“Wir sind eine Branche, die um Regulierung bittet.”

Im Bundestag gibt es eine Anhörung zur Blockchain. Die meisten geladenen Sachverständigen sehen in der Technologie eine große Chance für Deutschland, den Rückstand in Sachen Digitalisierung aufzuholen. Einer von ihnen prescht jedoch aus der Monotonie der Begeisterung aus und erklärt die Blockchain rundheraus zum Hype.
Im Bundestag gab es vor kurzem eine öffentliche Anhörung zum Thema Blockchain. Der Ausschuss Digitale Agenda hat am Mittwoch sechs Sachverständige eingeladen, die den Politikern erklären, was es mit dem Phänomen Blockchain auf sich hat, und wie die Regierung darauf reagieren soll. Ausgesucht wurden die Sachverständigen von den im Bundestag vertretenen Fraktionen.
Die Statements und Antworten der Sachverständigen dürften relativ bedeutend dafür sein, wie die Blockchain-Technologie in Zukunft am Standort Deutschland gehandhabt wird. Zum Auftakt der Anhörung hat jeder von ihnen seine Position zum Thema in einem kurzen Vortrag vorgestellt. In einem öffentlichen Video kann man sich anhören, was die Experten sagen. Die meisten von ihnen sind sich über einige Punkte einig: Europa braucht die Blockchain, um unabhängig von den US-Konzernen zu werden, die die Plattform-Wirtschaft dominieren; mit der neuen Technologie kann man die öffentliche Verwaltung erheblich verbessern; der Standort Deutschland habe ein großes Potential, zu einem Weltführer der Blockchain-Technologie zu werden – aber dafür müsse die Politik vor allem in Sachen Regulierung die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Wir geben die Positionen der Sachverständigen hier im Einzelnen wieder:
Gilbert Fridgen, Professor für Wirtschaftsinformatik Uni Bayreuth und Forscher am Fraunhofer Institut für Angewandte Informatik
Fridgen hat für das Fraunhofer-Institut bereits mehr als 30 Workshops zur Blockchain mit verschiedenen Unternehmen durchgeführt, einige Umsetzungen begleitet, ist am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für ein Blockchain-Projekt verantwortlich und schreibt federführend ein Gutachten zur Blockchain für das Bundesministerium für Forschung und Innovation (BMFI). Er dürfte einer der einflussreichsten Blockchain-Forscher Deutschlands sein.
In seinem Vortrag betont er, dass sich das Potential der Blockchain nicht auf Kryptowährungen oder Anwendungen für die Finanzwirtschaft beschränkt. Stattdessen erlaube die Blockchain das, was man bisher papierbasiert durchführt, weiter zu digitalisieren. Bisher ist es bei vielen Dokumenten nicht möglich, diese in vollem Umfang zu digitalisieren, da sie dadurch ihre Einzigartigkeit verlieren. Die Blockchain ändert dies. Darüber hinaus stellt er die Vision vor, dass Maschinen und Künstliche Intelligenzen dank der Blockchain wirtschaftlich autonom agieren und sogar ihre selbst erwirtschafteten Einnahmen automatisiert versteuern können.
Für Deutschland und Europa sieht er in der Blockchain-Technologie eine große Chance. Denn die Blockchain ermöglicht es, von den potenziell monopolistischen Plattform-Betreibern wegzukommen, die derzeit das Internet beherrschen. Man kann die Vorteile der Plattform-Ökonomie genießen, ohne in Abhängigkeit von Monopolisten wie Google, Facebook und Co. zu geraten. Dies kann kleinen und mittleren Unternehmen helfen, die Zusammenarbeit zu koordinieren, und später sogar zu einer generellen Infrastruktur für die Wirtschaft werden. Gerade der Standort Berlin hat ein großes Potenzial, mit seinen mehr als 70 Blockchain-Startups zu einem weltweit führenden Standort zu werden.
Fridgen erkennt aber auch die eine oder andere Herausforderung. So findet er die anarchistischen Tendenzen von Kryptowährungen problematisch, wie auch den mangelnden Datenschutz von Informationen, die auf einer Blockchain gespeichert sind. Aber für beide Probleme schweben ihm Lösungen vor. “Wir können in Deutschland Vorreiter der Blockchain-Technologie werden, müssen das kreative Potenzial, das unsere Startups haben, aber auch nutzen.”
Die Themen, die er anspricht, werden in der einen oder anderen Weise auch von den anderen Sachverständigen aufgegriffen.
Ingo Rübe, CEO BOTLabs
Ingo Rübe ist Geschäftsführer von BOTLabs, einem Startup der Burda Mediengruppe. Rübe war zuvor technischer Direktor (CTO) des nationalen Verlagsgeschäft von Burda; BOTLabs hat das KILT-Protokoll entwickelt, das auf dezentrale Weise den Austausch von Vertrauen im Internet ermöglichen soll.
Er sieht das größte Potenzial der Blockchain nicht in der Finanzindustrie oder in der öffentlichen Verwaltung, sondern im Internet. Wie Fridgen beklagt er die monopolistischen Strukturen der digitalen Wirtschaft, die in der Regel darin resultieren, dass US-Firmen ihre Finger in Geschäftsprozessen auf der ganzen Welt haben. Die Blockchain hat nun das Potential, Mitelsmänner zu ersetzen und damit das Ungleichgewicht der Internetwirtschaft aufzubrechen. Dies sei ihr größtes Potenzial und sehr wichtig für Europa und für Deutschland. Auch er erkennt in Berlin einen Standortvorteil durch die breite Blockchain-Szene, was er vor allem der starken Präsenz von Ethereum zuschreibt.
Um das Potenzial auszuschöpfen, bedarf es seiner Meinung nach vor allem Rechtssicherheit. Diese entstehe durch Regulierung. “Wir sind eine Branche, die um Regulierung bittet.” Bedeutend sei dies etwa für die Token-Wirtschaft. Er wünscht sich einen zentralen Ansprechpartner in Behörden und der Politik, der für alle Aspekte des Themas zuständig ist.
Roman Beck, Professor an der IT-University in Kopenhagen, und Mitglied des European Blockchain Center
Beck doziert nicht nur an einer der renommiertesten technischen Universitäten Europas, sondern ist auch Verfasser mehrerer Reporte zur Blockchain, etwa für die EU und für Dänemark. In seinem Vortrag ist er nicht um Superlative verlegen.
Das Internet sei bereits heute Geschichte und “old economy.” Die Digitalisierung der ersten Stufe sei abgeschlossen. Sie sei gekennzeichnet durch hierarchische Prozesse und Eigentumsverhältnisse. Mit der Digitalisierung 2.0 – also der Blockchain – werde sich die Welt massiv verändern: Alles wird dezentraler und autonomer. Er prophezeit, dass die Blockchain zu einem robusten und dezentralen Betriebssystem der internationalen Systeme wird, eine verteilte Datenbank, in der es keine Intermediäre gibt. Als Beispiele nennt er etwa Geld und Frachtbriefe.
Deutschland nehme an dieser Welt bisher nicht teil. Die Digitalisierung 1.0 wurde hier weitgehend verschlafen, was zur Folge hat, dass die großen Internetgiganten woanders sitzen. Es herrsche Digitalisierungsnotstand. Aber, so Beck, es sei noch nicht zu spät, in der Digitalisierung 2.0 aufzuholen, auch wenn dies eine “herkulische Aufgabe” sei. Er fordert für Deutschland daher einen “digitalen Marshall-Plan.”
Florian Glatz, Präsident Bundesverband Blockchain
Florian Glatz ist Mitgründer und Präsident des Bundesverbands Blockchain. Der Jurist und Informatiker fordert, dass der Staat die Rahmenbedingungen schafft, in denen innovative Projekte gedeihen können. Dabeiverlangt er nicht weniger, als dass die Regeln und Institutionen des Staates neu diktiert werden. In seiner Vorstellung soll der künftige Rechtsrahmen des Staates auf der Blockchain laufen.
Dazu, meint Glatz, müsste die Rechtsordnung in Deutschland in einem Kraftakt durchleuchtet werden. Viele Bestandteile des Rechts, die darauf basieren, dass es einen Mittelsmann gibt, müssen hinterfragt werden. Weiter müssen Wege gefunden werden, wie der Staat seine Politik ohne Mittelsmänner durchsetzen kann. Viele Methoden der Politik werden durch die Blockchain obsolet. Um seine Relevanz und Kraft zu erhalten, müsse der Staat als Infrastrukturanbieter auftreten, und dafür sorgen, dass die digitalen Identitäten, die die Schnittestelle zwischen den Datenbanken bilden, rechtssicher werden.
Er sieht ein großes Potenzial der Blockchain dabei, die Digitalisierung der Verwaltung zu meistern. Sie kann Effizienz und Transparenz von Verwaltungsprozessen stärken, es ermöglichen, dass Bürger ihre Identität souverän verwalten, und den europäischen Datenaustausch befördern. Damit das gelingt, bedarf es guter Pilotprojekte, durch die die Behörden Erfahrungen sammeln können.
Jürgen Geuther, Informatiker und Philosoph
Mit Geuther tritt der erste Kritiker der Blockchain in Erscheinung. Der Informatiker und Philosoph ist Gründungsmitglied des Transdisziplinären Netzwerks Otherwise, das sich mit der Digitalisierung beschäftigt. Er stellt sich als derjenige vor, der keine Blockchain verkaufen will.
Geuther erklärt, dass eine Blockchain eigentlich gar nichts besonderes sei. Sie sei eine Datenbank mit speziellen Eigenschaften, die sie für spezielle Zwecke geeignet machen. Im Kern beruhe sie auf einer Technologie aus den 70er Jahren – den Merkle-Trees. Im Hype um den Begriff werde sie angepriesen, um Deutschland den Anschluss an die Zukunft zu sichern. Die Diskussion dabei drehe sich aber nicht um eine spezifische Technologie mit spezifischen Eigenschaften, sondern eher um einen Hype – darum, dass die Blockchain irgendwie viele Probleme löst.
Für die meisten Szenarien, in denen die Blockchain zum Einsatz kommen soll, sei die Technologie noch nicht robust genug. Geuther erwähnt die Verluste durch Bugs in der Software, mit der Bitcoin benutzt wird, und merkt an, dass nicht mal die Ethereum-Entwickler in der Lage seien, Bugs in Smart Contracts vollständig zu vermeiden. Bisher spiele die Blockchain daher vor allem im unregulierten Finanzmarkt eine Rolle, wo über sie digitale Token gehandelt werden, die fälschlicherweise als Währung bezeichnet werden.
Die realen Prototypen von weiteren Blockchain-Anwendungen erfüllen ihre Versprechungen meist nicht. Entweder sei der Aufwand zu hoch und die Effizienz zu gering, oder es handele sich schlicht um keine Blockchains, die aber unter dem Modebegriff verkauft werden. Er zitiert einen Bericht, demzufolge der Blockchain-Hype bereits an seinem Ende angelangt ist, sowie eine Untersuchung der australischen Regierung, die zum Schluss kommt, dass es für jede angebliche Blockchain-Anwendung eine andere Technologie gebe, die besser geeignet sei.
Im allgemeinen Diskurs werde die Blockchain mit Versprechen überladen, die diese interessante, aber technisch sehr spezielle Technologie gar nicht leisten könne. Es ergebe jedoch Sinn, die Blockchain als eine von vielen Datenbanktechnologie für spezifische Aufgaben zu evaluieren. Ein Problem sieht er jedoch im Datenschutz. Immer dann, wenn persönliche Daten im Spiel sind, scheide die Blockchain weder ihrer Unveränderlichkeit und Transparenz eigentlich aus.
Walther Blocher, Professor für Recht an der Universität Kassel
Blocher hat in Kassel ein Blockchain-Zentrum aufgebaut. Er geht in seinem Vortrag direkt auf die Argumente von Geuther ein. Er betont, dass es ihm nicht darum gehe, etwas zu verkaufen, er aber überzeugt sei, dass die Blockchain eine bahnbrechende Technologie ist.
Um zu erklären, warum, holt er weit aus. Er erinnert an die Entwicklung der Schrift durch die Sumerer, die die Keilschrift als ein Mittel benutzt haben, um die Palastverwaltung effizienter zu gestalten. Sie wurde am Anfang vor allem benutzt, um Steuern zu verwalten und Kreditverhältnisse aufzuzeichnen. Dies sei die Grundlage für den Ausbau und die Entfaltung der arbeitsteiligen Gesellschaft gewesen. Seit dieser Zeit brauche man einen Buchhalter – eine vertrauenswürdige Person, die die Kredite aufzeichnet. Dies sei bis heute ein Problem, wie die immer wiederkehrenden Bilanzfälschungen demonstrieren. Die Blockchain könne hier Abhilfe schaffen.
Für Blocher haben die physischen Medien – Tontafeln, Papyrus, Papier – ein folgenschweres Problem: Sie können gefälscht werden oder verloren gehen. So hat etwa der Brand der Bibliothek von Alexandria einen Großteil des Wissens der alten Welt ausgelöscht. Die Digitalisierung sei hier an sich nicht sicherer. Sie schafft jedoch Monopolisten, deren Marktposition es verhindert, dass neue, bessere Geschäftsmodelle entstehen. Das erste Internet, so Blocker, sei ein Internet der Kopien gewesen, indem es keine Originale gegeben hat. Die Blockchain schafft nun ein Internet der Originale – und damit auch der Werte.
Von der Politik fordert er eine rasche Setzung eines rechtlichen Rahmens: klare Richtlinien für ICOs, die rechtliche Förderung neuer Projekte, und eine Verbesserung der Humanressourcen durch Wissen und Forschung.
Danke für die ausführliche Zusammenfassung. Eine einheitliche Nutzung des Konjunktivs würde die Lesbarkeit aber ziemlich verbessern, weil ja eigentlich alles im Text Meinung der Referenten ist, nicht des Autors.
Dieser Herr Blocher hat wohl das extrem empfehlenswerte Buch von Yuval Harari “Eine kurze Geschichte der Menschheit” gelesen. Harari hat genau diese Gedanken auch formuliert.
Gut, dass es mittlerweile nicht nur auf nationaler sondern auch auf internationaler Ebene Bestrebungen hinsichtlich der Regulierung gibt – https://blockchain-hero.com/g20-gipfel-krypto/