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Wie Kryptowährungen unser Denken über die Welt und über Menschen ändern

Zwei Gesellschaftswissenschaftler aus Irland und Großbritannien beschäftigen sich mit Kryptowährungen und skizzieren Ansätze einer Ethik virtueller Währungen.

Die Faszination, die Kryptowährungen auf mich verströmen, liegt bei weitem nicht nur in der Technik. Vielmehr geht es um die gesellschaftliche und zwischenmenschliche Idee, die dahintersteckt und die Art und Weise, wie Kryptowährungen unser Denken über Geld und Transaktionen verändern.

Dementsprechend spannend fand ich auch ein Paper eines britisch-irländischen Duos, das sich dem Bitcoin vielleicht zum ersten Mal aus sozial- bzw. kulturwissenschaftlicher Perspektive nähert. Unter der Fülle von kryptographischen und wirtschaftswissenschaftlichen Papers, die es mittlerweile zum Bitcoin gibt, war dieses erfrischend anders. Mark Coeckelbergh und Wessel Reijers fragen darin, welche neuen ethischen und philosophischen Fragen der Aufstieg von Kryptowährungen eröffnet.

Die beiden Autoren wären keine guten Geisteswissenschaftler, wenn sie nicht in der Lage wären, einfache Fragen kompliziert darzustellen und in noch kompliziertere Theoriegewebe einzuordnen. In diesem Fall ist das große Stichwort die Narration: Die Autoren definieren Kryptowährungen als eine narrative Technologie – als eine Technologie also, die nur in den Narrativen der Individuen Sinn ergibt, aber gleichzeitig diese Narrative wie auch die sozialen Beziehungen mit-konstituieren.

Zu verwirrend? Auf Deutsch: Kryptowährungen sind das, was die Leute denken, verändern aber gleichzeitig das, was die Leute über andere Dinge denken.

Warum ein Bayer und ein Brandenburger anders übers Skifahren denken

Narrative sind Erzählungen. In den Kulturwissenschaften wurden die Narrative in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr gehypt und quasi zu den kulturellen Koordinaten erhoben, die dem menschlichen Denken, Handeln und Reden erst Sinn verleihen. Denkt einmal an einen Bayer und einen Brandenburger. Die beiden werden viele Dinge – zum Beispiel Ski-Fahren oder Arbeitslosigkeit – ganz anders wahrnehmen, weil ihr Gehirn mit unterschiedlichen Geschichten über diese Dinge gefüttert wurde. Für den Bayer ist Skifahren eine recht alltägliche Winter-Beschäftigung, während der Brandenburger beim Skifahren an einen Urlaub in den Bergen einschließlich weiter Fahrt denkt.

Oder die Flüchtlinge: Wenn wir uns fragen, ob einige hunderttausend notsuchende Menschen Deutschland überfordern oder nicht, dann beantworten wir das nur durch die Geschichten, die wir in der Vergangenheit über Immigranten gehört haben. Die einen haben positive Geschichten im Kopf und denken an eine kulturelle Bereicherung, die anderen sehen Bilder von prügelnden Jugendlichen und religiösen Fanatikern.

Alles, was wir denken, ist ein soziales Konstrukt, und das Medium, um diese sozialen Konstrukte in unsere Köpfe einzuhämmern, ist die Narration.

Auch Technologien schaffen Narrative

Ganz schön kompliziert, was? Die beiden Autoren sagen nun, dass auch Technologien unsere Narrative konfigurieren, indem sie Ereignisse in ein sinnvolles Ganzes umdeuten, in dem sowohl Menschen als auch Dinge Platz haben. Die Technologie gibt also vor, wie sich der Mensch in den Dingen bewegt und was er über sie denkt. Druck auf den Knopf – Fahrstuhl fliegt nach oben. Tritt aufs Gaspedal – Auto fährt schneller. Man möchte jemanden erreichen – Griff zum Handy. Jeder muss ständig erreichbar sein. Man bekommt eine Adresse – und weiß, dass das Navi sie kennt. Jeder muss jeden Ort sofort finden. Und so weiter. Wir sind bereits so tief in die Narration der Maschinen verwoben, dass wir sie überhaupt nicht mehr wahrnehmen.

Wie ist es nun mit Kryptowährungen? Diese sind ja auch eine Technologie. Zwar sind Kryptowährungen noch nicht mit dem Alltagsleben verwoben, aber sie greifen ein derart zentrales Thema – das Geld – an und ändern dieses so umfassend, dass es sich lohnen muss, zu fragen, wie Kryptowährungen die Narrative unseres Alltags verändern.

Die Autoren verweisen zunächst auf die Computerethik, die sich mit Themen wie der Privatsphäre, der Demokratie oder der Autonomie beschäftigt. Für Kryptowährungen könnte man ebenso gut fragen: „Ermöglichen Kryptowährungen Betrug? Verhalten sich Miner verantworungsbewusst? Ermöglichen Kryptowährungen demokratischere wirtschaftliche und politische Systeme?“ Solche Fragen sind zwar interessant, aber sie dürften eher Sujet des Feuilletons und der Talkshow denn der Wissenschaft sein. Denn sie gehen am Kern der Sache vorbei: an den Narrativen, durch die Menschen ihr Verhältnis zu den Dingen organisieren.

Mit anderen Worten: Anstatt über die praktischen Dinge zu diskutieren, müssen wir tiefer unter die Haube schauen. Anstatt darüber nachzudenken, wie man die Lampe wechselt, sinieren wir darüber, wie Strom zu Licht wird. Anstatt darüber nachzudenken, ob die Miner verantwortungsbewusst handeln, müssen wir fragen, wie Kryptowährungen das Denken über die Verantwortung verändert.

Kryptowährungen progammieren den Ablauf von Transaktionen neu

Zunächst wäre da das Finanzsystem. Auch dieses wird durch Narrative wahrgenommen – gute Banker, böse Banker, gute Wertanlagen, böse Zockerpapiere – die alles andere als neutral sind. Vor allem seit 2008 schlägt die Narration zum Finanzwesen eine bankenkritische Richtung ein. Kryptowährungen fügen sich in diese Großerzählung.

Zum einen haben sie bereits früh, mit der Blockade von Wikileaks, gezeigt, dass es eine Alternative zu einem Geldsystem gibt, das nicht neutral ist, sondern sich von der Politik vor den Karren spannen lässt.

Zum anderen dezentralisiert Bitcoin die Macht im Geldwesen und verschiebt Vertrauen von Authoritäten zum Protokoll. Kryptowährungen erzählen den Narrativ, dass man die Integrität des Finanzwesens nicht durch Autoritäten, sondern durch Protokolle und Technologie schützen kann und sollte.

Diese beide Punkte beziehen sich jedoch vor allem auf die nackte Wahrnehmung, weswegen die beiden Autoren sie unter den „passiven Narrationen“ einordnen. Aktiver und handlungsleitender ist das Wesen der Transaktion. Eine Transaktion wird definiert als ein sinnvolles Ganzes, das Ereignisse konfiguriert (ich gebe dir ein Huhn, du gibt’s mir eine Rinderhaxe). Wenn Geld im Spiel ist, bleibt das sinnvolle Ganze zwar erhalten, wird aber von der direkten auf eine eher indirekte Ebene geschoben.

Kryptowährungen ändern nun zwei Dinge: Sie schreiben zum einen die Art, wie Transaktionen Ereignisse konfigurieren, neu: Von einer reversiblen, zeitlich unfixierten Folge hin zu einer zeitlich klar fixierten Folge, die nicht reversibel ist. Bitcoin-Transaktionen werden klar in der Zeit getaktet und sind nicht rückgängig zu machen. „Daher müssen wir diskutieren und entscheiden, ob dies die Art ist, wie wir Transaktionen haben wollen.“

Zum anderen erhöhen Kryptowährungen die durch das Geld eingeführte Indirektheit noch weiter, indem sie Transaktionen durch die Blockchain anstatt durch konkrete Menschen und Ereignisse übermitteln. „Transaktionen sind nun nur noch eine Sache von Zahlen und Algorithmen.“

Kryptowährungen lassen keinen Raum für Interpretationen

Auch das Vertrauen wird indirekter und löst sich von den Menschen. Überall, wo Güter oder Geld getauscht werden, ist das Vertrauen darauf, dass die Transaktion glatt läuft, notwendig. Bei Kryptowährungen wird das Vertrauen in die Teilnehmer (die Miner, Trader, User) durch das Vertrauen in die Rigidität der Technologie ersetzt. „Leute, die Kryptowährungen nutzen, wissen, dass sie mit authentischen und validen Transaktionen handeln, nicht deswegen, weil sie den anderen Leuten im Netzwerk vertrauen, sondern weil diese Eigenschaften vom System durchgesetzt werden.“ Anstatt in Leute wird also in das System bzw. in die Technik vertraut.

Diese Veränderung von Transaktionen führt zu einer Veränderung sozialer Beziehungen. Man könnte einerseits sagen, dass dieser Wandel für soziale Beziehungen wie Transaktionen wohltuend ist, da so Betrug, Fälschung und „kreative Buchführung“ verhindert werden. Allerdings sehen die Autoren eine Gefahr darin, dass die Grenzen zwischen den Bereichen, die man wie mit Kryptowährungen vollständig formalisieren und konfigurieren will, und denen, die von der menschlichen Freiheit im Umgang mit Regeln – also von einem kleinen gesunden Stückchen Korruption – profitieren, verwischt werden.

So halten sie es etwa für bedenklich, wenn die Rigidität der Kryptowährungen von der Finanz-Sphäre auf die Gesundheitsfürsorge überspringt. Wenn die Transaktionen oder der Vertrag der Endpunkt der Beziehung zu anderen Menschen ist, anstatt bloß ein Zwischenglied, dann ist die Akzeptanz oder Ablehnung einer Transaktion durch das Blockchain-Protokoll der finale Schiedspruch. Ob eine Transaktion ethisch wünschenswert ist, spielt dabei keine Rolle. Kryptowährungen lassen keinen Raum für Interpretationen und Revisionen.

Depersonalisierte soziale Beziehungen bedeuten Emanzipation

Die positiven Effekte der Abstraktion des Geldes durch Kryptowährungen liegen hingegen darin, dass sie die Leute emanzipieren und ermächtigen. Wenn soziale Beziehungen (in Transaktionen) unpersonell werden, ist es egal, wer man ist. Egal welche Stellung, welche Hautfarbe, welchen kulturellen Hintergrund. Es gibt keine Unterschiede und keine physikalischen oder geographischen Grenzen.

Wie die Autoren möchte ich diese verschiedenen Entwicklungen oder Verschiebungen nicht bewerten, sondern festhalten: Kryptowährungen ändern die Perspektive auf das Finanzwesen, indem sie eine neutrale Alternative aufzeigt, die ihre Integrität nicht durch zu vertrauenden Menschen, sondern durch ein Protokoll schützt. Kryptowährungen ändern zudem die Handhabung von Transaktionen, die rigider werden – irreversibel, endgültig, inpersonell – was sowohl Vorteile (Freiheit, Emanzipation) haben kann, als auch Nachteile (Verlust von personeller Interpretationsfreiheit). Die große Frage ist vielleicht, was passiert, wenn sich die rigide, interpretationsfreie Blockchain-Technologie auf andere Bereiche ausbreitet, in denen der menschliche Faktor bzw. das gesunde Stückchen Korruption ein nötiges Schmiermittel ist.

Das ist, finde ich, eine spannende Perspektive – und eine Fragestellung, mit der sich die Gesellschaft möglicherweise noch beschäftigen muss. Wollen wir das? Oder wollen wir es nicht?

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4 Kommentare zu Wie Kryptowährungen unser Denken über die Welt und über Menschen ändern

  1. Werner Müller ( glaube ich ) // 21. Oktober 2015 um 19:07 // Antworten

    Wir wollen es nicht. Genau das stört mich am Bitcoin und seinen Protagonisten: dieses ewige Misstrauen. Ich verlasse mich gern auf Menschen und ihre Unzulänglichkeiten. Die menschliche Unzulänglichkeit macht unser Leben menschlich. Und darauf will ich nicht verzichten, deshalb werde ich nie den Bitcoin verwenden. Wirklich ein sehr interessanter Artikel mit wichtigen Denkanstößen. Schön, daß Sie wieder da sind. Sie sind kein “ Robot“ und ich auch nicht und das ist gut so.

  2. Was bei den Gedankenspielen meiner Meinung nach nur unzureichend bedacht wird ist die Tatsache, dass es sich um ein offenes System handelt.
    Dies führt automatisch zu einem Demokratisierungseffekt und dazu, dass wenn sich negative Tendenzen für eine Gesellschaft zeigen, sehr schnell Alternativen an Zulauf erfahren werden.

    U.a. sei die Umverteilungsproblematik zu nennen. Man braucht nicht viel Fantasie um zu wissen, dass Jene die die Bitcoin ansammeln, die Leistungsträger vor der Entscheidung stehen werden ob sie ihre Leistung den Sozialleistungsempfängern „schenken“ oder ob sie jene Leistungsempfänger vor die Hunde gehen und verwahrlosen lassen.
    Denn Fakt ist, im Gegensatz zum Schuldgeld können Bitcoins nicht einfach mal mit der Herausgabe von Anleihen entstehen und diese Leistungslücke schließen.

    Daher kann man davon ausgehen werden sich eine Vielzahl an Menschen einem System anschließen, welches diese sozialen Faktoren berücksichtigt. Am Ende wird dies aber dazu führen, dass der Reichtum nicht mehr grenzenlos wird möglich sein und zudem die Leistungsträger die Leistungsnehmer mit durchschleppen müssen, wollen sie einen Verfall ihrer Coins vermeiden, weil eine Masse diesen ablehnt und nicht mehr entgegen nimmt.

    Fakt ist, dass mit dem Bitcoin und der Blockchain viele Dinge möglich werden, es die Welt revolutionieren wird, Andererseits es zu neuen großen Herausforderungen führen wird.

  3. Oh wow, nicht nur das Paper sondern besonders auch Dein Artikel ist eine erfrischend andere Lektüre! Sehr spannendes Thema, und mE eines, das zu häufig unter den Tisch fällt. Gerade weil wir Menschen so sozial und emotional sind, können technische Neuerungen, die auf den ersten Blick auch nur ein kleines bisschen das Gesellschaftliche und Zwischenmenschliche beeinflussen, langfristig sehr große Wellen schlagen.
    In Bitcoin Kreisen wird das disruptive Potential von Bitcoin&Co meistens an Punkten wie dem Finanzsystem oder der Regierung oder Handelsplätzen gesehen. Und während all das sicherlich zutrifft sehe ich persönlich auch das größte Potential darin, dass unsere eingefahrenen Wege zu denken und zu beurteilen mal kurz ins Schlingern geraten. Viele werden sich danach wieder da einpendeln wo sie vorher waren, aber viele werden einem neuen Gedanken weg folgen.
    Ich persönlich glaube, jeder Schubs tut dem Gehirn des Einzelnen und auch dem der Herde gut. Wie groß die Veränderung am Ende sein wird, sieht man womöglich erst sehr viel später, und ob das Ergebnis dann gut oder schlecht ist, da werden sich wie immer die Geister scheiden.
    Ich schließe mich Tony an und sage: Fakt ist, dass die Welt eine Revolution erfahren wird, und füge meine eigene Theorie hinzu das diese in erster Linie in den Köpfen passieren und dann langsam auf gesellschaftliche Ebene übertragen wird.
    Ich kann es kaum erwarten!

  4. Von ganz vielen Menschen lese ich, dass der Bitcoin ihre Einstellung zu Geld sich dahingehend verändert hat, dass es ihnen wieder Spaß macht zu sparen. Bitcoin hat durch die Limitierung der Menge und seiner quasi-Rohstoff-Eigenschaften im Gegensatz zum angeblich „echten“ Geld einen inneren Wert. Und durch diese neue Narrative („Geld sollte einen Wert haben“) ist auch die Sicht auf EUR, USD & Co. für immer verändert.

    Neulich habe ich mich gefragt, „was hindert eigentlich die griechische Regierung (oder jede andere) an ihre eigenen Euro-Kontostände ein paar Nullen dranzuhängen?“). Diese Frage hätte ich mir ohne mein Wissen durch den Bitcoin nie gestellt. Eine Antwort weiss ich allerdings auf diese Frage auch nicht. Vielleicht weiss es hier jemand: Gibt es so etwas wie ein zentrales Register, dass alle Euros im Umlauf im Auge behält und merkt wann irgendwo neue Euros „erfunden“ werden?

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