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“Viele Bitcoiner übersehen aber, dass die Teilnehmer von Klimademos dem Staat genauso wenig trauen”

Die Bitcoiners for Future wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Bitcoin eine Lösung für drängende soziale und ökologische Probleme sein kann. Im Interview erklärt ihr Gründer, welche Rolle ein disinflationäres Geld für eine nachhaltige Wirtschaft haben kann und warum Klimaschützer und Bitcoiner so schwer zusammenfinden – obwohl sie oft dieselben Ziele haben.

Stephan, 41 Jahre alt und hauptberuflich Arzt, hat die Gruppe Bitcoiners for Future gegründet. Diese besteht mittlerweile aus einundzwanzig aktiven Mitgliedern und setzt sich dafür ein, das Klima durch ein besseres Geld zu schützen. Widerstand erfährt die Gruppe dafür sowohl von Klimaschützern als auch Bitcoinern.

Hallo Stephan! Du hast Bitcoiners for Future gegründet. Was ist eure Mission?

Wir sind eine Gemeinschaft, die in Bitcoin ein sozio-ökologisches Potenzial erkennt und das Bewusstsein dafür schaffen will, zum Beispiel angesichts der aktuellen Umweltherausforderungen.

“Ein disinflationäres Geld wie Bitcoin kann Anreize setzen, Ressourcen zu schonen”

Was ist das sozio-ökologische Potenzial von Bitcoin?

Dazu gibt es mehrere Anhaltspunkte. Erstens gehen wir davon aus, dass das Beste für die Natur nicht ist, was man tut, sondern was man nicht tut. Wir brauchen dringend Anreize, den Konsum zu reduzieren. Ein disinflationäres Geld wie Bitcoin kann Anreize setzen, Ressourcen zu schonen, Geld zu sparen, langlebige Produkte herzustellen und zu recyclen. Das kann man auch in der Szene beobachten. Die meisten Bitcoiner tragen alte Klamotten und fahren alte Autos. Das „When Lambo“-Mindset findet man hier kaum.

Das entspricht ja der Lehrbuch-Ökonomie: Deflation führt zu Konsumzurückhaltung. Die meisten Ökonomen verbinden das aber eher mit kollektiver Verarmung und einem Rückschritt in eine mittelalterliche, fundamentalistische Wirtschaft.

Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit, sondern vorwärts zu einem neuen Maßstab, der abgekoppelt ist vom rein materiellen Wachstum. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stellt Quantität über Qualität. Es macht nicht Wohlstand, sondern Ressourcenverbrauch zum Maßstab. Wenn du beispielsweise ein E-Auto anstatt zwei Verbrenner kaufst, und das auch noch mit Strom aus der eigenen Photovoltaik-Anlage lädst, gewinnst du zwar Wohlstand, aber das BIP sinkt. Oder schau auf das Gesundheitssystem. Spazieren, Sport und gute Ernährung machen gesund, schaffen aber weniger BIP-Wachstum als Krankheiten, die Medikamente benötigen.

Und Bitcoin kann helfen, von dieser BIP-Obsession wegzukommen?

Bitcoin sollte dazu anregen, nachhaltiger und überlegter zu handeln – für sich und die Umwelt. Langfristig gesehen muss der durchgehend materielle Begriff des BIP durch Begriffe ersetzt werden, die Wohlstand eher treffen, wie Glück, Zufriedenheit und Gesundheit. Bitcoin könnte mit seinen Eigenschaften zu dieser Transformation beitragen.

Es sieht derzeit allerdings nicht so aus, als würde Bitcoin das Fiat-Geld in mittelbarer Zukunft ersetzen …

Ehrlich gesagt ist es schwer vorhersehbar, was passieren würde, wenn man Fiatgeld sofort abschafft. Das könnte auf eine unangenehme Weise disruptiv werden, etwa wenn man über Schulden nachdenkt. Deshalb ist erst einmal eine Koexistenz in Ordnung. Mit Bitcoin haben wir schon heute ein Vehikel, das es ermöglicht, nicht länger andere, lebenswichtige Strukturen wie Immobilien für die Wertspeicherung zu missbrauchen, oder übriges Geld am Monatsende zu verkonsumieren. Allein die Existenz eines mengenmäßig begrenztes Geld ist schon ein sozio-ökologischer Faktor – ein Wettbewerb der Währungen ist durchaus wünschenswert.

“Insgesamt ist es schwieriger, aus einem Umweltaktivisten einen Bitcoiner zu machen als einen Bitcoiner für den Klimawandel zu sensibilisieren”

Die ökonomische Wende ist aber nicht der einzige Grund, warum ihr Bitcoin als Lösung für die Klimakrise vorschlägt …

Ja. Wir sehen Bitcoin als möglichen Beschleuniger des Ausbaus erneuerbarer Energien. Wenn man Windräder still stehen sieht, sind sie in den seltensten Fällen kaputt, sondern produzieren mehr Strom, als das Netz verarbeiten kann. Deutschland gibt pro Jahr 800 Millionen Euro aus, um Versorger dafür zu bezahlen, den Strom nicht ein zu speisen. Bitcoin-Mining ist ein schnell zuschaltbarer Abnehmer, der nicht nur dabei helfen kann, die Netzfrequenz zu stabilisieren, sondern einen Anreiz für den dringend notwendigen Ausbau entsprechender Anlagen darstellen kann.

Das heisst es schon lange, aber es passiert relativ wenig …

In Deutschland ist der Anreiz, Bitcoin-Mining für den Ausbau erneuerbarer Energien einzusetzen, eher gering. Das EEG bezahlt acht Cent je Kilowattstunde, was rentabler ist, als Bitcoins zu minen. Aber in anderen Ländern geschieht es bereits, etwa in Kenia mit Mikro-Wasserkraftwerken, wo die Infrastruktur noch fehlt. Und im Kongo finanziert sich ein Nationalpark mit Bitcoin-Mining. Es gibt durchaus solche Erfolgsgeschichten, und wenn Bitcoin hilft, Afrika zu elektrifizieren, ist das auch Teil der historischen Gerechtigkeit für diesen Kontinent.

“Von 800 Teilnehmern kamen drei zum anschließenden Vortrag, und danach hat sich einer für Bitcoin interessiert. Das ist etwa die Quote.”

Dennoch ist die Bilanz eher enttäuschend. Der CO2-Ausstoß des Minings steigt auch 2023 weiterhin. Lügt sich die Szene in die eigene Tasche, wenn sie Mining als ökologisch darstellt?

Meiner Meinung nach liegt das vor allem an der staatlichen Forderung in westlichen Ländern und der falschen Politik, etwa den weiterhin viel zu hohen Subventionen fossiler Energien. Aber ich gebe zu, der Punkt ist etwas überdimensioniert, und die ökonomisch-ökologische Theorie eines disinflationären Geldes ist vermutlich langfristig wichtiger.

Verstehen die anderen ökologischen Bewegungen dies? Man sollte meinen, dass sie sich ebenfalls eine nachhaltigere Wirtschaftsordnung wünschen.

Viele reagieren erst einmal etwas verstört, wenn man das Wort Bitcoin verwendet. Sie kennen Bitcoin als klimaschädliches Geld für Kriminelle. Die erste Reaktion, etwa bei Fridays for Futures oder der Letzten Generation, ist zu mindestens 90 Prozent Ablehnung. Einmal hat jemand von uns, Oskar, vor Fridays for Futures geredet. Von 800 Teilnehmern kamen drei zum anschließenden Vortrag, und danach hat sich einer für Bitcoin interessiert. Das ist etwa die Quote. Einer von tausend, und das nach langen Gesprächen. Die Berührungsängste sind stark, scheinen sich jedoch mit dem zunehmend wahrgenommenen Versagen der Politik bei diesem Thema etwas zu lösen. Häufig ist die Unzufriedenheit mit unserem inflationären Wirtschaftssystem der erste gemeinsame Nenner.

Schafft ihr es, das Bewusstsein zu ändern?

Ökonomisch-ökologische Zusammenhänge sind bei der Klimabewegung noch wenig repräsentiert. Viele sind zwar skeptisch gegenüber dem Gedanken des ständigen Wachstums, haben aber auch keine andere Lösung, als nach dem Staat zu rufen, der Dinge verbieten oder besteuern soll. Das Potential für dezentrale Lösungen, die individuelle Anreize schaffen, findet man noch selten, was schade ist, da die Klimabewegung ja auch das Staatsversagen anprangert und sich als Graswurzelbewegung von unten her versteht. Aber insgesamt ist es schwieriger, aus einem Umweltaktivisten einen Bitcoiner zu machen als einen Bitcoiner für den Klimawandel zu sensibilisieren.

“Doch man muss zugeben, dass viele Bitcoiner den menschengemachten Klimawandel nicht anerkennen.”

Das ist die andere Seite: Auch bei Bitcoiner habt ihr keinen einfachen Stand.

Ja, manche denken, jetzt kommen die Kommunisten. Bitcoiner sind oft eher liberal-konservativ und denken dann zuerst, dass wir uns für mehr Zwänge durch den Staat einsetzen, weil sie dies von anderen Umweltorganisationen so kennen. Aber viele verstehen relativ schnell, dass es uns zwar um dieselben Ziele geht wie etwa bei Fridays for Futures, aber wir andere Lösungsansätze haben. Wir möchten, dass nicht primär der Staat über Gesetze und Steuern als Verhaltenslehrer auftritt, sondern die Menschen aus eigenen Anreizen heraus Beiträge zum Klimaschutz leisten.

Gibt es in der Szene viele sogenannte „Klimaleugner“? Du hast neulich auf Twitter eine etwas verstörende Umfrage gepostet.

Nun … wir haben gefragt, wie man das Bitcoin-Netzwerk CO2-negativ machen kann. Unter den Antwortoptionen haben 54 Prozent gesagt, „lasst es, wie es ist“ und 28 Prozent „es gibt kein CO2-Problem.“ Und wir haben ja vermutlich eher “grüne” Bitcoiner als Follower. Bei der Umfrage eines anderen Bitcoiners meinten sogar 70 Prozent, es gäbe kein CO2-Problem. Dazu sollte gesagt werden, dass “lass es, wie es ist”, auch beinhaltet, dass Bitcoin aufgrund der sinkenden Mining-Rewards im Laufe der Zeit wohl nur noch aus überschüssiger – und dadurch vermutlich grüner – Energie gespeist werden wird. Dies ist also nicht allein Ignoranz dieser Bitcoiner, sondern ein Vertrauen in den Code. Doch man muss zugeben, dass viele Bitcoiner den menschengemachten Klimawandel nicht anerkennen.

Hast du eine Idee, weshalb?

Ich lese da ein unglaubliches Misstrauen gegenüber Wissenschaft und staatsnahen wissenschaftlichen Institutionen heraus. Das entspricht wohl einer misstrauischen Haltung in der Szene und wurde in vielen Fällen durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. Die Klimadaten werden jedoch seit Jahrzehnten erhoben und ergeben auf vielen Ebenen ein eindeutiges Bild. Sowohl die Physik als auch unsere Erfahrung der letzten Jahre sind im Einklang. Auch die Vermengung vieler Themen ist erkennbar, zum Beispiel wird die Anerkennung der Klimawandels oft schon mit vermehrter staatlicher Kontrolle diesbezüglich gleichgestellt. Viele Bitcoiner übersehen aber, dass die Teilnehmer von Klimademos dem Staat genauso wenig trauen, sondern sagen, die Regierungen haben seit Jahrzehnten nichts oder zu wenig gegen den Klimawandel getan. Nur leider haben viele Umweltaktivisten keine andere Antwort, als nur wieder und wieder nach dem Staat zu rufen. Das erinnert mich an die Definition von Wahnsinn nach Albert Einstein, immer dasselbe zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Und du meinst, ein dezentraler Ansatz könnte diesen Knoten durchschlagen?

Genau. Nur leider fehlt es bei den Klimademonstranten noch an Bewusstsein für Bitcoin, und unter Bitcoinern noch an etwas mehr Bewusstsein für die Klimakrise. Beides passt im Kern so gut zusammen. Und das ist das, wofür wir uns einsetzen.

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6 Kommentare zu “Viele Bitcoiner übersehen aber, dass die Teilnehmer von Klimademos dem Staat genauso wenig trauen”

  1. Sehr gute Artikel mit durchaus kritischen Fragen.
    Sieht man ja auch an deinen Umfragen hier, dass die Community in der Klimafrage gespalten ist.

  2. Hm, spontan Lust gehabt mehr zu erfahren.

    Leider muss man sich bei Twitter mittlerweile einloggen, um mehr zu erfahren (oder X mag Tor einfach nicht). Gibt es neben Twitter noch andere Möglichkeiten in Kontakt zu kommen?

    Klingt ja ein bisschen so, als gibt es sogar Veranstaltungen …

    • Hallo Andres, wir sind auch auf nostr (public key: npub10qscr7hccghp36cswp926rn4p90yd307v6f9k2j0d9kjfuld2tpq0q3uyu) und Bluesky (@btcersforfuture.bsky.social) unterwegs. Außerdem tauschen wir uns in einer Telegram-Gruppe aus. Schreib uns gerne auf Twitter/X (@BTCersforfuture), nostr oder Bluesky an (falls DM nicht geht, einfach taggen). LG Stephan

  3. Hallo Andres, wir sind auch auf anderen Plattformen aktiv, z. B. nostr (unser public key: npub10qscr7hccghp36cswp926rn4p90yd307v6f9k2j0d9kjfuld2tpq0q3uyu) und auf Bluesky (@btcersforfuture.bsky.social). Außerdem tauschen wir uns in einer Telegram-Gruppe aus. Du kannst uns gern auf Twitter/X (@BTCersforfuture), nostr oder Bluesky anschreiben bzw. verlinken (falls DM nicht geht)! 🙂 LG Stephan

  4. Gibt es eine Aufzeichnung des hier angekündigten und im Artikel erwähnten Redebeitrag? https://m.youtube.com/watch?v=eb6zuxLoqMA

  5. Ich würde ja sagen kommt auch ins Fediverse, Nostr ist für die Bitcoin Hardliner und Bsky fürs verlinken im Netz und gefunden werden als Invite Only und ohne Anonyme lesemöglichkeit auch nich der Weisheit letzter Schluss.

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