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Maximalismus, Investment und eine Bootsfahrt

Der Berliner Holzmarkt aus der Vogelperspektive.

Am Wochenende fand die UNCHAIN Convention in Berlin statt. Es war eine wundervolle Veranstaltung mit spannenden Vorträgen und, vor allem: einer extrem gelungenen Atmosphäre. Dabei war auch die vielleicht wichtigste Veränderung für Bitcoin und Blockchain nicht zu übersehen …

Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich gelegentlich gezwungen bin, nach Berlin zu reisen, und ich muss zugeben, dass ich jedes Mal beeindruckt bin. Berlin ist riesig und hat jene Monumentalität, die eine Hauptstadt haben muss, bleibt dabei aber wundervoll unprätentiös, während sie es zelebriert, geschmacksvoll improvisiert und heruntergekommen zu wirken. Und die Berliner – sie haben nichts von der versnobten Arroganz, die Großstädter oft ausstrahlen, sondern sind auf eine abgeklärte Weise freundlich und gelassen.

Kurz gesagt: Berlin gibt eine hervorragende Hauptstadt ab, und es war eine prima Entscheidung, die UNCHAIN Convention 2019 in Berlin auszutragen. Der Veranstaltungsort war das Säälchen am Holzmarkt, ein mehrgeschossiger, theaterartiges Haus, in dem es im Erdgeschoss eine Bühne, Leinwand, Sitzreihen und eine Bar gab, während man von den höheren Stockwerken durch eine Gallerie auf das Geschehen hinabschauen konnte. Um das Säälchen herum war der Holzmarkt, ein an der Spree gelegener Marktplatz aus – der Name sagt es schon – Holzhütten. Von oben herab sah es ein wenig aus wie ein Flüchtlingslager, von unten waren es liebevoll gemachte Holzhäuschen, in denen selbstgebackenes Brot, selbstgemachte Seife, Pizza und vieles mehr verkauft wurde; an den vielen Biertischen und Bänken saßen zahlreiche Leute unter der an diesem Wochenende gleisend strahlenden Sonne.

Core-Themen

Inhaltlich hat sich die UNCHAIN im Vergleich zum letzten Jahr weiter entwickelt. Der erste Tag hat sich dem gewidmet, was Veranstalter Oskar Giese „Core-Themen“ genannt hat. Es ging um Bitcoin, nicht um Krypto, und im Fokus stehen Lightning, die Privatsphäre und die Full Nodes. Also eben das, was die Core-Szene in Bitcoin umtreibt.

Jeff Gallas von Fulmo liebt Bitcoin und Lightning.

Jeff Gallas stellte Lightning vor („Lightning ist großartig“), Christian Decker legte nach („Ja, Lightning ist großartig“), Igor Korsakov von BlueWallet stellte seine Wallet vor („Lightning ist super“) und Max Hillebrand referierte über Lightning und Privacy. Daneben präsentierte der immer großartige Stepan Snigirev etwas zu künftigen Hardware-Wallets; er schafft es irgendwie, gleichzeitig als wirr-kreativer Nerd und klasse Erklärer rüberzukommen. Weiter gab es eine Präsentation zu DAppNode, einer Software, die hilft, Full Nodes zu installieren, sowie mehrere Vorträge zu Privatsphäre und Blockchains. Riccardo Spagni von Monero war leider nur per Video zugeschaltet, was seinem Vortrag ein wenig den Schwung nahm; den Abschluss dieses Blocks bildete der Vortrag von Olga Ukolova von #FreeAI, die – soweit ich es verstanden habe – Blockchains benutzen will, um künstliche Intelligenzen vor der menschlichen Überregulierung zu schützen.

Zunächst hat mich dieses Programm enttäuscht. Es ist ja wahrlich kein Geheimnis, dass das Lightning-Netzwerk fantastisch ist, dass Bitcoin mehr Privatsphäre braucht und dass jeder User seinen eigenen Node betreiben soll. Ich hätte mir hier mehr Kontroversen gewünscht, anstatt dass diese Narrative unhinterfragt abgespult werden, und es hätte mir auch gut gefallen, wenn anstatt  der „Core-Themen“ weitere Teile des Ökosystems vorgekommen wären, wie bei der UNCHAIN 2018, etwa das steil aufblühende DeFi-Ökosystem, die vielen Anwendungen auf Ethereum, von mir aus auch Ripple oder IOTA, oder auch gerne Bitcoin Cash oder Bitcoin SV. So verengte sich die Perspektive der UNCHAIN an diesem Tag recht stark auf wenige, bereits gut bekannte und propagierte Themen.

Auf der anderen Seite hat es seinen Wert, dass die Konferenz sich einen Tag Zeit nimmt, um in die Tiefe anstatt die Breite zu gehen. Und was bietet sich dafür besser an als die gegenwärtigen Trends bei der wichtigsten und stärksten Kryptowährung – also bei Bitcoin? Rückblickend wurde dieser Teil geradezu zu einem Geniestreich der Veranstalter, die es damit geschafft haben, der UNCHAIN eine Tiefe zu verleihen, die sie im vergangenen Jahr nicht erreicht hatte – während der zweite Tag weiterhin für „breitere“ Themen zur Verfügung stand.

Mit Musik über die Spree

Die meiste Zeit saß ich ohnehin im zweiten Stock, wo ein Raum für Aussteller reserviert war. Hier habe ich einige Stöße der zweiten Auflage meines Buches aufgestellt, die vor kurzem angeliefert wurde. Neben mir war Michael Merz von Ponton, der ein Buch über Blockchain-Technologie verkaufte, ein Tisch weiter der Mitveranstalter Aaron Koenig, der sein neues Buch über Dezentralisierung anbot, und an der Bar zwei Ludwigsburger, die den Gin „Satoshi Spirit“ anboten. Besucher kamen leider viel zu selten nach oben, weshalb der Verkaufserfolg bei uns allen trotz der exzellenten Produkte eher mager blieb.

Aber wir konnten von oben aus den Vorträgen zuhören und uns unterhalten. Den Gin-Tonic konnte man, natürlich, mit Bitcoin bezahlen, als Payment-Provider diente CoinGate, was ich bisher noch nie in Aktion erlebt habe. Neben Bitcoin konnte man hier auch mit Bitcoin Cash oder Lightning bezahlen, was einmal mehr großartig funktionierte. Trotz meiner Skepsis muss ich feststellen, dass Lightning als Zahlungsmittel langsam schon zur Gewohnheit wird, und dass ich im Zweifel doch lieber mit Lightning als mit Bitcoin Cash bezahle. Aber genug von diesem Thema.

Das Buch von mir, das Buch von Michael Merz, der Gin „Satoshi Spirit“ – alles wunderbare Produkte im Ausstellerraum. Leider verirrte sich kaum jemand hierher.

Am Abend gab es die für die UNCHAIN obligatorische Bootsfahrt. In einem gerammelt vollen Boot saßen oder standen die Gäste, laut quatschend und Bier oder Weißwein trinkend, während die Stammband der UNCHAIN, die Schwindler, Musik aufspielte. Wie schon im letzten Jahr zeichnete sich die Konferenz nicht nur durch die Inhalte aus – die durchaus hochwertig waren – sondern auch und vor allem durch das Ambiente, das zur Kulisse eines internationalen Treffens von Bitcoinern wurde. So waren relativ viele Gäste aus Osteuropa hier – etwa aus Tschechien, Ungarn, Bulgarien, der Ukraine und Russland. Auch aus Südamerika waren einige Teilnehmer anwesend, was vor allem der traditionellen Verbindung der UNCHAIN mit der lateinamerikanischen Megakonferenz LaBitcoinf zu verdanken ist.

Am zweiten Tag fiel mir dann auch etwas überraschendes auf. Schaut‘ euch einmal dieses Foto an, das ich vom Publikum geschossen habe. Was sticht ins Auge?

Das Publikum bei der UNCHAIN.

Ja, richtig: Es gibt Frauen im Publikum. Und das nicht nur hier und da, sondern in jeder Reihe, nicht nur eine, sondern auch mehrere. Teilweise muss man sogar schon suchen, um einen Mann zu entdecken. Mit 20-30 Damen unter den etwa 200 Gästen waren mindestens 10, eher 20 Prozent des Publikums weiblich. Das sind ungefähr 10 bis 20 Prozent mehr, als man es von anderen Bitcoin-Veranstaltungen gewohnt ist, und damit erheblich mehr als ein statistischer Ausreißer.

Woran liegt das? Weil die UNCHAIN ein so attraktives Veranstaltungsformat ist? Weil die Veranstaltung so international ist, und das Ausland vielleicht in der Beziehung ein wenig weiter ist als Deutschland? Ich würde sagen, es hat sich etwas verändert. Im letzten Jahr saß neben mir die Künstlerin, die das Programmheft gestaltet hatte, und wir beide haben uns kräftig fremdgeschämt, als auf der Bühne fünf Frauen leicht verdruckst darüber diskutierten, wie es ist, als Frau im Blockchain-Business zu sein. In diesem Jahr wäre niemand auf diese Idee gekommen. Falls man auf der UNCHAIN nach Zeichen für positive Entwicklungen gesucht hat, fand man sie im Blick ins Publikum.

Investment und Maximalismus

Aber zurück zum Inhalt. Tag zwei stand, wie gesagt, mehr im Zeichen der Breite als der Tiefe. Der Tag war ein gelungener Mix aus Internationalem, Investment und Blockchain-Themen. Am Vormittag haben etwa Vertreter aus Argentinien, Brasilien und der Ukraine berichtet, wie es mit Bitcoin und Blockchain in ihrem Land steht.

Danach leitete Tone Vays, bekannt aus seinen Youtube-Videos, die Investment-Session ein. Vays galoppierte durch ein weites Themenfeld; durch Preise, Kurse, den Sinn und Zweck von Bitcoin, SegWit, Schnorr, Lightning; Altcoins, meinte er unverblümt, haben keinen Wert, weil sie pauschal „zentralisiert“ sind. Auf Vays folgten Eddy Travia und Steve Beauregard von Coinsilium bzw. Bloq, die beide eher offen für Token und Altcoins sind. Das ganze war gut geeignet, um eine kontroverse Diskussion aufs Podium zu bringen, zu der sich der Schweizer Vermögensverwalter Marc P. Bernegger dazu gesellte. Allerdings blieb es dann relativ unkontrovers; und Bernegger, Travia und Beauregard schlossen sich Vays‘ Maxmimalismus in einer sachteren und toleranteren, aber der Sache nach zustimmenden Form an.

Aaron Koenig (links) interviewt Bitcoin-Investment-Legende Brock Pierce.

Nach der Mittagspause folgte dann eines der Hightlights der Konferenz: Ein „Fireside-Chat“ („Kamingespräch“), bei dem Aaron Koenig die Bitcoin-Investment-Legende Brock Pierce interviewte. Pierce redete breit, mitunter selbstverliebt und weit ausschweifend, aber auch nüchtern, eloquent und mit inspirierender Vogelperspektive über seine Karriere und Bitcoin. Dabei fielen auch einige bemerkenswerte Zitate. So sagte er auf eine Frage aus dem Publikum, der „Krypto-Winter“ sei vorbei. Den ICO-Wahn sieht er kritisch; es führe zu falschen Anreizen, wenn man Startups gleich am Anfang mit Geld überschütte. Als jemand aus dem Publikum fragte, wie es mit EOS sei, einem von Pierce mitinitierten Projekt, das die größte ICO aller Zeiten aufstellte, erklärte er, man könne nie genug Kapital haben, wenn man ein Ökosystem auf einer Blockchain aufbauen will; er sehe derzeit nur vier bis fünf Blockchain, die ausreichend Mittel hätten, um etwas zu bewirken. Weiter riet er jemandem, die Blockchain zu benutzen, die seinen Zwecken am besten diene. Dem Maximalismus, der zuvor die Bühne beherrscht hatte, gab er eine Abfuhr – so zu denken sei religiös.

Im Anschluss folgte noch ein Block über „Blockchain-Technologien“, in dem ein buntes Feld von nicht-monetären Anwendungen von Blockchains präsentiert wurde. Damit schaffte es die UNCHAIN, eine runde Mischung an Themen auf die Bühne zu bringen, die einen guten Überblick über das Ökosystem gibt – während sie am ersten Tag in die Tiefe gegangen ist. Dass die Konferenz zugleich keine Scheu vor Politik hatte – das kam in Vorträgen immer wieder durch – und mit Stil, Atmosphäre und einem internationalen Publikum glänzte, kann gar nicht genügend gelobt werden. Daher verdient Oskar Giese, der als Veranstalter keine Mühen und Torturen gescheut hat, um die UNCHAIN zu verwirklichen, ein gewaltiges Dankeschön.

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3 Kommentare zu Maximalismus, Investment und eine Bootsfahrt

  1. Riccardo Spagni von Monero war leider nur per Video zugeschaltet, was seinem Vortrag ein wenig den Schwung nahm;

    Schade, Fluffyponys Vorträge sind eigentlich meistens ziemlich erheiternd… Aber der kann auch nicht nur von Konferenz zu Konferenz hoppen, sondern muss in der Zwischenzeit auch mal was arbeiten und da gibt es genügend Baustellen wie GUI 0.14.1 Release, reproduzierbare Builds, RandomX Rollout sobald alle Audits fertig sind, Dandelion Routing und mit Tari dürfte er ohnehin ganz gut ausgelastet sein. Außerdem ist in ein paar Tagen Monero Konferenco in Denver und Anfang August wieder Defcon wieder mit einem Monero Village.

    im Fokus stehen Lightning, die Privatsphäre und die Full Nodes.

    Gerne mehr ins Detail, wenn möglich oder sind die Vorträge aufgezeichnet / online verfügbar? Insbesondere der Privacy Aspekt würde mich interessieren und ob es da irgendwelche Entwicklungen aktuell gibt…

    Trotz meiner Skepsis muss ich feststellen, dass Lightning als Zahlungsmittel langsam schon zur Gewohnheit wird, und dass ich im Zweifel doch lieber mit Lightning als mit Bitcoin Cash bezahle.

    Für derartige Kleinbeträge in der Tat praktisch, wenn das Routing funktioniert.

    Am Vormittag haben etwa Vertreter aus Argentinien, Brasilien und der Ukraine berichtet, wie es mit Bitcoin und Blockchain in ihrem Land steht.

    Details dazu wären auch spannend!

    Altcoins, meinte er unverblümt, haben keinen Wert, weil sie pauschal „zentralisiert“ sind.

    Wenn einem Argumente ausgehen, pauschalisiert man eben.

    Den ICO-Wahn sieht er kritisch; es führe zu falschen Anreizen, wenn man Startups gleich am Anfang mit Geld überschütte. Als jemand aus dem Publikum fragte, wie es mit EOS sei, einem von Pierce mitinitierten Projekt, das die größte ICO aller Zeiten aufstellte, erklärte er, man könne nie genug Kapital haben, wenn man ein Ökosystem auf einer Blockchain aufbauen will; er sehe derzeit nur vier bis fünf Blockchain, die ausreichend Mittel hätten, um etwas zu bewirken.

    Das Problem ist eher, die fähigsten Kryptographen und Programmierer zu begeistern und denen geht es oft mehr als um Geld, denn dann gehen sie zu Google, Facebook, Microsoft und Co.
    Wenn sie jedoch auch ideologisch getrieben sind, werden sie sich einem Open Source Projekt anschließen, auch wenn sie dabei finanziell nicht das meiste für sich herausholen. Natürlich kann man per Gießkannenprinzip EOS verteilen, die dann wahrscheinlich auch tatsächlich ausgegeben werden, aber reale Adoption wird das nur bei den wenigsten auslösen.

    Dass die Konferenz zugleich keine Scheu vor Politik hatte

    Geld ist ja auch höchst politisch und wir brauchen eine Lobby, um nicht von irgendwelchen gegenläufigen Interessensverbänden überrollt und reguliert zu werden.

    • Selten einen so detaillierten Bericht zu einer Konferenz gelesen. Wenn man noch mehr Details erwartet, sollte man einfach selbst hingehen.

  2. Maik Richter // 17. Juni 2019 um 21:25 // Antworten

    Woran das mit den vielen Damen liegt? Weil es insbesondere im osteuropäischen Raum und Russland immer mehr kleine Kryptostartups mit zwei drei mehr oder weniger begabten Nerds gibt. Die stellen sich dann eine optisch ansprechende Frau als „Marketing Managerin Social Media“ o.ä. ein zum Kundenfang bzw Kapital aquirieren. Ich weiss gar nicht wieviele nervige Anfragen ich schon auf Linkedin aus der Richtung bekommen habe. Meist von Technik keine Ahnung, papageien nur wieder was ihnen eingetrichtert wurde. Sinnlos.

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