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Warum die deutsche Energiewirtschaft auf Blockchain steht

"Windrad" von Martin Abegglen via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die deutsche Energiewirtschaft ist im Blockchain-Fieber. Einer Studie zufolge plant fast die Hälfte aller Unternehmen ein Blockchain-Projekt. Kann die Blockchain den hohen Erwartungen der Branche gerecht werden? Wie genau soll sie die Energiewirtschaft umkrempeln – und was erhoffen sich die Unternehmen von der Blockchain? Wir schauen die Ideen an, die zirkulieren, und werfen einen Blick auf erste Pilotprojekte.

In den meisten Ländern dieser Welt springt vor allem die Finanzbranche auf den Blockchain-Zug auf, entweder um per Blockchain neue Finanzprodukte zu entwickeln oder um schlichterdings mit Bitcoins oder anderen Kryptowährungen zu handeln. In Deutschland stürzt sich hingegen die Energiebranche mehr als jede andere auf die Blockchain.

Zwei kleine Beispiele: Die Solarpraxis Neue Energiewelt veranstaltet Ende Januar bereits den zweiten Blockchain-Tag für die Energiewelt, eine Tagung, bei der sich Branchenvertreter darüber austauschen, wie die Blockchain der Energiewirtschaft helfen kann. Das Interesse in der Branche ist dabei wohl gewaltig. Eine Studie der Deutschen Energie Agentur (dena) und der ESMT Berlin aus dem vergangenen Jahr ist das zweite Beispiel. Ihr zufolge halten rund zwei Drittel von 70 befragten „Entscheidern“ in der Energiebranche eine weitere Verbreitung der Blockchain für wahrscheinlich. 21 Prozent der Entscheider sehen die Blockchain sogar als Schlüsseltechnologie für einen grundsätzlichen Wandel des Marktes. Fast 70 Prozent der Befragten haben bereits von der Blockchain gehört; mehr als die Hälfte von ihnen plant ein Blockchain-Projekt oder betreibt es bereits.

Die Begeisterung ist also groß. Größer als in jeder anderen Branche. Aber warum? Was verspricht sich die Energiewirtschaft von der Blockchain? Wie soll diese Technologie den Markt verändern?

Die erste Idee, die einem in den Sinn kommt, wäre es, dass die Stromerzeuger durch das Mining von Kryptowährungen Überproduktion proftabel abbauen wollen. Dies geschieht dem Vernehmen nach bereits in China, wo die Stromerzeuger regelmäßig den Kontakt zu den Minern suchen, um die mitunter gewaltige Überproduktion für kleines Geld loszuwerden. In Deutschland ist nichts von solchen Plänen bekannt, und man darf bezweifeln, ob diese unter den hiesigen Standortbedingungen Sinn ergeben. Die Hoffnung, die die deutsche Strombranche in die Blockchain setzt, ist feiner, schwerer zu greifen, aber zugleich auch umwälzender.

Dezentralisiert den Strommarkt!

Die maßgeblichen ersten Impulse, was die Blockchain in der Energiewirtschaft leisten kann, hat eine Kurzstudie gesetzt, die die Verbraucherzentrale NRW im vergangenen Jahr von der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers schreiben ließ. Dieser Studie zufolge „könnten es die Energieversorger sein, die im Zuge der Digitalisierung als Zwischenhändler überflüssig werden und so zentrale Geschäftsfelder einbüßen.“ Vor allem für die sogenannten Prosumer, Konsumenten, die ihren eigenen Strom produzieren und verkaufen, „kann die durch Blockchain vereinfachte, unmittelbare Vermarktung Vorteile haben. Auch reine Strom- oder Gaskunden könnten aber profitieren, wenn das Verfahren tatsächlich ganze Instanzen überflüssig macht und so kostengünstigere Energie ermöglicht.“ Insgesamt, so die Studie, habe das Blockchain das Potenzial, „langfristig den gesamten Energiemarkt gravierend zu verändern”.

Den grundsätzliche Ansatz könnte man so formulieren: Die Energiewende mit ihren Strom produzierenden Dächern, Windrädern und Biogasanlagen hat einen vormals extrem zentralistischen Markt der Stromerzeuger dezentralisiert. Während allerdings Technologie und Akteure bereits dezentral sind, steckt der Markt und Handel weiterhin in zentralistischen Strukturen fest. Die Blockchain, so die Idee, soll das aufbrechen. Sie soll es möglich machen, dass die Verbraucher den Strom direkt bei den Erzeugern kaufen, anstatt den Umweg über Stadtwerke und Stromanbieter zu gehen. Das Ziel ist es, einen echten Markt zu erschaffen, der Produktion und Verbrauch flexibel regelt.

Microgrid und Conjoule: Abrechnung via Blockchain

Ein Beispiel hierfür ist der New York Microgrid von LO3, an dem sich auch Siemens beteiligt. LO3 nutzt die Blockchain, um es Erzeugern und Verbrauchern zu ermöglichen, direkt miteinander zu handeln. So dass etwa ein Besitzer eines Solardachs den Strom direkt an ein hiesiges Krankenhaus verkauft. Oder so.

In Deutschland steuert Conjoule, ein Projek von Innogy, dem Innovationshub des Stromgiganten RWE, und von dem New Yorker Ethereum-Startup Consensys, in dieselbe Richtung: „Wäre es nicht gut, wenn wir auch unsere Energie von nebenan beziehen könnten?“ fragt die Webseite, „über unsere Plattform können Sie als Verbraucher erneuerbare Energie aus der Nachbarschaft einkaufen oder als Photovoltaik-Anlagenbesitzer an Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Ihrer Umgebung verkaufen. So machen wir den Energiemarkt transparenter und einfacher.“

Conjoule ist dabei die Plattform, die zwischen Erzeugern und Verbrauchern sitzt. Ein Pilotprojekt verbindet private Photovoltaikanlagen mit lokalen Abnehmern. Seit Oktober 2016 werden in den Testgebieten Essen Kettwig und Mühlheim Heißen eine Schule und ein Wasserwerk mit lokalem Strom versorgt. Welche Rolle dabei eine Blockchain spielt, erklärt Franziska Heintel per E-Mail: „Im ersten Schritt wird die Blockchain als Medium zur Sicherung von Energie-Zertifikaten genutzt. D.h. dort werden die prognostizierten, erzeugten und verbrauchten Energiemengen der Teilnehmer festgehalten. Im zweiten Schritt kommen zu den kWh basierten Fahrplänen auch abrechnungsrelevante Themen.“

Leider hat Frau Heintel derzeit nur wenig Zeit. Daher komme ich nicht dazu, sie zu fragen, warum man diese Zertifikate sowie die erzeugten und verbrauchten Energiemengen nicht einfach in einer schnöden MySQL-Datenbank abspeichert oder meinetwegen im Interplanetary File System oder sonst einer zentralen oder dezentralen Datenbank. Eventuell wird mir Frau Heintel dies in einem Folgeinterview erklären. Der Ansatz, die Blockchain nicht für die Zahlung, sondern zur Abrechnung oder Verbrauchsdokumentation zu verwenden, scheint jedoch genau der Weg zu sei, den die Energiewirtschaft gehen möchte, um den Strommarkt zu dezentralisieren.

Blockchain-Token als Beweis für individuellen Verbrauch von Grünstrom

Auch ein anderes aktuelles Projekt nutzt die Blockchain als unparteiische Archivarin. Der Stadtwerke Energie Verbund SEV, ein Verbund von acht nordrhein-westfälischen Stadtwerken, hat vor kurzem die auf Ethereum basierenden GrünStromJetons ins Programm aufgenommen. Die Idee beruht „auf der Nutzung eines SmartMeters, zur stundengenauen Erfassung des Stromverbrauchs, sowie der Ethereum Blockchain, an die diese Verbrauchsdaten übermittelt werden.“ Dabei wird der Stromverbrauch gemessen, mit einem Grünstromindex abgeglichen, und dann wird je verbrauchter grüner Kilowattstunde (oder so) ein GrünStromJeton verteilt, das als Token auf der Ethereum-Blockchain sitzt. Diese GrünStromJetons werden „der unmittelbare und unwiderrufliche Nachweis des konkreten individuellen Verbrauchs von umweltfreundlich produziertem Strom.“

Weshalb man hierzu eine Blockchain braucht, um eine Information zu dokumentieren, die eigentlich zwingend aus den Verbrauchsmessungen hervorgeht, erschließt sich auf dem ersten Blick ebenso wenig, wie die Notwendigkeit der StromDAO. Dieses Projekt soll „ein Energieversorger zum Mitbestimmen“ sein. Dabei schließen sich Akteure des Strommarktes, also Verbraucher und Erzeuger, zu einer dezentralen autonomen Organisation zusammen, um „neue Stromprodukte“ zu entwickeln. Was die Vorteile einer solchen Organisationsform sind, und weshalb sie die Nachteile überwiegen, wie etwa die Abhängigkeit von Entwicklern, um Verträge zu lesen, die generelle rechtliche Unsicherheit oder das Risiko eines Bugs – das bleibt bis dahin noch offen.

Trotz einiger offenen Fragen lässt sich konstatieren, dass die deutsche Energiewirtschaft recht mutig und ambitioniert an die Blockchain herantritt. Die bereits erfolgreichen Anwendungen – wie die Umwandlung von Energie in Geld durchs Mining oder das schnöde Payment – werden weitgehend ignoriert, während man sich vor allem auf die Idee stürzt, die Blockchain als eine Art dezentralen Cloudspeicher zu verwenden. Ob eine solche Anwendung sinnvoll ist, muss sich noch zeigen. Sie scheint jedoch klar einen Bedarf der Energiewirtschaft zu treffen.

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7 Kommentare zu Warum die deutsche Energiewirtschaft auf Blockchain steht

  1. „Leider hat Frau Heintel derzeit nur wenig Zeit. Daher komme ich nicht dazu, sie zu fragen, warum man diese Zertifikate sowie die erzeugten und verbrauchten Energiemengen nicht einfach in einer schnöden MySQL-Datenbank abspeichert oder meinetwegen im Interplanetary File System oder sonst einer zentralen oder dezentralen Datenbank. “

    Mich würde die Antwort auf diese Frage tatsächlich sehr interessieren.

    • Name required // 14. Januar 2017 um 15:13 // Antworten

      Sie wird sehr dünn ausfallen. Denn der Sinn dahinter erschließt sich nu wirklich nicht.
      Es ist wahrscheinlich so wie immr: Man will irgendwie dabei sein, weil es gerade „hip“ ist.
      Lieber sollten die Versorger endlich Bitcoin, Litecoin und Co. als Zahlungsmittel akzeptieren. Damit könnte man deutlich mehr Fortschrittlichkeit dokumentieren. Und es würde wesentlich mehr Sinn machen.

  2. Hallo Herr Bergmann,
    Vielleicht interessiert Sie dieses Buchkapitel zum Thema?
    http://www.ponton.de/downloads/mm/Einsatzpotenziale-der-Blockchain-im-Energiehandel_Merz_2016.pdf
    Viele Grüße,
    Michael Merz

  3. Sorry aber auf mich wirkt das sehr wie „irgendwas mit blockchain“. Selbst wenn man Prognosen und Verbräuche oder Fahrpläne in der blockchain speichert: Was hat man denn davon? Das ergibt meiner Ansicht nach absolut null Mehrwert. Nicht mal einen hypothetischen.

    • Anderer Energieler // 19. Januar 2017 um 10:18 // Antworten

      Ich bin Mitarbeiter eines deutschen Energieversorgers und beschäftige mich dort mit dem DLT-Einsatz für energiewirtschaftliche Zwecke.

      Heute wird oft das Bild eines Sees verwendet, in das die Erzeuger als „Flüsse“ einspeisen und die Verbraucher als „Flüsse“ entnehmen, was auch der Physik tatsächlich nahe kommt, denn dem einzelnen Elektron bzw. der darüber transportierten elektrischen Energie ist nicht anzusehen, woher es stammt. Bei den bald stark verbreiteten Community-Produkten, also z. B. „die Eltern schenken ihrer Tochter, die in der Studentenbude wohnt, einen Teil ihres selbst erzeugten PV-Stroms“, vertrauen manchen Kunden nicht dieser Aussage, weil es eben den anonymen See dazwischen gibt.

      DLT ermöglicht es nun, diesen verschenkten Strom mit einem fälschungssicheren Herkunftsnachweis zu versehen, erzeugt aus dem gesicherten Schlüsselpaars des Smart Meters mit BSI-Schutzprofil. Privatpersonen können sich also gegenseitig pseudonym und vollkommen sicher Strom verkaufen (die Zahlung ist durch den Digital Ledger garantiert), die Preisbildung kann an unabhängigen Energiebörsen geschehen, Energieversorger verlieren einen wichtigen Teil ihrer klassischen Wertschöpfung. Mit dem Digital Ledger besteht eine hervorragende API, um zusätzliche Energiedienstleistungen zu erbringen, insbesondere auch für Startups.

      Sprich: DLT kann zu einem dramatischen Umbruch im Stromhandel und -vertrieb führen, und die Energieversorger wollen es lieber selbst sein, die sich das Geschäft kaputt machen, als es kaputtmachen zu lassen.

  4. @Anderer Energieler:
    Die Idee ist cool! Da hatte ich nicht dran gedacht 🙂 Was ich nicht verstehe ist aber, warum das Ganze dezentral verlaufen sollte. Bisher haben sich im Internet im kommerziellen Bereich ja eher die zentralisierten Strukturen durchgesetzt, die Big Player wie Facebook, Amazon, Google etc. Warum sollte ich eine DLT brauchen, wenn es einen einfache Webplattform bei der wahrscheinlich früher oder später 90% der Smart-Meter-Kunden sein werden es auch tut?

  5. Zur Aussage: Warum Blockchain wenn es auch Verbrauchsmessung gibt.

    Bei der ebenfalls genannten StromDAO haben wir das Stromkonto so konstruiert, dass der Verbrauch als Eigentumswechsel eine Transaktion mit Zusatzinfos ergibt. Dies ist notwendig, weil das anonyme Strommeer sehr starre Verbindungen bislang hat (ein Anbieter->ein Kunde) – der Wechse dazwischen findet maximal einmal im Monat statt. Was, wenn man zwei Wochen im Urlaub ist und deshalb lieber zu einem Lieferanten ohne Grundgebühr wechseln will? – Die heutigen „Wechselprozesse“ sind für eine Digitalisierung der Energiewirtschaft zu teuer und langsam – müssen aber in sich einen Konsens bilden (jeder Kunde hat einen Lieferant, jeder KWh wird nur einmal geliefert,…)

    Letztendlich zur StromDAO: Im Vergleich zu „The DAO“ ist es kein reiner Investmentfonds, sondern eine Zweckgesellschaft (DAO) mit einer Limited für den operativen Betrieb. Dies ist aus rechtlichen Gründen notwendig, um mit Nicht-Blockchainpartnern ein Rechtsgeschäft eingehen zu können.

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