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„Die einzige moralische Regel, die zählte, war maximale Nützlichkeit.“

Legal Gavel & Open Law Book. Bild von Blogtrepreneur via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

In New York sagt Caroline Ellison vor Gericht zur Pleite der Börse FTX aus. In der Aussage der engen Vertrauen von Gründer Sam Bankman-Fried finden sich einige skandalöse Einblicke.

Am besten wäre es wohl, wir würden das Drama um die Börse FTX und ihren Gründer Sam Bankman-Fried einfach hinter uns lassen. Die Börse ist pleite, Sam wird mit großer Sicherheit ins Gefängnis wandern müssen und die Krypto-Welt wird heilen.

Allerdings findet gerade in New York der Prozess gegen Sam Bankman-Fried statt, der manche Perlen ans Tageslicht bringt. Eine davon war die Vernehmung von Caroline Ellison, Ex-Freundin von Sam und Cheftraderin von FTX bzw. Alameda Research. Kaum jemand war sowohl persönlich als auch geschäftlich so tief in die Machenschaften von Sam verstrickt wie sie.

Das versuchte auch die Verteidigung zu nutzen. Sams Anwalt warf Caroline vor, an den Verwerfungen bei Alameda Research schuld zu sein, während Bankman-Fried lediglich angemessen auf die Probleme reagiert zu haben. Der schwarze Peter sollte zu der jungen Frau geschoben werden, die darauf mit ihren Aussagen reagierte.

Dabei schließt sich das Bild von einer Börse, die mit maximaler krimineller Energie geführt wurde, und einem Gründer, der seine eigene Mission für die Welt für so wichtig hielt, dass er ihr nahezu alles unterordnete.

In der Weltsicht von Sam, erklärt Caroline, waren Lüge und Betrug moralisch erlaubt, wenn nicht sogar geboten, sofern sie nur dem richtigen Zweck dienten. „Die einzige moralische Regel, die für ihn zählte, war die maximale Nützlichkeit.“ Diese Philosophie des „Utilitarismus“ besagt kurzerhand, dass der, der Gutes tun will, bereit sein muss, zuvor ohne jeden Skrupel Geld und Macht anzuhäufen.

„Als ich begann, bei Alameda zu arbeiten, hatte ich nicht geahnt, dass ich an unsere Kreditgeber falsche Bilanzen senden oder Kundeneinlagen veruntreuen würde,“ bekennt Ellison, „aber im Lauf der Zeit habe ich mich daran gewöhnt.“ Der Utilitarismus von Sam schwappte auf die junge Frau über, die mit ihm an der Elite-Uni MIT studiert hatte.

Danach nennt sie zahlreiche Beispiele. Einmal blieben Gelder von Alameda auf den chinesischen Börsen Huobi und OKX hängen. Als auch ein Anwalt sie nicht freibekam, eröffnete Ellison neue Konten mit den Dokumenten thailändischer Prostituierter, um Transaktionen zu tätigen, die die Guthaben befreiten. Nachdem auch das scheiterte, bezahlte FTX ein Schmiergeld.

Schwerer dürfte aber die Veruntreuung von Kundengeldern wiegen. Ellison erklärt in aller Deutlichkeit, dass die Einlagen der Kunden von FTX genutzt wurden, um Kredite zurückzuzahlen. Wenn eine große Menge Kunden auf einmal Gelder auszahlen würden, würde es an Geld fehlen. „Ich war deswegen wirklich sehr gestresst und in einem ständigen Zustand des Schreckens.“

Von den 12 Milliarden Dollar, die die Kunden auf FTX einbezahlt hatten, waren nur noch vier Milliarden da. Der Rest war an Alameda Research geflossen, das zu diesem Zeitpunkt schon in Schulden ertrank, oder als Darlehen an Sam Bankman-Fried, der damit unter anderem luxuriöse Immobilien auf den Bahamas gekauft oder in andere Unternehmen investiert hatte.

Caroline spricht auch über einige bis dahin kaum bekannte Pläne von Sam. Eines seiner großen Ziele war es, „die Regulierer dazu zu bringen, härter gegen Binance vorzugehen“, was für Sam „der potenziell beste Weg war, den Marktanteil von FTX zu vergrößern.“ In den Gesprächen mit den Regulierern in den USA hatten diese, so Caroline, dies auch versprochen, doch es sei niemals geschehen.

Ein anderes Ziel von Sam war es, SNAP zu kaufen, die Mutterfirma von Snapchat. Ebenfalls auf der To-Do-Liste von Caroline stand es, Geld von Mohammed bin Salman einzuholen, einem saudischen Prinzen.

Caroline und Sam waren einige Jahre lang zusammen gewesen. Sie war während dieser Zeit und danach eine seiner engsten Mitarbeiter, was laut ihrer Aussage teilweise schräg gewesen war. Für sie war die Zeit bei FTX rückblickend verdüstert. Sie musste lügen, Kundengelder veruntreuen, und in der ständigen Furcht leben, dass es zu einem Bankrun kommt.

All dies diente dem hohen Ziel, dass Sam seine Ziele verwirklicht. Was ist schon eine Lüge, wenn am Ende etwas Gutes entsteht? Sam habe davon geträumt, erklärt Caroline, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Er habe sich dafür eine fünfprozentige Chance ausgerechnet. Doch schon zuvor hat er mit seinen zahlreichen Spenden an Hilfs- und politische Organisationen das Geld, das er nicht hatte, aber von den Kunden nahm, an Zwecke weitergeleitet, die ihm offenbar wichtiger erschienen.

Für Caroline hatte all das Stress bedeutet. Als FTX im Herbst 2022 schließlich kollabierte, war dies für sie die schrecklichste Woche ihres Lebens, erzählt sie – aber gleichzeitig eine riesige Erleichterung. Endlich war das Lügen zu Ende.

Inwieweit das aber auch nur eine weitere Schicht der Lüge ist, und ob sie wirklich so sehr das Opfer von Sams Ehrgeiz ist, anstatt eine Traderin, die Märkte mit derselben Skrupellosigkeit manipulierte wie dieser, wird das Gericht entscheiden müssen.

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2 Kommentare zu „Die einzige moralische Regel, die zählte, war maximale Nützlichkeit.“

  1. “Der Zweck heiligt die Mittel” war schon immer die Entschuldigung für üble Taten und eiskalte, skrupellose Logik.

  2. “Diese Philosophie des „Utilitarismus“ besagt kurzerhand, dass der, der Gutes tun will, bereit sein muss, zuvor ohne jeden Skrupel Geld und Macht anzuhäufen.” — nein, das besagt er nicht. Vielmehr betrachtet er explizit den Gesamtnutzen. Schäden für einzelne werden also nicht einfach so akzeptiert, sondern fließen in die Gesamtbetrachtung mit ein.

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