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Blockchain-Analysten an Medien: Vertraut uns nicht!

Blick auf Gaza Stadt. Bild von Marcin Monko via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Nachdem Medien von hohen Krypto-Spenden an palästinensische Terrororganisationen berichtet hatten, stellte der Blockchain-Analyst Elliptic klar, dass die Zahlen übertrieben sind. An Glaubwürdigkeit verlieren dabei aber nicht die Medien – sondern Elliptic und andere Blockchain-Analysten.

Eigentlich ist das Wall Street Journal in der Krypto-Szene relativ beliebt, da es häufig und oft auch wohlwollend über Kryptowährungen berichtet. Doch seit einigen Tagen wütet und zürnt die Community in seltener Einigkeit gegen das Magazin.

Ursache ist ein am 10. Oktober veröffentlichter Artikel. In diesem behauptet das Wall Street Journal, die Terrororganisationen Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) hätten zusammen mehr als 130 Millionen Dollar in Kryptospenden eingesammelt. Diese Zahlen hatte das Wall Street Journal aus Berichten der Blockchain-Analysten Elliptic und BitOX.

Es ist üblich, dass Journalisten die Zahlen von Analysten verwenden. In der Regel begrüßen diese das ausdrücklich. Umso kurioser ist daher, was danach geschah. Der Analyst Elliptic veröffentlichte ein Blogpost um „für klare Verhältnisse zu sorgen“. In diesem erklärt er, dass es keine Beweise dafür gebe, dass die Hamas „signifikante Summen“ durch Krypto-Spenden erhalten haben. Das Wall Street Journal habe Daten von Blockchain-Analysten, darunter von Elliptic selbst, misinterpretiert.

In der Krypto-Szene sorgte das für Stürme der Entrüstung. Man wird zwar nicht müde, die „Zensurresistenz“ und „Erlaubnisfreiheit“ von Bitcoin und anderen Kryptowährungen zu preisen, reagiert aber empfindlich, wenn die Presse darüber berichtet, dass auch die Mächte des Bösen davon Gebrauch machen. Ein beredetes Beispiel hierfür ist Sam Callahan von SwanBitcoin. Er meint triumphierend, es sei „bestätigt“ worden, dass „der Artikel nachweislich falsch war“, weshalb er dem Wall Street Journal vorwirft, „Fake News in Reinform“ zu verbreiten.

Unmittelbar danach verbreitet Sam Callahan jedoch selbst Fake News. Aber beginnen wir am Anfang der Geschichte, um die verschiedenen Ebenen von Irrtum und Fake News zu entblättern.

Der ursprüngliche Artikel

Am 6. Juli hat der Analyst Elliptic einen Artikel veröffentlicht, in dem es um 94 Millionen Dollar in Krypto geht, die mit dem PIJ in Verbindung stehen. Auf diesen Artikel hat sich das Wall Street Journal bezogen.

Kurz nach einer militärischen Operation in der West Bank im Juni, erklärt Elliptic, unterschrieb Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant einen Bescheid zur Beschlagnahmung von 26 Tron Wallets und 67 Account auf Börsen. Diese Wallets enthielten fast 94 Millionen Dollar in USDT, USDC und TRX.

„Da es sich auch um Wallets von Kryptobörsen handelte, ist es nicht klar, wie viel der Guthaben direkt dem PIJ gehören,“ räumt Elliptic zwar ein. Doch direkt danach nennt der Analyst starke Gründe, warum es sehr wahrscheinlich ist, dass die 94 Millionen Dollar auf den besagten Wallets zu großen Teilen oder im Ganzen Terrorspenden sind.

Wie bei anderen islamistischen Terrororganisationen, erklärt der Analyst weiter, „korreliert auch die Aktivität der mit PIJ zusammenhängenden Wallets mit den Eskalationen des Konflikts. Sowohl die Anzahl der Transaktionen als auch ihr Volumen stieg im März 2022 an und erreichte im Mai dieses Jahres eine Spitze – was mit einem Ausbruch an Gewalt einherging, bei der 17 Israelis und zwei Ukrainers durch Militante in der West Bank getötet wurde.“

Aber nicht nur das: Im Mai 2023 stürzte das Transaktionsvolumen um gut 90 Prozent ein – was „beinahe exakt damit zusammenfiel, dass die al-Quassam-Brigaden der Hamas ankündigten, ihre Bitcoin-Spendenkampagne auszusetzen.“ Das spricht deutlich dafür, dass Terrorfinanzierung kein Nebenaspekt der beteiligten Wallets war, sondern ihre Hauptaktivität.

Darüberhinaus ist die Summe von 94 Dollar für Elliptic so überzeugend, dass der Analyst darüber nachdenkt, wie ein so hoher Betrag zustandekam. Er erklärt dies damit, dass der PIJ als Stellvertreter des Irans gilt. „Irans starkes Engagement mit Kryptoassets zur Umgehung von Sanktionen kann die Höhe des Betrages erklären.“

Darunter hat Elliptic einen Chart gezeigt, der die monatlichen „Transaktionen an den PIJ“ darstellt. Den Titel des Charts hat Elliptic später geändert in „Transaktionen an Wallets, die mit dem PIJ verbunden sind.“

Wer mit dem Finger auf andere zeigt …

Es ist wirklich schwer, sich vorzustellen, wie das Wall Street Journal das Post von Elliptic anders hätte verstehen können. Sam Callahan wirft den Journalisten dennoch vor, bei ihrer Arbeit versagt zu haben: „Es hat sich gezeigt, dass die Autoren das gesamte Handelsvolumen einer Börse (82 Millionen Dollar) mit der Adresse einer Terrorgruppe verwechselt haben. Anfänger-Fehler!“ Die Zahlen seien, meint Sam, um 99 Prozent falsch. Der PIJ habe nicht 91 Millionen Dollar empfangen, sondern gerade mal 450.000! Dies bestätige der Analyst Chainalysis.

Der hatte sich kurz zuvor ebenfalls in die Debatte eingeschalten. „Wenn man auf die Empfänger einer Wallet schaut, die mit Terrorfinanzierung verbunden ist,“ erklärt Chainalysis, „finden wir rund 20 Service-Provider, die zwischen 8,4 und 1,1 Milliarden Dollar in Kryptowährungen empfangen haben.“ Ein genauerer Blick auf einen dieser Provider zeige jedoch, „dass von ungefähr 82 Millionen Dollar in Kryptowährungen, die diese Adresse empfangen hat, nur rund 450.000 Dollar von einer Wallet gesendet wurden, die nachweisbar Terrorfinanzierung betreibt.“

Das ist also die Zahl, die Sam Callahan so triumphierend nennt. Es ist offensichtlich, dass er Chainalysis falsch verstanden hat, dass es schwer fällt, keine Absicht zu unterstellen. Der Analyst erwähnt an keiner Stelle, dass von den mutmaßlichen 91 Millionen Dollar nur 450.000 Terrorspenden sind. Er erklärt lediglich, dass unter den Gegenparteien, mit denen EINE terrorfinanzierende Wallet interagiert, EINE mittelgroße Wallet nur zu einem kleinen Teil NACHWEISBAR von einem Terrorfinanzierer bezahlt wurde.

Konkrete Zahlen, wie viel palästinensische Terrororganisationen empfangen haben, möchte Chainalysis nicht geben. „Wenn man berücksichtigt, wie Terrororganisationen Service-Provider sowohl im traditionellen Finanzwesen als auch auf der Blockchain verwenden, ist es schwer schwer, präzise zu schätzen, wie viel Geld an die Terrororganisationen fließt.“

Sams Unverständnis des Artikels von Chainalysis ist schreiend. Dennoch jubelt die Krypto-Community seinem Tweet zu und hetzt gegen das Wall Street Journal. Weder Chainalysis noch andere Krypto-Medien unterziehen sich der Mühe, die Welt da draußen auf diese Demonstration mangelnder Lesekompetenz hinzuweisen.

„Unsere Analysen sind wertlos!“

Fassen wir an der Stelle kurz zusammen: Elliptic hat im Juni einen Artikel veröffentlicht, der relativ deutlich darlegt, warum die 94 Millionen Dollar in Kryptowährungen, die das israelische Verteidigungsministerium beschlagnahmen wollte, zu großen Teilen oder ganz mit dem PIJ in Verbindung stehen. Die Chronologie der Zahlungsströme spricht eindringlich dafür, dass Terrorfinanzierung die Hauptaktivität der betreffenden Adressen waren, und die Formulierungen im Artikel legen nahe, dass Elliptic eben davon ausgeht.

Das Wall Street Journal hat den Artikel von Elliptic korrekt wiedergegeben. Der Fehler der Journalisten war es aber, den Analysten beim Wort zu nehmen und ihn als vollwertige Quelle zu betrachten. Sie konnten nicht ahnen, dass Elliptic wenige Monate später das eigene Post mehr oder weniger als „Fake News“ abtun würde.

Die Kryptoszene wütet nun gegen das Wall Street Journal und wirft diesem vor, Fake News zu verbreiten. Das Magazin hat darauf reagiert, indem es eine Richtigstellung an den Artikel anhängt. Allerdings betrifft diese Klarstellung nur ein kleines Detail. Sie reduziert die behauptete Summe nicht, wie manche Krypto-Medien berichten, von 93 auf 12 Millionen.

Es sind nicht die Journalisten des Wall Street Magazines, die sich in diesem Fall blamiert haben, auch wenn die Krypto-Szene das gerne so hätte. Es sind auch nicht die Krypto-Influencer wie Sam Callahan (und auch Nic Carter, Ryan Adams und andere), die tatsächlich nachweisbare Missverständnisse auf Twitter posten, und noch nicht einmal die Krypto-Medien, die nicht mal in der Lage sind, eine Richtigstellung korrekt zu verstehen. Auch die Krypto-Community hat sich nicht am stärksten blamiert, indem sie „ihren“ Influencern und Medien unkritisch zustimmt.

Blamiert hat sich in dieser Affäre vor allem eine Gruppe: die Blockchain-Analysten, allen allen Elliptic, aber auch Chainalysis. Sie legen einen Offenbarungseid ab und erklären einmütig: Vertraut uns nicht! Unsere Analysen sind die Pixel nicht wert, durch die wir sie veröffentlichen. Und genau das ist es, was bleiben sollte, sowohl in der Krypto-Community als auch unter Journalisten. Blockchain-Analysen sind nicht vertrauenswürdig.

Über Christoph Bergmann (2810 Artikel)
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