit, gemessen an heutigen Dimensionen, winzig gewesen gering sein. Von allen Gütern, die Krösus zur Auswahl hatte, hat das Gold seinen Wert mit Abstand am besten erhalten – und das über mehr als 2500 Jahre hinweg.
Die Großzügigkeit des Krösus ist weithin bekannt. Er machte auch anderen Göttern bzw. deren Vertretern auf Erden prächtige Geschenke:
Ein goldener Dreifuß, goldene Kühe, ein goldener Schild. Maßeinheiten nennt Herodot hier nicht, er erwähnt aber, dass die Weihegeschenke im “Branchidenheiligtum der Milesier” ähnlich in Menge und Gestalt waren wie seine gewaltigen Geschenke an das Orakel von Delphi. Er scheint also noch weitere Transaktionen mit den Dimensionen der Delphi-Transaktion gegeben zu haben.
Interessanterweise wählte Krösus einen anderen Modus der Transaktion als Gyges. Gyges bezahlte per Vorkasse für seine Weissagung, eventuell galt er, als erster “Barbar”, der das Orakel bezahlte, noch nicht als vertrauenswürdig. Einige Generationen später kann Krösus dagegen per Nachnahme bezahlen: Das Orakel schickt ihm den Orakelspruch, noch bevor er sie mit den Goldschätzen bezahlt. Eventuell hatte man in Delphi genügend Vertrauen darin, dass ein König es nicht wagen würde, gegen das göttliche Gesetz zu verstoßen, dass die Worte des Orakels in Gold aufzuwiegen sind.
Vom Orakel erhielt Krösus also im Gegenzug für seine unermesslichen Geschenke eine Weissagung: Der König werde, wenn er gegen die Perser zu Felde ziehe, ein großes Reich zerstören. Krösus verstand dies als ein Versprechen eines Sieges und schenkte daraufhin jedem Einwohner Dephis einen Goldstater, eine 8-10 Gramm schwere Goldmünze. Das ist übrigens der bisher erste Hinweis, der mir auf Münzen in Herodots Historien begegnet ist (aber ich stehe ja auch erst am Anfang). Im Gegenzug gab ihm das Orakel eine weitere Weissagung zu seinem Zug gegen Persien: Er solle fliehen und nicht zögern, “ein Feigling zu sein”, wenn ein Maultier zum König der Meder werde (die Meder waren ein benachbarter mächtiger Volksstamm). Auch das verstand Krösus als gutes Vorzeichen – wann würde denn schon ein Maultier zum König werden?
Die größten Geschenke helfen jedoch nichts, wenn man das Orakel falsch deutet. Das große Reich, das Krösus zerstörte, sollte sein eigenes werden; der Perserkönig Kyros – der als Sohn einer vornehmen Mutter und eines niederen Vaters ein Mischling – ein Maultier – war, nahm Krösus gefangen. Kyros ließ ihm sein Leben und führte ihn als Berater mit auf seinen Feldzügen, in denen er weite Teile von Asien eroberte und das erste große persische Reich schuf.
4,178 Milliarden Euro: Der gigantische Schatz der Tempel Babylons
In diesem Zuge verleibte Kyros auch Bayblon, die Hauptstadt der Assyrer, dem persischen Reich ein. In der Beschreibung der Stadt finden wir einige Hinweise auf Gold. Und zwar auf fantastische Menge davon.
In einem babylonischen Tempel steht ein goldenes Sitzbild des Zeug, ein großer goldener Tisch, sowie Fußschemel und ein Thron aus Gold. Das Mobiliar des ganzen Tempels war offenbar aus reinem Gold gemacht. Angeblich war es 800 Talente schwer, was sagenhafte 96 Tonnen Gold wären.
Es gibt derzeit insgesamt 193.472 Tonnen Gold; der babylonische Tempelschatz würde davon 0,05 Prozent ausmachen. Sein Wert wäre heute 4,178 Miliarden Euro. Auch hier darf man einen ausgezeichneten Werterhalt über 2.500 Jahre hin feststellen. Welche andere Sache, die jemand vor mehr als 2500 Jahren gebaut hat, wäre heute noch mehr als vier Milliarden Euro wert? Sein Vermögen in Gold zu schmelzen, ist eine hervorragende Idee, wenn man möchte, dass es über Jahrtausende stabil bleibt.
Neben diesem Tempel nennt Herodot in Babylon noch einen Altar aus Gold sowie ein zwölf Ellen hohes Standbild aus massivem Gold. Da eine antike Elle ungefähr 50 Zentimeter lang war, hatte das rein goldene Standbild eine bemerkenswerte Höhe von 6 Metern. Man darf annehmen, dass auch es einige Tonnen Gold auf die Waage brachte (wenn man von einem Radius der Status von 30 Zentimeter ausgeht, wären es etwa 1,7 Tonnen; bei einem Radius von 60 Zentimeter dagegen knapp 7 Tonnen).
Gold diente offenbar in Babylon vor allem für repräsentative Zwecke, wie in Tempel oder als Schmuck. Der Staatshaushalt wurde in Silber bezahlt. Das assyrische Reich, erzählt Herodot, umfasste ein Drittel der Ressourcen Asiens, die Statthalterschaft über es sei “bei weitem die mächtigste” von allen Statthalterschaften.
Die Statthalterschaft über ein Drittel von Asien erbrachte laut Herodot Einnahmen von einer “Artabe Silber” am Tag. Die Artabe ist die persische Version des Scheffels (Medimnos), der 52 Liter fasst, aber mit 55 Litern ein wenig größer. Wir hätten als rund 550 Kilogramm Silber am Tag, was bei einem Silberpreis von 520 Euro ewa 286.000 Euro ausmacht.
Ist Silber auch ein guter Wertspeicher? Das babylonische Reich hatte Jahreseinnahmen in Silber, die heute knapp 104 Millionen Euro wert wären. Das ist für das größte Reich einer Epoche wenig, aber für die Bevölkerungsanzahl und technogische Reife dieser Zeit viel. Der babylonische Verwaltungsapparat wäre schon eine recht große Firma heute. Dementsprechend hat auch Silber den Wert sehr gut erhalten.
Die Massageten: Gold als Industriegut
Einen weiteren Hinweis ganz anderer Art findet man schließlich bei der Beschreibung der Massageten. Das ist ein Volk, das nach Art der Skythen nomadisch-kriegerisch am Kaukasus lebte. An ihnen strandet schließlich Kyros’ Sturm über Asien.
DIe Massageten haben keine Vorräte an Eisen und Silber, aber sehr viele an Gold und Bronze. Daher fertigen sie Waffen aus Bronze, aber schmückende Rüstungen aus Gold. Selbst die Pferde tragen goldenes Zaumzeug und Kopfputz. Sie gehen viel pragmatischer als die anderen Völker mit Gold um; es ist eher ein Gebrauchs- als ein Kultmaterial, und wird sozusagen industriell verwendet.
Das viele Gold dürfte aber höchstens indirekt etwas damit zu tun haben, dass die Massageten unter ihrer König Tomyris die Armee von Kyros besiegten. Eventuell konnten sie sich Söldnertruppen damit kaufen, aber davon erzählt Herodot nichts. Vielleicht war es einfach an der Zeit, dass das Heer von Kyros an seine Grenzen stieß. Nach einer erbitterten Schlacht besiegten die Massageten die Perser. Kyros fiel im Kampf; die Königin Tomyris schnitt seinen Kopf ab und legte ihn in einen Schlauch, den sie mit Blut aus der Schlacht gefüllt hatte. Damit machte sie ihr Versprechen wahr, Kyros im Blut zu ersäufen.
Antike und digitale Hodler
Ich habe, wie gesagt, erst gut 100 Seiten der Historien gelesen. Ich bin mir sehr sicher, Herodot wird noch vieles mehr darüber erzählen, wie die Antike mit Gold umging. Was haben wir aber bisher erfahren – und was sagt das über Bitcoin?
Gold war in der Welt, von der Herodot erzählt – der griechisch-vorderasiatische Raum um 700-500 vor Christi – überall bekannt und begehrt, aber erst im Begriff, als Geld in Form von Münzen verwendet zu werden. Die Massageten am Kaukasus haben es als Industriematerial benutzt, um daraus Schmuck und Kopfrüstungen herzustellen, was vermutlich daher kam, dass sie Gold im Überfluss hatten. Bei den Völkern, die der griechisch-ägyptischen Zivilisation näher standen, wie den Lydern, hatte Gold aber eine vorrangige Funktion, die weder industriell noch monetär war, sondern vor allem mythisch: Gold war das Bindeglied zur Sphäre der Götter; Geschenke in Gold, an die Orakel und an die Tempel, konnten die Götter gewogen stimmen.
Damit hatte Gold eine sehr spezielle Kaufkraft, die vermutlich am Boden seines Wertes liegt: Es ist das einzige Medium, das das Orakel von Delphi als Bezahlung für die horrenden Gebühren der Weissagungen einer von Höhlengasen berauschten alternden Jungfrau akzeptierte. Da die Könige dieser Welt einen positiven Orakelspruch für eine Bedingung jeder erfolgreichen Unternehmung hielten, bedurfte jeder große König eines großen Goldschatzes.
Die Form, in der das Gold nach Delphi geliefert war, waren meist große Gefäße, Statuen und Barren; das Gold wurde in eine Form gebracht, die einerseits einigermaßen gut zu transportieren war, andererseits die Erinnerung an den Stifter durch ihre kunstvolle und beeindruckende Gestalt bewahrte. Einmal in diese Form gebracht, fror das Gold gewissermaßen ein. Es in eine ausgebbare Form zu bringen – eine Transaktion mit ihm zu zeichnen -, etwa Münzen oder kleine Barren, würde ein Kunstwerk zerstören, und einen Eintrag aus dem Kontobuch löschen, durch das die Tempel die Geschichte großer Transaktionen speichern. Damit war das Gold aus dem Verkehr gezogen, die Schatzbildung setzte ein, und damit vielleicht auch die Herausbildung von Gold als Wertspeicher, die in beeindruckender Kontinuität bis in die Gegenwart reicht.
Das Horten von Gold gehört offenbar zur Geldwerdung dazu. Nicht ohne Zufall waren Schatzkammern wie die in Delphi vor den ersten Münzprägungen durch Krösus da. Das könnte ein Punkt für die Hodler sein, die zum Teil meinen, Bitcoin müsse zunächst einen stabilen Wert erreichen – woran sie als Horter beteiligt sind – bevor es als Zahlungsmittel umläuft. Die Urgeschichte des Geldes gibt ihnen recht. Die Bitcoin-Hodler haben auch einen Grund, wenn sie mit Saifedean Amous auf der “langfristigen Zeitpräferenz” herumreiten, also der Tatsache, dass der Sparer auf die heutigen Genüsse verzichtet, um in Zukunft mehr zu haben. Ob die Bitcoin-Hodler aber auch so langfristig denken können wie die Tempel- und Schatzhauswächter der alten Griechen, die die Goldschätze über Jahrhunderte hin aufbewahrt haben? Werden sie ihre Bitcoins nicht nur bis zu ihrem Tod, sondern über spezielle Testamente auch noch über Generationen hinweg halten?
Hodlen muss dabei nicht rational begründet sein. Vielleicht darf es das gar nicht. Die Schatzbildung bei den alten Griechen, Lydern und Persern war höchst irrational. Marx versucht sie – ganz der Materialist seiner Zeit – psychologisch zu begründen, ignoriert dabei aber den viel wichtigern mythischen Hintergrund. Eventuell kann ein irrationales Moment der Bitcoin-Maximalisten – der extreme Glaube daran, dass es nur Bitcoin sein kann, die Ignoranz tatsächlicher Nützlichkeit, der hingebungsvolle Glaube an Open-Source-Entwickler, die oft Verherrlichung einer nebulös definierten Dezentralisierung – vielleicht kann all dies die Rolle spielen, die die Mythik von Göttern und Orakeln in der Welt der alten Griechen gespielt haben.
Allerdings fehlt es Bitcoin an der physischen Exklusivität von Gold. Gold war ein glänzendes, äußerst schweres und relativ weiches Material mit einem eher tiefen Schmelzpunkt; nichts strahlte so sehr wie Gold, und seine Formbarkeit ermöglichte es, das Material in eine kunstvolle Gestalt zu gießen, die schwer auszugeben und daher quasi eingefroren waren. Man könnte sagen, das Gold in den Tempeln entsprach einem sehr besonderen UTXO bei Bitcoin (Unspent Output). Diese Tradition der Schaffung solcher spezieller UTXO liegt ganz am Anfang des Goldes, in der Herstellung von Schmuck, und hat sich über Jahrtausende erhalten. Noch im Mittelalter und in der Antike haben Herrscher darum konkurriert, den Kirchen die edleren, kunstvolleren, schwer auszugebenden Gold-Outputs zu schenken. Einer Schätzung zufolge besitzt die katholische Kirche mit ihren endlosen Vorräten an Schmuck, Zeremonialgegenständen, Altären, Blattgoldwänden, Figuren und so weiter rund 30.000 Tonnen Gold – oder 16 Prozent der jemals geförderten Goldmenge. Das Hodlen von Gold ist also aufs Engste mit Religion verbunden.
Um einmal Gold zu werden, könnte man jetzt folgern, muss Bitcoin weniger rational und stärker religiös werden. Hodling darf nicht nur eine Überzeugung sein, sondern ein Glaube; und die UTXOs, die man speichert, dürfen nicht einfach nur auf einfachen oder Multisig-Adressen liegen, sondern auf kunstvoll gefertigten UTXO, die einen immerwährenden Fußtritt in der Blockchain hinterlassen.
Danke Herr Bergmann, mal was anderes !
Habe den Text mit viel Interesse gelesen.
Bitte noch mehr grundsätzliche Gedanken zu Wertspeicher, hartes / weiches Geld und das verlangen von Menschen Kapital zu speichern bitte !!
Danke. Freut mich, dass dir ein auch eher etwas abseitiges Thema gefällt.
Danke für diesen Artikel, Christoph! Interessant wäre auch, ob es damals auch FUD gegen Gold gegeben hat.
Klar gab es das. Du kennst doch die FUD-Geschichten gegen König Midas …
Wow, das war ein schöner Geschichtsausflug. Die materielle Seite vom Delphi Orakel war mir gar nicht richtig bewußt. Solche Betrachtungen sind unbedingt wichtig, auch wenn man über Bitcoin spricht.