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Anzahl unbestätiger Bitcoin-Transaktionen erreicht Rekordhoch: Erhitzte Community diskutiert Lösungen

Wann geht's weiter? Erstmal absteigen, kein Ende vom Stau in Sicht. Bild von Kunstee via flickr.com, Lizenz: Creative Commons

Die Anzahl der unbestätigten Transaktionen steigt auf ein Niveau, bei dem es weh tut. Die Bitcoin-Wirtschaft ist nicht erfreut. BitPays Stephen Pair wird ungewöhnlich direkt, während Barry Silbert von der Digital Currency Group versucht, ein breites Bündnis für einen neuen Kompromis zu finden. Zugleich werden die Rufe nach einer UASF immer lauter. Wird aus der Not endlich eine Lösung des Blocksize-Streits gefunden?

Über immerhin eines ist sich die Bitcoin-Szene derzeit einig: Wir haben ein absolutes Allzeithoch an unbestätigten Transaktionen. Derzeit warten 212.000 Transaktionen auf einen Platz in den Blöcken. 160 Megabyte an Daten stecken im Blockchain-Stau. Da das Bitcoin-Netzwerk nur 144 Blöcke à 1 MB in 24 Stunden bestätigen kann, wird es selbst dann einen Tag dauern, sie abzuarbeiten, wenn jeder aufhört, Bitcoins zu versenden.

JoHoes Mempool-Visualisierung. Die Tabelle zeigt, wieviel Transaktionen ab welchem Gebühren-Niveau warten.

Die Gebühren erreichen derweil irrsinnige Höhen. Beinah 7.000 Transaktionen bezahlen Gebühren von mehr als 200 Satoshi je Byte, was bereits fast ein Euro für eine Standard-Transaktion ist, die voraussichtlich im Lauf der nächsten 10 Blöcke (knapp 2 Stunden) bestätigt wird. Wer eine Chance haben möchte, in den nächsten Block zu kommen, sollte mehr als 300 Satoshi bezahlen, was bei Standardtransaktionen ungefähr 1,50 Euro entspricht. Wer hingegen meint, er müsse es versuchen, weniger als 80 Satoshi je Byte zu bezahlen (weniger als 50 cent), darf sich hinter beinah 160.000 Transaktionen anstellen.

Bitcoin wird teuer, und für diejenigen, die nicht die richtige Gebühr treffen, unberechenbar. Haarsträubend wird es, wenn man viele kleine Inputs hat, die unter 60.000 Satoshi liegen. Ich habe zum Beispiel von einem Cloud-Miner Kleinstbeträge bekommen, die sich täglich angesammelt haben. Viele haben etwas ähnliches von Faucets. Wenn die Gebühren auf mehr als 120 Satoshi je byte steigen, und eine Standardtransaktion 250 byte groß ist, dann sind Inputs, die kleiner als 30.000 Satoshi (oder 50 cent) sind, eingefroren. Steigen die Gebühren gar auf 300 Satoshi, hängt alles unter 75.000 Satoshi (1,20 Euro) fest.

Für die Bitcoin-Wirtschaft beginnt die Sache langsam schmerzhaft zu werden. Trezor, die Hardware-Wallet, berechnete astronomische Gebühren von 500$ herum, weil der Provider, den Trezor für die Gebührenrechnung benutzt, mit den vollen Blöcken nicht klarkommt; User von Multibit klagten, dass sie ihr Bitcoin-Guthaben nicht mehr ausgeben können, während Electrum an die Grenze der „Sanity Fees“ von 300 Satoshi je Byte stieß.

Selbst am Wochenende leert sich der MemPool nicht. Am Montag-Morgen waren noch immer 50.000 Transaktionen unbestätigt.

Bitcoin-Unternehmen wie BitPay oder Shapeshift, die tausende von Transaktionen am Tag annehmen und versenden, werden von Support-Anfragen überhäuft, weil jeder wissen will, wann seine Zahlung endlich bestätigt wird. AirBitz, die mobile Wallet, überlegt sogar, die Mitarbeiter künftig nicht mehr in Bitcoin, sondern in Litecoin oder Ether zu bezahlen, weil die Gebühren zu hoch sind.

Bitcoin 8MB, Litecoin SegWit

Die Wirtschaft ist, verständlicherweise, nicht glücklich mit der Situation. Stephen Pair von BitPay macht seinem Ärger auf twitter Luft. Er beginnt damit, dass er auf für ihn ungewöhnlich klare Weise sagt, was er will. Pair weist auf die Gebühren und die unbestätigten Transaktionen hin und fordert „Zeit für eine Hardfork zu größeren Blöcken … 8mb bitte“

Damit leitet er, natürlich, die übliche Diskussion ein. Adam Back, CEO von Blockstream, antwort, dass es der erste Schritt sein sollte, SegWit zu aktivieren, da das ja schon entwickelt und getestet sei. Denn SegWit könnte die Größe der Blöcke erhöhen, wenn es genutzt wird, da Transaktionen damit anders verbucht werden, was besonders praktisch für die Kleinstbeträge mit vielen Inputs wäre. Angesichts der ungenügenden Kapazität ist es ebenso legitim, nach SegWit wie nach einer Hardfork zu rufen.

Pair erwidert allerdings, dass es nun zu spät für SegWit sei, unglücklicherweise, und SegWit nicht mehr helfen würde. Er lässt offen, ob er meint, dass SegWit ein halbes Jahr nach Beginn der Aktivierungsperiode keine Chance habe, jemals die anvisierten 95 Prozent zu erreichen, oder ob er meint, dass die Erhöhung der Kapazität durch SegWit zu wenig ist, um der Krise beizukommen.

Daraus beginnt dann eine Diskussion, die vermutlich programmatisch für das ganze Drama ist. Pair meint, er sei nicht gegen SegWit und kann sich das für später gerne vorstellen, nachdem es auf Litecoin getestet wurde. Darauf wird auf die SegWit-Aktivierung von Litecoin hingewiesen, gegen BitMain gestänkert und BitPay die Kundschaft gekündigt. Der schwedische Pirat Rick Falkvinge diskutiert mit, ob ein Kompromiss ein Zugeständnis braucht, viele twitter-User haben ein „UASF“ im Namen, es gibt einen Aufruf, BitPay zu boykottieren, da sich der Payment-Provider durch die kürzlich vereinbarte Partnerschaft mit BitMain verkauft habe.

Kurz darauf tweetet Pair nochmal: „Der beste Plan, 8mb Hardfork für Bitcoin jetzt, und SegWit Tests für Litecoin.“ Daraufhin schaltet sich Core-Dev Eric Lombrozo ein. Er schreibt, bemerkenswert feindselig, „Ich habe dich wirklich gemocht, Stephen – traurig zu sehen wie der Einfluss von Geld Leute wie dich korrumpieren können.“

Auf Eric Lombrozo meldet sich Shapeshift CEO Eric Vorhees zu Wort, der die Arroganz der Core-Entwickler anklagt: Es seien wohl nur Core Devs immun gegen Korruption, während jeder, der ihnen widerspreche, eine Ausgeburt des Bösen sei. Und so geht es weiter.

Harte Worte

Ich will euch nicht mit Klatsch und „wer hat was zu wem gesagt“ langweilen. Aber das neue an den Tweets und sonstigen Meinungsäußerungen der letzten Tage ist, dass die Wirtschaft offenbar die Geduld verliert. Wang Chun von F2Pool, bekannt für seine amüsanten Tweets, schreibt, dass er überlege,  es sei eine gute Idee, von 0.14.0 auf 1.0.1.1. umzusteigen, was bedeutet, von Core (v. 0.14) auf Bitcoin Unlimited (v. 1.0.1). Dahinter hängt er die Hashtags #core #fail an. Kurz darauf geht er noch einen Schritt weiter: Er überlegt, warum er auf BU upgraden soll, wenn es auch geth (Ethereum) 1.6.1 gibt?

Auch der Prediction-Market Fairlay ist wütend. Er warnt seine Besucher: „Dank der Inkompetenz von Core, ein Problem zu lösen, das gelöst werden muss, steigen die Gebühren um 0.5 mBTC je Auszahlung … wir glauben, dass Core ein Haufen armselig organisierter Wissenschaftler sind, die durch einige sozial unangenehme und ignorante Leute repräsentiert werden, die unfähig sind, Bitcoin zu führen.“ Jon Matonis von der Bitcoin Foundation und nChain schließlich bemerkt, dass die Diskussion davon weggeht, wann SegWit aktiviert wird, sondern wodurch Core seinen Einfluss retten kann.

Eines der radikalsten Beispiele stellt erneut Stephen Pair dar, als er die „UASF“ kommentiert. UASF bedeutet „User Activated Soft Fork“ und meint, dass man die SegWit-Softfork nicht durch die Miner, sondern durch die Nodes aktiviert. Seit einigen Wochen wird in der Bitcoin-Community für eine UASF getrommelt, während die Core Devs noch keine klare Position bezogen haben, aber die Idee immerhin nicht pauschal ablehnen.

BitPay hingegen hat bereits vor einigen Wochen gesagt, dass er nichts von einer UASF hält. Nun tweetet Pair: „Die UASF ist keine Graswurzelbewegung, sondern Astroturfing.“

Da ich einmal einen Artikel über Astroturfing, Shills und Troll-Armeen geschrieben habe, weiß ich, dass Astroturfing das englische Wort für „Kunstrasenverlegung“ bedeutet. Der Begriff verballhornt die Graswurzelbewegung und bezeichnet die Praxis von Unternehmen und Regierungen, den Eindruck zu erwecken, dass ein Projekt eine spontane Unterstützung von „Unten“ hat, während diese scheinbare Graswurzelbewegung eine klare Marketing-Aktion ist.

Schon ein harter Vorwurf. Die UASF-Bewegung, die derzeit umgeht, ist keine Graswurzel, sondern Propaganda? Da Blockstreams Community Manager Alex Bergamon vor kurzem ein sehr UASF-freundliches Blogpost geschrieben hat, fühlt sich Blockstream-CEO Adam Back wohl angesprochen. Er betont, dass keine Firma ihre Finger im Spiel hat.

Ein endloser Strom von diesen und anderen Diskussionen um die immergleichen Punkte rauscht durch das Netz.

Mal wieder: 2 MB + SegWit

Weniger konfrontativ geht Barry Silbert in die Initiative. Der Chef der Digital Currency Group, einer Investmentgesellschaft, die in Dutzende von Bitcoin-Firmen investiert hat, kündigt an, sofort die Aktivierung von SegWit zu unterstützen und eine Blocksize-Hardfork zu 2 MB im Lauf der nächsten 12 Monate zu bewirken.

https://twitter.com/barrysilbert/status/864887461876518912

Kurz darauf tweetet Silbert, dass mehr als 50 Bitcoin-Unternehmen aus mehr als 20 Ländern diese Variante unterstützen werden. Anschließend hört er sich bei den Minern um und schafft es, bis heute Vormittag fast 80 Prozent der Hashrate zu gewinnen.

https://twitter.com/barrysilbert/status/865076196845006848

Damit wären wir also wieder beim Agreement von Hongkong, durch das schon Anfang 2016 beschlossen wurde, SegWit mit einer Hardfork zu 2-4 MB (Blocksize, nicht -weight) zu verbinden. Diese Lösung war immer wieder im Gespräch, zuletzt durch den Vorschlag von Sergio Lerner. Indem Barry Silbert nun mehr als 50 Unternehmen und 80 Prozent der Hashrate für 2MB+SegWit gewonnen hat, wird die Variante äußert wahrscheinlich. Sie könnte den Blocksize-Streit zwar nicht für immer beheben, aber zumindest für einige Jahre beruhigen. Der Platz, den SegWit und 2MB Blöcke schaffen, verschafft Bitcoin genügend Zeit, um auszuloten, welches Potenzial in Offchain-Lösungen wie Lightning liegt.

Moment! Aber …

Aber natürlich ist es nicht so einfach. Ansonsten hätten wir es ja schon. Die üblichen Verdächtigen unter den Core-Entwicklern protestieren vehement. Zum einen tweetet Luke Dashjr, Core-Entwickler mit Commit-Access und Blockstream-Mitgründer, dass dies nur bedeuten könne, dass die Digital Currency Group nun beginnt, eine UASF für SegWit zu unterstützen, um im Lauf der nächsten 12 Monate mit SegWit eine Blocksize von 2 MB zu erreichen.

Sprich: Wir machen genau das, was wir vorgeschlagen haben. SegWit ist der Kompromiss etc.

Luke zeigt sich auf diesem Bild übrigens mit UASF-Mütze. Er lässt damit keinen Zweifel daran, dass er eine useraktivierte Softfork gutheißt, falls dies nötig sein sollte, um SegWit gegen den Willen der Miner und ohne (über SegWit hinausgehende) Kompromisse durchzuboxen. Für Luke scheint das Bitcoin-Mining ohnehin gescheitert zu sein, seitdem sich BitMain als Beinah-Monopolist auf Mining-Hardware gegen Core stellt.

Auch Eric Lombrozo opponiert Silberts Kompromiss. Er erwidert, Core hätte sich bereits dazu geäußert und erklärt, weshalb es nicht funktioniert.

Weiter meint Lombrozo, dass es nicht viel zu diskutieren gäbe. Einige Leute mögen andere Leute nicht und wollen sie loswerden. SegWit benutzen sie dafür als Geisel. Lombrozo fährt fort, dass er desto stärker zu einer UASF tendiert, je mehr verschiedene Gruppen versuchen, einen Konsens auszuhandeln. Ähnlich äußern sich Adam Back, Peter Todd und andere.

Aber auch Pair von BitPay ist mit dem neuen Kompromiss nicht ganz glücklich. Er hat Silbert wohl zugesagt, mitzuziehen, erklärt aber danach, dass er angenommen habe, der Vorschlag sei SegWit+2MB von Lerner, und keine Neuauflage des Hongkong-Konsens. Grob gesagt verlangt er, dass die Hardfork zu 2MB in dieselbe Version von Bitcoin einprogrammiert wird, die SegWit aktiviert. Auf Seiten der Big Blocker / Fans von Bitcoin-Unlimited gilt Silberts Vorschlag hingegen vor allem als neuer Trick, um dem User SegWit aufzudrängen. Die Hardfork werde, wenn man Core SegWit gebe, sowieso niemals aktiviert.

Die Bitcoin-Szene ist also weit davon entfernt, sich einig zu sein. Aber es könnte sein, dass nun, aus der Not heraus, eine Lösung gefunden wird. Es wäre an der Zeit.

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