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Selbstverteidigung im Zeitalter der Massenüberwachung

Buchbesprechung

"Data und Golliath" von Bruce Schneier im Redline Verlag

Diabetes? Rücken? Paradontitis? Von wegen. Die wahre Volkskrankheit der Bürger moderner, digitaler Gesellschaften ist eine chronische Überwachung, die immun gegen demokratische Kontrollmechanismen zu sein scheint. Das Buch “Data und Golliath” von Bruce Schneier zeigt, wie engmaschig das Netz der Überwachung geworden ist – aber wie sich der Bürger dennoch wehren kann.

Sehnen Sie sich auch danach, mal wieder nachts nicht schlafen zu können, weil Sie von paranoiden Gedanken heimgesucht werden? Sich im Bett wälzen, geplagt von Angstphantasien, und am Morgen mit einer auf die Stirn gemeiselten Sorgenfalte aufwachen? Ja? Dann sollten Sie “Data and Golliath” von Bruce Schneier lesen. Ein Buch wie ein Alptraum, der leider wahr ist: Das System ist überall, es überwacht jeden.

Schneier ist ein weltweit bekannter Experte für Computersicherheit und Kryptographie. Die meisten seiner bisherigen Bücher richten sich an ein Fachpublikum, dem er etwa die Funktionsweise kryptogaphischer Algotithmen erklärt. Mit “Data und Golliah” wendet er sich nun an alle. Das Buch zeigt, wie die Regierungen und die Industrie eine Massenüberwachung eingerichtet haben, die so gut wie jede Lebensregung von so gut wie jedem Menschen aufzeichnet, speichert und auswertet. Sei es für den Profit, sei es für die “Vorratsdatenspeicher” der Geheimdienste.

Massenüberwachung ist allgegenwärtig

Egal was der moderne Mensch macht: ob er Texte schreibt, spazieren geht, Auto fährt, Fotos macht, telefoniert, surft – er erzeugt Daten, die von Unternehmen oder Geheimdiensten gespeichert werden. Scheier zeigt detailbesessen auf, wie weit die Massenüberwachung geht. Dieshttps://www.m-vg.de/redline/shop/article/3745-data-und-goliath-die-schlacht-um-die-kontrolle-unserer-welt/ geschieht nicht zwingend aus Absicht, sondern aus systemischen Gründen: Für Firmen, so eine der überraschenden Erkenntnisse des Buches, ist es mittlerweile schlichtweg günstiger, alle Daten in einem großen Haufen zu speichern und durch Algorithmen zu durchsuchen, anstatt gezielt und selektiv nur jene Daten zu speichern, die sie auch benötigen.

Dank des technologischen Fortschritts ist Massenüberwachung im 21. Jahrhundert so günstig wie nie. Während die Observation einer Einzelperson in den dunklen alten analogen Zeiten hohe Personalkosten verursacht hat, macht Big Data die Überwachtheid aller zur Infrastruktur des digitalen Zeitalters. Staaten und Unternehmen sammeln so viele Daten, dass jeder per Knopfdruck beobachtbar ist. Massenüberwachung ist bereits eine Tatsache, die Daten existieren.

Überwachung lässt Gesellschaft erstarren

Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass von jedem Bürger ausreichend Informationen gespeichert sind, um einen Rechtsbruch zu finden. Damit, meint Schneider, bedroht die Massenüberwachung Freiheit und Demokratie. Sie kann die Beziehung zwischen Bürger und Staat auf eine gefährliche Weise verändern, indem sie Bürger durch Abschreckung dazu bringt, Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht wahrzunehmen. Darüber hinaus bedroht das allgegenwärtige Wissen einer allgegenwärtigen Überwachung die Wandlungsfähigkeit der ganzen Gesellschaft: Überwachung nimmt Menschen die Freiheit, gegen Konventionen zu verstoßen. Wenn eine Gesellschaft alte Verbote fallen lässt – gleichgeschlechtliche Verbindungen, Frauenwahlrecht, wilde Ehe – dann in der Regel nur, weil sich zuvor Individuen erdreistet haben, diese Konventionen im Alltag zu ignorieren. “Wir brauchen unvollkommene Sicherheitssysteme, die Menschen die Freiheit geben, Neues zu versuchen.” Vollkommene Systeme der Massenüberwachung dagegen lassen eine Gesellschaft in Furcht vor den Regeln erstarren.

Ist es wirklich so schlimm? Ja. Gibt es einen Ausweg? Wenn überhaupt, meint Schneier, dann nur durch ein Umdenken in der Gesetzgebung, der Regulierung und beim Bürger. Schneier schlägt strengere Datenschutzrichtlinien, mehr Transparenz in den Geheimdiensten und eine gründlichere Regulierung der datensammelnden Industrien vor. Am wichtigsten ist aber der persönliche Widerstand des Einzelnen gegen die Massenüberwachung.

Widerstand und Sabotage

Niemand kann sich, so Schneier, der gezielten Überwachung entziehen. Wenn einen der Staat auf dem Kieker hat, dann kommt er an die Daten, dann stellt er Polizisten vor deine Türe. Was jedoch verhindert werden kann, ist die Wirksamkeit der Massenüberwachung. Der Bürger muss die stille, unsichtbare elektronische Überwachung als einen ebenso schweren Eingriff in seine Privatsphäre ansehen, als würde ihn jemand im Wohnzimmer filmen. Er sollte die Mittel und Wege, die es gibt, um Überwachung zu unterlaufen, nutzen. Schneier empfiehlt: duckduckgo anstatt google, kein Facebook, keine Cloud (wenn dann nur verschlüsselt), kein Handy beim Spazierengehen, Bargeld statt Plastik, Videokameras umgehen, mit Tor browsen, Cookies löschen, die Kamera am Laptop abkleben. Solche passiven Maßnahmen machen Massenüberwachung schwer. Schneier geht aber noch weiter.  Er fordert zur Sabotage der Überwachung auf: Falsche Namen und Telefonnummern in Umfragen und Webformularen, sinnlose Suchanfraen bei google, Kunden- und Kreditkarten mit Freunden und Verwandten tauschen und mehr.

Gerade jetzt, nach den Anschlägen in Paris, ist mit einer Verschärfung der Überwachung in Europa zu rechnen. Wenn von den Regierungen kein Schutz vor Massenüberwachung zu erwarten ist, dann müssen sich die Bürger selbst zur Wehr setzen. Mit Schneiers Buch macht man damit einen Anfang. Man erfährt, wie die Überwachung funktioniert und wie man sie unterläuft. Wenn nur genügend Menschen mitmachen, erschweren Schneiers Tipps den Überwachern ihre Arbeit. Dies ist kein Sieg von Dauer, keine Heilung der Volkskrankheit Überwachung – aber es ist ein Teilsieg in einem stillen Kampf, an dem kein Weg vorbeiführt.

zu kaufen ist das Buch beim Redline-Verlag für 24,99 (gebundene Ausgabe).

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5 Kommentare zu Selbstverteidigung im Zeitalter der Massenüberwachung

  1. Wie krank muss man sein, um so ein Buch zu schreiben ?

  2. Duckduckgo ist da wohl auch nicht die beste Wahl – als US-Unternehmen unterliegt die Suchmaschine immerhin dem Patriot Act. Dann schon lieber StartPage.com und Ixquick. Und Webseiten über deren Proxy besuchen – eine bessere Tarnung kann man sich derzeit nicht wünschen.

  3. Sehr interessanter Artikel, gerne mehr davon 🙂

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