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10 Jahre Bitcoin-Whitepaper: Geschichte geht auf leisen Sohlen

Vorgestern war es zehn Jahre her, dass Satoshi Nakamoto das Bitcoin-Whitepaper veröffentlicht hat – eines der wichtigsten Dokumente der jüngeren Finanzgeschichte. Wir werfen einen Blick ins Whitepaper und erinnern uns an das späte Jahr 2008.

Erinnern Sie sich noch, was Sie am 31. Oktober 2008 gemacht haben? Vermutlich nicht. Dagegen erinnert sich die gesamte Bitcoin-Szene daran, was der Erfinder der Kryptowährung, Satoshi Nakamoto, an diesem Tag gemacht hat: Er hat eine E-Mail geschrieben und an die Cryptography-Mailing-List gesendet. Diese E-Mail war nicht die Geburt, aber das erste Lebenszeichen von Bitcoin.

Im typischen Satoshi-Style kündigt er die Erfindung, an der er seit Jahren arbeitete, mit Worten an, die dürr, nüchtern und bescheiden sind, aber gleichzeitig die Essenz von Bitcoin ausdrücken: “Ich habe an einem neuen elektronischen Cash-System gearbeitet, das vollständig Peer-to-Peer ist, ohne eine dritte Partei, der zu vertrauen ist.” Dann verlinkt er auf das Whitepaper, das er auf die in den Monaten zuvor erworbenen Webseite bitcoin.org hochgeladen hat.

Das Whitepaper war nicht die erste Version

Kaum jemand ahnte es in diesem Moment – vielleicht noch nicht einmal Satoshi – aber in diesem Moment geschah Finanzgeschichte. Eine E-Mail, die von einem Knoten der Mailing-List zum anderen geht, und nach und nach in den Posteingängen der Abonennten aufschlägt.

Es dauerte einen Tag, bis die ersten Leser antworteten. James A. Donald, der Satoshis Erfindung euphorisch begrüßt (“Wir brauchen ein solches System sehr, sehr stark”) aber zugleich die ersten konzeptionellen Bedenken äußert (“aber so, wie ich es verstehe, wird es nicht zur notwendigen Größe skalieren.”); Hal Finney, der in Bitcoin eine “vielversprechende Idee” sieht, aber eine Fülle an Verständnisfragen hat; und einige wenige weitere. Im Großen und Ganzen aber blieb das Whitepaper unbemerkt, im besten Fall eine rein akademische Dikussion eines rein akademischen Themas. Geschichte läuft auf so leisen Sohlen, dass kaum jemand in der Gegenwart sie hört.

Tatsächlich geboren wurde Bitcoin erst im Januar 2009, etwa drei Monate später. Das Ende Oktober veröffentlichte Whitepaper wurde zum Arbeitspapier, um Bitcoin abzuschließen, und ist bis heute die konziseste Spezifizierung des Systems.

Was die wenigsten wissen: Satoshi hat mehrere Versionen des Whitepapers geschrieben. So hat er dem Computerwissenschaftler Wei Dai – der mit B-Money einen konzeptionell wichtigen Vorläufer von Bitcoin beschrieben hat – im August 2008 einen ersten Entwurf des Whitepapers geschicht, nachdem ihn Adam Back in einer Mail auf Bmoney hingewiesen hatte. In dieser Version gibt es beispielsweise den Namen “Bitcoin” noch nicht – Satoshi nennt es lediglich “Electronic Cash”.

Das tatsächliche Paper ist aber verloren, lediglich die Einleitung ist noch durch die E-Mail erhalten. Daher müssen wir uns in der Vorstellung auf die heute gängige Version berufen, wenn wir einen Blick in das Whitepaper werfen.

Ein Zeitstempel-Server, der Datenschutz und die Frage, warum?

Eine deutsche Übersetzung des Whitepapers ist auf Bitcoin.de zu finden. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte dies anlässlich des 10 Geburtstags des Whitepapers unbedingt nachholen. Es ist nicht ganz einfach zu verstehen, aber wer sich die Mühe macht, über einzelnen Absätzen zu grübeln und Fachwörter nachzuschlagen, wird sein Wissen mit Sicherheit vertiefen.

Wir suchen hier nur ein, zwei, vielleicht drei wichtige Stellen heraus, um sie zu kommentieren.

Warum Bitcoin?

Satoshi erläutert im Whitepaper sehr klar, welches Problem Bitcoin aus welchem Grund und mit welcher Methode löst:

Das Problem ist: “dass der Handel im Internet inzwischen fast vollständig darauf beruht, dass Finanzinstitute als zu vertrauende dritte Parteien dienen, um elektronische Zahlungen zu verarbeiten.” Die Folge davon ist, das Transaktionen umkehrbar sein müssen, um in Streitfällen zu vermitteln, was deren Kosten erhöht und “die Möglichkeit kleiner Gelegenheitstransaktionen eliminiert”. Schlimmer sei aber, dass die Umkehrbarkeit von Transaktionen Händler dazu zwingt, “mehr Informationen [zu] verlangen, als ansonsten notwendig wären.” Das Vertrauen, das notwendig ist, wird zum Sand im Getriebe.

Die Lösung: “Notwendig ist ein elektronisches Zahlsystem, das auf kryptographischem Nachweis an Stelle von Vertrauen basiert und es zwei bereitwilligen Parteien ermöglicht, Transaktionen direkt untereinander durchzuführen, ohne dass eine vertrauenswürdige dritte Partei benötigt wird.” Satoshi versucht also, das Vertrauen aus den Transaktionen zu beseitigen. Dazu hat er eine “Lösung für das Double-Spending-Problem” entworfen, die “unter Verwendung eines verteilten Peer-to-Peer-Zeitstempel-Servers einen rechnerischen Nachweis der chronologischen Reihenfolge der Transaktionen erzeugt.” Was das genau bedeutet, erklären wir gleich.

Hier halten wir fest: Satoshi wollte ein elektronisches Cash-System erschaffen, das ohne Mittelsmänner auskommt, um kleinere Transaktionen zu ermöglichen und die Privatsphäre der Bezahlenden zu schützen.

Der verteilte Zeitstempel-Server

Auf eine sehr abstrakte Weise kann man Bitcoin darauf reduzieren, dass es ein “Zeitstempel”-Server ist. Sie kennen das vermutlich aus alten Filmen: Jemand beweisst, dass mindestens ein bestimmtes Datum erreicht wurde, in dem er eine Zeitung vorweist oder etwas in einer Zeitung veröffentlicht. Bitcoin macht, im Prinzip, nicht mehr, als einer Transaktion einen Zeitstempel aufzudrücken. Es wäre nicht der blödeste Vergleich, dass Bitcoin-Transaktionen in den Zeitungen veröffentlicht werden.

Satoshi erklärt im Whitepaper: “Ein Zeitstempel-Server funktioniert, indem er den Hash eines Blocks von mit Zeitstempel zu versehenden Datensätzen nimmt und den Hash weitläufig, etwa in einer Zeitung oder in einem Usenet-Post, veröffentlicht. Der Zeitstempel beweist, dass die Daten zu diesem Zeitpunkt existiert haben, offensichtlich, denn sonst gäbe es keinen Hash von ihnen.”

Es wäre vorstellbar, dass Satoshi die Planung von Bitcoin damit begonnen hat, dass er gefragt hat, wie man einen dezentralen Zeitstempel-Server bildet. Dazu, erklärt Satoshi, “müssen wir ein Proof-of-Work-System, ähnlich des Hashcash-Systems von Adam Back, anstatt der Zeitungen oder Usenet-Posts verwenden.” Das Proof-of-Work-System meint das, was man üblicherweise als Mining kennt: Die Suche nach einer bestimmten Hash – also einem bestimmten Zeitstempel mit bestimmten Eigenschaften. Diese Hash wird als Zeitstempel auf einen Block geklebt.

Einer der interessantesten Punkte, den man nicht auf den ersten Blick erkennt, ist die Verkettung dieser Zeitstempel: “Jeder Zeitstempel beinhaltet in seinem Hash den vorhergegangenen Zeitstempel und bildet eine Kette, bei der jeder zusätzliche Zeitstempel die vorherigen verstärkt.” Wir haben also eine Kette von Zeitstempeln, in der jeder weitere Stempel die vorhergegangenen Stempel bestätigt. Ähnliche Verfahren existieren auch in der analogen Bürokratie, etwa in einem Grundbuch.

Datenschutz

Als dritten Punkt möchte ich den Datenschutz aufgreifen. Wie wir heute alle (hoffentlich) wissen, ist Bitcoin nicht anonym, sondern pseudonym. Satoshi hat dies bereits erkannt, erklärt im Whitepaper aber, weshalb Bitcoin privat genug sein sollte. Während im Bankenmodell die Informationen um eine Transaktion nur der vertrauenswürdigen dritten Partei bekannt sind, und diese damit zum Garant der Privatsphäre werden kann, gibt es bei Bitcoin keine solche Mittelsmänner, aber “die Notwendigkeit, alle Transaktionen zu veröffentlichen.” Dies macht an sich jede Privatsphäre kaputt.

Aber Satoshi meint, dass der Datenschutz “dennoch aufrecht erhalten werden” kann. Dazu müsse “der Informationsfluss an einer anderen Stelle unterbrochen werden”: Nämlich indem die öffentlichen Schlüssel anonym bleiben. Solange die öffentlichen Schlüssel – heute: die Adressen – nicht mit der Identität des Besitzers verknüpft werden, ist Bitcoin ausreichend privat. Daher empfiehlt Satoshi bereits im Whitepaper eine grundlegende Regel: Es sollte “für jede Transaktion ein neues Schlüsselpaar verwendet werden, um zu vermeiden, dass die Schlüssel einem gemeinsamen Eigentümer zugeordnet werden können.”

Doch auch dann sind Verknüpfungen “bei Transaktionen mit mehreren Eingängen noch immer unvermeidbar, weil diese notwendigerweise preisgeben, dass ihre Eingänge zum gleichen Eigentümer gehören.” Satoshi erwähnt dieses Risiko, kommentiert aber nicht weiter, wie man mit ihm umgehen kann.

2008 – das Jahr der Finanzkrise

Heute, mit zehnjährigem Abstand, scheint 2008 eine Ewigkeit her zu sein. Kaum zu glauben, dass man damals befürchtet hatte, die Weltwirtschaft würde kaputtgehen. Seit Ende 2009 fiel der DAX von seinem bisherigen Rekordwert von etwa 8.000 Punkten, hielt sich aber bis September bei etwa 6.000 Punkten.

Dann geschah eines der prägendsten Ereignisse dieses Jahres: Das New Yorker Bankhaus Lehmann Brothers ging bankrott, nachdem es sich in der seit bereits etwa einem Jahr schwelenden US-Immobilien- und Subprime-Markt-Krise überschuldet hatte. Die Involvenz der Investmentbank wurde zum endgültigen Auslöser der Finanzkrise, die dem wichtigsten US-Aktienindex am 29. September den größten bisher beobachteten Kursverlust beschert hatte. Auch der Dax fiel heftig, unter 5.000 Punkte, und im März 2009 schließlich sogar auf unter 4.000, bevor er von dort aus wieder begann, zu steigen.

Die Reaktionen der Regierungen auf die Krise haben neoliberale oder klassische Ökonomen rund um die Welt entsetzt. Am 3. Oktober unterzeichnete US-Präsident George Bush dem Emergency Economic Stabilization Act (EESA). Man kann die auch als Paulson-Plan bekanntgewordene Verordnung als “Notgesetz zur Wirtschaftsstabilisierung” übersetzen. Der EESA erlaubte es dem Finanzministerium der USA, die sogenannten “toxic assets” anzukaufen, also die schädlichen Finanzpapiere – im Wert von bis zu 700 Milliarden Dollar.

Der EESA wurde zum Symbol dafür, dass im Finanzwesen Gewinne privatisiert, aber Verluste sozialisiert werden; dass die Banken, wenn sie sich verzockt haben, die Hilfe des Staates bekommen, anstatt, wie es auf einem freien Markt geschieht, pleite zu gehen wie alle anderen Unternehmen. Für viele wurde er zum Symbol dafür, was falsch läuft in der Welt des von einem Filz zwischen Staaten und Banken beherrschten Finanzwesens.

Die Folge der Finanzkrise beschäftigte die Welt noch lange. Die Aktienkurse fielen bis zum Frühjahr 2009, viele ehemals große Banken und ihre Vorstände wurden für ihre Fehler damit belohnt, dass sich der Staat in sie einkaufte, wodurch auf der einen Seite eine unerwünschte Politisierung des Finanzwesens stattfand, auf der anderen Seite sich einige Staaten übernahmen und beinah selbst bankrott gingen. Es folgte eine weitere Börsenrally, die bis 2017 oder gar 2018 anhielt, die Indexe weltweit auf neue Rekorde trieb, während die Inflation in vielen Ländern weiter anstieg, was zu einer massiven Umverteilung von Vermögen von Fiat-Sparern zu Aktien-Sparern führte und die globale Ungleichheit weiter drastisch erhöhte.

Heute sind wir es gewohnt, mit dieser schleichenden und leisen Krise zu leben. Vielleicht haben wir sie auch schon überwunden, aber das ist schwer zu sagen. Ende 2008 war sie jedoch gerade erst ausgebrochen. In seinem Whitepaper hat Satoshi die finanzpolitische Rolle von Bitcoin zunächst verschwiegen. Es war noch keine Rede von einer begrenzten Geldmenge oder davon, dass es reizend wäre, wenn man den Zentralbanken das Monopol der Geldschöpfung entziehen würde. Dies drückte Satoshi erst aus, als er Bitcoin 0.1 im Januar 2009 veröffentlichte. Das Fundament der dezentralen Währungsreform, die Bitcoin einmal werden sollte, hatte Satoshi jedoch bereits am 31. Oktober 2008 gelegt.

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6 Kommentare zu 10 Jahre Bitcoin-Whitepaper: Geschichte geht auf leisen Sohlen

  1. Und nach 10 Jahren begreifen immer noch 99% der Welt nicht, was hier gerade im Gange ist. In weiteren 10 Jahren wird die Welt anders aussehen. Und noch weiß niemand, wie sie aussehen wird…

  2. Um genau zu sein, nicht Lehman Brothers sondern die Deutsche Bank bzw.Herr Ackermann hat die Krise ausgelöst.
    https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-geheimakte-finanzkrise-110.html

  3. Danke für die Einordnung. Was Satoshis Whitepaper innerhalb von 10 Jahren ausgelöst hat, lässt sich hier erahnen: http://ohmysatoshi.com/10th-birthday

    Interessant zu beobachten ist auch die unterschiedliche Wahrnehmung/Feierkultur und des Jubiläums. Bei Core gabs keine Torte.

  4. happy birthday bitcoin…:-)
    http://ohmysatoshi.com/10th-birthday

  5. Und 10 Jahre später ist Bitcoin zu wenig gewachsen, danke Core!

  6. Bei bitcoin.de ist der 1.November als Veröffentlichungtag des White papers genannt.

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