Wissenschaft und Bitcoin: über 1.000 papers 2015
Zum Wesen der Wissenschaft gehört es, alles neue mit Interesse zu betrachten – und damit natürlich auch den Bitcoin. Mittlerweile beschäftigen sich unzählige Lehrstühle, Professoren, Doktoranden und Studenten mit der virtuellen Währung. Ein kleiner und sehr oberflächlicher Überblick über Bitcoin in der Wissenschaft.
Ein wenig stellt der Bitcoin die Art, wie Wissenschaft abläuft, auf den Kopf. Gewöhnlich entwickeln Ingenieure, Physiker und Informatiker neue Verfahren, Materialien und Schnittstellen, die dann durch die wissenschaftliche Community gehen, auf Konferenzen rund um die Welt diskutiert und weiterentwickelt und schließlich, man sagt, zehn Jahre später, von der Industrie produziert und auf den Markt geworfen werden. Beispiele sind die Forschung an Elektroautos, Materialien für die Energiewende oder Simulationen des menschlichen Gehirns, welche am Ende in bessere Tabletten gegen Alzheimer oder Schizophrenie münden sollen.
Natürliche Phänomene, Märkte oder Kunstwerke sind dagegen Objekte, die nicht von Wissenschaftlern entwickelt, sondern beobachtet, seziert und analysiert werden. Da der Bitcoin als Technologie nicht in der Wissenschaft entstand, sondern mehr oder weniger spontan, ungeplant und weitgehend abgeschlossen aus einem anymen Winkel des Netzes gehüpft ist, müssen die Forscher ihm gegenüber eine ähnliche Perspektive einnehmen wie gegenüber dem Zusammenspiel von Quantenteilchen, dem Devisenmarkt, der Bodenfeuchtigkeit in Sibirien oder Thomas Manns Zauberberg: als ein Phänomen, das gegeben ist, aber Beobachtung und Analyse verdient.
Eine einfache Suche nach deutschen Lehrstühlen, bei denen Bitcoin beforscht wird, erbringt zahllose Treffer
- An der Universität Saarbrücken forscht Christoph Sorge, Inhaber der juris-Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik bereits seit 2012 am Bitcoin. Im vergangenen Jahr hat er gemeinsam mit Merih Kütük einen Artikel veröffentlicht zum Thema “Bitcoin im deutschen Vollstreckungsrecht”. Das könnte interessant sein. Ebenfalls in Saarbrücken haben 2014 junge Informatiker ein Verfahren entwickelt, um die Privatsphäre von Bitcoin-Transaktionen durch ein sogenanntes “Coin Shuffling” zu verbessern.
- Am Lehrstuhl für bürgerliches Recht der Uni Bayreuth hat der Mitarbeiter Nico Kuhlmann im Oktober 2014 einen Aufsatz veröffentlicht. Titel: “Bitcoins, Funktionsweise und rechtliche Einordnung der digitalen Währung”
- Moritz Christian Weber von der Wirtschaftsinformatik der Goethe-Uni Frankfurt hat 2014 gleich mehrere Aufsätze zum Thema Bitcoin veröffentlicht. Bei ihnen geht es um Themen wie “Asset or currency? Revealing user’s hidden intention” oder “how to price a digital currency?”
- Rainer Böhme vom Institut für IT-Sicherheit der Uni-Münster forscht leitend im deutsch-österreichischen Cybersicherheits-Programm bitcrime mit. Um ihn herum forschen etwa Malte Möser und Dominic Breuker zum Bitcoin.
Beinah häufiger als in der Forschung findet man den Bitcoin aber in der Lehre. Möglich, dass viele Dozenten dabei das Interesse ihrer Studierenden aufgreifen.
- Die Uni Leipzig hat 2014 im Zuge eines Seminars zum Bank- und Kapitalmarktrecht auch mehrere Themen zum Bitcoin vergeben
- Am Lehrstuhl für Finance der Uni Regensburg wurden vor kurzem bereits zwei Bachelor-Arbeiten zum Bitcoin verfasst: Bitcoin als Assetklasse, und die Geschichte von Bitcoin
- An der Ruhr-Uni-Bochum bietet der Lehrstuhl für Kryptographie und IT-Sicherheit ein Seminar zu Financial Cryptography an
- An der Heinrich Heine Uni Düsseldorf nennt der Lehrstuhl für Informatik in einem Seminar zur Netzwerksicherheit Bitcoin unter den Sicherheitsprotokollen neben VPN und SSL
- Auch die Albert-Ludwig Uni Freiburg bietet schon Seminare zu Digitale Währungen an
- Dass an der Uni Ulm am Lehrstuhl für Informatik Bitcoin und Ethereum bereits Themen waren, wurde bereits auf diesem Blog erwähnt
- Die Uni Hannover hat 2014 eine Podiumsdiskussion zum Thema Bitcoin veranstaltet. Titel: “Bitcoin – die Zukunft des Geldes?“
Während Seminare und andere Lehrveranstaltungen zwingend oberflächlich und einführend bleiben, zeigt ein Blick in die wissenschaftliche Literatur, was genau das Interesse der Forscher weckt. Google Scholar findet alleine für 2015 1.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Bitcoin an, wobei aber ein genauerer Blick zeigt, dass viele dieser Veröffentlichungen noch von 2014 sind. Es ist dennoch eine ganze Menge.
Mit der Cryptolibrary gibt es mittlerweile sogar eine eigene Datenbank für Forschungen zu virtuellen Währungen. Wie breit gestreut die Themenfelder sind, mit denen sich die Wissenschaft beschäftigt, zeigt dieser kleine Auszug aus Publikationen:
Technisch
Viele Publikationen widmen sich technischen Problemen oder Schwachstellen des Bitcoins und weisen auf Verbesserungsmethoden hin.
So haben etwa Till Neudecker und Kollegen vom Institut für Telemantics am Karlsruher Institute of Technologie einen großen Angriff auf das Bitcoin-Netzwerk simuliert und dafür erst vor kurzem eine wissenschaftliche Veröffentlichung erhalten. Die jungen Forscher von der Saarbrückener Informatik dagegen haben, wie bereits erwähnt, die Methodologie des Coinshufflings entwickelt, um die Privatsphäre von Bitcoins zu verbessern. Zwei Forscher von der Pennsylvania State University untersuchen dagegen eine Methode, die Prirvatsphäre des Bitcoins auszuhebeln und von Transaktionen auf Nutzer zu schließen.
Oft drehen sich solche technischen Publikationen nicht explizit um den Bitcoin, sondern eher um die Blockchain. Eine Amerikanisch-Israelische Forschergruppe stellt etwa eine Methode vor, private Daten durch die Blockchain dezentral zu schützen. Einige Forscher aus Dublin dagegen entwerfen den Netcoin, ein neues p2p-Payment-System, welches besser als der Bitcoin sein soll. Und andere Forscher wiederum wollen durch den Bitcoin ein “decentralized trusted timestamping” verwirklichen. Und noch vieles mehr.
Ökonomisch
Viele Forscher wenden sich auch den wirtschaftlichen Aspekten zu, die der Bitcoin ins Spiel bringt.
Eine Dissertation fragt zm Beispiel, ob die virtuelle Währung Bitcoin eine nachhaltige Zukunft hat und Fiat-Geld-Systeme ersetzen kann.
Zwei Forscher der School of Management an der TU München fragen in einem Paper, ob Bitcoin die nächste Revolution im internationalen Payment ist und unterfüttern dies durch eine empirische Analyse. Ein israelischer Forscher widmet sich dagegen dem Entstehen von alternativen Geldmärkten am Beispiel Bitcoin, während zwei französische Wissenschaftler Daten aus der Bitcoin-Wirtschaft nutzen, um zu erklären, weshalb Märkte crashen. Australische Forscher untersuchen schließlich, wie Startups im Bereich der digitalen Währungen Werte schaffen, und eine andere Studie widmet sich den Trading-Algorithmen auf Bitcoin-Börsen.
Rechtlich
Recht, Verbrechen und Regulierung sind ebenfalls wichtige Bereiche, in denen die Wissenschaft sich dem Bitcoin zuwendet.
Ein Paper der Newcastle University zählt fein säuberlich die Gefahren und Risiken virtueller Währungen wie des Bitcoins auf. Eine weitere Studie widmet sich der Regulierung virtueller Währungen, und ein Forscher der University of Washington untersucht, ob Bitcoin ein Beispiel für peer-2-peer-Law ist. Ein Paper widmet sich der finanziellen Regulierung des Bitcoins in den Bereichen Securities, Derivate, Prediction Markets und Gambling, während ein anderes Paper eine Regulierung von Bitcoin-Mining als Security analysiert.
Diese Aufzählungen fallen ein wenig willkürlich aus. Mit Sicherheit wurde noch viel mehr zu vielen weiteren Aspekten des Bitcoins geforscht. Die Liste soll lediglich zeigen, mit welcher Energie sich Wissenschaftler rund um die Welt auf den Bitcoin und die Blockchain einlassen. Insbesondere für große Unternehmen stellt eine noch nicht erforschte Sache ein großes Risiko und eine unhaltbare Unwägbarkeit dar. Daher kann die ausführliche Erforschung des Bitcoins und der Blockchain der Weg sein, der es der Gesellschaft ermöglicht, sich stärker auf die virtuellen Währungen einzulassen. Bevor aber Erkenntnisse von der Forschung in die Industrie schlüpfen, dauert es bekanntlich ungefähr zehn Jahre. Mal sehen, ob bis dahin die Wirklichkeit nicht bereits die Wissenschaft überholt hat.
Kommentar verfassen