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Chinas Lust auf knappe Ressourcen

Ein Korb Knoblauch. Bild von Russ via flickr.com. Lizenz: Creative Commons 2.0

Aus China nichts neues: Auch drei Monate, nachdem die Zentralbank den Druck auf die Börsen verschärft hat, geht der Handel weiter. Solange der Bitcoin klein bleibt, wird er leben dürfen, meint Zhang Weiwu, doch das Bitcoin-Business in China wird langweilig werden. In diesem Beitrag erklärt er, warum Chinesen ein Interesse an der virtuellen Währung haben – aber warum dieses Interesse ganz anders ist als im Westen.

Von Zhang Weiwu

Lasst uns ein wenig zurückgehen. Zu dem Moment, in dem meine Mutter mein altes Englisch-Schulheft aus einer Holztruhe hervorgekramt hat, um meine Frau zu erheitern. Ich war 15 Jahre alt, als ich mich in der Schönschrift geübt hatte. Es sah so ähnlich aus wie dies, nur unbeholfener:

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Ich habe damals englische Redewendungen notiert, die Chinesen nicht benutzen, weil ich lernen wollte, wie Leute aus dem Westen ticken. Ein klassisches Beispiel ist „Ich liebe dich“. Das würden Chinesen nie sagen, da wir unsere Liebe viel subtiler ausdrücken. Etwa indem wir unsere Beziehung mit einem Paar Mandarin-Enten vergleichen.

Aber es erfüllte mich mit Traurigkeit, als ich diese Zeile las:

„Es gibt genug für jeden.“

Meine Notizen sagen, dass dieser Satz aus dem Disney-Film „101 Dalmatiner“ stammt. 101 Hundewelpen drängeln um die Zitzen der Mutter um Milch zu trinken und stecken ihre Köpfe zusammen. Ein herzerweichendes Bild. „Es gibt genug für alle“, sagt die Kuh, die die Milch anbietet.

„Genug für jeden?“ Eine verrückte Idee

Dieser Satz muss beeindruckend für mein pupertäres Selbst gewesen sein. Oder schockierend. Sonst hätte ich ihn nicht so detailreich aufgeschrieben. Das muss eine echte englische Redewendung sein, habe ich damals gedacht, Chinesen sagen so etwas nie, aus dem einfachen Grund, weil es noch niemals genug für alle gegeben hat.

Saturn-, Platt-, Flach- oder chinesische Pfirsiche. Auch Pan Tao genannt. Bild: U.S. Department of Agriculture via flickr.com. Creative Commons 2.0

Saturn-, Platt-, Flach- oder chinesische Pfirsiche. Auch Pan Tao genannt. Bild: U.S. Department of Agriculture via flickr.com. Creative Commons 2.0

Es gab nicht genügend Schulen für alle Kinder. Nicht genügend Kleidung für jeden Körper. Nicht genügend Holz für jedes Haus, nicht genügend Kohle für jeden Ofen. Während die Kinder in der ersten Welt im Fernsehen sehen, wie es genug für alle 101 kleinen Dalmatiner-Welpen gibt, haben wir einen anderen Zeichentrickfilm gesehen, der von einem unruhigen und grausamen Helden handelt, der in den schrecklichen Feuern des himmlischen Ofens verbrennt: Der König der Affen.

Er kämpft gegen die Armee des Himmels und wird, nach heftigen Schlachten, gefangengenommen und im traurigen Feuer gefoltert. Er bekommt eiserne Pellets als Speise und geschmolzenes Kupfer als Trank, 500 lange Jahre, in denen er nicht sterben darf. Der Grund für diese sisyphosische Qual? Es gab nicht genügend Saturnpfirsische für jeden, so dass der König der Affen sie von den Göttern stehlen musste.

Knappheit und Leiden bilden den Hintergrund vieler anderer chinesischer Cartoons, wie die „Legende der versiegelten Bücher“. Die Phrase „Es gibt genug für jeden“ kommt dagegen auch in vielen weiteren englischen Filmen vor.

Wir Chinesen sind ins 21. Jahrhundert gestürmt mit so vielen Schulen, Kleidern, Hölzern und Kohlen.Und trotzdem hören wir nicht auf, um Ressourcen zu kämpfen. Die Eltern schrecken davor zurück, ihren Kindern zu lehren, dass es genug für jeden gibt, da sie fürchten, dies könnte den Kampfgeist ihrer Kinder schwächen.

Mittlerweile ist es schwierig zu sagen, was unser Fluch ist: Knappheit – oder das kondititionierte Bewusstsein, Probleme der Knappheit lösen zu müssen?

Die Knappheit ist weiterhin präsent. Die harte Konkurrenz um Plätze auf dem College, die überladenen Busse und die Schwierigkeit, ein Ticket für den Nachtzug zu bekommen erinnern die Leute daran, dass es notwendig ist, zu kämpfen. Die Regierung ist so weise, Effizienz über Fairness zu stellen, was die Wirtschaft beflügelt und die Armut reduziert, aber die Leute auch dazu bringt, noch heftiger zu konkurrieren. Jeder westliche Geschäftsmann, der sich in China versucht hat, kann ein Lied davon singen, wie hart der Markt hier ist.

Aber vielleicht übertreiben wir es mit dem Kampf um knappe Ressourcen. Vielleicht ist es ein Wahn geworden. Schaut etwa die Immobilien an: Ganz egal, wie man es misst, ob das Verhältnis von Preisen zu Mieteinkünften oder Preisen zum Einkommen – Beijings Boden ist viel überteuerter als der Bodenpreis in Tokio um 1989, obwohl Japans Bevölkerungsdichte doppelt so hoch ist wie die von China. Die Preise werden noch lächerlicher, wenn man bedenkt, dass das Chinesische Gesetz den Besitz von Land verbietet. Das, worum gerade so heftig gerungen wird, sind lediglich 70 Jahre alte Verträge zwischen der Regierung und den Leuten. Das ist nicht nur in Beijing so. So gut wie jede chinesische Familie, die der Armut entronnen ist, betrachtet den Kauf von Immobilien als das erste und wichtigste Investment.

Herdenmentalität

Falls Sie nun an Gollum denken, der unablässig „Mein Schatz, mein Schatz“ murmelt – das ist ein schlechtes Bild für China. Die Chinesen sind bereit, für knappe Ressourcen zu kämpfen und zu leiden, aber das, was eine knappe Ressource ausmacht, ist nicht ihre Nützlichkeit oder ihr „echter Wert.“ Es war noch nie beliebt, den „echten Wert von Aktien“ zu erkennen. Die Herdenmentalität diktiert, dass eine knappe Ressource das ist, was die anderen Chinesen ebenfalls wollen. Da der Ring zwar extrem nützlich ist, aber von niemandem sonst gewollt wird, ist er ein schlechtes Ziel unserer Begierde.

Tee mit einem Schälchen Adlerholz, auch Paradies-, Rosen-, Aloe-, Agallocheholz, Oudh oder Calambac genannt. Bild von InterContinental Hong Kong, Lizenz: Creative Commons 2.0

Tee mit einem Schälchen Adlerholz, auch Paradies-, Rosen-, Aloe-, Agallocheholz, Oudh oder Calambac genannt. Bild von InterContinental Hong Kong, Lizenz: Creative Commons 2.0

Das Schwarmbewusstsein ist flüchtig, und die „knappe Ressource“ wird oft zufällig gewählt. Irgendeine Ressource wird gehorted, und wenn der tipping point erreicht ist, gewöhnlich begleitet von einem Signalereignis, wird die Ressource populär. Das vielleicht beste Beispiel ist die Knoblauch-Blase von 2010. Es begann ganz klein, aber als die Leute begriffen, dass die anderen Knoblauch horten wollen, begann jeder damit. Der Preis erreichte seine Spitze beim 30-fachen Niveau des Vorblasenpreises. Ähnlich war es mit Mung-Bohnen.

Wirtschaftswissenschaftler erklären solche Blasen oft durch eine lockere Geldpolitik. Aber ähnliche Ereignisse sind auch schon passiert, als kaum Geld im Spiel war. In den späten 60ern und frühen 70ern gab es eine Stahl-Manie in China, ohne dass es um besonders viel Stahl oder Geld gegangen wäre, und die meisten Leute, die am Stahlhandel teilnahmen, hatten weder Geld noch Stahl – es wurden lediglich uneinhaltbare Versprechen gehandelt.

Das neueste Schlachtfeld ist Adlerholz. Das ist eine seltene Art von Holz aus Südasien, das sehr langsam wächst und in China zu irrsinnigen Preisen gehandelt wird. Leute bezahlenn den Preis eines Hauses für ein winziges Stück Adlerholz, nicht größer als mein Kugelschreiber. Und die, die echten Reichtum demonstrieren wollen, versammeln sich, um Adlerholz zu verbrennen. Nicht, weil es besonders gut geeignet ist, die Räume zu erwärmen, sondern weil es knapp ist. An die legendären Eigenschaften des Holzes, das Herz zu reinigen und jede Krankheit zu heilen, glaubt kein Mensch. Die Funktionalität ist ein bedeutungsloses Attribut von knappen Ressourcen.

Es hat mich daher also nicht weiter überrascht, dass, als die ganze Welt über den echten Wert des Bitcoins diskutiert hat, die Chinesen begonnen haben, Coins zu horten, ohne sich um den intrinsischen Wert zu scheren. Dieses Thema interessiert hier niemanden.

„Dezentralisierung? Quark. Ich will schnell reich werden!“

Die Chinesen haben den Bitcoin-Preis auf das Fünffache hochgekauft. Dabei kann kaum jemand von ihnen „liberal“ genannt werden. Keiner hasst die Banken und die Banker, und keiner glaubt, dass das Land in der Hand von Bankern ist (ist es auch nicht.. Banken sind fest in der Hand der Kommunistischen Partei.). Die meisten Chinesen glauben nicht, dass Dezentralisierung besser ist als die bestehenden zentralen Strukturen, und wenn sie nach einem politischen Wandel rufen, meinen sie damit eine bessere Zentralmacht. Während die Chinesen immer mehr Bitcoins gekauft und Dutzende neuer Börsen gegründet haben, haben die wenigen Idealisten, die etwa Bitcoin-Zahlungsanbieter betreiben, nicht mal eine Erwähnung in den News bekommen. Die Leute kaufen und verkaufen Bitcoins, aber keiner möchte sie benutzen.

Warum? Weil Bitcoins eine knappe Ressource sind, die die anderen ebenfalls haben wollen.
Ich selbst mag Bitcoins, weil ich das disruptive Potenzial sehe. Aber wenn mich jemand fragt, warum ich Bitcoins halte, sage ich das nicht, da ich nicht möchte, dass man mich für verrückt hält. Stattdessen sage ich, dass ich bereits 2011 eingestiegen bin. Das ist keine Antwort, aber die Leute denken, es sei genau die Antwort, die die meisten chinesischen Bitcoiner ohne jede Scham geben: „Ich möchte schnell reich werden. Wir leben in einer goldenen Zeit – so ähnlich wie die 20er Jahre im Westen – aber meine Eltern haben bereits Immobilien und Gold und Silber gekauft. Da es keine anderen knappen Ressourcen mehr gibt – was soll ich bitte anders tun als Bitcoins zu kaufen?“

Der Anstieg des Wertes des Bitcoins macht die Chinesen allerdings nicht kurzfristig gierig. Wir sind recht zufrieden mit uns selbst. Die Rallys des Preises vor dem Herbst 2013 haben keine chinesische Leidenschaft erweckt. Die Leute warten auf inländische Signale, um loszulegen. Ich habe bereits auf bitcointalk die Blase im Oktober 2013 prophezeit, kurz nachdem das notwendige inländische Signal erschienen ist – die Nachricht, dass Baidu Bitcoins akzeptiert.

Nun haben wir ein klares inländisches Signal gegen den Bitcoin: Die Zentralbank möchte ihn klein sehen. Manche werden sagen, dass der Bitcoin ein beliebtes Investment für reiche Chinesen bleibt, da sie damit Restriktionen der Regierung umgehen können und der Bitcoin weiterhin eine knappe Ressource ist, die man hortet, um den Reichtum zu erhalten. Das stimmt zwar, aber ich denke dennoch, dass der reiche Chinese auch aufhört, wenn es der gemeine Chinese tut. Ich denke auch, dass das Bedürfnis, Reichtum vor der Regierung zu verbergen, ein schwacher Grund ist, um in Bitcoins zu investieren. Immobilien und Boden bleiben die Top-Investments reicher Chinese. Ob es nun technisch leicht oder schwer ist, die restlichen fünf Prozent des Investments in Knoblauch oder Bitcoin zu verbergen, ist trivial.

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Über Zhang Weiwu (7 Artikel)
Ist unser Korrespondent aus China. Der IT-Unternehmer ist immer auf der Suche nach Geschäftspartnern und gibt unseren Lesern einen Blick hinter die Kulissen der chinesischen Bitcoin-Szene.

1 Kommentar zu Chinas Lust auf knappe Ressourcen

  1. Sehr, sehr interessant. Vielen Dank. Ich würde mich über mehr solche Einblicke freuen.

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