Die Krypto-Währungsreform in Ostasien schreitet voran
Ostasien ist die für Kryptowährungen wichtigste Region. Doch wie genau verwenden die Bewohner der Region Kryptowährungen? Welche Coins benutzen sie, und was machen sie damit? Ein Bericht von Chainalysis mischt Onchain-Analysen und anekdotische Berichte, um diese Fragen zu beantworten.
Die Blockchain-Analyse-Firma Chainalysis stellt auf ihrem Blog immer wieder Auszüge aus spannenden Berichten vor. Oft geht es dabei um Kriminalität und Geldwäsche, zum Teil aber auch um die viel interessantere Frage, wofür Kryptowährungen im legalen Bereich genutzt werden. Der jüngste Bericht, der im September erscheinen wird, untersucht die geographische Nutzung von Kryptowährungen – wo auf der Welt werden Kryptocoins für was verwendet und welche Unterschiede gibt es zwischen den Regionen? Der Auszug auf dem Blog widmet sich Ostasien, also jener Region, die vor allem Länder wie China, Korea und Japan umfasst.
Ostasien ist weiterhin der größte Markt, aber der Vorsprung schmilzt
Da diese drei großen Volkswirtschaften dafür bekannt sind, aktive Krypto-Communities zu haben, überrascht es nicht, dass Ostasien der größte Krypto-Markt der Welt ist. Die Region verantwortet 31 Prozent aller im Lauf der letzten 12 Monate versendeten Kryptowährungen; Adressen in Ostasien haben 107 Milliarden Dollar in Krypto erhalten, was 77 Prozent mehr ist als Adressen in Westeuropa, das in dieser Rangliste den zweiten Platz einnimmt.
Natürlich kann vieles davon, erklärt Chainalysis, auf die Dominanz der Region im Mining zurückgeführt werden. Doch auch der Markt außerhalb des Minings ist extrem aktiv. Es gibt einen sehr robusten Markt für professionelle Trader, aber auch einen aktiven Markt der User. Die Liquidität bleibt dabei oft in der Region, 44 Prozent der Transaktionen gehen an Adressen, die ebenfalls in Ostasien lokalisierbar sind. In Westeuropa sind dies nur 22 Prozent. Man könnte diesen heftigen Unterschied zumindest zum Teil darauf zurückführen, dass es in Westeuropa relativ wenig, aber in Ostasien extrem viele Börsen gibt.
Insgesamt ist der Anteil von Ostasien am Kryptomarkt im Lauf des vergangenen Jahres aber gefallen. Experten führen dies darauf zurück, dass Skandale wie der PlusToken-Betrug der Begeisterung für Kryptowährungen einen Dämpfer versetzt hat, während die Ankündigung der Regierung, eine eigene digitale Währung herauszugeben, im Ökosystem die Befürchtung aufkommen lässt, dies würde mit einem Verbot von anderen Kryptowährungen einhergehen.
Die spannendste Frage ist aber, was sich hinter den Zahlen verbirgt. Dass Ostasien – vor allem China – führend im Mining und Heimat zahlreicher Börsen ist, dürfte seit langem bekannt sein. Wofür aber benutzen die Leute Kryptowährungen, außer um zu minen und auf Börsen zu traden? Gibt es eine echte, ökonomische Nutzung? Der Bericht von Chainalysis legt nahe, dass dem so ist.
Trading und Stablecoins
Zunächst ist aber zu erwähnen, dass Trading und Spekulation in der Region vielleicht mehr Gewicht haben als anderswo. Denn mit lediglich 51 Prozent der Transaktionswerte nimmt Bitcoin in Ostasien im Vergleich zu anderen Regionen die geringste Rolle ein, während Altcoins mit 16 Prozent hier weltweit am stärksten sind. Vor allem der Vergleich mit Westeuropa und Nordamerika, den nach Ostasien aktivsten Regionen, ist aufschlussreich: Dort macht Bitcoin 66 bzw. 72 Prozent des Volumens aus. Das Bedürfnis, Bitcoins zu halten, um sich gegen eine Inflation abzusichern, scheint im Westen stärker zu sein, während in Ostasien mehr getraded wird.
Vor allem aber fällt die starke Nutzung von Stablecoins in Ostasien auf: Diese verzeichnen dort rund 33 Prozent des Transaktionsvolumens, während es in Westeuropa und Nordamerika nur 21 bzw. 17 Prozent sind. Man könnte daraus folgern, dass man in Europa und Amerika vor allem Bitcoins hält, während man in Ostasien Kryptowährungen öfters auch tatsächlich benutzt. In Ostasien – wie auch anderswo – meint Stablecoins vor allem Tether-Dollar, die dort einen Marktanteil von 93 Prozent erreichen.
Den Grund für die starke Nutzung von Stablecoins sieht Chainalysis zum Teil in der Regulierung: Die Regierung in China hat den direkten Tausch von Yuan und Kryptowährungen verboten. Daher wurden Tether zur Standard-Fiatwährung chinesischer User, um Bitcoins gegen diese zu handeln. Der Tausch von Yuan gegen Tether ist an sich auch nicht erlaubt, doch es sei üblich, Tether unter der Theke bei außerbörslichen Brokern zu kaufen oder durch ein Bankkonto im Ausland zu erwerben. Auf diese Weise wurde Tether zum beinah exklusiven Fiat-Partner des Kryptohandels durch Chinesen, was sich darin äußert, dass Tether auf den Börsen mittlerweile ein höheres tägliches Handelsvolumen erreichen als Bitcoins.
Kapitalflucht und internationale Zahlungen
Daneben werden die Tether-Dollar aber wohl auch für andere Zwecke verwendet, vor allem für grenzüberschreitende Zahlungen. Laut einer von Chainalysis befragten Expertin wurde Tether der Dollar-Ersetz für viele Chinesen. “Eine Menge an chinesischen Unternehmen und Händler, vor allem, wenn sie im Ausland arbeiten, akzeptieren nun Tether von ihren Kunden.” Chainalysis wendet zwar ein, dass der Großteil des Tether-Volumens im Trading liegt, erkennt aber an, dass eine organisch wachsende Nachfrage nach Tether für den Handel zu erkennen sei.
Eine weitere Verwendung dürften Tether wie auch Bitcoin in der Kapitalflucht finden. Natürlich ist das konkrete Volumen hier extrem schwer nachzuvollziehen. Chainalysis stellt fest, dass durch Kryptowährungen 50 Milliarden Dollar die Region verlassen haben. Große Teile entstehen zwar dadurch, dass die großen Miner Ostasiens die Coins auf die großen Kryptobörsen im Westen senden. “Wir glauben aber, dass zumindest ein Teil dieser Aktivität der Kapitalflucht aus China gewidmet ist”. Denn die Regierung in China erlaubt ihren Bürgern lediglich, Geld im Wert von maximal 50.000 Dollar je Jahr außer Landes zu senden, und hat viele der hergebrachten Schleichwege, derer sich die Reichen des Landes seit langem bedienen, im Lauf der letzten Jahre dichtgemacht. Kryptowährungen könnten nun eine attraktive Alternative sein.
Unter den 50 Milliarden Dollar, die von Ostasien an andere Region gesendet wurden, sind etwa 18 Milliarden Tether-Dollar. Das meiste entspringe, erklärt Chainalysis erneut, dem Mining. Doch ein Teil könne auch durch Kapitalflucht entstehen – sowie durch den ganz normalen Handel. Auch andersherum gibt es Hinweise, dass Unternehmen in Südamerika und Afrika zunehmend Bitcoins oder Tether nutzen, um für Importe aus China zu bezahlen.
Natürlich ist die Datenlage bei all dem relativ unklar. Während Börsen und Miner ziemlich transparent sind, versinken oft gerade die Anwendungen im Dunkel, die interessant sind, weil sie auf eine echte wirtschaftliche Aktivität hindeuten, sei es der graue oder weiße Handel mit dem Ausland, sei es die Kapitalflucht. Hier bleibt Chainalysis auf Schätzungen, Dunkelziffern und anekdotische Berichte angewiesen. Aber im Großen und Ganzen finden die Analysten starke Hinweise darauf, dass Ostasien Kryptowährungen nicht nur fürs Mining und Trading benutzt, sondern auch als Wertspeichern und Zahlungsmittel.
Man könnte sagen: Die Bürger Ostasien haben bereits ihre eigene Währungsreform begonnen, ohne damit auf die Regierung zu warten. Bitcoin und Kryptowährungen machen dort genau das, wozu sie gemacht wurden.
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