Der Krypto-Sumpf im Baltikum

Ein Recherchekollektiv deckt auf, wie im Baltikum Kryptowährungen genutzt werden, um Geld zu waschen und Sanktionen zu umgehen. Lange war Estland das Zentrum, doch nach der Verschärfung der Regulierung wandert die Branche nach Litauen. Vieles klingt zu absurd, um wahr zu sein.
Das osteuropäische Recherchekollektiv VSquare berichtete Anfang Oktober ausführlich über Geldwäsche durch Kryptowährungen im Baltikum. Es ist ein langer, sich etwas verwirrend durchs Thema schlängelnder Artikel, der gespickt ist mit Absurditäten, die einen staunend zurücklassen.
Ursprünglich war Estland ein Zentrum der Krypto-Geldwäsche. Das Land hatte 2017 ein Lizenz-System für Krypto-Startups eingerichtet, das, kommentiert ein ehemaliger Beamter, „niemals funktioniert hat.“ Zunächst meldeten sich nur wenige Unternehmen an. Ende 2017 explodierte jedoch die Anzahl der Lizenzvergaben, so dass bis Mitte 2021 satte 1644 Krypto-Unternehmen in dem Land registriert waren, laut Vsquare fast 55 Prozent aller Krypto-Unternehmen weltweit. Diese Unternehmen sind mit fast jedem anderen Land der Welt verbunden, am häufigsten aber mit Russland (440) und der Ukraine (203).
Der maßgebliche Faktor für die Explosion estländischer Krypto-Unternehmen waren Agenturen, die halfen, eine Lizenz zu erlangen. 668 Krypto-Unternehmen können nur drei solcher Agenturen zugeordnet werden. Ein maßgeblicher Teil der Anmeldung war die Erfüllung der AML-Standards, um Geldwäsche zu bekämpfen. Dies gewährleisteten die Agenturen auf bizarre Weise.
Schweißer und Rentner als Geldwäschebeauftragte
Die Journalisten stießen etwa auf eine Wohnung in einem Sozialbau in der estländischen Hauptstadt Tallinn, in der acht Krypto-Unternehmen angemeldet waren. Ihr 65-Jähriger Bewohner war bei diesen als Geldwäsche-Beauftragter gelistet, ohne dafür in irgendeiner Weise qualifiziert zu sein. Unter den Unternehmen war eine Tochterfirma der kasachischen Börse Intebix, die vom Sohn eines lokalen Oligarchen mitgegründet worden war, oder Zahlungsdienstleister wie Steveyc, Venus Exchange und Paytechno, die als Vehikel für Betrüger gelten.

Die estländische Hauptstadt Tallinn hatte bis MItte 2022 vermutlich die höchste Dichte an Geldwäschebeauftragten weltweit. Bild von Stephen Colebourne via flickr.com. Lizenz: Creative Commons
Dies scheint ein Muster zu sein: Menschen in finanziell schwieriger Lage und ohne Erfahrung mit Geldwäsche wurden zu Geldwäschebeauftragten in Dutzenden von Krypto-Unternehmen gleichzeitig. So trafen die Journalisten etwa einen Schweißer, der 22 Unternehmen betreute, von denen eines, ReliabilityStabilityIncome, von der russischen Zentralbank schon 2021 auf einer schwarzen Liste landete, da es im Verdacht steht, ein Pyramidensystem zu sein.
Die Spur des Geldes führt zuverlässig nach Tallinn
Der Angriff Russlands auf die Ukraine veränderte vieles. Plötzlich fanden sich viele Unternehmen in Estland auf westlichen Sanktionslisten, etwa Garantex, Chatex oder Coinsbit. Diese Börsen operierten zum Teil in Moskau, waren aber in Estland registriert, um eine Brücke in die EU zu schlagen. Sie wickelten bereitwilllig Transaktionen für russische Kriminelle ab, etwa für die neonazistische Söldnergruppe Russitsch und mutmaßlich die Wagner-Gruppe.
Eigentlich wären die Börsen durch ihren Sitz in der EU verpflichtet gewesen, ab 2022 Sanktionen gegen russische Staatsbürger zu erlassen. Dennoch haben sie den Wechsel von Kryptowährungen gegen russische Rubel erlaubt. Ein Mitarbeiter von Coinsbit erklärte auf Telegram freimütig, es gebe keine Einschränkungen für russische Bürger.
Neben Massenmördern dienten sich diese Börsen auch bereitwillig Betrügern an. Im Zusammenhang mit Coinsbit etwa fanden die Ermittler hunderte von Betrugswarnungen. Die sanktionierte Börse Garantex steht zudem in Verbindung mit den Wallets des gigantischen ehemaligen Darknetmarktes Hydra, für den sie Bitcoins im Wert von umgerechnet fast 140 Millionen Euro gewaschen hat. Auch die berüchtigte nordkoreanische Hackergruppe Lazarus sowie die russischen Ransomware-Hacker von Conti, die in Verbindung zum russischen Geheimdienst stehen, haben Garantex verwendet.
So gut wie jeder „Crypto Crime“ — Betrug, Geldwäsche, Hacks, Ransomware, Drogenhandel, Sanktionsumgehung – hinterlässt eine Spur des Geldes, die zielsicher in die Krypto-Ökonomie von Estland führte.
Noch im März 2022 erklärte ein Youtube-Video auf Russisch, wie man die Sanktionen mithilfe von Payeer umgeht, eine Börse und ein Zahlungsdienstleister, der von Estland aus operiert. Das Unternehmen hat nach eigener Angabe Millionen von Kunden, die meisten in Russland. Payeer wurde 2012 in Russland gegründet, hat seitdem aber seinen Standort mehrfach gewechselt und in Estland eine dankbare Heimat gefunden.
Der Sumpf trocknet aus
Ab einem gewissen Zeitpunkt realisierte die estländische Finanzaufsicht, dass ihr das Gesetz kaum eine Möglichkeiten gab, Lizenzen zu verweigern. Wenn sie dies versuchte, klagte das betreffende Unternehmen und bekam vor Gericht meist Recht.
„Die Estländer begriffen, dass sie die Kontrolle verloren hatten,“ erklärt ein polnischer Anwalt, „die meisten Unternehmen waren Briefkastenfirmen, die nichts mit der lokalen Wirtschaft zu tun hatten. Sie bezahlten keine Steuern, stellten keine Mitarbeiter ein, und brachten dem Land nichts als Reputationsverluste.“
Also reformierte das Land die Regulierung. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: die strengeren Gesetze trockneten den Krypto-Sumpf fast über Nacht aus. Die meisten Unternehmen verloren ihre Lizenz oder suchten das Weite. Von den 1644 estländischen Krypto-Firmen blieben gerade mal 78 im Land.
Sanktionen P2P unterwandern
Allerdings sind selbst unter denen, die geblieben sind, weiter schwarze Schafe. Manche Börsen versuchen etwa, die Sanktionen zu umgehen, indem sie den Handel mit Rubel auf P2P-Plattformen verlegten. Etwa die Börse MEXC. Sie besitzt eine Lizenz in Estland, hat ein tägliches Handelsvolumen von 500 Millionen Euro und erlaubt den nicht-treuhänderischen P2P-Handel von Rubel gegen Kryptowährungen. Da sie selbst aber nur Dollar und Euro in Verwahrung nimmt, verstößt sie nicht direkt gegen Auflagen. Auf Anfrage erklärte die Finanzaufsicht Estlands, die Lizenz von MEXC derzeit zu überprüfen.
In anderen Fällen spielt es schlicht keine Rolle. Zum Beispiel bei Garantex, einer Börse, die in Moskau operiert und in Tallinn angemeldet war. Mitte 2022 durchsuchte die Finanzaufsicht das Büro und stellte dabei fest, dass 90 Prozent der Kunden nicht verifiziert waren. Die Börse verlor ihre Lizenz, operiert aber unbekümmert weiter und ermöglicht es ihren Kunden, Sanktionen gegen Russland zu umgehen.
Krypto-Boom in Litauen
Der Großteil der estländischen Krypto-Unternehmen zog aber in andere europäische Länder, etwa Litauen, wo die Krypto-Branche derzeit eine wahre Blüte erlebt. Auch hier ist die Regulierung relativ mild. Es gibt zwar eine Mindesteinlage von 125.000 Euro für Krypto-Unternehmen, doch diese kann auch durch Kryptowährungen geleistet werden.
Ein Beispiel für die Wanderung ins Nachbarland ist Arbismart, eine Wallet für Kryptowährungen, die Zinsen generiert, aber unter starkem Betrugsverdacht steht. Nachdem Estland ihr die Lizenz entzogen hatte, siedelte sie sich in Litauen an. Angemeldet ist sie auf den Namen eines Ukrainers, der auf Anfrage erklärt, nichts mit dem Unternehmen zu tun zu haben.

Mittlerweile wurde die litauische Hauptstadt Vilnius zur Heimat der unterqualifizierten Geldwäschebeauftragten. Bild von Zoi Koraki via flickr.com. Lizenz: Creative Commons
Auch Payeer, das 2023 seine Lizenz in Estland verloren hat, operiert nun von Litauen aus. Man reibt sich die Augen: Ein Unternehmen, das seit 2012 vielfach im Verdacht steht, Geldwäsche zu betreiben, erhält eine Lizenz in einem EU-Land. Als Verantwortliche wird eine Russin genannt, die ihren Wohnsitz in den Niederlanden hat; die angegebene Telefonnummer ist tot. Als Einlage lud Payeer schlicht ein Gutachten eines litauischen Experten hoch, der bestätigte, dass die Russin Kryptowährungen im Wert von 125.000 Euro hielt.
Auch MoneySwap gründete nach dem Exit aus Estland in Litauen eine neue Firma, MoneyAmber. Laut Berichten ist die Börse beliebt bei Betrügern und Russen. Die Dachgesellschaft, Mercuryo, wird von Zypern aus geleitet; einer der Shareholder ist der Bruder eines Managers der staatlichen russischen Sberbank, während ein Mitbesitzer ein direktes Einkommen von dieser Bank erhält.
VSquare stieß auf mindestens 68 Krypto-Unternehmen in Litauen, die unter demselben Namen zuvor in Estland angemeldet waren. 39 weitere haben klare Verbindungen zu estländischen Dienstleistern und Agenturen. Auch diese Agenturen migrieren zum Teil einfach mit und bieten ihre Dienstleistungen, inklusive der angeblichen AML-Prüfungen, einfach in Litauen an. So kommt es, dass plötzlich viele Studenten in Litauen nebenberuflich für 1-20 Euro je Stunde als Geldwäschebeauftragte arbeiten.
Insgesamt sind in Litauen 800 Krypto-Unternehmen angemeldet. Wie in Estland werden von diesen vermutlich weniger als 10 Prozent etwas anderes als Briefkastenfirmen für die Geldwäsche sein. Der Krypto-Sumpf, der sich im Nordosten Europas ausgebreitet hat, ist trotz des schärferen Vorgehens Estlands und der Finanzsanktionen noch längst nicht ausgetrocknet.
Krypton braucht einfach mehr Regulierung.
Im Gegensatz zu Fiat nutzen auch böse Menschen diese Währungen
Böse Menschen nutzen also kein Fiat? Ich schmeiß mich gleich weg vor Lachen.
Leider wird krypto, anders als fiat für böse Dinge missbraucht. Wir brauchen mehr Regularien
Wenn es diesen Sumpf im scharf antirussischen Baltikum gibt und dass trotz EU Sanktionen und regelbasierter Ordnung in unserer EU, dann gibt es das weil es das geben soll, weil es eine Funktion erfüllt. Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit und der wichtigste Profiteure sind Blockadebrecher die unter der Decke Geschäfte machen.
Wir brauchen nicht mehr Regularien sondern eine gleichmäßige und gerechte Anwendung derselben. Mehr Ehrlichkeit weniger Geschummel in diese Byzantinischen Gebilde namens EU. Wenn dann noch die Selbstgerechtigkeit verschwinden würde, dann wär das schon was…
Wie kommt es das einzelne EU Länder aus Russland Gas beziehen (wie etwa Spanien, hier gibt es offiziell keine Sanktionen). Auch Japan bezieht dank seiner Nähe zu Sachalin (einer Insel mit dem größten Ölfeld der russischen Förderation) weiterhin russische Energieträger – ist aber natürlich trotzdem bei Sanktionen der G7 voll dabei. Bitte: diese Inffromationen sind dem Hellmeyer Report entnommen, ja an der Börse hört man mitunter die Wahrheit weil Lügen dort teuer werden.