UNCHAIN: Eine Bitcoin-Konferenz, die gleichzeitig wenig und viel mit Bitcoin zu tun hat

Am Wochenende fand in Hamburg die UNCHAIN-Konferenz statt. Die Veranstaltung zeigte recht deutlich, wie weit sich Bitcoin, die Idee, von Bitcoin, der Währung entfernt hat. Das Themenspektrum gab die Vielfalt des Ökosystems wieder, in dem Altcoins, Blockchain und ICOs immer mehr Raum einnehmen. Wer wissen wollte, wo Bitcoin und “Krypto” Mitte 2018 steht, war hier genau richtig.
Die Hamburger Speicherstadt dürfte einer der schönsten Stadtteile in Deutschland sein. Die Gebäude, die hier auf den Elbinseln zwischen Hafen und Innenstadt stehen, haben alle diese typisch norddeutsche rote Backsteinfassade. In einem von ihnen, dem Threater Kehrwieder, stellt sich die UNCHAIN dem nicht-trivialen Problem, im Jahr 2018 eine Bitcoin-Konferenz zu veranstalten.
Man könnte das Problem als Last des Erfolges beschreiben. Bitcoin wurde ein größerer Erfolg, als es sich die meisten erträumt haben. Die Kryptowährung wurde weitweit bekannt und zum global akzeptierten Zahlungsmittel, das von Buenos Aires über Berlin bis Tokio in mehr als 100 Ländern partiell gilt. Die große Vision einer Währungsunion, die so weit reicht wie das Internet, und deren Geld von keinem Staat der Welt kontrolliert oder manipuliert werden kann, ist mittlerweile zum Greifen nah.
Bitcoin ist so erfolgreich, dass hunderte weitere Kryptowährungen entstanden sind, und die unterliegende Technologie, die Blockchain, gilt als eine solche Errungenschaft, dass immer mehr Unternehmen versuchen, sie für mehr als “nur” Geld zu verwenden. Die Folge davon ist, dass das Ökosystem unübersichtlich wurde. Die Veranstalter einer Konferenz stellt dies vor eine große Herausforderung: Einerseits müssen sie sich breit genug aufstellen, um die gesamte Szene zu repräsentieren, während sie es andererseits vermeiden müssen, ins Triviale abzurutschen oder zur Werbeveranstaltung für Altcoins und ICOs zu verkommen. Die UNCHAIN, die von langjährigen Hamburger Bitcoinern veranstaltet wurde, hat diese Schwierigkeit bemerkenswert gut gemeistert.
Verschiedene Visionen zu Bitcoin, dem digitalen Geld
Gleich der Auftakt zeigt, wie verworren die Situation ist. Am Vormittag des ersten Tages ging es ums Geld. Also um Kryptowährungen und die monetäre Revolution, die von ihnen ausgeht, um das Kernthema, das alle, die mit Idealismus hinter Bitcoin stehen, verbindet. So gut wie jeder im Saal dürfte zustimmen, wenn Jeff Gallas, der mit seinem Startup Fulmo Lightning-Hackdays veranstaltet, sagt: “Wir alle lieben Bitcoin”. Jenseits dieses Bekenntnisses gehen die Visionen aber weit auseinander.
Jeff möchte Bitcoin, als einzige digitale Währung, mit dem Lightning Netzwerk für die ganze Welt skalieren, ohne an den Grundfesten der Dezentralität zu rütteln. Diego Gutiérrez Zaldívar aus Argentinien spricht dagegen von einem “Internet der Wert”, in denen verschiedene Kryptowährungen auf verschiedenen Schichten skalieren, zu denen auch die Sidechain RSK seines Startups Rootstock gehört. Sterlin Luxan von Bitcoin.com dagegen nennt Bitcoin euphorisch einen neuen Gott, womit er ein Symbol für Freiheit und Staatenlosigkeit meint. Bitcoin (BTC) selbst jedoch wurde zu etwas anderem, so Luxan, weswegen er für Bitcoin Cash (BCH) wirbt. Und Eric Benz von CryptoPay möchte lediglich ein Produkt, das fürs Payment funktioniert, ob das nun Bitcoin, Bitcoin Cash oder ein Token auf Ethereum ist, ist ihm egal.
Einigkeit sieht offenbar anders aus. Und das war noch der Teil der Veranstaltung, bei dem es um dasselbe Thema ging.
ICOs und Token: Das zweite große Thema
Nach den Auftakt-Präsentationen zerstreut sich die Konferenz in die verschiedenen Themen, die die Szene bewegt. Von nicht-monetären Blockchain-Anwendungen über ICOS zum reinen Investment und zum libertären Projekt, neue, freie Städte zu gründen.
Eine große Rolle spielen Token, vor allem auf Basis von Ethereums ERC20-Standard: Beim Startup Colu, das mit ihnen lokale Währungen für den Konsum schafft, und dank einer ICO nicht davon abhängig ist, Gebühren zu nehmen. Oder bei Propy, das Immobilien als Token wiedergibt, um etwa Grundbucheinträge so einfach und sicher zu machen wie eine Bitcoin-Transaktion. Bei einem ICO-Pitch stellen mehrere Startups ihr Projekt vor. Die meisten waren eher langweilig, im Gedächtnis blieb vor allem der Beercoin, ein Token, das dank Beerchain-Technologie immer dann entsteht, wenn jemand eine Flasche Bier kippt.
In einem der spannendsten Vorträge zum Thema erklärt ein ICO-Sicherheitsberater aus Las Vegas, welche Fragen sich ein Startup stellen sollte, bevor es eine ICO anwirft. Man darf davon ausgehen, dass dieser Rat nur selten gründlich befolgt wird, da es ansonsten deutlich weniger ICOs geben würde.
Ein buntes Programm
Schwierig wird es, wenn wir die Themen jenseits von Bitcoin und ICOs zusammenfassen. Der Kryptograph David Schwartz hat Ripple vorgestellt, und Meinhard Benn von SatoshiPay erzählt, wie und weshalb sein Nanopayment-Startup Bitcoin durch den Ripple-Klon Stellar ersetzt hat. Unter den Präsentationen zu nicht-monetären Blockchain-Technologien war vielleicht die zu EnerChain vom Hamburger Unternehmen Ponton am spannendsten, durch die Energieerzeuger einen besseren Strommarkt bilden sollen. Mit Tim Rehder von Early Birds und Moritz Schildt von CoinIX haben professinelle Investoren erklärt, wie und nach welchen Maßstäben sie Geld in Startups oder Kryptowährungen stecken.
Neben den Vorträgen gab es auch zwei interessante Panel-Diskussionen. Bei dem einen haben Frauen aus der Blockchain-Wirtschaft darüber diskutiert haben, wie es ist, eine Frau in einer männlich dominierten Branche zu sein. Leider litt die Diskussion etwas daran, dass die Teilnehmerinnen, die meist im Marketing oder als CEO arbeiten, es berufsbedingt vermieden haben, kontroverse Statements zu einem Thema abzugeben, das grundsätzlich reich an Kontroversen ist. Etwas lockerer war das Südamerika-Panel, bei denen mehrere Bitcoin-Unternehmer aus Lateinamerika darüber geredet haben, wie es um Bitcoin bzw. Kryptowährungen auf dem Subkontinent steht.
Die eine oder andere Präsentation mag wie ein Lückenfüller gewirkt haben – etwa die Kalenderspruch-Orgie zu “Ethik und Blockchain” – doch insgesamt war die Qualität der Vorträge hoch. Vor allem aber war die Auswahl der Themen breit genug, um das zu repräsentieren, was in der Szene vorgeht, ohne dabei in eine Werbeveranstaltung zu verfallen oder all zu oberflächlich zu wirken. Zusammen mit dem angenehmen Ambiente im Theater Kehrwieder und dem Rahmenprogramm hat dies die UNCHAIN zu einer Veranstaltung gemacht, die ebenso interessant wie vergnüglich war.
Ist Bitcoin, die Währung, noch dasselbe wie Bitcoin, die Idee?
Eine erschütternde Erkenntnis der Konferenz war jedoch, wie gering die Rolle von Bitcoin geworden ist. Zwar trifft weiter zu, was Jeff Gallas sagt – “Wir alle lieben Bitcoin” – doch damit ist meist mehr Bitcoin, die Idee und Vision, gemeint, während Bitcoin, die Währung (BTC), immer weniger Liebe erfährt. Abgesehen von Jeffs Lightning-Vortrag ging es nämlich bei keiner Präsentation exklusiv um Bitcoin.
Die meisten Startups, Entwickler und Investoren arbeiten mit so vielen Coins wie möglich. Für sie ist Bitcoin (BTC) schon lange nur eine von vielen Kryptowährungen; die größte zwar, aber nicht zwingend die interessanteste. Für viele ist Ethereum die bevorzugte Blockchain, weil man darauf Token und Smart Contracts bilden kann. Aber auch EOS, Ripple oder Stellar scheinen ein Thema zu sein. Bitcoin dagegen gilt weithin als veraltete Technologie, die, so die allgemeine Überzeugung, “nicht skaliert”. Mehr als einmal wurde der Gebührenwahn vom Dezember bemüht, um zu erklären, weshalb man sich für eine andere Währung als Bitcoin entschieden hat.
Dieser Wandel ist frappierend für jeden, der schon länger dabei ist. Noch vor ein bis zwei Jahren war Bitcoin alles. Altcoins waren eine mal mehr, mal weniger interessante, aber weitgehend unbedeutende Nische, und “Blockchain-Technologie” ein Hypewort von Beratern und Bankern. Die Sache, um die es geht – digitales, hartes Geld für das Internet – war ohne jeden Zweifel Bitcoin. Wie sehr “Bitcoin” für das Ganze steht, zeigt der Name unseres Blogs (Bitcoinblog.de), unseres Sponsors (Bitcoin.de), oder News-Aggregatoren (Bitcoin-Live.de) und vielen mehr. Wo Bitcoin drauf steht, ist mehr und mehr eine große Menge Altcoins drin.
All dies ist schon lange bemerkbar, etwa im fallenden Bitcoin-Dominanz-Index. Aber selten war es so offensichtlich wie auf der UNCHAIN, einer Konferenz, die von langjährigen Bitcoinern veranstaltet wurde, denen es nicht um Blockchain-Technologie und Altcoin-Pumps geht, sondern um die Revolution des Geldes. Man könnte meinen, dass Bitcoin – noch – irgendwie das Banner ist, unter dem sich alle versammeln, aber ansonsten auf direktem Wege ist, in die Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Ein Wettbewerb der Währungen
Wurde aus der Idee, das ganze Internet in eine Währungsunion zu verwandeln, eine Kakaphonie der digitalen Währungen? Wird Bitcoin, die eine Währung, zwischen Altcoins, ICOs und Blockchain-Technologie zerstoben? Sehen wir, dass Bitcoin dasselbe Schicksal erleidet wie MySpace oder Yahoo – dass die Währung als erste ihrer Art für immer im kollektiven Gedächtnis bleibt, aber im echten Leben von moderneren Inkarnationen verdrängt wird? Droht Bitcoin, die Idee, daran zu scheitern, dass sie in tausend Teile zerbricht? W
Man kann all das recht negativ sehen, muss es aber nicht. Der Ökonom Rahim Taghizadegan – ein waschechter “Österreicher” im doppelten Sinn – erklärt in einem interessanten Vortrag, warum er die Vielfalt der digitalen Währungen begrüßt. Man sollte Geld, so Taghizadegan, weniger als eine Sache betrachten, sondern als eine Eigenschaft – als die Eignung von Dingen, als Geld verwendet zu werden. Und als echter Marktwirtschaftler ist er überzeugt, dass der Wettbewerb den Coin an die Spitze bringen wird, der die Eigenschaft Geld am besten verkörpert. Eventuell könnte man mit ihm “Bitcoin” nicht länger als spezifische Währung, sondern als Adjektiv betrachten, das die beste digitale Währung auf Blockchain-Basis verdient.
Auch Eric Vorhees, Gründer und CEO von ShapeShift, kommt im Gespräch mit Aaron Koenig zu einem ähnlichen Schluss. Der Langzeit-Bitcoiner, der seit 2011 in der Szene aktiv ist, dürfte die prominenteste Person auf dieser Konferenz sein. Er sieht überraschend jung aus und strahlt eine freundliche Gelassenheit aus. Früher, erklärt er, sei er ein “Bitcoin Maximalist” gewesen, der die Idee von Altcoins an sich abgelehnt habe. Schließlich sei ihm aber klar geworden, dass man als Anhänger der Marktwirtschaft gar nicht anders kann, als auch einen Markt der Währungen zu begrüßen. Mit eine Rolle am Abstieg von Bitcoin spielte für ihn der Blocksize-Streit, der schließlich in der Abspaltung von Bitcoin Cash und dem Scheitern von SegWit2x kulminierte. Dabei haben, so Vorhees, alle verloren. Er hofft jedoch, dass die Wunden im Lauf der Zeit heilen werden.
Für viele der Anwesenden scheint diese Diversifizierung der digitalen Währung allerdings kein Problem zu sein, das sie um den Schlaf bringt. Bitcoin ist weiterhin der Werkanker eines starken, immer breiter werdenden, vor Innovationslust sprudelnden Ökosystems; und wenn Bitcoin Marktanteile verliert, bedeutet das, dass jemand anderes gewinnt. Es könnte sein, dass sich ein neues, tatsächlich besseres digitales Geld herauskristallisiert; wie es auch sein könnte, dass das Lightning-Netzwerk Bitcoin zum globalen Standard des Bezahlens macht und eine Schmelze der Altcoins auslöst.
Wir wissen nicht, wohin die Reise gehen wird. Einen guten Anlaufpunkt, um zu erfahren, wo das Ökosystem derzeit steht, fand man jedoch in der UNCHAIN-Konferenz.
Bitcoin ist alt und überkommen. Ether ist die Zukunft. Schön, dass man das langsam erkennt. Bitcoin ist nur noch ein Marketing Gag.
Äh, nein.
Auch Ether ist schon lange wieder überkommen. Es war eine nette Idee, aber gefragt sind entweder schnelle (Payment) oder sichere (Geldanlage) Lösungen. Ether kann beides nicht wirklich bieten. Man sollte stattdessen ein Auge auf Stratis werfen. Ein schlafender Riese.
Stratis ist ein bisschen Dash aber will mehr sein, wird aber nicht klappen imho. Dash ist in meinen Augen mittlerweile der perfekte Scam gewesen, obwohl Evan jetzt Dan mit seinem EOS wahrscheinlich nur beneidende Blicke schenken kann, dass er die Perfektion noch besser und vor allem Effizienter durchführen konnte…
Da finde ich Tari auf Monero schon deutlich interessanter, wenn es um Assets geht, denn der Base Layer bietet komplette Privacy und wird auch ständig weiterentwickelt diesbezüglich. Kein Mensch möchte all seine Assets für jedermann abrufbar haben, was leider alle transparenten Blockchains tun. Auch Stratis hat keinerlei Privatsphäre, da Tumblebit optional ist und soweit ich das überschaue, praktisch von niemandem genutzt wird.
Ich mache auch immer mehr die Beobachtung, dass Krypto-Neulinge BTC oft nur noch als Transfer-Währung kennenlernen, um einen der neuen, “heißen” Coins zu kaufen.
Und selbst dafür wird ja mittlerweile schon oft Ether oder Litecoin verwendet, weil es eben günstiger ist.
BTC bleibt aber weiterhin das Mittel der Wahl für alle, die einen alternativen Store-of-Value suchen, und da sollte man sich nichts vormachen, das ist und bleibt noch lange Zeit die #1 Krypto-Anwendung, gefolgt von ICOs.
Bis Lösungen am Markt sind, die so weit skalieren, dass sie wirklich als weltweit und intensiv verwendete Settlement Layer genutzt werden können, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Jetzt hätte man doch immer direkt den Flaschenhals vor Augen, wenn sich ein Geschäftsmodell mal anfängt in der Breite durchzusetzen.
Stimme zu. Dass BTC (und zunehmend LTC) als Transfer-Währung genutzt werden, ist ja schon seit dem Aufkommen der vielen weiteren Altcoins so. Man meint, mit dem Latest-and-Greatest-Coin den schnellen Gewinn machen zu können, verliert aber aus dem Blick, dass damit auch ein erhebliches Risiko einhergeht, welches die Neulinge meist nicht richtig einschätzen können. Insofern: BTC ist zwar teuer, aber momentan eben auch der sicherste Coin auf dem Markt. Das sollte man nicht unterschätzen. Es kommt ja in erster Linie auf das Risiko-/Gewinnverhältnis an, wenn man nicht zocken will.
Bitcoin hat Wert.Shitcoins nicht. Am Ende kommt es gar nicht so sehr auf Tech an. Der Mythos, die Geschichte, das große PoW und die Unabhänigkeit machen BTC zum Player!
Sehe ich genau gleich. BTC braucht einfach seine Zeit und das ist auch gut so. Sieht man super an denn ganzen Hacks bei Ether etc. 🙂
Der Begriff “Shitcoins” ist unpassend. Nur weil etwas nicht das erste war, muß es nicht schlecht sein. Wie immer gilt: Das Bessere ist des Guten Feind. Und das ist auch gut so. BTC ist momentan die sichere Bank. Aber andere Coins bieten an anderer Stelle gute bzw. bessere Features. Das Ökosystem wird sich einpendeln. Die Situation, in der ausschließlich BTC als Cryptowährung existiert, sind aber nunmal lange vorbei und kommen auch mit herabwürdigenden Bezeichnungen nicht zurück.
Der Begriff “Shitcoins” ist durchaus passend für über 99% der “Projekte”. Zu dieser Einschätzung braucht es jeweils meistens nur wenige Minuten, wenn man ins Git Repository schaut, wo sich die “Innovation” auf die initiale Anpassung einiger Parameter des Bitcoin Codes beschränkt.
Gibt es Bilder von der Unchain?
Wie viele Teilnehmer waren da? War es trotz des hohen Preises ausverkauft?
War Ivan on tech da? Kennt ihr den? Der kann sehr gut erklären ….