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Wurde Ethereum unforkbar?

Ethereum. Bild von Stanley Osorio via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Ein Blogpost behauptet, Ethereum könne sich nicht mehr spalten. Denn die Anwendungen der Decentralized Finance (DeFi) entscheiden schon vor der Fork, welche Seite die richtige ist – während die andere dazu verdammt ist, zu kollabieren. Ergeben die Argumente Sinn? Und bedeutet das, dass die großen DeFis nun Ethereum kontrollieren? Oder hat jemand hier einfach nur entdeckt, was Netzwerkeffekte sind?

Manchmal passieren die Dinge einfach von selbst. Sie nehmen ihren Lauf, und das Ergebnis ist oft genau das Gegenteil von dem, was man erwartet hätte.

Diejenigen unter euch, die schon 2016 in Krypto waren, werden sich sicherlich noch an eines der aufregendsten Ereignisse dieses Jahres erinnern: Zuerst ist auf der Ethereum-Blockchain die erste Dezentrale Autonome Organisation (DAO) erwacht. Das war ein wundervolles Ereignis, das zeigte, welche Macht in Smart Contracts stecken und wie einfach es für einen User sein kann, Ether gegen Token zu wechseln. Die DAO wurde über Nacht zum größten Crowdfunding-Projekt aller Zeiten. Doch dann gab es einen Bug im Smart Contract, und ein Hacker konnte Ether im Wert von hunderten von Millionen Euro abzusaugen. Daraufhin haben die Ethereum-Entwickler beschlossen, diesen Hack mit einer Hardfork unwirksam zu machen. Weil einige in der Szene befürchteten, Ethereum verliere mit diesem Eingriff seine Seele, führte diese Hardfork zu einer Abspaltung eines zweiten Coins: Ethereum Classic. Für einen kurzen Moment sah es dann sogar so aus, als würde Ethereum Classic der neue Ether werden …

Für alle, die solche Ereignisse als großes Kino genießen, dürfte ein kürzlich veröffentlichtes Blogpost von Leland Lee von der Universität Berkeley eine schlechte Aussicht aufspannen: Leland behauptet, die vielen DeFi-Apps (dezentrale Finanzen) hätten Ethereum unforkbar gemacht. Das ist eine recht überraschende These. Im Grunde stellt sie alles, was man von Ethereum weiß, auf den Kopf. Kaum eine Blockchain wird so straff von einer Entwickler-Aristokratie geführt wie Ethereum, und bei kaum einer Blockchain hat der Anspruch der Entwickler, die Technologie und Ökonomie der Blockchain zu ändern, so wenig Grenzen. Angesichts der streit- und diskussionswütigen Kryptoszene sollte das Forks und Spaltungen eigentlich unvermeidbar machen.

DeFis machen Forks sinnlos

Dennoch meint Leland, dass Abspaltungen wie seinerzeit Ethereum Classic heute nicht mehr überlebensfähig sind. „Ethereum wird niemals wieder eine bedeutsame Minderheiten-Fork haben, zum größten Teil wegen der inhärenten Fragilität der DeFis.“

Um zu erklären, was er meint, gibt Leland ein Gedankenspiel zum Besten: „Nehmen wir an, dass ProgPow, eine kontroverse Änderung, in die Codebase gelangt und in einem künftigen Ethereum-Upgrade aktiviert wird. Die Änderung, die die gegenwärtige Generation von Ethereum-Asic-Miner wertlos macht, ist so polarisierend, dass die Community beginnt zu streiten. Bald darauf bilden sich zwei Fraktionen: Anti-ProgPow und Pro-ProgPoW. User auf Reddit und Twitter ändern ihre Usernamen, um zu signalisieren, auf welcher Seite sie stehen. Ein Bürgerkrieg schwelt, jeder muss sich entscheiden.“

Bürgerkriege in der Kryptowelt sind, trotz des großen emotionalen Engagements der Kämfer, recht friedlich. Sie sind eigentlich nur konkurrierenden Online-Kampagnen um Meinungen, die teils privat, teils gewerblich geführt werden. Ihr Ergebnis manifestiert sich aber in einer Fork, womit diese Kämpfe der Tastatur-Krieger entscheidend für die Zukunft ganzer Ökosysteme werden.

Für die wirtschaftlichen Akteure ist eine Fork mit ungewissem Ausgang beunruhigend. Das trifft auf allen Blockchains zu. Bei Ethereum kommt aber noch hinzu, dass es ein recht einzigartiges Ökosystem gibt, das zu großen Teilen aus dezentralen Finanzanwendungen (DeFi) in einem Smart Contract besteht. So werden beispielsweise die Dai-Dollar über dezentrale Kredite geschaffen, Coins und Token werden auf dezentralen Börsen gehandelt, und es gibt eine Fülle an DeFis für Kredite, Derivate und mehr. All diese DeFis sind zwar an sich ein dezentraler Smart Contract auf der Blockchain, aber es gibt dennoch Betreiber – die Menschen, die den Smart Contract programmieren und updaten, die die Webseiten hosten, die für die User zu Fenstern zum Smart Contract werden, und diejenigen, die die Verträge mit Daten füttern, die nicht auf der Blockhain entstehen.

Diese Betreiber, meint Leland, „beobachten den Bürgerkrieg ängstlich. Ihre Hände sind gebunden: Sie können sich nicht zu früh auf eine Seite schlagen. Warum? Weil es für das Überleben des Systems entscheidend ist, dass sie die richtige Fork auswählen.“

In seinem Gedankenspiel stellt sich Leland dann vor, dass USDC, ein von Circle und anderen Firmen herausgegebener Dollar-Stablecoin auf Ethereum, „der erste ist, der den Rubikon überquert“ – also: eine Entscheidung trifft, die nicht mehr umkehrbar ist. USDC sagt, dass man ProgPow nicht unterstützt, und dass die Stablecoins nur auf der Blockchain laufen werden, die am alten Mining-Algorithmus festhält. Die ERC-Token der USDC existieren zwar auf beiden Blockchains, doch auf der neuen, ProgPoW-Chain, sind sie vollkommen wertlos. Dies zwingt nun alle DeFi-Betreiber, meint Leland, sich auf die Seite von USDC zu schlagen.

Kollaps auf der Minderheiten-Chain

Warum kann sich kein DeFi-Betreiber dem Sog von USDC entziehen? Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass USDC der mit Abstand am meisten in der DeFi-Welt benutzte Stablecoin ist. Er repräsentiert „99 Prozent aller durch Fiat gedeckten, in DeFi-Anwendungen eingeschlossenen Stablecoins.“ Die Folge: Die Seite der Fork, die nicht von USDC unterstützt wird, risikiert, dass ihr gesamtes DeFi-System kollabiert.

Alle Token, die in USDC bewertet sind, werden wertlos. Das garantiert schon große Verwüstungen, und um es überhaupt zu vermeiden, dass es zu massiven Schädigungen kommt, muss das gesamte DeFi-Ökosystem die USDC „koordiniert extrahieren.“ Das ist ein ein gigantischer Aufwand und für die Betreiber der DeFis kaum zu schultern. Daher haben sie, so Leland, „keine andere Chance als CENTRE [dem Herausgeber der USDC] zu folgen und ihr ganzes Gewicht hinter die von USDC abgesegnete Fork zu stellen, egal, was die Community bevorzugt.“ Es sei eine klassische spieltheoretische Situation: „Die Anreize für eine Koordination sind überwältigend, daher sind alle DeFis gezwungen, sich gemeinsam zu bewegen.“

Falls die User beschließen, bei der ProgPow-Fork zu bleiben, finden sie ein DeFi-System in Trümmern vor: Die Betreiber der DeFi-Apps sind nicht mehr da, die Oracles posten keine Daten mehr, es gibt keine Preise, alle zentralisierten Stablecoins sind wertlos, jeder, der ein Token mit USDC gekauft hat, hat es quasi geschenkt bekommen. Manche DeFi Apps wie 0x oder Uniswap funktionieren weiter, verlieren aber fast ihre gesamte Liquidität.

Auch die DAI-Dollar werden zusammenbrechen. Dieser Stablecoin ist nicht durch Fiat gedeckt, sondern durch Ether, in einem bestimmten Verhältniss, so dass es immer einen Gegenwert für die an den Dollar gekoppelten Token gibt. Was passiert nun mit den Token, wenn sich auf einer Minderheiten-Chain sind, die beispielsweise nur ein Zehntel der Marktkapitalisierung der Mehrheitschain hat? Die Token sind nur noch mit einem Zehntel gedeckt. Das kann in einem vollkommenen Kollaps der DAI-Dollar enden, womit den verbleibenden DeFis, wie den dezentralen Marktplätzen, die Liquidität entzogen wird. Das gesmate Ökosystem fällt in sich zusammen.

Anders als Bitcoin, folgert Leland Lee, „dessen Kontobuch einfach genug ist, dass Forks funktional zu Aidrops werden, ist das Ökosystem von ETH unglaublich komplex. Weil seine Applikationen mit nicht-forkbaren Komponenten verwoben ist, wird das gesamte System unforkbar. Eine Minderheits-Fork ist dazu verdammt, in der Obskurität zu verschwinden.“

Die Neuerfindung der Netzwerkeffekte

Die Argumentation ist an sich plausibel. Aber ist es bei Bitcoin wirklich anders? Bei einer Ethereum-Fork verliert die Minderheiten-Chain weite Teile des DeFi-Ökosystems. Sie mag technisch weiterhin funktionieren – vielleicht dank ProgPoW sogar besser – aber das, was eine Blockchain ausmacht, ist eben nicht die Technologie, sondern die Wirtschaft. Bei Bitcoin ist das an sich dasselbe: Das Ökosystem bleibt auf der größeren Kette. Die gesamten Arbitrage-Transaktionen zwischen Börsen, der Zugang zu Fonds und börsennotierten Papieren, die Akzeptanz im Handel und in anderen Milieus – das ist alles weiterhin bei BTC.

Bitcoin Cash, Bitcoin Gold und Bitcoin SV standen nach der Fork mit leeren Händen da. Ihr Anteil an der Marktkapitalisierung beträgt heute weniger als 5 Prozent von Bitcoin; das gesamte Ökosystem muss mühsam neu aufgebaut werden. Selbst die enormen Anstrengungen auf Seiten von Bitcoin Cash und Bitcoin SV konnte nicht viel daran ändern, ein Coin wie Bitcoin Gold, bei dem es keine Community, keine Investoren und keine Entwickler gibt, die das Ökosystem wieder aufbauen können, dümpelt inaktiv und mit nimimalem Wert vor sich hin. Auch bei Monero war dies zu beobachten, als es eine „Monero Classic“ Fork gab, nachdem Monero einen neuen, asicresistenten Mining-Algorithmus eingeführt hat. Dieselbe Technik, aber kein Ökosystem – der Wert der Monero Classics beträgt etwa ein halbes Prozent von Monero.

Es kann sein, dass die DeFis bei Ethereum diese Effekte noch intensivieren, weil sich das Ökosystem auf einer Minderheitenfork selbst abbaut, so, als hätte es eine Selbszerstörungsfunktion. Aber an sich ist handelt es sich hier um nicht mehr als die altbekannten Netzwerkeffekte, die es überall so unglaublich schwer machen, gegen den bestehenden Marktführer anzukommen.

Interessant ist jedoch, wie sich in dieser Konstellation die Machtverhältnisse ändern. Bei Bitcoin und anderen Währungen wie Monero entscheidet die „Community“ darüber, welche Seite der Fork die echte ist: Die Coins, die die Leute benutzen, die sie kaufen, die sie halten, sind die echten. Bei Ethereum flutscht diese Macht zu den Betreibern der großen DeFis, die, ganz egal was die Community möchte, in der Lage sind, über das Schicksal der Blockchain zu entscheiden. Kein kollektiver Kraftakt der Community kann es ändern, wenn eine Kaskade des Kollapses bei den DeFis einsetzt. Ethereum wird damit effektiv beherrschbar. Eine Fork, die das Wohlwollen der großen DeFis hat, wird funktionieren, eine Fork dagegen, die dieses Wohlwollen nicht hat, ist zum Scheitern verursacht.

Aber vielleicht ist auch dies nicht neu. Bei den echten und drohenden Bitcoin-Forks – etwa die von Classic oder Unlimited – haben einige wenige marktführende Börsen mit der Ankündigung, das Ticker-Symbol BTC für die Bitcoin-Core-Chain zu reservieren, schon im Vorfeld entschieden, welche Seite der Fork Bitcoin bleibt, und welche zu einer winzigen Nische werden wird. Damit könnte man die Erkenntnis von Leland Lee darauf herunterbrechen, dass ökonomische Akteure darüber entscheiden, welche Seite der Fork gewinnt, und dass die Netzwerkeffekte der verlierenden Fork jede Bedeutung raubt. Das ist nicht ganz neu, aber es ist gut, dass mal darüber geredet wird.

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