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Bitcoin ist ein Kult? Oh ja, unbedingt und bitte sehr!

Moai auf den Osterinseln. Hätte es nicht irgendwann mal einen Kult auf dieser Insel gegeben, wäre heute nicht mehr viel zu sehen ... Bild von Carl Lipo via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Bitcoin und andere Kryptowährungen seien ein Kult, sagen einige Kritiker. Sie haben nicht unrecht – übersehen aber, warum genau das Bitcoin so mächtig macht. Denn nur das, was zum Kult taugt, kann auch zur Bewegung werden – und damit zur historischen Kraft.

Manchmal kann man nur staunen, wie nahe Erkenntnis und Verblendung beieinander liegen. So als wäre es nur ein winziger Spalt, der Wahrheit von Lüge trennt, so klein, dass man ihn versehentlich überscheitet, wenn man nur einmal nicht ganz genau hinschaut.

Gerade unter Bitcoin-Kritikern findet man dieses Beieinander von Falsch und Richtig häufig. Die Kompetentesten unter ihnen verstehen Bitcoin technisch hervorragend, aber sind außerstande, die ökonomischen Folgen zu erkennen; andere begreifen die ökonomischen Folgen voll Abscheu, weil sie die wirtschaftspolitischen Ziele nicht teilen, verstehen aber nicht, welche Anreize Bitcoin unaufhaltsam machen.

Und dann gibt es noch jene, die wie der Twitter-Account Concoda haarscharf an der Erkenntnis kratzen, was Bitcoin und Kryptowährungen so ungeheuer machtvoll macht – um dann gewohnheitsmäßig ins Negative abzurutschen.

Jeder einzelne Kryptocoin, so die Übersetzung, führt einen Kult im Anhang mit. Das ist im Kleinsten ein kleines Multi-Level-Marketing-Modell, und, wenn es groß kommt, eine voll ausgebildete Ideologie mit eigenem Kauderwelsch, Indoktrinationszentren und einer Propaganda-Maschine.

Unter dem Tweet hagelt es likes und retweets. Unter den Followern von Concoda finden wir die üblichen Bitcoin-Skeptiker – die Schweizer Intellektuelle Dorothea Bär, den Tether-Truther Bitfinex’ed, den Bitcoin-Kritiker Cas Piancey, die Journalistin Amy Castor, den Dauer-Fudder Stephen Diehl, einige frustrierte Anhänger von Bitcoin Cash und Bitcoin SV, die an sich Pro-Krypto waren, aber nun, weil der Markt nicht so agiert, wie sie es wollten, zum Bitcoin-Gegner mutieren, und viele weitere.

Es ist, könnte man sagen, ein Kult für sich, der mit seinen Lichtgestalten und Polen und Narrativen eine eigene, abgegrenzte Blase bildet, in der dieselben Argumente fließen wie seit 2013 und in der man so tut, als habe sich die Welt und Krypto seitdem nicht weiterbewegt. Es ist eine psychologisch interessante Kombination aus oft exzessiver Beschäftigung mit einer Sache, die man verabscheut, einer Starrsinnigkeit, wahrzunehmen, was geschieht, sofern es der eigenen Überzeugung widerspricht, sowie einem eselshäutigen Desinteresse für eine faszinierende Revolution.

Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es um mehr: nämlich um das Goldnugget Wahrheit, das man in Concodas Tweet als Drecksklumpen verpackt vorfindet. Um das Kultartige von Kryptowährungen, um Ideologien, Propaganda und Indoktrination.

Es ist wahr: Bitcoin ist ein Kult. Ethereum ist ein Kult. Monero ist ein Kult. Es sind Kulte, die sich um Technologien drehen. Dogecoin und Shiba Inu sind Kulte um einen Scherz, Cardano um einen 30-jährigen, der so tut, als wäre er ein Mathematik-Professor, Ripple ein Kult um ein Unternehmen, und IOTA ein Kult um eine Technologie, die angeblich irgendwann vollendet wird. Ein Kult ist eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für eine Kryptowährung, um sich aus dem Sumpf der Shitcoins zu erheben. Wenn ein Coin noch nicht mal einen Kult hat, ist das eine schreiende rote Flagge.

Natürlich verwendet Concada den “Kult” in einem negativen Sinn. Natürlich lügt er, wenn er von MLM spricht (Multi-Level-Marketing), weil dies bei ernsthaften Kryptowährungen niemals eine Rolle spielt, nicht einmal bei kleinen. Und natürlich baut er auf geladenen Begriffen wie “Indoktrination” und “Propaganda”, um den Bezug zu Betrug zu schaffen, den Concada und die meisten Krypto-Gegner so sehr brauchen wie andere die Luft zum Atmen.

Denn die Wahrheit ist, und so könnte man den Tweet auch formulieren: Jeder einzelne erfolgreiche Kryptocoin hat eine Schar überzeugter Investoren und Fans, die eine lose geteilte Weltsicht verbinden, sehr stark darauf hoffen, dass der Coin die Welt besser machen wird, sich gerne mit Gleichgesinnten treffen und ihre Begeisterung teilen. Ein erfolgreicher Kryptocoin ist, um es abzukürzen, keine Technologie – sondern eine Bewegung.

Das Versprechen von Kryptowährungen ist eine Revolution. Bitcoin revolutioniert das Geldwesen, Ethereum das Finanzwesen und die Organisation, Monero die Privatsphäre, und alle anderen sind jene Kinder der Revolution, die versuchen, ihre Eltern zu fressen. Gerade Concoda weiß das:

Seit Jahren, so der Bitcoin-Skeptiker, füttert uns das Krypto-Ökosystem mit einem ununterbrochenen Hype-Strom über eine kommende ‘Revolution’, in der Krypto korrupte Instutionen und die machthungrige Elite, die sie kontrolliert, ersetzt … Danach erklärt Concoda, warum die Revolution des Finanzwesens, die derzeit vor unseren Augen passiert, in Wahrheit gar nicht passiert. Oder die falsche ist. Und so weiter. Es gibt immer eine Ausrede, warum nicht ist, was nicht sein soll.

Dass sich Concoda des Widerspruches nicht bewusst ist, zeigt, was viele der technisch oder ökonomisch kompetenten Bitcoin-Skeptiker vereint: ein weitgehendes Fehlen eines Gespürs für Netzwerkeffekte und soziologische Zusammenhänge (während andersherum Soziologen und andere Geisteswissenschaftlern oft die technisch-ökonomische Kompetenz fehlt, um Bitcoin zu verstehen). Denn die eine, elementare Tatsache, die alle Revolutionen und Konterrevolutionen, ja, alle historisch bedeutsamen Entwicklungen und alle bleibenden Vermächtnisse, alle Staaten und Religionen und Errungenschaften verbindet, ist diese: Sie müssen eine Bewegung sein.

Concoda beschreibt im obigen Tweet sehr nett, was die größte Stärke von Kryptowährungen ist — warum sie scheinbar mühelos eine Bewegung bilden. Vielleicht, weil nirgendwo persönliche Gier und überpersönlicher Idealismus so nahe zusammenkommen. Es ist gut, sich für das Gute einzusetzen – aber noch besser, wenn man dabei noch Profit macht. Der Glaube kann Berge versetzen – und Gebirge, wenn er viel Geld hat.

Aber manchmal macht einen die Vernarrtheit in die eigenen Überzeugung blind selbst für das, was man eben selbst erkannt hat …


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3 Kommentare zu Bitcoin ist ein Kult? Oh ja, unbedingt und bitte sehr!

  1. Cheers auf den 2222. Artikel! Vielen Dank, das tat sehr gut.

  2. 2222 Artikel?! Kultig… 😎

    • „Jeder einzelne erfolgreiche Kryptocoin hat eine Schar überzeugter Investoren und Fans, die eine lose geteilte Weltsicht verbinden, sehr stark darauf hoffen, dass der Coin die Welt besser machen wird, sich gerne mit Gleichgesinnten treffen und ihre Begeisterung teilen.“

      Wieder einmal eine Erinnerung an das was Bitcoin und „Crypto“ im allgemeinen eigentlich sein sollte. Danke!

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