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US-Infrastrukturgesetz kriminalisiert potenziell Miner und Wallet-Entwickler

Das Kapitol in Washington - hier tagt der Senat. Bild von Kurtis Garbutt via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

In einer wahren Polit-Farce haben die USA die „Infrastructure Bill“ verabschiedet. Das Mega-Gesetz enthält auch eine sehr kritische Passage zu Kryptowährungen. Eigentlich sollte diese durch einen Anhang entschärft werden – doch dies scheiterte in letzter Sekunde. Für die Branche ist all das unendlich gut und unendlich schlecht.

Für Deutsche dürfte nur schwer nachvollziehbar sein, wie wild Politik in den USA sein kann. Hierzulande verschlafen wir den Wahlkampf für die anstehende Bundestagswahl – und in den USA streitet man erhitzt um eine Definition in einem Gesetzesentwurf, weil diese droht, die Kryptobranche zu belasten.

Es ging um die sogenannte Infrastructure Bill. Das ist ein Gesetzespaket, an dem parteiübergreifend seit Jahren gearbeitet und verhandelt wird. Es soll ein 1-Billionen-Dollar-Investment in die Infrastruktur auf den Weg bringen: in Schienen, Straßen, Datenautobahnen und Stromleitungen. Allein der Text des Entwurfs umfasst mehrere tausend Seiten.

An einer Stelle geht es auch um Kryptowährungen. Und zwar um eine Teilantwort auf die Frage „Wer soll all das denn bezahlen?“. Die US-Regierung plant, durch Steuern auf Krypto-Dienstleistungen im Lauf der kommenden 10 Jahren 28 Milliarden Dollar einzusammeln. Und damit sich keiner vor diesen Steuerpflichten drückt, verordnet die Infrastructure Bill, dass jeder „Digital Asset Broker“ bzw. “Digital Asset Provider” umfangreiche Berichte zu jeder Transaktion an das Finanzamt zu erstatten hat.

All das wäre kein Problem. Wie die Blockchain Association schon Ende Juli versichert „sehnen sich traditionelle Krypto-Börsen danach, detaillierte Richtlinien zu haben, was sie der Finanzverwaltung zu melden haben.“ Die traditionellen, also zentralisierte Börsen haben an sich nichts gegen Steuern und gegen Regulierung. Sie leisten nicht zwingend gerne, aber bereitwillig dasselbe, wie traditionelle Banken, und wenn ihnen dadurch ein Wettbewerbsnachteil gegenüber den neuen, den dezentralen Börsen entsteht, nehmen sie diesen gerne in Kauf.

Ja: Die Branche der traditionellen Krypto-Börsen dürfte eine der wenigen Branchen sein, die darauf bestehen, einen Wettbewerbsnachteil zu haben. Dass für dezentrale Börsen andere Regeln gelten als für zentralisierte gehört zur Grundüberzeugung der Branche.

Die Macht der Worte

Das Problem ist vielmehr die Definition. Denn die Infrastructure Bill definiert den Digital Asset Provider als „jede Person, die dafür verantwortlich ist, regelmäßig irgendeine Dienstleistung zu erbringen, die den Transfer von digitalen Assets für andere bewirkt.“

Diese Definition fasst natürlich Börsen, Verkaufsstellen und Online-Wallets. Das ist klar, und dass diese reguliert werden, kritisiert mittlerweile kaum noch jemand. Aber weil die Definition jede beliebige Dienstleistung („any service“) umfasst, die dazu beiträgt, dass ein anderer eine Transaktion versendet, ist ihre Reichweite prinzipiell endlos. Sie erstreckt sich potenziell auf:

  • Anbieter von nicht-treuhänderischen Wallets, die einen Server verwenden.
  • Betreiber von Electrum-Servern
  • Lightning-Nodes
  • womöglich auch Full Nodes.
  • Jedes „Fenster“ zu DeFi, das den Usern hilft, mit einer Wallet Transaktionen zu bilden
  • Entwickler, die eine Software veröffentlichen, die an Transaktionen beteiligt ist.
  • Hersteller von Hardware-Wallets
  • Miner, Staker, Validatoren.

Streng genommen erstreckt sich das Gesetz also auf – jeden. Fast jeder, der in der Krypto-Welt einen Mehrwert schafft, könnte betroffen sein. Für all diese Parteien ist es schlicht unmöglich, der Finanzverwaltung Bericht zu erstatten, weil sie die notwendigen Informationen nicht besitzen und auch nicht einholen können. Das Gesetz, klagt die Blockchain Association, “legt Akteuren der Branche Pflichten auf, denen sie gar nicht gerecht werden können.”

Natürlich wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das weiß auch die Blockchain Association und andere Branchenorganisationen. Aber die Infrastructure Bill wirft mit einem Schlag fast jeden, der im Kryptobereich Werte schöpft, in eine rechtliche Grauzone. Es droht, die Krypto-Szene in den USA auszulöschen – und damit zu verhindern, dass die anvisierten 28 Millliarden Dollar jemals in das Staatsbudget fließen.

Krypto als Lobby-Macht in Washington

Die Branche lief also Sturm gegen das Gesetz. Auch die traditionellen, zentralisieren Börsen. Lieber ein Wettbewerbsnachteil gegenüber dezentralen Börsen, als in einem Nichts zu operieren.

Die Blockchain Association bündelt seit Ende Juli die Lobby-Bemühungen der Branche. Rund ein Dutzend Lobby-Organisationen in den USA treten ihrer Klage bei. Die Lobby-Kampagne, die die einst so unbedeutende Krypto-Branche entfesselte, war so heftig, dass die Washington Post verwundert feststellt, wie Kryptowährungen „eine machtvolle Kraft in Washington“ geworden sind.

Nach Jahren der Debatte über die Verbesserung der Infrastruktur, nach Monaten der feinfühligen Verhandlungen zwischen Parteien, „verzögert sich ein 1-Billionen-Dollar-Gesetz plötzlich, weil es Bedenken darüber gibt, wie die Regierung eine Industrie reguliert, die am meisten für wilde Finanzspekulationen, Memes und ihre Rolle in Ransomware-Angriffen bekannt ist.“

Die Krypto-Branche habe in Washington mittlerweile 60 registrierte Lobbyisten, und sie plane, in diesem Jahr 5 Millionen Dollar für Lobbyismus auszugeben. Wie die Post schreibt, seien die Themen rund um Krypto komplex, und die Senatoren und Politiker meist unzureichend informiert, was „massenhaft Raum für Lobbyismus lässt.“

Neben den professionellen, registrierten Lobbyisten haben die CEOs von großen Tech-Unternehmen – beispielsweise Jack Dorsey von Twitter – Druck aufgebaut, und tausende, wenn nicht zehntausende von Krypto-Usern haben „ihre“ Senatoren in Washington angeschrieben oder angerufen.

Ausnahmen und Kompromisse

Viele Senatoren hörten auf die Klagen der Branche. Parteiübergreifend schlugen Cynthia Lummis, Ron Wyden und Pat Toomey vor, dem Gesetz eine Liste von ausgenommenen Parteien anzuhängen: Es solle nicht für Personen oder Parteien gelten, die Transaktionen validieren, die Hardware oder Software verkaufen, die den Usern die Kontrolle privater Schlüssel ermöglicht, oder die digitale Assets oder die unterliegenden Protokolle entwickeln.

“Einfach gesagt, klärt dieser Anhang auf gesetzliche Weise, was die meisten von uns sowieso schon wissen,” erklärt Senatorin Lummis:  “Dass die Validatoren von Daten in verteilten Kontobüchern, zum Beispiel die Miner, oder auch die Hersteller von Hardware-Wallets und die Entwickler von Software, keine Transaktionsdaten an die Finanzverwaltung übergeben müssen.” Das entspreche dem gesunden Menschenverstand.

Die Blockchain Association begrüßt den Vorschlag, da er, so ihr Verständnis, „die Verpflichtungen zur Berichterstattung für die Parteien aufhebt, die keinen Zugang zu Informationen über ihre User haben und dies auch nicht haben sollten.“ Ob dem wirklich so ist, darf man bezweifeln. So bleibt es etwa selbst mit diesem Anhang eine Frage der Wortklauberei, ob etwa Lightning-Nodes oder DeFi-Interfaces befreit sind oder nicht. Dennoch entschärft der Vorschlag das Gesetz deutlich, weshalb gut 100 Branchenvertreter sich hinter ihn stellen.

Aber der Regierung Biden gehen die Ausnahmen zu weit. Sie signalisiert, dass sie zwar kein Interesse habe, Miner und Software-Entwickler in die Pflicht zu nehmen, aber auch fürchte, dass die von Wyden, Lummis und Toomey vorgeschlagenen Ausnahmen zu viel Schlupflöcher aufreissen.

Daher haben die Senatoren Rob Portman, Mark Warner und Kyrsten Sinema – ebenfalls parteiübergreifend – einen Gegenvorschlag eingebracht. Dieser sieht Ausnahmen für Proof-of-Work-Miner sowie Wallet-Entwickler vor. “Anstatt ein Spielfeld mit gleichen Regeln für alle zu schaffen,” klagt Lummis, “ernennen sie Gewinner und Verlierer, indem sie Proof-of-Stake-Miner nicht ausnehmen. Kurz gesagt: Ihr Vorschlag würde beispielsweise Ethereum 2.0 massiv behindern.”

Schließlich haben die Senatoren Portman, Warner, Toomey, Sinema und Lummis am Montag einen Kompromiss vorgeschlagen: Nicht nur Proof-of-Work-Miner, sondern sämtliche Miner sollten ausgenommen sein, auch Proof-of-Stake-Miner. Auch das ist längst nicht befriedigend – die Lage für Hardware-Wallets, Server-Wallets, Lightning-Nodes, Ripple-Nodes und so weiter ist weiterhin unklar – aber offensichtlich das beste, was zu bekommen ist.

Wie der Anhang aus absurden Gründen scheitert

An sich hatte der Kompromiss eine breite Basis. Die Zustimmung war parteiübergreifend groß, er genoss sowohl die Unterstützung der krypto-freundlichen Senartoren als auch von Finanzministerin Janet Yellen oder dem Sozialisten Bernie Sanders. Da die Abstimmung über die Infrastructure Bill unmittelbar bevorstand, war es ein Kompromiss in letzter Sekunde – die beste Chance, noch zu verhindern, dass ein Gesetz mit einer fürchterlichen Formulierung in Kraft tritt.

Doch die Abstimmung scheiterte. Der Grund dafür war reichlich absurd: Der Republikaner Richard Shelby verlangte für seine Zustimmung zu den Änderungen, dass der Senat seinem – von all dem völlig unabhängigen – Vorschlag zustimmte, 50 Millionen Dollar zusätzlich ins Militär zu investieren. Dies wurde von Bernie Sanders abgelehnt. Also stimmte Shelby gegen den Anhang zum Gesetz, und weil ein solcher vom Senat ohne Gegenstimme beschlossen werden muss, kam dies einer Ablehnung gleich.

Der Gesetzesentwurf konnte also nicht mehr geändert werden, bevor es gestern zur Abstimmung über die Infrastructure-Bill kam. Diese durfte nicht scheitern, weil sie ein so wichtiges Projekt für die Regierung Biden ist und zudem auch parteiübergreifend unterstützt wird. Sie wurde daher in der Original-Fassung verabschiedet — mit der kritischen und schwierigen, weil so weit offenen Definition der Digital Asset Provider.

Ob das wirklich Konsequenzen für die Krypto-Branche haben wird, ist freilich noch mehr als unklar. Es wird vermutlich viel Spielraum geben, um schlimme Folgen abzuwenden. Ungünstig ist es dennoch, da es, gerade für die sich nun in den USA niederlassenden Miner, Rechtssicherheit abbaut und womöglich Investitionen verhindert. Gut ist all das Drama allerdings, weil es zeigt, wie groß die Bedeutung von Kryptowährungen in den USA ist: Eine einzelne Formulierung in einem Gesetz wird, weil sie Krypto womöglich behindert, schon beinah heißer diskutiert als Deutschland 2021 Wahlkampf führt. Krypto wurde zu einer Macht in Washington.

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4 Kommentare zu US-Infrastrukturgesetz kriminalisiert potenziell Miner und Wallet-Entwickler

  1. Paul Janowitz // 11. August 2021 um 14:25 // Antworten

    Ein mehrere Tausend Seiten langer Gesetzesvorschlag hat nichts mehr mit Demokratie zu tun, denn praktisch jeder, der darüber abstimmt dürfte mit etlichen Details überfordert sein und es ist unmöglich, sich in diese einzulesen und dann noch eine fundierte Meinung dazu zu bilden.

    Solche Regulierungen sind am Ende wohl Treiber für Kryptowährungen mit verbesserter Privatsphäre (enhanced privacy currencies), wie sie in den USA bereits schön umschrieben wurden. Alles andere wird durchreguliert werden, bis es keinen Unterschied mehr zu Banken und Paypal gibt, bis auf das angeblich verwahrte Asset an sich. Dann brauchen wir auch kein Scaling und keine Miner bei Bitcoin, läuft ja alles auf zentralisierten Datenbanken. Mir ist auch klar, dass in einem solchen Szenario Interaktionen mit Kryptowährungen und Monero weitgehend unterbunden werden, aber who cares? Prohibition 2.0 😉

  2. Gute Zusammenfassung, aber es fehlt, dass das Gesetz im Herbst erst noch durch den Kongress muss, und da kann noch viel geändert werden.
    Bemerkenswert ist auch, dass das Thema Crypto im Senat relativ viel Redezeit beansprucht hat und damit als kontroverses Thema nun wirklich auf der obersten politischen Ebene angekommen ist. Pro-Crypto waren die Senatoren aus Staaten, die davon wirtschaftlich profitieren, wie Wyoming und Texas, – alles Republikaner.

  3. Paul!
    ich lieben deine kommentare!!
    mittlerweile lese ich erst deine comments, dann den ARTikel.
    doch ohne artikel, kein kommentar…also nochwem danke ich an dieser stelle:)
    mir gefaellt deine objektive sichtweise mit einem schuss subjektivitaet – sehr inspirierend!!
    vor allen dingen haette ich nie die zeit mich so massiv in die details einzulesen.
    eine ausgearbeitete essenz vorgelegt zu bekommen ist schon ne form von luxus – auch wenn ich natuerlich nicht alles unterschreibe – macht es sehr viel spass dir/euch zu folgen – und die influences fuer neue denkanstoesse zu nutzen.
    ist dieser test bekannt?
    https://www.16personalities.com/de
    vielleicht kann christoph den auch mal naechstes jahr in die umfrage einbauen;)
    posted doch mal eure personalities – oder auch nicht – wie ihr wollt.

    ein ‘Aktivist’ 🙂

    bin sonst nicht so, ein mit lob umsichwerfender avatar – aber das wollt ich euch mal droppen
    sonne scheint – interessting news – viel arbeit – fuer die ich sehr dankbar bin.

    beste gruesse
    marco

    • Paul Janowitz // 12. August 2021 um 14:56 // Antworten

      Lieber Marco,
      Dein Feedback erfreut mich tatsächlich, auch wenn ich nicht nach Ruhm strebe, sonst wäre ich irgendwo bei Instagram, Facebook, Tiktok oder wie sie alle heißen unterwegs 😉

      Und nein, man sollte nicht immer meiner Meinung sein, die ist oft überspitzt und soll die Probleme an sich aufdecken. Wenn ich nur schreibe “Scheisse alles” ist keinem geholfen, wenn ich zumindest etwas ausführe, was meiner Meinung los ist, dann gibt es eine kleine Wahrscheinlichkeit, dass andere Menschen auch selbst reflektieren und zu ihrem eigenen Schluss kommen.

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