Nostr: Eine dezentrale Twitter-Alternative

Das soziale Netzwerk Nostr nutzt Kryptographie, um ein dezentrales Twitter aufzubauen. Bei Bitcoinern ist Nostr beliebt – aber auch darüber hinaus? Ein Überblick.
Wenn man über Nostr schreibt, muss man mit Twitter beginnen, denn schließlich ist Nostr eine Alternative zu Twitter. Wozu überhaupt sollte es so etwas brauchen, da es Twitter doch schon gibt?
Twitter (oder nun angeblich “X”) gelang es, einen wesentlichen Teil der globalen Kommunikation auf sich zu zentralisieren. So gut wie alle Politiker aller Parteien aller Länder sind auf Twitter, Donald Trump war als Twitter-Präsident bekannt, genauso alle Unternehmen, Influencer, Promis, CEOs. Man kann seinen Haupt- oder Wohnsitz in ein anderes Land verlegen. Aber an Twitter kommt man nicht vorbei.
Dies macht die Plattform zu einer Art globalen Dauerpressekonferenz, auf der alles, was wichtig ist, gepostet, geteilt und diskutiert wird, und wo hochseriöse Mitteilungen mit trolligem Humor verschmelzen und wissenschaftliche Diskussionen mit Schmierenkampagnen.
Twitter ist gut – zu gut, zu wichtig, zu groß. Wenn Banken zu wichtig sind für das globale Finanzsystem, um scheitern zu dürfen, dann ist Twitter zu wichtig für die globale Kommunikation, um scheitern zu dürfen. Doch je nach Perspektive ist Twitter bereits gescheitert.
Aus der Wahrnehmung von sagen wir rechts, teils auch aus libertärer Sicht, ist Twitter spätestens mit Corona gescheitert, als es begann, die Kommunikationspolitik der westlichen Regierungen – manche behaupten, des WEF – umzusetzen. Von der anderen Seite aus, sagen wir, die links-grün-akademische Seite, ist Twitter gescheitert, als Elon Musk es übernahm und fast das komplette Moderations-Team entließ. Seitdem wird Twitter von Desinformation und Spambots überrannt, weshalb sich immer mehr Wissenschaftler zurückziehen und manche Twitter schon auf dem Weg sehen, zur Müllhalde des Internets zu werden.
So oder so – die zentrale Bedeutung von Twitter ist ein Problem. Daher kommen immer wieder Alternativen ins Spiel, etwa derzeit Mastadon, in Zukunft BlueSky und Facebooks Threads – oder eben Nostr, ein Protokoll, welches sich stark an Bitcoin und anderen dezentralen Netzwerken orientiert.
Nostr
Nostr wurde Mitte 2022 vom pseudonymen Entwickler fiatjaf aus der Bitcoin-Szene gegründet. Es handelt sich, so wie bei Bitcoin, nicht um einen Server, eine Webseite oder eine App, sondern um ein offenes Protokoll. Dieser Unterschied ist essenziell.
Wie Bitcoin basiert Nostr auf asymmetrischer Kryptographie: Es gibt private und öffentliche Schlüssel. Der private Schlüssel ist so etwas wie das Passwort eines Users, der öffentliche seine ID. Wenn jemand eine Nachricht veröffentlicht, muss er sie mit seinem privaten Schlüssel signieren, und die anderen können die Signatur durch den öffentlichen Schlüssel verifizieren. So wie eben bei Bitcoin-Transaktionen.
Und so wie im Bitcoin-Netzwerk gibt es „Clients“ und „Nodes“, wobei die Nodes hier Relays heißen. Sie verbreiten die Nachrichten im Netzwerk, und die Clients können an sie andocken, um Nachrichten zu senden oder zu empfangen. Diese Architektur erlaubt es, dass User zwischen Clients wechseln können, indem sie ihre Schlüssel exportieren und importieren. Sie sind also unabhängig von einzelnen Servern; ihr Account gehört ihnen.
Mit Browser-Apps wie Alby kann man seine Nostr-Schlüssel verwalten und in den Clients-Transaktionen signieren. So muss man seinen privaten Schlüssel nicht in jede Webseite, die man testen möchte, integrieren, und ist gleichzeitig mit einem Klick in allen Nostr-Apps angemeldet.

Die Bitcoin-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar ist auch auf Nostr. Hier in der Ansicht mit dem Client Coracle.
Ferner können User (und Clients) die Relays auswählen, je nachdem, ob deren Politik ihnen zusagt. Manche Relays konzentrieren sich auf bestimmte Themen, andere verlangen eine minimale Gebühr, um Spam zu bekämpfen, die nächsten können auch strenger moderiert sein, und so weiter. Derzeit listet nostr.watch 564 Relays, die meisten in Europa und den USA.
Als Clients gibt es verschiedene Optionen sowohl für das Web, als Desktop-Programm oder App für Android oder IOS. Diese Clients unterscheiden sich vor allem im Userinterface und Design, aber auch darin, wie weit sie die NIPs – Nostr Improvement Proposals – umsetzen, Chats, Gruppen und so weiter zulassen, welche Relays sie standardmäßig ansteuern und potenziell auch im Algorithmus, der Posts in die Timeline spült.
Diese Variabilität von Relays und Clients erlaubt Nostr es, viel rascher Innovationen umzusetzen, mit neuen Features zu experimentieren und die Auswahl zwischen verschiedenen Moderations-Politiken zu erlauben. Dies macht das Nostr-Ökosystem viel dynamischer als das von Twitter oder anderen Alternativen, und es erlaubt, auf eine kollektivere, dezentralere Weise Antworten auf die Frage nach der richtigen Moderation und Selektion von Content zu finden.

Twitter-Gründer Jack Doryes ist ausgemachter Nostr-Fan. Hier teilt er ein Post von Bitcoin-Entwickler Luke-Dashjr. Ansicht mit dem Client Iris.
Ich habe bisher gute Erfahrungen mit der Android-App Amethyst gemacht. Im Browser gefällt mir Coracle optisch klar am besten, auch wenn ich die Funktionalität etwas verwirrend finde; Satellite finde ich weniger hübsch, aber in den Funktionen überzeugender, kam am Ende aber am besten mit Iris zurecht. Auf der Webseite Nostr.com findet man eine breite Auswahl weiterer Clients.
Technisch ist Nostr eine gute Alternative zu Twitter mit einem beeindruckenden Potenzial. Aber leider ist das nicht die entscheidende Frage.
Inhalte
Entscheidend für ein soziales Medium ist nicht, wie gut es technisch aufgestellt ist, sondern wie viele User es hat und wie gut deren Content ist. In der Regel sind die Netzwerkeffekte bei sozialen Medien deswegen enorm: Man kann die Technologie reproduzieren, aber nicht die User. Es kommt darum so gut wie niemals vor, dass ein etabliertes soziales Medium durch ein anderes mit demselben Format ersetzt wird.
Nostr punktet zwar durch die dezentrale Architektur, doch praktisch gesehen ist der einzige Unterschied zu Twitter, dass man auch ohne blauen Haken längere Posts senden und nativ gute Posts per Lightning mit ein paar Sats belohnen kann, was zappen genannt wird. Reicht dies, um Twitter den Rang abzulaufen?
Für weite Teile der Bitcoin-Szene durchaus. Man findet zahlreiche bekannte Köpfe der Bitcoin-Community auf Nostr, insbesondere die, die auch auf Twitter aktiv sind. Beim Thema Bitcoin wird reichlich gepostet, geliked, geteilt und gezapt. Wer in sozialen Medien nichts anderes vorhat, als sich über Bitcoin zu informieren, sollte Nostr unbedingt eine Chance geben.
Auf nostr.directory kann man sich mit seinem Twitter-Account einloggen, um zu sehen, welche anderen Accounts auch auf Nostr sind. Das macht den Umstieg prinzipiell einfacher, hat bei mir aber, warum auch immer, bisher nicht funktioniert. Alternativ dazu kann man auf nostr.band einen Überblick über beliebte Accounts, Posts und Hashtags finden.
Dabei fällt auf, dass es außerhalb der Themen Bitcoin und Nostr relativ dünn wird. Selbst naheliegende Themen wie andere Kryptowährungen, Kryptographie oder dezentrale Netzwerke sind kaum vertreten. Ich bin auf ein paar Accounts gestoßen, die sich mit Ernährung, Fotos, Kunst und Reisen beschäftigen, ein paar Truther sowie einige News-Seiten, die ihren Content teilen. Aber seit ich ihnen folge, dominieren sie meinen Feed zu stark.
Inhaltlich, muss man leider feststellen, ist Nostr noch weit entfernt, eine wirkliche Alternative zu Twitter zu sein.
Statistiken
Diesen Eindruck bestätigen auch die Statistiken auf nostr.band. Es gibt insgesamt 334.000 User, von denen aber nur gut 100.000 den Status „trusted“ haben und die Zahl der täglichen User zwischen 7.000 und 14.000 schwankt, mit einem Schwerpunkt bei 8.000. In der Woche sind etwa 19.000 bis 25.000 User aktiv.

Tägliche Nostr-User im 6-Monats-Chart.
Diese User versenden am Tag in der Regel gut 50.000 Posts, es gab aber auch schon Wochen, in denen die Anzahl auf bis zu eine Million anstieg.
Damit wären wir bei der Statistik, die bei Nostr am wenigsten optimistisch stimmt: Das Netzwerk wächst so gut wie gar nicht mehr. Die Anzahl der täglichen Postst stagniert seit April, neue User kommen in den letzten Monaten kaum mehr hinzu.

Anzahl täglicher Posts (Notes) im 6-Monats-Chart.
Vielleicht ist die Zeit für ein dezentrales Twitter einfach noch nicht gekommen, vielleicht muss Elon Musk Twitter noch weiter demolieren, damit Nostr relevant wird, vielleicht müssen die Clients schlicht noch besser werden, um das große Potenzial des Netzwerkes wirklich auszuschöpfen.
Vielleicht aber hat Nostr einfach zu wenig praktische Vorteile, um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, Twitter den Rang abzulaufen und mehr als die engere Bitcoin-Community zu gewinnen. Was meint ihr?
Wer an Crypto-Twitter Alternativen interessiert ist, sollte sich unbedingt auch mal DeBank Stream (https://www.debank.com/stream/) als Web3 SocialFi Netzwerk anschauen. Ähnlich aufgebaut wie Twitter, hat eine sehr lebendige Community und ein sehr interessantes Reward System (User werden für Aktivität/Posts und empfangene Nachrichten bezahlt). Momentan überwiegt noch Airdrop-Content, die “Jagd” nach Badges und ähnliche Spielereien, aber das Netzwerk hat Potential, ist gefühlt sehr schnell wachsend und vor allem für User interessant, die sich mit DeFi im weitesten Sinne beschäftigen.
Ich würde sagen Nostr is mehr zum Spielen derzeit.
Solange man nicht ein breites Themenspektrum abdeckt und sich nur auf Kryptowährungen konzentriert wird man damit nicht wirklich vorankommen.
Ich hätte ja gehofft dass sich im Fediverse alle möglichen Meinungen tummeln.
Momentan jedoch habe ich alle Coin.Themen in Twitter/X und alles andre hat sich Elons unsinnigen Erscheinungen und deren unangenehmen Folgen entzogen und benutzt das Fediverse.
Ohne Überschneidungen ist der sinnvolle Diskurs und die geistige Befruchtung nich vorhanden. Gruppen die nur im eigenen Sud kochen werden weltfremd und radikal. Das is keine gute Aussicht.
Ich habe mal Amethyst ein Monat als Client probiert. Habe bekannte Publisher eingehängt, aber zu 75% inhaltlichen Müll erhalten und keinen Überblick gehabt, ob das überhaupt stimmt oder Hetze ist. Habe die App daher gelöscht, eine Neuchance kann es geben. Einen relay analog Bitcoin zu unterstützen wäre für mich auch was.