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Der Tag, an dem Bitcoin beinah ins Bodenlose gefallen wäre

Red Alert. Bild von *nacnud* via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Der 12. März sah den schlimmsten Crash der Bitcoin-Preise seit sieben Jahren. Was die meisten nicht wissen: Es hätte noch sehr viel schlimmer kommen können, weil mehrere Faktoren sehr ungünstig zusammenspielten. Ein Post eines Investment-Fonds zeigt auf, wie die Krypto-Märkte an diesem Tag kollabiert sind.

Der heftige Kurssturz von Bitcoin am 12. März ist noch längst nicht aufgearbeitet. Wie es aussieht, war Bitcoin an diesem Tag nämlich kurz davor, für einen Moment auf 0 zu fallen. Ein langes Blogpost von multicoin.capital analysiert die Ereignisse auf Börsen an diesem Tag. Wer Zeit hat und des Englischen mächtig ist, sollte das ganze Post lesen. Ich werde es hier für die Leser, die mehr in Eile sind oder Informationen auf deutsch genießen wollen, zusammenfassen.

Zuvor muss ich euch jedoch noch warnen: Es wird sehr viel „Börsen-Chinesisch“ in den Artikel einfließen. Wer Begriffe wie „Hebel“, „Margin-Trading“, „Liquidation“, „Kollateral“, „Arbitrage“, „Long“ und „DeFi“ im Schlaf versteht, wird sich pudelwohl fühlen. Für alle anderen werde ich immer wieder erklären, was es mit den jeweiligen Begriffen auf sich hat.

Sieht harmlos aus, ist aber ein ziemlich großer Crash: Der Bitcoin-Preis am 12. März.

Beginnen wir mit dem, ws auf der Oberfläche geschah. Am 12. März brach der Bitcoin-Preis in zwei Wellen massiv ein. Um 12:00 fiel er von etwa 7.300 Dollar auf gut 6.000 Dollar. Nach einer etwa zwölfstündigen Verschnaufpause brach er dann zwischen 0:00 und 3:00 Uhr erneut ein und fiel vorübergehend sogar unter 4.000 Dollar. Wenn man von der Spitze zum Tiefpunkt zählt, hat Bitcoin an einem einzelnen Tag beinah 50 Prozent verloren.

Im Zentrum des Geschehens stand die Börse BitMEX, und hier wird es Zeit, etwas genauer unter die Oberfläche zu schauen.

Die Margin-Kaskade auf BitMEX

Auf BitMEX werden Bitcoin-Derivate gehandelt. Trader können sich per Margin Trading Geld leihen, um „Long“ oder „short“ Positionen mit Hebel zu eröffnen. „Mit Hebel“ bedeutet, dass der Einsatz durch geliehende Guthaben vervielfacht wird; „long“ bedeutet, dass man auf steigende Kurse setzt, „short“ auf fallende. Nehmen wir an, ich gehe bei einem Preis von 10.000 Dollar mit 1 Bitcoin „long“. Wenn der Kurs auf 11.000 steigt, gewinne ich 1.000 Dollar. Wenn ich aber einen Hebel von 10 habe, verzehnfacht sich mein Einsatz, und ich gewinne bei einem Kursanstieg von 10 Prozent nicht nur 1.000, sondern 10.000 Dollar – oder ich verliere so viel, wenn der Kurs fällt.

Wenn man seinen Einsatz hebelt, leiht man sich Geld von anderen Teilnehmern des Marktplatzes zu Zinsen. Als Sicherheit muss man ein Pfand hinterlegen, das auch Kollateral genannt wird. Wenn die Position scheitert, und der Verlust den Einsatz, den man tatsächlich hatte, übersteigt, wird dieses Pfand verkauft und an die Leiher zurückgezahlt. Das ist der sogenannte Margin Call oder die Liquidation.

Auf BitMEX können Trader ihre Positionen um das bis zu 125-fache hebeln. Das ist eine irrsinnige Hochrisiko-Praxis, schon das kleinste Ausscheren kann zu einem Totalverlust inklusive der Liquidation des Portfolios führen. Nur wenige Trader nutzen diesen Hebel, aber es ist gebräuchlich, dass mit 10- oder 50fachem Hebel gehandelt wird, was auch schon enorm riskant ist. Bereits kleine Schwankungen der Preise, etwa drei Prozent, können zur Liquidation der Kollaterale führen. Da bei BitMEX nur Bitcoin (BTC) als Kollateral erlaubt ist, mussten die Trader, deren „Long“-Positionen infolge des Einbruchs durch die erste Welle einstürzten, die Bitcoins in ihren Wallets verkaufen. Das löste die gefürchtete Margin-Kaskade aus: Die Liquidation stürzt den Preis noch tiefer, weitere „Long“-Positionen schließen und werden liquidiert, woraufhin der Preis weiter fällt und noch mehr „Longs“ liquidiert werden …

Innerhalb von weniger Stunden wurden auf BitMEX Positionen im Wert von beinah 900 Millionen Dollar liquidiert. also fast eine Milliarde Dollar. Die Margin-Kaskaden hatten sich verselbständig. Um drei Uhr in der Nacht, als der Preis gerade auf ein Tief gefallen war, schaltete BitMEX den Handel ab, angeblich wegen Wartungsarbeiten. Das war aber nur die vorläufige Aussage, um keine Panik zu schüren. Etwas später räumte BitMEX ein, dass die Plattform das Opfer einer verteilten Denial-of-Service (DDos)-Attacke geworden war. Ein solcher Angriff flutet die Systeme von Plattformen mit Datenabfragen, um sie so zu überlasten, dass sie in die Knie gehen.

BitMex schreibt auf dem Blog darüber: „Um 02:16 begann ein Botnet einen DDoS-Angriff auf BitMEX. Wir haben danach rasch bemerkt, dass das Botnet für einen ähnlichen, aber nicht erfolgreichen Angriff vor einem Monat verantwortlich gewesen ist. Daher glauben wir, dass der Angreifer das Ziel im Februar identifiziert hat, aber auf einen geeigneten Moment wartete, um den stärksten Einfluss auf den Markt zu nehmen.“ Der Angriff geschah zeitgleich zu dem extremen Absturz durch die Margin-Kaskaten. Das Botnet überwältigte die Plattform mit speziellen Abfragen, woraufhin eine Datenbank sämtliche CPU-Ressourcen konsumierte und eine Festplatte ausfiel. Die API von MitMEX wurde immer langsamer, die Trading-Engine auf der Plattform verzögerte sich.

Der Stau auf der Blockchain verschlimmert das Problem

Zur gleichen Zeit geschah aber noch etwas anderes. Ganz verstehen kann man das nur, wenn man einige Fakten über das Ökosystem des Handels kennt. Der Artikel von Multicoin.Capital zählt diese ausführlich auf:

Es gibt viele Handelsplattformen, die Märkte für Derivate mit starkem Hebel anbieten. Das System ist sehr uneinheitlich, es gibt verschiedene Modelle für die Derviate, die daher nicht zwischen den Börsen getauscht werden können, und nicht jede Börse ist für jeden Kunden offen, oft hängt es von der Staatszugehörigkeit ab. Allein schon diese Eigenschaften sorgen dafür, dass die Preisfindung nicht immer nahtlos funktioniert, sondern es oft spürbare Abweichungen zwischen den Börsen gibt. Unter normalen Umständen profitieren jedoch Arbitrage-Trader davon, die die Preisunterschiede zwischen Börsen handeln und damit schließen. Das geht gewöhnlich relativ schnell.

Unter Umständen wie am 12. März laufen die Preisunterschiede aber aus dem Ruder. Dies führt normalerweise zu einem sehr emsigen Arbitrage-Handel, weil darin große Profite liegen. Um den Profit einzusacken, müssen die Trader Bitcoins auf der Börse, auf der sie teurer sind, verkaufen, und gleichzeitig auf der, auf der sie günstiger sind, einkaufen, und das ganze dann solange wiederholen, bis die Lücke geschlossen ist. Dies bedingt aber, dass sie Bitcoins von einer Börse auf die andere transferieren, um liquide zu bleiben. Daher löst die Volatilität zahlreiche Transaktionen zwischen den Börsen aus. Am 12. März waren es so viele, dass die Bitcoin-Blockchain an ihre Grenzen stieß. Die Blöcke waren voll, die Gebühren stiegen auf unkalkulierbare Weise, Transaktionen brauchten nicht mehr Minuten, um eine Bestätigung zu erhalten, sondern Stunden, wenn nicht Tage.

Die Folge war, dass die Liquidität in den Orderbüchern von BitMEX austrocknete, während die Spread zur großen US-Börse Coinbase zeitweise mehr als 500 Dollar betrug. Multicoin.Capital beschreibt ein bedrohliches Szenario: Zu einem Zeitpunkt waren nur noch 20 Millionen Dollar Bids auf BitMEX übrig, aber mehr als 200 Millionen long Positionen, die liquidiert werden sollten. „Das bedeutet, der Preis von BTC hätte für einen kurzen Zeitpunkt auf 0 Dollar stürzen können.“ Dann aber ging BitMEX wegen der DDoS-Attacke offline. Das Botnetz war genau zum richtigen Zeitpunkt erschienen.

DeFis auf Ethereum kollabieren

Im selben Moment, als der Bitcoin-Preis bei BitMEX beinah ins Bodenlose gefallen wäre, kollabierten die DeFis. Das sind „Dezentrale Finanzen“, also Finanzprodukte, die als Smart Contract auf der Ethereum-Blockchain laufen. Auch hier schlitterte das Ökosystem um Haaresbreite an einem vollständigen Kollaps vorbei.

Das größte DeFi-Protokoll ist Maker, die DAO, die die Dai-Dollar herausgibt und auf denen viele andere DeFis aufbauen. Wie die Derivate auf BitMEX verwendet die Maker-DAO Kollaterale. Um einen Dai-Dollar zu erschaffen, muss man Ether mit dem Wert von etwa 1,5 Dollar hinterlegen. Wenn der Preis so weit sinkt, dass die Ether weniger als einen Dollar wert sind, ordnet der Maker Smart-Contract die Liquidation des Kollaterals an: Die Ether werden verkauft, und der Dai-Dollar löst sich auf. So passt sich die Menge der verfügbaren Dai-Dollar an das Kollateral an und verhindert, dass die Dollar nicht durch ausreichend viele Ether gedeckt sind.

Wenn nun der Kurs so einbricht, wie am 12. März, werden zahlreiche Liquidationen ausgelöst. Man erkennt das recht schön daran, dass die Marktkapitalisierung der Dai-Dollar rapide einbrach, von knapp 120 auf etwa 90 Millionen Dollar. Allerdings sabotierten auch bei Ethereum die Verstopfung der Blockchain die Ausführung der Smart Contracts. So wie bei Bitcoin explodierte das Transaktionsvolumen bei Ethereum innerhalb weniger Minuten, als die Preisunterschiede zwischen den Börsen anstiegen. Das hatte zur Folge, dass die Gaspreise – das sind die Gebühren bei Ethereum – ebenfalls auf eine unkontrollierte Weise explodierten.

Die Marktkapitalisierung der Dai-Dollar: Jede Menge Dollar wurden durch den Absturz ausgelöscht.

Nun war die Maker-Software, durch die die Mitglieder der Maker-DAO ihre Kollaterals liquidierten, falsch konfigiert. Eigentlich müssten die Maker mit der Software ihre Ether auf eine Auktion werfen, die ein Smart Contract kontrolliert. Weil es ihnen aber nicht gelang, die richtigen Gebühren zu treffen, schafften die Transaktionen es nicht in einen Block, und der gesamte Ablauf wurde unterbrochen. Es war wohl auch ein Problem, dass die Transaktionen, die Angebote für die Auktion einstellten, nicht durchgingen, weshalb es niemanden gab, der auf die liquidierten Ether bot. Jemand begriff schnell, dass er diesen Fehler ausnutzen konnte. Er erhöhte die Gaspreise, wurde zum einzigen Bieter und konnte für null Dollar ein Ether-Kollateral im Wert von acht Millionen Dollar kaufen. Die Maker, die das Kollateral anboten, fuhren einen Totalverlust ein.

Aber nicht nur die Software der Maker war nicht auf die hohen Gebühren vorbereitet. Auch die Oracles, die den Maker-Contract mit den Ethereum-Dollar-Preisen füttern, scheiterten. So blieben notwendige Liquidationen aus. Als Ethereum auf 88 Dollar fiel, hätten eigentlich zahlreiche Vaults liquidiert werden sollten. Aber da der Maker-Contract die Preise nicht aktualisierte, geschah das nicht. Wäre dies passiert, wäre der Ethereum-Preis weiter auf Talfahrt gegangen; eine Millionen Dollar an Verkauforder hätten ausgereicht, um den Preis auf bis zu 50 Dollar zu drücken.

Auch bei der Maker-DAO hat also das Nicht-Funktionieren des Systems verhindert, dass es zu schlimmerem kommt. Multicoin.Capital schließt ob dieser Lage seinen Bericht mit der Erkenntnis, dass „die Krypto-Marktstruktur immer noch unreif ist. Es gibt eine Menge zu verbessern, in vielen Dimensionen, und daher eine Menge Gelegenheiten, in die man investieren kann. Während Unternehmen wie BitMEX eindeutig zu kämpfen haben, können sie ihre Liquidations-Engine und andere Technologien verbessern. Aber selbst wenn BitMEX in Zukunft ohne Fehler arbeitet, würde der Markt dennoch leiden. Denn die Netzwerke von Bitcoin und Ethereum können, so wie sie heute dastehen, nicht eine Marktaktivität auf globalem Level bedienen.“

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4 Kommentare zu Der Tag, an dem Bitcoin beinah ins Bodenlose gefallen wäre

  1. Christoph, hast Du nicht vor ein paar Tagen noch das Hohelied auf Derivate gesungen ? Weder Nobelpreisträger (bei LTCM), noch Banken (Verbriefungsexzesse 2008), noch Lieschen Müller verstehen wirklich, was in hohen Quantilereignissen tatsächlich eintreten wird. Man mag den alten Buffett und seine Meinung über diese „Massenvernichtungswaffen“ in langweiligen Zeiten belächeln, aber er hat als einer der wenigen verstanden, dass zehn gut gehebelte Jahre nichts bringen, wenn man im elften Totalverlust erleidet.

    • Das Perverse an Derivaten ist ja auch noch die Steuer, die für kurzfristige Gewinne anfällt, denn sie liegt für Derivate niedriger als die tatsächlichen Assets. Bei langfristigen Investitionen von über einem Jahr kommt man zumindest bei Kryptoassets günstiger weg, wenn man diese direkt hält. Manchmal muss man sich wirklich fragen, wer sich solche Gesetze überlegt…

      Shorts, auch „Leerverkäufe“ genannt sind aus meiner Sicht Gambling, wenn dann Hebel jenseits 100 oder gar 1.000 ins Spiel kommen wie an Aktienmärkten durchaus üblich, ist das Spielkasino wahrscheinlich die sicherere Investition. Aber wir haben jetzt ja gesehen, dass die „seriösen“ Aktienmärkte mal eben schließen, wenn sie zu stark ins Minus fallen, ganz ähnlich wie das unseriöse Bitmex.

    • Ja, habe ich … ich denke, Derivate sind sinnvoll, wenn sie eingesetzt werden, dass Leute, die tatsächlich mit Rohstoffen (oder Bitcoins) arbeiten, sich gegen die Volatilität hedgen. Aber sie sind natürlich gefährlich, wenn sie für Spekulation eingesetzt werden. Aber vermutlich ist es unmöglich, das zu trennen …

  2. „Er erhöhte die Gaspreise, wurde zum einzigen Bieter und konnte für null Dollar ein Ether-Kollateral im Wert von acht Millionen Dollar kaufen“

    Dann war das der Grund für die Transaktion mit einer Gebühr von 656 ETH ?

    https://www.etherchain.org/tx/5f86480294076256406755e62bf7d02a43f3b03579fe4a22f46fc3004428b1ee

    Für 82.000$ mal eben 8 Mio eingesackt… kein schlechter Deal, aber ein Zeichen wie unausgereift die Mechanismen noch wirken

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