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Nicht zuverlässig, aber dafür zentralisiert

Das Lightning-Netzwerk macht es einem einfach, passende Bilder zu finden. Bild "Gewitter" von audiocomplex via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Zwei neue Studien widmen sich dem Lightning-Netzwerk. Die erste untersucht, wie zuverlässig Zahlungen durchs Netzwerk gehen und wie viele Knoten tatsächlich erreichbar sind. Die zweite analysiert, wie sehr sich das Netzwerk mittlerweile zentralisiert hat. Beide Studien bringen Ergebnisse hervor, die so ernüchternd wie enttäuschend sind.

Das LightningNetzwerk ist seit etwa 2015 die große Hoffnung darauf, Bitcoin zu einem Zahlungssystem zu machen, das mit Kreditkarten und PayPal mithalten kann, aber dabei vollkommen dezentral bleibt. Seit Anfang 2018 ist das Netzwerk live, und es ist möglich, damit zu bezahlen.

Die Erwartungen an Lightning waren gewaltig. Keine Technologie hat so viel Aufmerksamkeit der Bitcoin-Medien erhalten, noch bevor sie betriebsbereit war, keine Technologie ist Thema so vieler Konferenzen und Veranstaltungen, und keine Technologie hat in diesem Umfeld so viele Vorschuss-Lorbeeren bekommen. Die Bedeutung von Lightning für die Bitcoin-Szene manifestiert sich etwa darin, dass Elizabeth Stark von Lightning Labs auf einem Lightning-Hackathon in Berlin meint, ihr Team arbeite „federführend“ an der Zukunft von Bitcoin.

Nach etwa 2,5 Jahren im Einsatz lassen sich Anspruch und Wirklichkeit miteinander vergleichen. Das machen zwei Studien, die in der letzten Woche erschienen. Sie untersuchen, inwieweit Lightning den hohen Erwartungen gerecht wird.

„Nicht fähig, die Art von Zahlung zu verarbeiten, die man für alltägliche Zahlungen bräuchte“

Die erste Studie ist von Finnegan Waugh von der Universität Sydney und Ralph Holz von der Universität Twente. Die beiden Computerwissenschaftler führen den ersten großen Test durch, wie zuverlässig Zahlungen im Lightning-Netzwerk ans Ziel gelangen, und wie verfügbar die Knoten im Netzwerk sind. Das Paper erschien am 25. Juni online.

Dafür haben die Forscher einen C-Lightning auf einem Cloud-Server installiert und Payment Channels mit zwei hervorragend verbundenen Knoten über 100 und 20 Dollar eröffnet. Die beiden Knoten hatten 867 und 840 Channels und dürften damit zu den stärksten Knoten im Netzwerk gehören.

Danach haben die Forscher ein Plugin für c-Lightning installiert, mit dem man testen kann, ob eine Zahlung durchgeht oder nicht. Dieses Plugin haben sie zudem modifiziert, so dass es sukzessive den zu testenden Betrag erhöht und verschiedene Channels durcharbeitet. Sobald die Zahlung an einen Knoten erfolgreich ist, testet es dieselbe Zahlung bei dessen Peers, solange, bis kein Channel mehr zu erreichen ist.

Das Experiment begann am 3. November 2019 und endete am 25. November desselben Jahres. Insgesamt haben sie auf diese Weise 30.700 Channels ausprobiert, die zu 4626 Knoten gehörten. Dies macht beinah jeden zu dieser Zeit bekannten Knoten und Channel im Netzwerk aus. Von diesen 4626 Knoten waren allerdings lediglich 2055 in der Lage, irgendeine Art von Zahlung zu empfangen. Und selbst bei diesen variierte die Erfolgschance deutlich. Bei kleinen Zahlungen wie 1 Cent betrug sie 72 Prozent, doch sobald die Forscher den Betrag auf einen Dollar oder mehr erhöhten, sank sie dramatisch. Nur 17 Prozent der Zahlungen von 100 Dollar gingen durch, nicht mal 5 Prozent der Knoten sind in der Lage, eine solche Summe zu empfangen. Gescheitert sind Zahlungen vor allem aus zwei Gründen: Erstens, weil die Channels kein ausreichendes Guthaben hatten, zweitens, weil ein Knoten auf der Route zum Ziel keine Verbindung zum Folgeknoten hatte.

Das Resultat fassen die Forscher damit zusammen, dass Lightning als Zahlungssystem „enttäuschend“ sei. Das Netzwerk „ist derzeit nicht fähig, größere Zahlungen zu routen. Selbst moderate Zahlungen von nur 10 Dollar sind in weniger als der Hälfte der Versuche erfolgreich. Für größere Zahlungen von etwa 50 Dollar sinkt die Erfolgsrate auf weniger als 20 Prozent. Keines unserer Experimente war in der Lage, mehr als ein Drittel der Ziel-Knoten zu erreichen.“ Im derzeitigen Zustand sei das Lightning Netzwerk, so ihr hartes Urteil, „nicht fähig, die Art von Zahlung zu verarbeiten, die man für alltägliche Zahlungen bräuchte.“

Erfolgswahrscheinlichkeit einer Lightning-Zahlung abhängig von der Größe.

Nicht viel erfreulicher sind die Resultate aus ihrem zweiten Test. Sie haben im selben Zeitraum versucht, herauszufinden, wie viele der Knoten im Netzwerk auch tatsächlich verfügbar sind. C-Lightning erstellt eine Karte des Netzwerks, die anzeigt, welche Knoten bekannt sind. Die Software ist zudem in der Lage, veraltete Knoten aus dieser Karte zu löschen. Daher haben die Forscher erwartet, dass die meisten ihnen bekannten Knoten auch antworten werden, wenn sie ihnen Anfragen zuschicken wie etwa „dump nodeinformation“. Über IP-Scanner und einen Tor-Daemon haben die Forscher zudem geprüft, ob die ihnen bekannten Knoten erreichbar sind.

Laut dem Node der Wissenschaftler gab es 2251 öffentliche Knoten mit einer IP-Adresse sowie 1297 Knoten im Tor-Netzwerk. Das sind deutlich weniger als beispielsweise 1ml.com oder BitcoinVisuals anzeigen. Die Forscher erklären dies dadurch, dass etwa 1ml.com keine Knoten ohne aktive Channels löscht. Bei den Erreichbarkeitstests zeigte sich, dass auch von den von C-Lightning erkannten Peers längst nicht alle tatsächlich anwesend sind. Von 2178 getesteten Knoten mit einer IP-Adresse haben nur 875 an Port 9735 reagiert; von den 1297 Knoten im Tor-Netzwerk lediglich 546. So gesehen bestünde das Lightning-Netzwerk nicht aus fast 13.000 Knoten, wie 1ml.com anzeigt, sondern gerade mal aus 1421.

Am Ende des Papers präsentieren die Forscher einige Vorschläge, um die festgestellten Probleme zu mindern. Diese beinhalten Änderungen am Protokoll, sowie eine Reduktion der Privatsphäre der Knoten und eine verstärkte Zentralisierung.

Dabei ist das Lightning Netzwerk aber offenbar bereits jetzt sehr zentralisiert. Zumindest stellt dies ein zweites Paper fest, das am 26. Juni erschienen ist.

Eine „zunehmend zentralisierte Architektur“

Bei dem Paper „Lightning Network: a second path towards centralisation of the Bitcoin economy“ handelt es sich um eine Gemeinschaftsstudie von Jian-Hong Lin, Kevin Primicerio, Tiziano Squartini, Christian Decker, and Claudio J. Tessone. Die Wissenschaftler arbeiten an Universitäten in der Schweiz, in Italien, Kanada und Frankreich. Christian Decker dürfte vielen Bitcoinern ein Begriff sein; er ist einer von zwei Leitentwicklern des Lightning-Clients C-Lightning und arbeitet für Blockstream.

Ihre Ausgangsfrage war die: Lightning wurde „präsentiert als eine Lösung für das Skalierungsproblem von Bitcoin, das Schlüsseleigenschaften von Bitcoin, etwa die Dezentralisierung, nicht aufgibt, welche charakteristisch sind für Bitcoins Architektur (etwa die Anzahl von Computern, die das Netzwerk bilden), seine politische Organisation (etwa die Anzahl von Individuen, die das Netzwerk kontrollieren) und seine Verteilung von Wohlstand (etwa die Anzahl von Individuen, die die derzeitige Geldmenge kontrollieren), aber dennoch die Zirkulation und den Wechsel nativer Assets verbessert.“ Es sei nun jedoch unklar, „ob dieses Versprechen auch erfüllt wurde.“ Daher fragen die Autoren: „Wurde das Lightning Netzwerk zunehmend zentralisiert?“

Dafür haben die Forscher das Lightning Netzwerk 18 Monate lang beobachtet, vom 12. Januar 2018 bis zum 17. Juli 2019. Dabei haben sie tägliche und wöchentliche Schnappschüsse gemacht, um die topologischen Eigenschaften des Netzwerks zu untersuchen. Um irgendwie messen zu können, ob und wie sehr sich Lightning zentralisiert hat, verwenden sie einige Metriken:

Auf diese Metriken legen sie dann den Gini-Koeffizienten an, der darstellt, wie ungleich die Verteilung von Gütern sind. Ein Gini-Koeffizient von 0 signalisiert eine vollkommene Gleichheit, einer von 1 die maximale Ungleichheit.

Sternartige Struktur des Lightning-Netzwerks.

Das Ergebnis ist auch hier ernüchternd: Das Lightning-Netzwerk entwickle eine „zunehmend zentralisierte Architektur.“ Die Struktur erhalte mehr und mehr „sternenähnliche Substrukturen“, welche sich um die durch den Gini-Koeffizienten enthüllten „zentralen Hubs“ herum anordnen. Diese scheinen, spekulieren die Autoren, eine „unvermeidbare Konsequenz von der Weise zu sein, wie das Lightning Netzwerk designt wurde“: Die Akteure müssen Routen finden, und längere Routen sind teuer, weshalb Lightning-User natürlich den kürzesten Pfad auswählen. Daher haben Knoten „Anreize, so zentral wie möglich im Lightning-Netzwerk zu werden, um die Einnahmen durch Transaktionsgebühren zu maximieren.“

Die Zentralisierung sei durch Daten klar belegbar: 10 Prozent der Knoten halten 80 Prozent der Bitcoins im Netzwerk, 50 Prozent sogar 99 Prozent. Der durchschnittliche Gini-Koeffizient der Stärke der Knoten beträgt  0,88, was schon am recht weit oberen Ende des Spektrums liegt. „Das Ergebnis scheint die Tendenz der Lightning-Architektur zu bestätigen, ‚weniger verteilt‘ zu werden, ein Prozess, der die unerwünschte Konsequenz hat, dass Lightning zunehmend fragil gegen Angreifer und ein Scheitern wird.“

Ko-Autor Christian Decker kommentiert die Studie auf Twitter damit, dass es sich „um eine Momentaufnahme“ handle, die zeige, was „(noch) nicht optimal ist“. Das Ziel sei es nicht, Lightning-User und -Entwickler zu enttäuschen, sondern „Probleme offen zu diskutieren“. Denn nur so könne das Netz besser werden. Er selbst hätte in dem Paper gerne deutlicher herausgestellt, welche Unterschiede zwischen der Zentralisierung on- und offchain bestehen. Er blickt aber optimistisch in die Zukunft, da zahlreiche Verbesserungen geplant sind, etwa Multi-Path-Payments und mehr, die kleine Knoten in eine bessere Position versetzen werden.

Sowohl unzuverlässig als auch zentralisiert

Sowohl das eine wie das andere Paper liefert Ergebnisse, die an sich nicht zwingend neu sind. Kritiker von Lightning haben schon seit langem – sogar schon vor dem Start des Netzwerks – beklagt, dass Lightning Zahlungen nur einigermaßen zuverlässig verarbeiten könne, wenn es sich zentralisiere. Solcherlei Kritik wurde oft und gerne als ideologisch oder „bitcoin-feindlich“ abgetan, auch dann, wenn mehr und mehr Analysen diese Kritik bestätigt haben. Gleichzeitig hat sich in der Lightning-Community eine Kultur der Selbstkritik entwickelt.

Wenn man die beiden neuen Paper nun ernst nimmt, dann zeigt sich, dass sich das Lightning-Netzwerk noch schlechter entwickelt hat, als befürchtet: Es ist nicht entweder unzuverlässig oder zentralisiert – es ist beides. Natürlich kann sich das im Lauf der Zeit noch ändern. Zumindest kann man das hoffen. Denn mit den beiden Paper wurde es für die Lightning-Community vollends unmöglich, die bestehenden Schwachstellen des Netzwerks zu übersehen.

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