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„Irgendwann hat man die Wahl: Man hört auf oder wandert aus.“

Bitcoins Berlin verlegt einen Teil ihrer Projekte ins Ausland. Mitgründer Jörg von Minckwitz erklärt, weshalb dies trotz der Liebe zu Berlin nötig war.

Irgendwann 2012 haben Jörg von Minckwitz und Jan Goslicki Bitcoins Berlin gegründet. Die junge Firma hat in ihrer kurzen Geschichte eine gute Handvoll von Plattformen auf die Beine gestellt, die helfen, Bitcoins als echtes Geld zu benutzen. Am bekanntesten dürften hierzulande All4btc und E4btc sein – auch wenn die meisten Kunden, wie Jörg im Interview erzählt, aus einer Region kommen, die man nicht erwartet hätte. Meistens hat sich Jörg im Interview aber über die deutschen Behörden geärgert, die Bitcoin-Startups solange Steine in den Weg legen, bis sie resignieren oder auswandern.

Hallo Jörg. Hast du schon für den Umzug nach London gepackt?
Nein, noch nicht, aber ich werde tatsächlich dort hinziehen müssen. Mein Hauptwohnsitz bleibt zwar Berlin, aber man muss, um eine Firma in London anzumelden, dort mindestens einen Nebenwohnsitz haben und den größten Teil seiner Zeit dort verbringen.

Das ist schade. Dann verlässt eines der wenigen verbleibenden deutschen Bitcoin-Unternehmen das Land …
Ja, das ist sehr schade. Ich bin eigentlich ganz zufrieden hier, ich mag Deutschland, ich mag die Leute, aber beruflich ist man eben gezwungen, andere Wege zu gehen.

Als ich 2013 mit dem Bitcoinblog angefangen habe, galt Berlin international als Bitcoin-City. Ist das noch immer so?
Ich würde sagen: Nein, leider nicht. Es gibt viele Bitcoin-Fans in Berlin, auch die Community ist groß, aber, ganz ehrlich: Die großen Firmen haben sich als Sitz Amsterdam oder London ausgesucht. Berlin hatte zwar den Ruf als Bitcoin-Stadt, aber die Firmen haben sich dagegen entschieden. Nun sind alle großen Bitcoin-Unternehmen in London oder Amsterdam und keines in Berlin.

Neuland zu betreten wird einem hier wesentlich schwieriger gemacht als in anderen Ländern.

Und bald auch ihr. Was läuft schief in Berlin?
Es ist traurig, wenn man den Enthusiasmus von Leuten mitbekommen hat, wie sie für Projekte gebrannt und dann nach und nach aufgegeben haben. Es gibt Firmen wie Bitcoin.de mit Oliver Flaskämper, die zeigen, dass es in Deutschland geht. Aber man braucht ein gutes Netzwerk von Anwälten und viel Kapital, um Dinge zu starten, die woanders einfach so gehen. Bei uns versucht die BaFin, alles im Keim zu ersticken, was auch nur im Ansatz Bitcoin-belastet ist. Wir kennen vom Bitcoin-Stammtisch viele Leute mit vielen guten Ideen, die aber keine Firma gegründet haben, weil ihnen klar wurde, dass sie dann von Anfang an mit einem Fuß im Gefängnis stehen.

Und ihr, steht ihr seit bald 3 Jahren mit einem Fuß im Gefängnis?
Nein, wir beschränken uns auf Geschäfte, die ausdrücklich von der BaFin genehmigt wurden. Wir verkaufen Dienstleistungen und Güter für Bitcoin. Wenn in Deutschland etwas für legal erklärt wird, bekommt man keine Probleme. Das ist ein Vorteil am Standort. Probleme bekommt man aber, wenn man neues Gebiet betritt. Dann verhalten sich alle Behörden restriktiv. Neuland zu betreten wird einem hier wesentlich schwieriger gemacht als in anderen Ländern. Und Innovation ist Neuland, wenn man sie fördern will, muss man eben auch Neuland erlauben.

Sollte eigentlich Europas Silicon Valley werden. Aber es gibt ein paar Probleme: Berlin, fotografiert vom Kollhoff-Tower von Sascha Kohlmann via flickr.com. Lizenz: Creativ Commons

Sollte eigentlich Europas Silicon Valley werden. Aber es gibt ein paar Probleme: Berlin, fotografiert vom Kollhoff-Tower von Sascha Kohlmann via flickr.com. Lizenz: Creativ Commons

Euer Geschäftsmodell wurde also von der Bafin abgesegnet?
Bitcoins Berlin ist ein Inkubator für viele verschiedene Projekte und Webseiten, vom einfachen Onlineshop wie E4btc bis zum Alround-Shoprunner All4btc, wo man alles mögliche für Bitcoins kaufen kann. Diese Sachen waren immer in Ordnung. Aber mit Bitwala sind wir einen neuen Weg gegangen: wir ermöglichen es anderen Menschen, ihre Rechnungen – Strom, Telefon, Miete, alles was im Alltag anfällt – mit Bitcoin zu begleichen.

Klingt ja im Prinzip nicht anders als bei All4btc: ihr nehmt Bitcoin und bezahlt dann etwas mit Euro …
Fast. Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Bei All4btc geht es um Güter, die wir kaufen und weitergeben. Bei Bitwala findet dagegen nicht immer ein Gütertausch statt, da wir nur eine Zahlung übernehmen. Und schon betreten wir Neuland. Uns wurde immer wieder gesagt, ihr könnt das nicht machen, das geht nicht, ihr braucht dafür bestimmte Lizenzen. In London und Amsterdam hieß es dagegen, kommt her und probiert es aus. Solange ihr unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften starten könnt, könnt ihr es versuchen, und wenn sich dann herausstellt, dass es ein auf Dauer angelegter Geschäftsvorgang ist, helfen wir euch, die Lizenzen zu bekommen.

Wir treffen viele andere Bitcoin-Fans, und alle klagen über dieselben Probleme

In anderen Ländern lässt man Dinge also laufen und kümmert sich danach um die Lizenz …
Ja. Wir halten alle Regularien ein, wir haben Anwälte beschäftigt, wir sind weiß Gott niemand, der unüberlegt irgendwelche Dinge tut. Und trotzdem wird uns von Ämtern immer nur gesagt, dass bestimmte Dinge nicht gehen, und wir werden in halbkriminelle Ecken gestellt. Es gibt ein Beispiel, in Berlin haben ein paar Enthusiasten versucht, einen Bitcoin-Geldautomat aufzustellen. Innerhalb weniger Wochen hat die BaFin jeden bekannten Berliner Bitcoiner angeschrieben, auch uns, obwohl wir damit gar nichts zu tun hatten, und ihnen gesagt, dass der Automat sofort weg muss. In London habe ich dagegen während eines kurzen Stadtrundgangs gleich 3 Bitcoin-Automaten gesehen. Dort sagt man halt, stellt das Ding auf, und wenn ihr damit Geld verdienen könnt, schauen wir es uns genauer an.

In Deutschland dagegen haben wir einen großen Enthusiasmus, aber so gut wie keine Bitcoin-Firmen.
Ja, es sind echt viele unterwegs, wir treffen oft andere Bitcoin-Fans, uns alle klagen über die gleichen Probleme. Das ist ein spezielles deutsches Grundproblem, es gibt nur Ämter wie die BaFin, die restriktiv sind. Sie sind angehalten, bestimmte Dinge zu verbieten. Dagegen gibt es kein Amt, das angehalten ist, Dinge zu fördern. In anderen Ländern ist das viel einfacher, da bekommt man Hilfe. Hier werden einem Steine in den Weg gelegt.

Vielleicht ist das auch eine Mentalitätssache. Als Deutscher kommt es einem schon komisch vor, Dinge erst mal laufen zu lassen und später zu klären, ob es aufsichtsrechtlich in Ordnung geht …
Wenn man Innovation will, muss man sich eben auf neue Wege einlassen. Ein Beispiel ist Uber, das ist enorm erfolgreich, aber hier soweit verboten, dass sie glaube ich nur noch Taxifahrten vermitteln dürfen. Bei uns gibt es diese ganzen Regeln und Regularien. Das ist wohl unsere Mentalität, und das hat uns im 20. Jahrhundert auch geholfen, auf die Beine zu kommen und erfolgreich zu sein. Aber in einer neuen, modernen Welt, mit den Möglichkeiten des Internets, sind diese Gesetze nicht mehr up to date. Wenn man jetzt nicht aufpasst und sich nur stur an die alten Gesetze hält, wird man auf dem neuen Markt abgehängt.

Ich sage nicht, dass Uber oder Bitcoin richtig oder unbedingt gemacht werden müssen – wobei ich das beim Bitcoin schon finde – aber ich sage, Mensch!, gebt den Dingen eine Chance, sich zu entwickeln, und schaut, ob sie was bringen. Verbieten kann man sie ja auch noch später.

Ihr seid selbständig? Habt ihr keinen richtigen Job gefunden?

Zuerst braucht man eben für fast alles eine Lizenz …
Ja, das haben wir neulich wieder bemerkt. Wir versenden ja Elektronik übers Internet und 95% der Pakete laufen über externe Partner, also Logistikunternehmer. Damit hatten wir nie Probleme. Viele Kunden sind aus Osteuropa, aus Rumänien oder Griechenland, weil sich viele Partner weigern, Pakete nach Osteuropa zu schicken, da es von dort aus oft zu Zahlungsausfällen kommt. Das Problem haben wir mit Bitcoins natürlich nicht. Viele Leute in Osteuropa haben keine Kreditkarte und kein PayPal, und darum ist etwa All4btc für sie die einzige Möglichkeit, bestimmte Produkte zu kaufen.

Nun hat uns aber die Post angerufen: wir bräuchten einen “Gefahrgutbeauftragten”, weil wir auch Elektronik verschicken. Also musste einer unserer Mitarbeiter eine Schulung mitmachen und lernen, Elektrogeräte richtig gepolstert zu verpacken. Als hätten wir das vorher nicht gewusst. Das zeigt doch auf eine ulkige Weise, wie engmaschig unser Regularienwerk ist.

Aber das ist nicht das einzige, das falsch läuft. Auch die Stellung von Selbständigen in der Gesellschaft und wie kleine Unternehmen gefördert werden.

Das sind ja einige Themen. Was meinst du mit der Stellung der Selbständigen?
Ich wurde mal auf eine interessante Veranstaltung mit Peter Thiel (erfolgreicher Investor und Mitgründer von Paypal) eingeladen. Er hat erklärt, warum amerikanische Gründer im Allmeinen besser sind als deutsche Gründer. Da musste ich schlucken, aber ich werde nie vergessen, was er gesagt hat. Er meinte es sei eine Einstellungssache warum die Deutschen nicht die besten Founder seien. Seiner Meinung nach haben in Deutschland die besten Studenten der besten Universitäten das Ziel, in einer großen Firma Karriere zu machen, während sie in Amerika die besten der Besten selbst eine Firma gründen wollte. Solange sich das nicht ändert, sieht er auch keine Chance, dass in Deutschland die nächsten großen Unternehmer heranwachsen. Jan und ich können das nur bestätigen, wir bekommen oft, wenn wir erzählen, dass wir selbständig sind, zu hören: was ist los? Du hast doch ein Top-Studium an einer Exzellenz-Uni, hast du keinen guten Job gefunden? Alle unsere Mitstudenten haben gute Jobs in großen Firmen bekommen, und dass wir das nicht wollen, irritiert viele Leute. Erst jetzt nach einigen Jahren bekommen wir Zuspuch und Anerkennung. Solange es in Deutschland nicht oberstes Ziel ist selbst eine Firma zu gründen und diese Entscheidung dafür gerade am Anfang mehr gewürdigt wird, sehen wir den Innovationsstandort Deutschland alleine schon wegen der Einstellung in Gefahr.

Nichts in Deutschland ist unmöglich

Und was ist das Problem bei der Förderung kleiner Unternehmen?
Wir haben bei der Suche nach Finanzgebern gemerkt, dass man sie im europäischen Ausland viel leichter findet als in Deutschland. In London oder Amsterdam hört man öfters die Erfolgsgeschichte, dass kleine Unternehmen ein Funding bekommen, und nicht nur wie hier um die 20.000 Euro, sondern oft ein oder zwei Millionen Euro. Da hat man die Erfolge ständig um sich herum. Hier kann man dagegen froh sein, mal ein 30.000 Euro Seed Funding zu bekommen.

Ganz wichtig ist aber zu sagen: nichts in Deutschland ist unmöglich, man kann hier, das haben wir und auch Firmen wie Bitbond oder Bitcoin.de gezeigt, eine Firma gründen oder auch ein Funding bekommen, es geht, aber die Bedingungen könnten einfacher sein, wir haben viele Hürden nehmen müssen, die wir in anderen Ländern nicht hätten nehmen müssen.

Damit wären wir wieder am Anfang …
Ja, irgendwann ist man limitiert, und dann hat man die Wahl, man hört auf, oder man wandert aus und macht woanders weiter. Wir wandern nur mit Bitwala aus, mit den anderen Projekte bleiben wir in Berlin.

Dann bin ich erleichtert.
Ja, wir mögen Deutschland, wir lieben Berlin, wir bleiben soweit wie möglich da.

Über Rudi Seifert (35 Artikel)
Ist seit mehreren Jahren ein Bitcoin-Fan. Der Student hat das Mining mittlerweile zwar an den Nagel gehängt, aber seit einigen Monaten dafür die Feder in die Hand genommen. Für unser Magazin schreibt er meistens über aktuelle News.

7 Kommentare zu „Irgendwann hat man die Wahl: Man hört auf oder wandert aus.“

  1. traurig aber wahr – ob wir deutschen es irgendwann schaffen unseren wunsch nach führung abzustreifen?

  2. Frankfurter Würstchen // 2. Juli 2015 um 20:43 // Antworten

    Interessantes Interview. Und Recht hat Jörg auch. Hier bekommt man immer als erstes zu hören: „Geht nicht, darf man nicht“. Hier wird nicht nach Lösungen gesucht, sondern nach Problemen. Sehr traurig. Und mittelfristig wird es uns den Wohlstand kosten.

  3. Name required // 3. Juli 2015 um 9:27 // Antworten

    Zitat:
    „Solange ihr unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften starten könnt, könnt ihr es versuchen, und wenn sich dann herausstellt, dass es ein auf Dauer angelegter Geschäftsvorgang ist, helfen wir euch, die Lizenzen zu bekommen.“

    Das ist jetzt aber nicht wirklich anders als hier. Nur sind hier ggfls. die Rahmenbedingungen genauer ausgeführt. Was aber grundsätzlich nicht immer schlecht ist.
    Beispiel Uber (und es ist im obigen Text ein schlechts Beispiel): Uber unterwandert mit seinem „Modell“ Regularien, die hier aus gutem Grund eingeführt wurden, nur zu seinem eigenen Vorteil (und natürlich für die Geizigen). Uber könnte sich genausogut als Vermittler an die Taxiunternehmen wenden und mit ihnen kooperieren, oder aber selber landesweit Taxiunternehmen gründen. Stattdessen versuchen sie, die Arbeitsschutzregelungen und Regelungen der Wettbewerbssituation zu unterwandern. Auf Kosten derer, die sich an Recht und Gestz halten. Dass das so nicht geht, sollte allen klar sein. Denn mit so einer Argumentation/Vorgehensweise könnte man alle Gesetze und Regeln, die lediglich den eigenen Vorteil (aka „Geschäftsidee“) behindern, grundsätzlich abschaffen, oder aber die Abschaffung für den Profit hinderlicher Regeln zu betreiben, zum „Geschäftsmodell“ zu erheben. Im übrigen erkennen mittlerweile auch viele andere Länder, dass Uber nicht das Wahre ist, weil es eigentlich sinnvolle Regeln unterläuft und es deshalb verboten wird. Das ist jetzt wirklich kein rein deutsches Phänomen.
    Dass Gründer in Deutschland keine besondere Achtung genießen, ist allerdings wirklich eklatant schlimm und gehört schnellstmöglich geändert.

  4. Benjamin Bitcoin // 3. Juli 2015 um 13:34 // Antworten

    Selbstständige haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Wenn man scheitert wird der eigene Lebenstraum von Besserwissern verspottet. Falls man erfolgreich ist kommt einem überall der blanke Neid entgegen. Wer sich dann nicht abschottet bekommt man von Geringverdienern zu hören dass man wohl noch nicht genug Steuern zahlt. Dass man etwas riskiert hat, etwas geleistet hat, man immer wieder mit Ärgerlichkeiten zu tun hat und das Finanzamt schon Unsummen vom Konto abgebucht hat wird dann einfach unter den Tisch gekehrt.

  5. Oh je, da wird einem ja nur vom Zuhören schlecht! Aber ich denke, der Artikel mit all seinen Erfahrungen trifft den Nagel auf den Kopf! Hier wird es jungen Unternehmen wirklich (grundlos) schwer gemacht, anstatt dass man sich freut, dass neue Unternehmen entstehen, die auch Arbeitsplätze schaffen können.

  6. mkgravpriv // 6. Juli 2015 um 15:53 // Antworten

    Jörg, ihr habt völlig Recht. Macht es eben dort, wo es geht und lasst euch nicht bremsen von deutscher Regulierungs- und Kontrollwut und von etablierten Platzhirschen, die Angst um ihre profitablen Claims haben.
    Bei uns wird zuerst der Finger gehoben und nach einer passenden Vorschrift geschaut.
    Woanders wird etwas zugelassen, und wenn es niemanden beeinträchtigt schert es auch keinen Bürokraten.

  7. Interessantes und aufschlussreiches Interview, danke dafür!

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