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Das Leben und Sterben der Altcoins – Studie über Kryptomarkt deckt interessante Muster auf

Ein Darin Fink. Diese Bezeichnung umfasst 15 Vogelarten auf den Galapagos-Inseln, die keine Finken, aber alle miteinander verwandt sind. Für Charles Darwin waren sie Inspiration, seine Evolutionstheorie zu entwickeln. Bild von Tim Snell via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

„Bitcoin ist nicht allein“: Eine kürzlich erschienene Kurzstudie untersucht die Dynamiken und Muster im Markt aller Kryptowährungen. Dabei entdeckt sie mehrere Formeln, denen die Märkte folgen – und es gelingt ihr, das Verhalten der Kryptomärkte mit einer Theorie zur Evolution zu erklären. Für jeden, der sowohl Kryptowährungen als auch allgemeine Wissenschaft mag, ist diese Studie ein Genuss.

Auch heute blicken wir über Bitcoin hinaus und widmen uns dem gesamten Kryptomarkt. Nachdem es hier gestern um das „Flippening“ ging, haben wir heute eine dazu passende Studie von 5 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von Universitäten in London, Leipzig und Barcelona. Der Titel der Studie ist Programm: „Bitcoin ist nicht allein: Eine Quantifizierung und Modellierung der langfristigen Dynamikem des Marktes der Kryptowährungen.“ Erschienen ist sie in der Mai-Ausgabe des SSRN Electronic Journals.

Die Wissenschaftler sind Mathematiker, Ökonomen und Evolutionsforscher. Sie schauen sich den gesamten Kryptomarkt seit April 2013 an und suchen darin nach Mustern und Dynamiken. Ihre wichtigste Datengrundlage ist die auch hier gerne verwendete Webseite Coinmarketcap.com, wo die Forscher die wöchentlichen Daten von 300 Börsen abgerufen haben. Mit diesen haben sie verschiedene Berechnungen und Modellierungen erstellt, die zeigen sollen, nach welchem Gesetzen sich die Kryptomärkte entwickeln können. Und tatsächlich finden sich in dem Paper einige aufschlussreiche Erkenntnisse, die zeigen, dass Kryptowährungen nicht zufällig Marktanteile gewinnen, sondern Gesetzen folgen, die man auch von anderen Bereichen nur zu gut kennt.

Markt wächst exponentiell

Zunächst aber geben die Wissenschaftler eine Übersicht über den Markt. Insgesamt zählen sie 1.452 Kryptowährungen, die seit April 2013 entstanden sind, von denen immerhin noch 600 am Leben sind. Die gesamte Kapitalisierung der Märkte stagnierte ab 2014 für einige Zeit, bis sie Ende 2015 mit zunehmender Vehemenz wuchs. Zwischen Mai 2016 und Mai 2017 hat sich der gesamte Marktwert vervierfacht, was, so die Autoren, dem exponentiellen Wachstum exp(λt) mit dem Koeffizienten λ = 0.30±0.02 entspricht. Mathematiker werden verstehen, was sich hinter den Zahlen verbirgt. Laien wie ich finden es faszinierend, dass es überhaupt eine Formel gibt, die diese Bewegung greifen kann.

Die interessanten Teile der Studie kommen aber erst noch. Denn nach dieser Übersicht über den Markt an sich beginnen die Forscher, nach Logiken und Dynamiken zu suchen. Sie finden diese in drei Bereichen.

Bitcoin verliert Marktanteile

Womöglich am augenspringendsten ist der deutliche Verlust des Anteils von Bitcoin am gesamten Markt. Das hatten wir ja erst gestern. Die Forscher räumen ein, dass der „Vorteil, als erstes dagewesen zu sein, Bitcoin bis heute zur bekanntesten und dominierenden Kryptowährung macht.“ In der Forschung gibt es verschiedene Ansichten, ob Bitcoin diesen Status behalten wird oder nicht. Die eine Studie sagt, ja, klar, Bitcoin ist der klare Gewinner, und die andere sagt, nein, Bitcoin mat signifikante Marktanteile abgegeben. Die fünf Autoren aus London, Leipzig und Barcelona stellen ebenfalls fest, dass Bitcoin im Laufe der letzten Jahre konstant Anteile verloren hat.

Wenn man die kurzfristigen Schwingungen der Kurve ignoriert, stellt man fest, dass der Anteil von Bitcoin fortlaufend sinkt. Die Wissenschaftler beschreiben die Linie als lineare Gleichung f(t) = a + bt, mit dem Koeffizienten b = −0.035±0.002. Aufgrund dieser Werte prognostizieren sie, „dass der Marktanteil von Bitcoin ungefähr bei 50 Prozent im Jahr 2025 herum fluktuiert, auch wenn es natürlich sehr wahrscheinlich ist, dass nicht-lineare Effekte dieses Bild modifizieren.“

Auch wenn es erneut faszinierend ist, wie exakt eine Formel einen jahrelangen Trend trifft – dieser Punkt zeigt mehr wie alle anderen die Grenzen der Mathematik auf, die Wirklichkeit zu beschreiben. Denn Bitcoin ist bereits im Juni 2017, acht Jahre zu früh, unter die 50 Prozent Grenze gefallen. Man könnte nun darüber spekulieren, dass das weiterhin ungelöste Blocksize-Problem, die beliebige Skalierbarkeit des zentralisierten Ripples sowie die Smart Contracts von Ethereum als „Schwarze Schwäne“ – unerwartete Ereignisse – herhalten, die einen mathematisch an sich korrekten Trend ruinieren. Ebenso gut könnte man aber auch davon ausgehen, dass, sofern Bitcoin seine Blocksize-Probleme löst, eine Rückkehr in diesen Trend zu erwarten ist.

Das Leben und Sterben der Altcoins

Weniger anfällig für solche schwarze Schwäne sind die breiter gestreuten Erkenntnisse über Leben und Sterben von Kryptowährungen. Insgesamt gibt es, wie schon gesagt, knapp 1.500 Kryptowährungen, von denen noch rund 600 gehandelt werden. Die Forscher haben sich nun angeschaut, mit welcher Rate diese Coins entstehen und sterben. Interessanterweise haben sie dabei festgestellt, dass es hier nicht nur eine konstante, über die Zeit kaum veränderte Quote, sowie eine Art Sättigung der Märkte gibt.

Nachdem die Anzahl der Kryptowährungen 2013 und 2014 recht rapide angestiegen ist, hat sich ab Ende 2014 die Anzahl der aktiv gehandelten – der lebendigen – Währungen bei etwa 600 eingependelt. Seitdem bleibt diese Quote konstant. Aber nicht nur das: Seit dieser Zeit entstehen in jeder Woche etwa sieben Kryptowährungen – während genauso viele sterben. Nachdem die Sättigung der Märkte erreicht wurde, hat sich eine Geburts- und Sterberate von 1,16 und 1,06 Prozent verfestigt. Nach 2,5 Jahren der Beobachtung kann man beinah sagen, dass diese Quoten ein Gesetz darstellen.

Mobilität im Ranking der Coins

Etwas weniger überraschend, aber dennoch hochinteressant ist das dritte Muster, dass die Forscher entdecken. Es gibt klare Trends, wie lange Kryptowährungen auf ihren Plätzen im Ranking verharren. Dabei zeigt sich, dass die hohen Ränge recht festgefahren sind, während es auf den hinteren Plätzen eine deutlich höhere Mobilität gibt.

„Der erste Rang wurde stets von Bitcoin besetzt, während die nachfolgenden fünf Ränge von insgesamt 16 Kryptowährungen mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 15 Wochen bevölkert werden. Diese Werte ändern sich rapide, wenn wir die Ränge 7 bis 12 betrachten, auf der 24 Kryptowährungen für durchschnittlich 5 Wochen verharren. Mit niederen Rängen steigt die Mobilität und Kryptowährungen ändern ständig ihre Position.“

An sich ist es nicht überraschend, dass es bei den hochvolatilen Coins mit geringer Marktkapitalisierung zu häufigeren Platzwechseln kommt als bei den größeren Währungen. Aber dass sich dieses Muster so klar in mathematische Formeln und Charts pressen lässt, ist einmal mehr erstaunlich.

Evolutionstheorie und Kryptowährungen

Zuletzt ordnen die Wissenschaftler die Dynamiken in den Kryptomärkten in Evolutionstheorien ein. Dies ist der Teil der Kurzstudie, den ich am aufregendsten finde.

Die Forscher prüfen, ob sich die Evolution des Krypto-Ökosystems mit dem sogenanten „Neutralen Modell der Evolution“ beschreiben lässt. Diese Theorie wurde in den 60er von dem japanischen Biologen Motoo Kimura entwickelt. Sie geht davon aus, dass die genetischen Veränderungen der Evolution den Individuen keine Vorteile bringen, sondern vor allem eine Folge der zufälligen Veränderung der Gene (Gendrift) sind. Evolution wird dieser Theorie zufolge also nicht durch die Anforderung der Umwelt an die Individuen getrieben, sondern durch zufällige Mutationen der Gene.

Die Autoren des Papers erklären, dass „das neutrale Modell eine bestimmte Größe der Population von N Individuen und m Gattungen beschreibt. Mit jeder neuen Generation werden die N Individuen durch N neue Individuen ausgetauscht. Jedes neue Individuum gehört zu einer Gattung, die zufällig von der vorhergegangenen Gattung kopiert wurde.“ Hierbei allerdings bringt das Modell ein Stückchen Zufall ins Spiel, indem es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit – die hier μ genannt wird – eine neue Gattung einführt. μ is demnach also der Parameter, der eine feste Mutationsrate im Generationswechsel angibt.

Dieses Modell ist erstaunlicherweise in der Lage, die statistischen Muster in zahlreichen Systemen zu beschreiben, von der Ökologie und Genetik über kulturelle Verschiebungen und die Häufigkeit von neuen Wörtern zu den Zitaten technischer Patente. Die Forscher versuchen nun, das Modell auch auf die Ökologie der Kryptowährungen anzuwenden – und kommen zu erstaunlich klaren Übereinstimmungen.

Um das neutrale Modell der Evolution auf den Kryptowährungs-Markt zu übertragen, setzen die Autoren jedes Individuum (N) mit einer bestimmten Summe an Dollar und jede Gattung mit einer Kryptowährung gleich. Der Generationswechsel ist der Handel auf den Börsen, während der Mutationsparameter μ bedeutet, dass eine neue Kryptowährung eingeführt wird. μ wurde von den Forscher mit 7/N festgelegt, was dazu passt, dass im Durchschnitt sieben neue Kryptowährungen je Woche entstehen.

Das Ergebnis ist, dass die Forscher auf diese Weise recht genau den Verlauf von drei Dynamiken treffen: Die Verteilung der Marktanteile von Coins, die Fluktuation der dominanten Kryptowährungen sowie das Sinken des Marktanteils von Bitcoin.

Interessant, aber hilflos gegen Schwarze Schwäne

Für viele Trader und Interessierte dürften diese Ergebnisse spannend und faszinierend sein. Auch wenn die mathematischen Modelle verblüffend gut darin sind, die Dynamiken der Märkte zu beschrieben, so zeigt insbesondere die rapide Beschleunigung des Sinkens von Bitcoins Marktanteil, dass oft ein einziger „Schwarzer Schwan“ ausreicht, um die Gültigkeit solcher Modelle und Theorien an der Wirklichkeit zerschellen zu lassen.

Die Autoren selbst sind sich dieser Beschränkung bewusst: „In der unmittelbaren und mittelfristigen Zukunft werden legislative, technische und soziale Ereignisse sehr wahrscheinlich einen ernstzunehmenden Einfluss auf die Kryptomärkte haben,“ schrieben sie in ihrem Fazit. „Wie die selbstorganisierten Kryptowährungen mit dieser Spannung umgehen, ist eine interessante Frage, die das Thema künftiger Studien sein kann.“ Wie wahr.

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10 Kommentare zu Das Leben und Sterben der Altcoins – Studie über Kryptomarkt deckt interessante Muster auf

  1. Kleiner Tipp: Alle von dir genannten Zahlen sind sinnlos wenn sie keine Einheit haben. Die Dimension müsste 1/Zeit sein.

  2. „Auch wenn es erneut faszinierend ist, wie exakt eine Formel einen jahrelangen Trend trifft“

    Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Au weia! ROFL.

  3. Super Beitrag, sehr interessant. Die Beiträge auf diesem Block sind immer sehr gehaltvoll. Auch eine nette Studie. Die Lösung, warum alles in eine Formel passt ist aber gar nicht so überraschend. Man kann – vergangenheitsbezogen – quasi jede mögliche Bewegung in eine Formel packen. Insbesondere wenn die Koordinatenachsen mal exponentiell mal linear beschriftet werden. Hier gibt es viel Spielraum. Eine Formel nützt Investoren nur dann etwas, wenn Sie auch gewisse Aussagen auf die Zukunft ermöglicht. Es wäre daher interessant zu erfahren ob diese Formel eine korrekte Prognose ermöglicht hat, das könnte man in einem oder in zwei Jahren mal überprüfen.

  4. Ich finde das der Aspekt der Geldmenge grundsätzlich zu wenig Berücksichtigung findet. Das Leben der Wärhrungen sollte auch einmal unter diesen Aspekt beleuchtet werden.

  5. Also ich finde den Teil über die Evolution am banalsten. Das liegt sicherlich daran, daß ich Biologie studiert habe. Als Biologe kann ich garantieren, daß es nichts Banaleres als die Evolution gibt. Man kann sie nicht nur auf Lebewesen anwenden, sondern auf alles, was entsteht und vergeht. Das einfach deshalb, weil Naturgesetze überall gelten. Nur 7/N finde ich etwas seltsam, denn wenn N die Anzahl der Individuen ist und die im Nenner stehen, dann bedeutet das, daß umso weniger Kryptowährungen entstehen von je mehr Leuten Kryptowährungen gehandelt werden. Den Handel als Generationswechsel anzusehen ist auch eine schräge Idee, vielleicht krankt die Theorie daran.

    Die Verwendung einer linearen Formel zeigt keineswegs die Grenzen der Mathematik auf, sondern lediglich, daß man sich nicht viel Mühe gemacht hat. Lineare Formeln sind Vereinfachungen für Unterstufenschüler. Vor allem nachdem man schon exponentielle Zusammenhänge gefunden hat, dürfte man eigentlich nicht mehr auf die Idee kommen, im Folgenden einen linearen Ansatz zu verwenden. Vielleicht hätte man keinen Ökonomen an der Untersuchung beteiligen sollen.

    Die Bewertung der Vorteile von Ripple oder Ethereum sind pure Psychologie. Vielleicht hätte man einen Psychologen hinzuziehen sollen. Falls Kryptowährungen lange genug existieren, dann wird es sicherlich noch bessere Studien geben als diese.
    Ranma

    • Es ist umgekehrt: Lineare Näherungen sind für VWLer, die alles darüber hinausgehende nicht verstehen. Echte Wissenschaftler schätzen es hingegen sehr, wenn sich etwas in guter Näherung linear beschreiben lässt – allerdings nur dann wenn auch eine vernünftige Theorie dahinter steckt… Denn linear nähern kann man so gut wie alles. Nur entbehrt es (gerade bei Ökonomen) oft jeder Grundlage 😉

  6. Name required // 8. Juni 2017 um 19:05 // Antworten

    Und bis dahin zieht das Wachstum der Cryptos erstmal an, denn auf Grund der exponentiell anwachsenden Bevölkerung, steigt auch die Nachfrage immer weiter.

    • Dafür müßte aber nicht die Bevölkerung, sondern der Teil der Bevölkerung ausreichend leistungsfähigen Computern und schnellen Internetanschlüssen wachsen.
      Ranma

      • Nukular // 9. Juni 2017 um 20:33 //

        Und auch für die „exponentiell wachsende Bevölkerung“ gilt das gleiche wie oben für andere Prognosen geschrieben …

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