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Stablecoin Tether verliert Dollar-Parität

Eine verankerte (tethered) Boje. Bild von Joshua Zader via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Der wichtigste Stablecoin, der Tether-Dollar, verliert fast ein halbes Prozent gegen den Dollar. Droht damit der große Crash des Ökosystems? Oder ist es wieder nur ein Schluckauf? Der Fall zeigt einmal mehr, warum die Blockchain die Zukunft des Finanzwesens sein muss.

Ein Crash im Finanzwesen geschieht immer in zwei Zeiten.

Auf der einen Seite gibt es den unmittelbaren Crash. Er reagiert auf ein Ereignis, etwa die Klage der SEC gegen Binance und Coinbase (alternativ: der Ausbruch von Corona), und schickt meist den gesamten Markt auf Talfahrt, wobei verschiedene Kryptowährungen oder Aktien je nach Risiko mehr oder weniger tief fallen. Das ist die offensichtliche Zeitebene. Sie liegt vor aller Augen und lässt sich einfach am Preis nachverfolgen.

Darunter liegt aber noch eine zweite, weniger offensichtliche Zeitebene. Hier tröpfeln die Folgen des Crashes langsam durch das Ökosystem. Märkte verlieren Liquidität, es wird getauscht und repariert, und es werden Entscheidungen getroffen, welcher Coin fallen gelassen und welcher gerettet wird. Manchmal versickern diese Mechanismen, ohne einen spürbaren Effekt zu haben, manchmal brechen sie durch, wenn sie einen Hebel treffen, und werden dann sichtbar.

Dabei zeigt sich ein gigantischer Unterschied zwischen den klassischen Finanzmärkten und Krypto. Krypto ist um ein vielfaches transparenter.

Tether verliert die Parität

Das oberflächlichste Symptom ist immer der Preis. Er ist sowohl in klassischen Finanzmärkten als auch im Ökosystem der Kryptowährungen weithin sichtbar.

Preis von Tether nach coinmarketcap.com

Heute kam es nun dazu, dass der Kurs des wichtigsten Dollar-Stablecoins, Tether (USDT), eingeknickt ist. Das sieht im Chart bedrohlich aus, weil Tether gewöhnlich so stabil ist, doch es handelt sich nur um einen Bruchteil eines Cents. Ein Tiefpunkt lag bei 99,59 Cent je Tether, aktuell sind es wieder 99,78 Cent.

Tether verlor kurzzeitig 0,4 Prozent gegen den Dollar. Das ist nicht viel, aber es kann der Anfang des Endes sein. Sobald ein Stablecoin nicht mehr stabil ist, gibt es nichts mehr, was ihn hält. Kurzzeitig erträgt der Markt eine solche Unterbewertung. Wenn sie sich aber verfestigt, wird dies viele, schwer überschaubare Folgen haben.

Liquiditätspools

Eine zentrale Rolle spielte dabei offenbar die DeFi-Plattform Curve.fi. Curve ist eine Art dezentraler Geldmarkt für Stablecoins. Man kann hier Stablecoins wie USDC, USDT oder DAI gegeneinander tauschen.

Möglich wird der Tausch durch sogenannte Liquiditätspools. Diese enthalten, zunächst zu gleichen Teilen, die verschiedenen Stablecoins. Wenn man dann den einen gegen den anderen tauscht, sagen wir USDT gegen USDC, fließen die einen – USDT – in den Pool und die anderen – USDC – verlassen ihn. Je mehr Einheiten einer Währung in einem Pool landen, desto schwächer ist diese.

Auf Curve änderte sich die Zusammenstellung einiger Pools rasant. Etwa 2pool mit USDT und USDC: Er besteht bereits zu fast 84 Prozent aus USDT.

Ebenso der 3pool mit USDT, USDC und DAI-Dollar. Hier stieg der Anteil der USDT an der Liquidität im Lauf der vergangenen 48 Stunden sprunghaft an.

Chart von Dune Analytics

Es wird an der Stelle aber schwierig, zu sagen, ob Curve Ursache oder Symptom ist. Sind die Tether-Dollar eingeknickt, weil Trader sie auf Curve gegen USDC gewechselt haben – oder haben die Trader auf Curve gewechselt, weil der Kurs eingeknickt ist?

Chronologie eines Angriffs

Wir wissen es nicht wirklich und kratzen an der Oberfläche. Martin Köppelmann von Gnosis kommentiert sarkastisch, dass man nun immerhin einen Bankrun in Echtzeit durch transparente Blockchain-Daten beobachten kann.

Schon allein dies ist bemerkenswert: In einem klassischen Finanzsystem erfährt die breite Masse von einem Bankrun erst, wenn es zu spät ist. Auf der Blockchain kann jeder in Echtzeit mitbekommen, wann der Bankrun stattfindet. Wenn man eine Demokratisierung des Finanzwesens anstrebt, führt der Weg ohne Zweifel über eine Blockchain.

Tatsächlich kann dank der hohen Transparenz der onchain-Märkte noch viel mehr herausfinden. Der Analyst Lookonchain versucht, einen Teil der Ereignisse zu rekonstruieren:

  • Zuerst, zwischen 2 und 3 in der Nacht, hat ein Ethereum-Account 52,5 Millionen USDC benutzt, um sich auf den DeFi-Plattformen Aave und Compound insgesamt 40 Millionen USDT zu leihen.
  • Sechs Stunden später hat er diese 40 Millionen USDT auf die Börsen Coinbase und Kraken eingezahlt. Was dann geschah, bleibt im Dunkeln, weil Börsen nicht onchain operieren.
  • Klar ist aber, dass kurz danach der Preis von USDT einknickte und derselbe Account weitere vier Stunden später 25 Millionen USDC von Coinbase ausgezahlt hat.
  • Zwei weitere Wale haben etwa zur selben Zeit über Curve knapp 10 Millionen USDT verkauft
  • Ein prominenter DeFi-Wal, CZSamSun, baute kurz danach eine Short-Position für USDT auf Aave auf.
  • Doch ein anderer Wal lieh sich auf dezentralen Plattformen USDC, um mit diesen USDT zu kaufen.
  • Daraufhin begann sich die Lücke zu schließen.
  • Es gab noch eine weitere Welle, in der USDT wieder einknickte, doch die Arbitrage-Händler brachten Tether wieder näher an den Dollar.

Dies wirkt sehr, als haben Wale versucht, die Stimmung am Markt auszunutzen, um durch einige geschickte Schachzüge Tether anzugreifen und durch Short-Positionen zu profitieren. Eventuell ist die Operation bereits erfolgreich zu Ende geführt, also mit Profit, oder sie ist am Widerstand des Marktes abgeprallt.

In jedem Fall spielt sich das, was früher in den Black Boxes von Börsen und Brokern ablief und erst viel später an die Öffentlichkeit gelangte, live vor aller Augen ab. Dies kann auch den Effekt haben, dass eine breite Koalition von Marktteilnehmern früh begreift, wie wenig Munition ein Angriff hat – 40-50 Millionen Dollar sind zu wenig, um Tether auch nur anzukratzen – und dann durch Arbitrage davon profitiert, die Kurse wieder zu reparieren.

Tether selbst reagiert gelassen. Die Märkte, gab CTO Paolo Ardoino bekannt, seien wild in diesen Tagen, „was es für einen Angreifer einfach macht, die Stimmung auszunutzen. Aber bei Tether sind wir, wie immer, bereit. Lasst sie kommen. Wir sind bereit, jeden Betrag auszuzahlen.“

Sofern es nicht etwas gibt, was wir nicht wissen, dürfte sich dies bewahrheiten.

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13 Kommentare zu Stablecoin Tether verliert Dollar-Parität

  1. Hättest “um 0,22 cent” in die Überschrift dazu geschrieben, hätte ich den Artikel vermutlich nicht gelesen 😉

  2. Paul Janowitz // 15. Juni 2023 um 21:19 // Antworten

    Ich hätte noch eine andere (Verschwörungs-)These… Vielleicht hat der Whale auch Insiderinfos, wenn er 50 Mio. Tether droppt?

    Tether selbst reagiert gelassen. Die Märkte, gab CTO Paolo Ardoino bekannt, seien wild in diesen Tagen, „was es für einen Angreifer einfach macht, die Stimmung auszunutzen. Aber bei Tether sind wir, wie immer, bereit. Lasst sie kommen. Wir sind bereit, jeden Betrag auszuzahlen.“

    Klar, das hat Celsius noch einen Tag vor dem Knall auch behauptet.

    Ich will Tether damit nichts unterstellen, aber ich persönlich traue dem Laden einfach nicht. Bin kein Fan von Stablecoins, auch wenn ich verstehe, dass der Markt sie braucht. Würde dann aber schon eher USDC “vertrauen”, die einigermaßen reguliert sind und eine Drittinstanz in den Holdings haben, nämlich Blackrock – denen ich auch nicht unbedingt traue, aber sie sind reguliert und müssten sich strafbar machen und wahrscheinlich irgendein Auffangfonds übernehmen müsste, falls es hart auf hart kommt.

  3. Hallo Paul,
    ich sehe es ähnlich wie du, lieber USDC als USDT. Trotzdem darf man Tether nicht mit Celsius vergleichen. Die haben bzw. hatten zwei grundlegend verschiedene Geschäftsmodelle. Im Gegensatz zu früher sehe ich USDT mittlerweile als recht solide an. Tether hat den “Tanker” USDT bisher gut durch jeden Sturm manövriert. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass USDT zukünftig an Bedeutung verlieren wird. Das sehe ich aber eher als langfristig schleichender Prozess, und nicht weil es irgendwann einen “Knall” geben wird. Ein “kleinerer” Knall, so befürchte ich, wird demnächst wohl eher noch bei BNB kommen.

    • Paul Janowitz // 16. Juni 2023 um 15:30 // Antworten

      Klar kann man Tether nicht direkt mit Celsius vergleichen, aber Eigenaussage zur Stabilität von Wirtschaftsakteuren sollte man kritisch hinterfragen. Siehe Wirecard, die haben sogar nach ihrem Auffliegen noch behauptet, dass es alles eine Lüge ist, nur Marsalek war klug genug, seinen Kopf währenddessen aus der Schlinge zu ziehen und wahrscheinlich bei Putin Obhut zu finden.

      Ich traue Tether einfach nicht, da ich die Geschichte hinter Bitfinex noch in Erinnerung habe, als sie ihre Token nach dem Hack herausgebracht haben. Wahrscheinlich sind sie damals auch auf die Idee Tether gekommen, weil es so reibungslos funktionierte…

      Binance traue ich genausowenig. Von allen CEX würde ich sagen, dass Kraken der stabilste Anker seit Jahren ist.

  4. Wenn das Finanzwesen der Zukunft auf dezentralen Blockchains basieren soll, dann müssen Stablecoins algorithmisch sein. Ich weiss, dass seit dem Crash von Terra UST viele die Hoffnung verloren haben. Aber UST war auch ein erstes schlecht konzipiertes Experiment. Das heisst nicht, dass es nie bessere Konzepte geben kann. DJED von Coti scheint als Konzept besser zu funktionieren. Trotz des letzten SEC FUD wo ADA zu über 30% an Wert verloren hat, hat DJED die hohe Volatilität nicht schlecht überstanden. Es gibt also Grund zur Hoffnung.

    • Hmm, also ich glaube nicht mehr an algorithmische Lösungen. Schon gar nicht bei öffentlichen Chains. Jeder Algorithmus ist lediglich ein Spiel auf Zeit, so lange, bis irgendwelche “kreativen” Finanzakteure einen Weg gefunden haben, den Algorithmus doch in die Knie zu zwingen. Das Problem ist, je besser man meint den Algorithmus “abgesichert” zu haben, um so höher erscheinen die Profite wenn man ihn trotzdem “knackt”.

      • Paul Janowitz // 16. Juni 2023 um 15:47 //

        100% Zustimmung, Algorithmen mit der Außenwelt zu verbinden ist praktisch unmöglich, wenn man auf 100%-ige Sicherheit setzen will.

    • An sich ja. Algorithmisch ist klar besser als treuhänderisch. Aber ein treuhänderischer Stablecoins auf der Blockchain ist schon mal viel besser als ein treuhänderischer Stablecoin im Bankkonto, was ja der standard des aktuellen antiquierten Finanzwesens ist

      • Paul Janowitz // 16. Juni 2023 um 15:37 //

        Naja. Ich vertraue bis 100k € Fiat lieber einer EU Bank an, als z.B. Tether. Bei ersterem habe ich eine Einlagensicherung, bei zweiterem habe ich irgendwelche Statements, die sich nicht überprüfen lassen. Pfändbar sind beide, wenn der Staat gegen mich vorgehen will, also sehe ich da keinen Vorteil für einen (transparenten) dezentralen Ledger und sollte Fiat kollabieren, kollabiert der Stablecoin dazu mit (wahrscheinlich sogar stärker). Der Vorteil bei der Bank ist, dass ich bis 100k € gerichtsfest abgesichert bin, wenn die Bank kollabiert, bei Tether bin ich bis zu 0 € abgesichert.

      • Die Einlagensicherung ist auch nur eine Augenwischerei, um Panik zu verhindern.
        Was ist ein Bankrun? → Mehr Mensch heben Geld ab, als die Bank vorhanden hat, weil wir irgendwann beschlossen haben, dass es in Ordnung ist, Währungen zu fälschen.
        Was ist der Einlagensicherungsfonds? → Entweder die staatliche Zusicherung, dass im Zweifelsfalle das Geld gedruckt wird (herzlichen Glückwunsch; Du hast deine 100k €, aber der Wert entspricht eher 1000€, wenn du Glück hast (!) ) oder → die private Zusicherung, die der absolute Witz ist, weil es lediglich ein Zusammenschluss der Banken ist, die so schon nicht genug Geld hatten, aber jetzt durch Zusammenlegen ihrer Verpflichtungen “sicherer” sind(?)

        Es ist eine riesengroße Lüge, die auf genau dem gleichen Prinzip aufbaut wie unser Fiat-System: Angst/Zwang (Man wird effektiv zum Besitz eines Bankkontos gezwungen und Bargeld wird weiter zurückgedrängt, während Giralgeld und Bargeld miteinander vermischt werden; Kriminell, wenn man mich fragt) und “Katzengold” (fehlgeleitetes Vertrauen in Organisationen, die mehrfach bewiesen haben, dass sie nicht vertrauenswürdig sind).

        Kurzum:
        * Die gesetzliche Einlagensicherung ist nahezu so gut wie garnichts, da sie, wenn sie zum Einsatz kommen muss, annähernd den gleichen Effekt hat, als würde sie nicht existieren aufgrund massiver Inflation, die durch sie hervorgerufen wird

        * die private Einlagensicherung versucht Sicherheit vorzugaukeln, indem das System aufgebläht wird und Geldflüsse verschleiert werden. Wenn Bank A nicht genug Geld für alle Kunden hat und Bank B nicht genug Geld für alle Kunden hat, haben Bank A+B zusammen vielleicht genug für den jeweils anderen (haben sie real auch nicht, aber mal vereinfacht..), aber dennoch nicht genug für beide

        Auf die private Einlagensicherung besteht übrigens kein Rechtsanspruch:

        https://einlagensicherungsfonds.de/service/publikationen/

        §6 Abs 19. Ein Rechtsanspruch auf ein Eingreifen oder auf Leistungen des Einlagensicherungsfonds besteht nicht.

        Ich persönlich kann einen großen Bankrun kaum erwarten.

    • Paul Janowitz // 16. Juni 2023 um 15:46 // Antworten

      Wenn wir vom Finanzwesen der Zukunft reden, müssen wir utopisch denken.

      Nicht Stablecoins, sondern eine Kryptowährung sollte der Peg werden und nicht nur ein Spielball der Finanzhaie, dann brauchen wir auch keine Stablecoins mehr.

      Ich sage bewusst “Kryptowährung” und nicht Bitcoin, da dieser das in meinen Augen aus ideologischen Gründen nicht mehr erfüllen kann/wird. Wir waren 2011, als ich das erste Mal mit Bitcoin zu tun hatte, auf dem besten Weg dies zu erreichen, aber kurz danach kamen die Finanzhaie und haben unter anderem über Blockstream Bitcoin unterwandert, mit Erfolg. Innovationen wie Stealth Adressen oder Confidential Transactions wurden blockiert, haben es dann aber teilweise in die kommerzielle Liquid Scam “Sidechain” gemacht. Warum ich Liquid als Scam bezeichne, obwohl es kein typischer Scam ist, hat den Grund, dass die gesamte Bitcoin Community damit gescammt wurde, weil sie die Entwicklung maßgeblich unterwandert haben.

  5. Usdt ist nicht Terra. Viel dramatischer ist die Blacklist bei etoro für Matic, Solana und co

    • Blacklist bei einem CFD-Provider? Kann man da überhaupt richtiges Crypto hinschicken (und vorallem: Auch wieder auszahlen?)

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