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„Blockchains stellen so manches Geschäftsmodell traditioneller Banken in Frage.“

Die Deutsche Bank beschäftigt sich bereits intensiv mit der Blockchain-Technologie. In einem Interview erzählt ein Analyst der Deutschen Bank, Thomas F. Dapp, was er von der Blockchain und dem Bitcoin hält – und warum sich Banken dieser Technologie öffnen sollten.

Thomas F. Dapp ist Analyst bei Deutsche Bank Research und beschäftigt sich mit der digitalen Ökonomie. Seiner Ansicht nach befinden sich Banken derzeit im digitalen Strukturwandel und durchleben dieselben Veränderungsprozesse wie die Musikindustrie oder die Verlagsbranche: Langjährig erfolgreiche Geschäftsmodelle werden durch den digitalen Raum in Frage gestellt. Banken, meint Dapp, müssen sich die neuen Internettechnologien unvoreingenommen anschauen und sich auf sie einlassen. In einem vielbeachteten Paper zu Fintech und Blockchain schlägt er genau dies vor.

Als Analyst arbeitet Dapp unabhängig vom operativen Geschäft der Deutschen Bank. Er kann daher im Interview nichts zu den Plänen der Deutschen Bank in Bezug auf die Blockchain sagen. Allerdings hat er eine Meinung dazu, welche Wirkung die Blockchain im Innenraum des Bankwesens erzeugt.

Warum tun sich Banken so schwer mit Bitcoin?

Ich denke, Bitcoin oder generell Kryptowährungen sind nicht das Problem oder die derzeitigen Herausforderungen traditioneller Banken. Viel spannender und interessanter ist doch die dahinterliegende dezentrale Datenbank-Technologie. Mit der Blockchain-Technologie eröffnet sich ein Experimentierraum für schlankere und vor allem schnellere Prozesse auch außerhalb von Währungen.

Sie schreiben, die Blockchain sei die erste große Innovation des FinTech-Bereichs. Ist diese neue Branche ansonsten innovationslos?

Wenn man sich die derzeitigen Fintech-Startups anschaut, die aus dem Boden sprießen, sind die wenigsten Geschäftsmodelle wirklich neu oder disruptiv. Sie bieten prinzipiell ähnliches an wie Banken, nur eben komplett durchdigitalisiert und somit effizienter und kostengünstiger. Sicherlich sprechen sie durch ihre Nutzerfreundlichkeit auch die Sprache des Internets. Das ist natürlich auch Innovation, aber vor allem sind die neuen Finanzdienste digital und somit angepasst an das digitale Zeitalter.

Und die Blockchain ist hingegen ein neues Produkt?

Zumindest bietet die reine Blockchain als Peer-to-Peer-Mechanismus eine Technologie, bei der sich die Peers ohne Intermediär organisieren können. Das ist eine Technologie, die das Geschäftsmodell traditioneller Banken in manchen Bereichen durchaus hinterfragt. Wenn ich mir dann noch die erweiterte Verwendung von Blockchain hinsichtlich der Diskussionen um „Smart Contracts“ betrachte, also standardisierte und vollautomatisierte Verträge, dann sehe ich sehr viel Potenzial und Raum für Experimente.

„Ich denke, dass sich mit dem experimentellen Umgang dieser Technologien mehr Chancen als Nachteile für Banken bieten.“

Sollten Banken befürchten, dass die Blockchain sie in manchen Bereichen überflüssig macht?

Die Blockchain ist ein dezentrales Buchungssystem. Es ist ein reiner Peer-to-Peer-Mechanismus und braucht keine Intermediäre. Unter der Voraussetzung der Akzeptanz und des Vertrauensaspektes durch die Massenmärkte könnte der Einsatz der dezentralen Blockchain sicherlich Teile des Zahlungsverkehrs ohne die Teilnahme traditioneller Banken übernehmen. Wenn wir uns die Vorteile dieser dezentral organisierten Technologie anschauen, etwa die Transaktionszeit, die mit der Blockchain wenige Minuten und bei traditionellen Banken teilweise Stunden oder Tage dauert, ist dies schon ein klarer Wettbewerbsvorteil. Ich denke aber auch, dass sich mit dem experimentellen Umgang dieser Technologien mehr Chancen als Nachteile für Banken bieten

Sie sagen, die Blockchain sei ein Paradigmenwechsel für das bestehende Finanzsystem. Das Wort kommt ja von Thomas Kuhn, der es z. B. auf die kopernikanische Wende anwendet. Geht es wirklich so weit?

In der reinen Theorie stellen Blockchains das Geschäftsmodell traditioneller Banken in einigen Bereichen in Frage. Daher ist diese Technologie schon mit einem Umdenken bestehender Prozesse und einem neuen Verständnis von Transaktionsabwicklung verbunden. Denken Sie an die Musikindustrie: Zwei Studierende aus den USA haben Napster (kollaboratives Filesharing-Programm) programmiert und damit das Geschäftsmodell der Musikindustrie überspitzt gesagt über Nacht in Frage gestellt. Die Blockchain ist ein Mechanismus, der Intermediäre obsolet macht. Wenn wir beide die Kryptowährung Bitcoin nutzen und uns gegenseitig Geld überweisen, benötigen wir dazu keine Bank. Das war noch vor einer Dekade in dieser Art nicht möglich. Und wie sagen es die beiden Autoren Eric Brynjolfsson und Andrew McAfee in ihrem Buch „The Second Machine Age“ so schön: Wir befinden uns auf der zweiten Hälfte des Schachbretts.

„Jetzt ist die Zeit mit diesen modernen Technologien zu experimentieren.“

Wie ist die Reaktion der Banken? Furcht oder Hoffnung?

Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber. Die Banken haben die Digitalisierung sicherlich auf dem Radar. Der digitale Strukturwandel geniesst eine hohe Priorität, da realisiert wurde, dass insbesondere die technologiegetriebenen Non-Banks in diesem Bereich oft besser aufgestellt sind und sich vor allem agiler im Markt bewegen, um Innovationen auf die Strasse zu bringen. Gleichzeitig haben Banken komparative Vorteile im Umgang mit der Regulierung, mit sensiblen Daten und sie besitzen neben einem gewachsenen Branding eine hohe, teils internationale Reichweite. Diese Mischung an diversen Erfahrungen schreit nach Kollaboration, um die vorhandenen Kompetenzen zu bündeln. Innovation entsteht nicht mehr nur in geschlossenen Räumen, sondern findet gerade an den (Programmier-)Schnittstellen von unterschiedlichen Wertschöpfungsnetzen diverser Akteure statt

Aber wie können Banken mit etwas kooperieren, das sie prinzipiell überflüssig macht?

Ich denke, dass es vor allem um den effizienzsteigernden Charakter dieser Technolgie geht. Jetzt ist die Zeit, mit diesen modernen Technologien zu experimentieren. Bei Banken geht es ja im digitalen Zeitalter darum, bei Transaktionen schneller zu werden und bestehende Kostenstrukturen dauerhaft zu reduzieren Es muss jetzt in den gegründeten Laboratorien experimentiert werden, um unvoreingenommen über Trail &Error-Prozesse herauszufinden, wie interne Prozesse verschlankt werden können bei gleichzeitiger Maximierung des Kundennutzens.

Aber die Musikindustrie hat es auch nicht richtig geschafft, die Distribution von Musik wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Droht den Banken dasselbe?

Es sind neue Player hinzugekommen und alte, langjährig etablierte aus dem Markt verschwunden. Das ist Konsolidierung und ein natürlicher Prozess des Strukturwandels, der in allen Branchen greifen wird. Gerade die Musikindustrie zeigt doch, dass der digitale Strukturwandel sicherlich einen Anfang, dafür aber kein Ende hat. Als erster großer Wettbewerber kam Apple mit seiner iStore-Lösung und hat die Musikindustrie grundlegend umgekrempelt und unter Druck gesetzt. Apple zählt mittlerweile im Übrigen weltweit über 800 Millionen Kunden und kann diese Dienste auch mit eigenen Zahlungsverkehrslösungen auf der eigenen Plattform kombinieren. Eine lukrative Monetarisierungsstrategie. Wenige Jahre später kamen Streaming-Dienste, wie Netflix oder Spotify, die wiederum Apple herausgefordert haben. Offensichtlich greift das Konzept, dass der Zugang zu digitalen Gütern durch den Konsumenten als wichtiger eingestuft wird, als deren Besitz. Der technolgische Fortschritt ist ein evolutorischer Prozess. Es wird niemals der Moment des Stillstands eintreten.

Wenn wir beim Beispiel Apple sind – bei der Kooperation zwischen der Musikindustrie und Apple hat sich ja vor allem ein weiterer Intermediär dazwischengeschaltet. Kann dasselbe auch bei den Banken passieren?

Stimmt, aber Apple bietet als neuer Intermediär ein breiteres Angebot an als der reine Musikverlag und bedient die Konsumenten auf der eigenen Plattform mit vielen Produkten und Diensten des täglichen Lebens auch außerhalb des Musikkonsums. Dieses Geschäftsmodell scheint aufzugehen. Für traditionelle Banken könnte diese Strategie auch funktionieren. Sie bieten künftig eine digitale Plattform an, kollaborieren via Programmierschnittstelle mit externen Anbietern/Technologien aus dem Finanzbereich (Fintechs oder digitale Internetplattformen) und bieten den Kunden auch Produkte und Dienste außerhalb der eigenen vier Wände an. Sollten traditionelle Banken diesen Schritt wagen, werden es viele Fintech-Start-Ups schwer haben, weil sie in der Regel nur ein einzelnes Produkt oder einen einzelnen Dienst anbieten. Zudem fehlen ihnen das Branding, das Vertrauen und teilweise auch die (internationale) Reichweite.

„Wir werden Technologien im Einsatz sehen, an die heute noch niemand denkt.“

Welche Strategien kommen für Banken in Frage?

Wichtig ist vor allem eine allumfassende Digitalisierungsstrategie, die sämtliche internen und externen Infrastrukturen und Kanäle berücksichtigt.

Viele (digitale) Innovationen traditioneller Banken sind vor allem am Kunden-Frontend erlebbar und werden gerne angenommen. Das greift aber zu kurz. Oft finden fragmentierte Insellösungen lediglich isoliert nach Geschäftsbereichen statt. Innovationsprozesse werden nach wie vor mit überholtem Silodenken mühsam vorangetrieben. Wenn jeder Geschäftsbereich für sich versucht, die Digitalisierung zu meistern, geht das schief. Alle Geschäftsbereiche müssen an einem Strang ziehen, die Infrastruktur muss kompatibel sein, auch zwischen den Banken.

Zudem sind strategische Allianzen mit den technologiegetriebenen Wettbewerbern von Vorteil. Nehmen wir noch mal Apple mit ApplePay: Die Firma kooperiert mit Kreditkartenunternehmen. Das hat für Apple den Vorteil, dass es keine eigene Banklizenz benötigt und die Reichweite von Kreditkarten erhält. Apple bietet die Technologie, die Kreditkartenunternehmen die Lizenz, die Akzeptanz und die Reichweite.

Können Sie konkret beschreiben, wie Banken die Blockchain einsetzen können?

Prinzipiell geht es doch, wie oben erwähnt um die Vorteile, die diese Technologie bietet. So wäre es durchaus denkbar, dass Banken beispielsweise untereinander ein neues digitales Buchungs- und Abwicklungssystem aufbauen, um ihren Kunden bei deren Transaktionen die Vorteile der Blockchain, wie Schnelligkeit, Effizienz, Internationalität und Kosteneinsparungen anbieten zu können. Es ist auch denkbar, dass außerhalb des Clearings standardisierte und vollautomatisierte Verträge eingesetzt werden können, so wie es bei Smart Contracts diskutiert wird. Wir werden aber auch Technologien im Einsatz sehen, an die heute noch niemand denkt.

Wissen Sie etwas über die Kooperation von 22 Banken mit R3?

Nein, ich weiß nicht mehr, als in den Medien zu lesen ist, aber es geht genau in die Richtung strategischer Allianzen: Banken organisieren sich untereinander und kollaborieren mit Fitnech-Start-Ups, um mit den Technologien gemeinsam zu experimentieren. Interessant ist dabei die Vertrauensfrage: Wenn 22 Banken miteinander kooperieren, ist Vertrauen vielleicht nicht das größte Problem. Das könnte ein Vorteil sein, weil man auf den energieintensiven Proof-of-Work von Blockchains verzichten könnte.

„Ich glaube, dass wir bei den modernen und diversen Internet-Technologien noch ganz am Anfang stehen.“

Damit würde aber auch der peer-2-peer-Faktor verschwinden. Sie schreiben, Banken sollten auf diesen verzichten. Warum?

In der reinen Theorie der Blockchain sind ja Intermediäre überflüssig. Traditionelle Banken wollen aber die Vorteile dieser Technologie für sich nutzen. Natürlich spielt auch die politische Komponente eine wesentliche Rolle. Denn ein offenes P2P-Finanzsystem, wie es die reine Blockchain-Theorie vorsieht, wird auch Regulatoren und Gesetzgeber vor neue Herausforderungen stellen. Hier wird es also künftig viel Diskussionsbedarf geben und sicherlich die einen oder anderen massiven Gegenstimmen.

Das hört sich so an, als stehe die Entwicklung noch ganz am Anfang. Ab wann meinen Sie wird Blockchain-Technologie flächendeckend zum Einsatz kommen?

Ja, in der Tat glaube ich, dass wir bei den modernen und diversen Internet-Technologien noch ganz am Anfang stehen. Das bedeutet aber, dass wir sehr viel Gestaltungsraum haben und bestimmen können, in welche technologische Richtung wir gehen möchten. (Stichwort: künstliche Intelligenz, selbstlernende Algorithmen.) Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass einige etablierte Branchen die Digitalsierung und die dahinter treibenden ökonomischen Kräfte nach wie vor unterschätzen. Diejenigen Anbieter, die durch den Einsatz von modernen Technologien das Vertrauen der Konsumenten dauerhaft gewinnen können, sehen lukrativen Zeiten entgegen. Ob sich die Blockchain in der reinen Theorie als eine dieser modernen Internettechnologien in den Massenmärkten in den nächsten Jahren durchsetzen wird, bezweifle ich aber aufgrund der unterschiedlichen Interessen und nicht zuletzt aufgrund der Rolle des Regulators.

Herr Dapp, vielen Dank für das Gespräch.

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