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Das bitter Nachspiel der Savedroid ICO

Der Rechtsanwalt Axel Hellinger hat vor kurzem die Krypto-Guthaben aus der Savedroid-ICO eingefroren, die er als Escrow verwahrt. Denn aus seiner Sicht zeigt sich immer deutlicher, dass bei dem Projekt nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Nun wird er selbst verklagt – und sucht nach Wegen, die Savedroid-Investoren zu entschädigen.

Manchmal ist es schwierig, das Richtige zu tun. Aber wenn Axel Hellinger es nicht versuchen würde, wäre er der falsche Mann für seine Aufgabe gewesen.

Axel Hellinger ist Rechtsanwalt und Steuerberater. Aus persönlichem Interesse begann er 2015, sich mit Bitcoins und Cryptocurrencies zu beschäftigen. So half er etwa bereits der Lisk bei der ICO und unterstützt die Crypto-Szene als Berater oder Escrow (Treuhänder).

Der Zweck des Escrow bei einer ICO ist das Erschweren und idealerweise Verhindern eines Exit Scams, meinte Axel. Ein Escrow vermindert damit die Gefahr, die durch die Vorleistung der Investoren entsteht. Er wird beauftragt, die Herausgabe des Kryptoeldes nur nach Eintritt einer bestimmten Bedingung zu veranlassen. Während der Anfänge der ICOs waren die Bedingungen relativ einfach nachzuvollziehen, beispielsweise wenn versprochen wurde, eine Blockchain zu entwickeln. Lisk hat beispielsweise versprochen, eine Coin-Infrastruktur auf JavaScript-Basis zu bauen und dies mit Erstellung des Genesis-Blocks erfüllt. Dieser Genesis-Block markierte einen wichtigen Meilenstein und lieferte den Supportern der ICO die Coins aus.

Mittlerweile sind die Projekte aber in der Regel komplexer geworden. Entscheidend ist nicht mehr die technische Grundlage, sondern der Aufbau eines Ökosystems, für die der Token verwendet werden soll. Dies und der Umstand, dass man viele Infrastrukturen (Etherum, Lisk, Waves) nutzen kann, um ohne technisches Knowhow eigene Token zu erstellen, entwerten den Meilenstein der Ausschüttung der Projektcoins. Das macht es natürlich schwieriger, zu wissen, ab wann ein Projekt den Versprechungen gegenüber Investoren gerecht wurde.

So könnte es trotz der Auslieferung der Projektcoins immer noch zu Unregelmäßigkeiten bis hin zu Betrügerei kommen. In solchen Fällen darf sich ein Treuhänder, meint Axel Hellinger, nicht instrumentalisieren lassen, sondern sollte aktiv an der Klärung von Restzweifeln mitwirken. Im schlimmsten Fall geht es so weit, dass er die ihm anvertrauten Coins einfrieren muss. Womit wir bei dem Projekt wären, das den Anwalt derzeit recht viele Nerven kostet.

Die 17-Millionen-Euro-ICO

Savedroid ist ein 2015 von Tobias Zander und Yassin Hankir gegründetes Frankfurter FinTech-Unternehmen. Es gibt eine App heraus, die intelligent sparen soll, indem sie automatische Sparregeln – Savedroid nennt das Smooves – einsetzt, so dass man beispielsweise bei jedem Fitness-Center-Besuch automatisch 5 Euro auf das Sparkonto überweist. Mit der ICO sollte Savedroid zur „Smart Contract Crypto Savings App“ werden, die es jedem erlaubt, automatisiert und aufwandslos Kryptowährungen zu sparen.

Das Whitepaper der ICO erklärte sehr konkret, wie sich das Savedroid-Ökosystem entwickeln und welche Ziele das Projekt erreichen wird. Sogar potentielle künftige Preisszenarien des für 1 Cent je Stück verkauften SVD-Tokens kamen vor; Savedroid verwendet den Slogan „Made in Germany“, vermutlich, weil sich die deutschen Investoren damit angesprochen fühlen und dies international Vertrauen schaffen sollte.

Laut Whitepaper sollte es sich um einen sogenannten Utility-Token handeln. Bei der ICO Anfang 2018 schüttete Savedroid Token im Gegenwert für etwa 17 Millionen Euro aus; teils sind die Zahlen nicht ganz klar, weil auch mal Angaben von 40 Millionen Euro kursiert haben. Diese Zahlen stammten aber nicht aus dem Hause Savedroid, sondern basierten auf Hochrechnungen der Presse. Dementiert wurden diese Aussagen durch Savedroid aber, so Axel Hellinger, nicht.

Von den eingesammelten Geldern verwaltet der Anwalt treuhänderisch die Kryptowährungen, während die EUR-Zahlungen unter anderem von der Frickbank entgegengenommen wurden. Der Wert der Bitcoins und anderen Token lag damals bei etwa 4 bis 4,5 Millionen Euro. Auf den von Axel Hellinger öffentlich gemachten Adressen liegen derzeit etwa 227 Bitcoin und rund 7.260 Ether.

Der Anwalt ließ sich damit auf eine Unternehmung ein, die beispielhaft zeigt, weshalb ICOs mittlerweile in Verruf geraten sind – und wie schwierig es ist, die Linie zwischen zu viel Optimismus und Betrug zu ziehen.

Erste Zweifel

Im Lauf des Jahres 2018 wurde Axel Hellinger im Hinblick auf Savedroid immer skeptischer. „Es hat sich nicht so entwickelt, wie im Whitepaper beschrieben. Sie hatten ihre Ziele bei weitem nicht erreicht.“ Die App, noch für den Herbst angekündigt, verschob sich immer weiter. Selbst ein ERC20-Token – eigentlich das kleine 1×1 der Kryptowelt –  verzögerte sich immer weiter. „Das ist echt keine Wissenschaft, im Zweifel beauftragt man einen externen Entwickler. Das sollte nach der ICO kein Problem gewesen sein.“

Aus der angekündigten Listung bei den Top-5-Kryptobörsen wurde bis heute nichts. Gehandelt werden die SVD-Token lediglich auf HitBTC, Bancor und IDEX. Der Kurs sackte in den Keller, vom Ausgabepreis von einem Cent ist das SVD-Token mittlerweile auf 0,012 Cent gefallen. Das Handelsvolumen auf den Börsen ist sehr gering – man könnte sagen, kaum existent – und kommt an manchen Tagen auf kaum mehr als ein paar hundert Dollar. Diesen Werten zufolge befindet sich das Token, könnte man sagen, bereits im fortgeschrittenen Sterbeprozess.

Axel Hellinger bekam mehr und mehr den Eindruck, dass die Savedroid-Macher nicht so richtig Interesse an der Realisierung des Projektes hatten — und dass sie im Whitepaper Versprechungen abgegeben hatten, von denen sie schon bei der Veröffenlichtung wussten, dass sie unrealistisch waren.

Im Juni 2018 trudelten die ersten Beschwerden von Investoren bei ihm ein. Es ging kaum vorwärts bei Savedroid. Die Timelime auf der Webseite sieht zwar auf den ersten Blick vielversprechend aus, ist aber recht ernüchternd: Neben Notizen zum Einsammeln von Geldern, der Listung auf eher unbedeutenden Börsen und Meetups findet man kaum etwas von Substanz. Es gibt mittlerweile eine App. Aber wenn man dem Feedback der Nutzer traut, ist diese App voller Bugs, Abstürze und mehr oder weniger nicht-funktional. Im offiziellen Telegram-Chat von savedroid werde darüber hinaus, erklärt der Anwalt, immer wieder über Probleme bei der Auszahlung der Smooves berichtet.

Bei so gravierenden Vorkommnissen machten sich bei Axel Hellinger Bedenken in Hinblick auf die Strafbarkeit breit: „Ich möchte nicht für eine Investorentäuschung instrumentalisiert werden. Wenn ich als Treuhänder dies trotz deutlicher Anhaltspunkte ungeprüft zulasse, fragen die Leute zu Recht, wofür ist der Hellinger überhaupt da?“

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Axel recherchierte gründlicher. Je mehr er erfuhr, desto deutlicher erschienen ihm die Anzeichen. So hatte Savedroid seiner Ansicht nach mit dem Firmensitz in Deutschland geworben, aber es bis heute nicht geschafft, eine Lizenz der BaFin für die Krypto-App zu bekommen, weshalb die App in Deutschland nicht vertrieben werden darf.

„Savedroid ist keine Entwickler-Garage, sondern ein deutsches Fintech-Unternehmen. Den Vorständen hätte klar sein müssen, dass die App unter dem Vorbehalt der BaFin stünde. Das sind ehemalige Unternehmensberater von McKinsey und ein promovierter Betriebswirt. Und sie haben seit 2015 eine ähnliche App am Laufen.“ Die Macher von Savedroid, meinte Axel, hätten erkennen können, dass ihre Versprechungen im Whitepaper unrealistisch sind.

Je mehr Axel erfuhrt, desto klarer wurde sein Eindruck. Im Whitepaper sei die Savedroid-App fürs Sparen als Erfolg verkauft worden, während sie zum Zeitpunkt der ICO bereits so wenig Erfolg gehabt hatte, dass man sagen könnte, sie sei weitgehend gefloppt. An Provisions-Einnahmen habe Savedroid im Jahr 2018 – also drei Jahre nach der Gründung – gerade einmal 65,42 Euro eingespielt.

„Mittlerweile verdichten sich die Anzeichen, dass die Savedroid AG Ende 2017 quasi buchalterisch überschuldet war. Die Idee Fiat-App war damit zu diesem Zeitpunkt wohl schon gescheitert. Mit der ICO sollte aber dennoch alter Wein in neuen Schläuchen verkauft werden. Und mit der Advanced Bitcoin Technologies Aktiengesellschaft wird derzeit versucht, das tote Pferd ein drittes Mal zu verkaufen.“

Bilanztechnische Magie

Die Firmenstruktur hinter Savedroid ist nicht ganz unkompliziert. Savedroid selbst ist eine Aktiengesellschaft, aber nicht an der Börse gelistet. Die Advanced Bitcoin Technologies Aktiengesellschaft – die von denselben Leuten gegründet wurde – wird an der Düsseldofer Börse gehandelt. Die Vermögenswerte von Savedroid wurden über einen Aktientausch – ein sogenanntes Mantelgeschäft – in diese AG eingebracht, womit der eigentliche Name erstmal außen vor ist, aber Savedroid über ein „Back Door Listing“ an die Börse ging.

Bilanztechnisch wartet die Savedroid AG, erzählt Axel Hellinger, aber mit weiteren „Überraschungen“ auf: Die Savedroid-Token wurden als angebliche Utility-Token ausgegeben. Ein Utility Token ist im Grunde ein Gutschein für eine künftig zu erbringende Dienstleistung. Eine ICO ist daher bilanztechnisch gewinnneutral: Der Verkauf eines Token hat einen Ertrag auf der einen Seite, aber gleichzeitig einen Aufwand in Form des Leistungsversprechens auf der anderen Seite zur Folge. Dies hebt sich zum Zeitpunkt der ICO auf. Erst wenn die Leistung für den Utility-Token erbracht wurde, fällt die Verbindlichkeit weg und es entsteht ein Gewinn.

Die Savedroid-Aktiengesellschaft habe, so der Anwalt, die Verbindlichkeiten von 17,2 Millionen dann an eine von ihr gegründete GmbH in Liechtenstein übergeben und ihr dafür 4,6 Millionen Euro zugesagt. So habe die Savedroid AG versucht, die 17,2 Millionen Euro Verbindlichkeiten gegenüber den ICO-Investoren auf 4,6 Millionen gegenüber dem Tochterunternehmen zusammenzustauchen. Die Savedroid AG hat im Jahr 2018 einen außerordentlichen Gewinn von 1,6 Millionen Euro erreicht. „Ein Gewinn, den die Savedroid AG bei dem aktuellen Stand nie wieder durch ein operatives Geschäft erreichen kann.“ Dieser Gewinn sollte wohl die Advanced Bitcoin Technologies AG als erfolgreiches Unternehmen dastehen lassen und Aktienkäufer anziehen.

Der Kurs der ABT AG Aktie ist übrigens im Lauf der letzten drei Monate von 1,00 auf 5,00 Euro gestiegen. Dabei aber gibt es ein dünnes Handelsvolumen, die einzigen feststellbaren Trades werden, erklärt Axel, als Insidertrades angezeigt. So ist nicht klar, ob sich die Strategie bereits ausgezahlt hat. Bei einer Ausgabe von knapp 20 Millionen Aktien konnte die Gesellschaft zumindest ihre Marktkapitalisierung auf dem Papier auf 100 Millionen Euro ziehen.

Bruch und Klagen

All diese Hintergründe erfuhr Axel aber erst im Lauf dieses Jahres. Ihm war es bereits im Februar 2019 zuviel geworden. Savedroid war nicht in der Lage gewesen, die sich mehrenden Bedenken auszuräumen. Auch Axels Versuch, eine außergerichtliche, einvernehmliche Lösung zu finden, lief ins Leere. Daher reichte er eine Strafanzeige unter anderem wegen Betruges bei der Staatsanwaltschaft ein.

Kurze Zeit später klagte auch ein namentlich nicht genannter Investor Savedroid an. Der Klage zufolge hat Savedroid es versäumt, die ICO-Investoren auf ihr Widerrufsrecht hinzuweisen, weshalb die Investoren das Recht hätten, die Token zum Einkaufspreis zurück zu tauschen.

Parallel dazu – und ohne von der Anzeige zu wissen – hat Savedroid dem umbequemen Treuhänder gekündigt. Axel sollte die Bitcoins und Ether an den neuen Treuhänder übertragen. Er aber weigerte sich: „Das kann ich nicht, da die Voraussetzungen des Treuhandvertrags nicht erfüllt sind. Darüber hinaus ist der neue Treuhandvertrag für die Investoren auch deutlich ungünstiger. Es kann nicht sein, dass sich eine Partei der Treuhandbedingung entzieht, indem sie einfach den Treuhänder durch einen bequemeren Treuhänder austauscht.“

Dass diese Entscheidung sein Leben nicht einfacher machen würde, war ihm zu diesem Zeitpunkt bereits klar. Savedroid hat mittlerweile den Rechtsweg eingeschlagen und verklagt ihn auf Herausgabe der Token über 4,6 Millionen Euro.

Die Tokenisierung einer Sammelklage

Axel Hellinger sieht es als aussichtsreich, den Rechtsstreit zu gewinnen. So wichtig es wohl scheint, dass die Token nicht ausgekehrt werden, stellt dies immer noch keine endgültige Lösung dar. Denn damit ist immer noch nicht entschieden, dass die Token an die Investoren zurückgeführt werden dürfen.

Um dies zu erreichen, hat Axel die Iudica Legacy GmbH gegründet. „Das große Problem an einem solchen Projekt ist, dass es viele Investoren mit einem verhältnismäßig kleinen Invest gibt, und viele davon sind aus dem Ausland. Für diese ist die Hürde, vor ein deutsches Gericht zu ziehen, natürlich sehr hoch.“ Daher bündelt Iudica nun die behaupteten Regressansprüche ähnlich einer Sammelklage: Die Iudica GmbH kauft die Savedroid-Token für 10 Prozent ihres Ausgabewertes auf – das ist noch immer 3-9 Mal so hoch wie der gegenwärtige Handelswert. Dazu müssen die Investoren auch die Regressansprüche abtreten.

Die Investoren, aber auch Dritte, können das Verfahren mit dem Kauf von Class-Action-Token unterstützen. Mit den Geldern aus den Class action Token werden die obigen 10% an die Investoren bezahlt. Die Inhaber der Class Action Token werden dann im Erfolgsfalle am Gewinn aus den Regressansprüchen beteiligt.

Trotz der vielen Betrügereien und unfertigen Projekte rund um ICOs glaubt Axel, dass die Tokenisierung von Projekten noch eine Zukunft hat. „So ist es etwa bei Iudica mit den herausgegebenen Class-Action-Token ganz leicht möglich, die Teilnehmer am Gewinn der Savedroid Klage zu beteiligen. Man muss sie nicht zu Mitgesellschafter machen oder ein Genussscheinregister führen. Viele formelle ode bürokratische Hürden entfallen. Gleichzeitig ist die Transparenz für die Teilnehmer größer und sie können mittels der Token ihren Gewinnanteil auch während des laufenden Verfahrens an Dritte weiterveräußern.” Die neue Technik der Tokenisierung sei daher für alle Beteiligte ein Gewinn.

Hinweise des Autors: Der Text beruht auf einem langen Interview mit Axel Hellinger. Wir haben keine Einsicht in Akten zu dem Fall noch die Möglichkeit, die Aussagen von Herrn Hellinger nachzuprüfen; der Zweck dieses Artikels ist es nicht, eine Bewertung von Savedroid vorzunehmen, sondern Einblick in die Nöte zu geben, die das Geschäft eines Escrows im Umfeld des ICO-Booms nach sich ziehen kann.

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1 Kommentar zu Das bitter Nachspiel der Savedroid ICO

  1. Vielen Dank für diesen sehr detailreichen Artikel! Ehrlich gesagt dürfte wohl kaum jemand diesen ICO kennen, aber er ist beispielhaft für die ganzen Scams der letzten Jahre.

    Die Rolle des Anwalts sehe ich sehr zwiespältig. Im ICO Wahn hat sich z.B. auch Vitalik als “Advisor” in etlichen Scams aufstellen lassen und hat dafür wohl auch Geld bekommen, bis er irgendwann wirklich zurückrudern musste. Aber wir wären nicht in Kryptoland, wenn das Murmeltier nicht täglich neu grüßen würde…
    https://www.reddit.com/r/Iota/comments/e6a3jb/iota_foundations_cofounder_dominik_schiener/
    Natürlich halten die Jünger IOTAs kräftig dagegen und downvoten jede berechtigte Kritik, bis sie nicht mehr sichtbar ist.

    Während der ICO-Inflation haben mich übrigens etliche Leute gefragt, warum ich selbst keinen starte, ein bisschen Bullshit-Bingo in ein “Whitepaper” packen war nicht sooo schwierig, aber ich konnte das tatsächlich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.

    Als Treuhänder für ein Projekt zu fungieren, das man nicht wirklich versteht ist nicht mehr blauäugig, sondern könnte als Beihilfe gewertet werden.

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